Kapitel 22

Ein Spaziergang im Dunkeln

"Do you remember me

Lost for so long?

Will you be on the other side

Or will you forget me?

I'm dying, I'm praying,

I'm bleeding, I'm screaming.

Am I too lost to be saved,

Am I too lost?"—Evanescence

(Erinnerst du dich noch an mich? / so lang verloren / wirst du auf der anderen Seite warten? / oder wirst du mich vergessen?/ Ich sterbe, ich bete / ich blute, ich schreie / und ich bin zu verloren um gerettet zu werden / bin ich zu verloren?)

Juli 1998

Remus saß an einem Ecktisch, den Kopf gesenkt und in Gedanken versunken als er sein gemüse auf dem Teller herumschob. Er war nicht wirklich hungrig und er hatte nicht gerade große Lust darauf, unter Menschen zu seun, aber hier zu sitzen, war immer noch besser, als daheim zu sitzen...alleine...schon wieder.

Die Tür des Restaurants öffnete sich und eine Gruppe lachender junger Zauberer trat ein. Remus sah nicht einmal zu ihnen auf; er wollte nicht, dass jemand ihn erblickte, aber einer unter ihnen tat es dennoch.

Nahe dem Eingang des Restaurants traten fünf Zauberer ein und lachten immer noch über den Witz, den sie gerade gehört hatten.

„Wer hat dir den denn erwählt?"fragte Seamus, sah Ron an und grinste.

„Ich hab ihn ausgedacht"sagte Ron und sah sich in dem dämmrigen Raum um. Der Geruch nach Essen lag in der Luft und sein Magen knurrte.

„Das hast du nicht!"protestierte Seamus und schüttelte lachend den Kopf.

„Ne, hast recht. Fred und George haben ihn mir gestern erzählt" lachte Ron. „Los, lasst und Plätze suchen. Harry, du hast dir diese Kneipe ausgesucht, wo sind die besten Plätze?"fragte Ron und drehte sich zu Harry um.

„Lasst uns an der Bar bleiben"schlug Neville vor. „Wenn das okay für dich ist, Harry."

„Sicher" nickte Harry zu Neville hinüber.

Die fünf alten Freunde bahnten sich ihnen Weg durch die belebten Tische und als sie gingen erblickte Harry ein bekanntes Gesicht.

„Hey Ron"rief er hinter Ron her und dieser blieb stehen und wandte sich um.

„Was?"

Harry nickte mit dem Kopf zur Seite und deutete so auf Remus. „Professor Lupin. Lass uns eben Hallo sagen."

"Sicher" gab Ron zurück und zuckte mit den Schultern. „Hey Seamus, bestell mir schonmal n Bier mit."

Harry und Ron gingen zu Remus Tisch hinüber und setzten sich auf die Eckbank ihm gegenüber. Remus sah sehr überrascht aus.

„Harry. Ron. Ich hätte nicht erwartet, euch hier zu sehen" sagte er und schob seinen Teller von sich.

„Wie geht´s Ihnen, Professor Lupin?"fragte Ron.

„Gut, gut"sagte er. Sein gezwungene Lächeln blieb jedoch nicht verborgen. „Und wie geht´s euch beiden?"

„Harry ist immer noch so nervig wie immer"sagte Ron scherzhaft. „und ich hab mich wieder ganz gut erholt. Ich kann auf meiner rechten Seite noch immer nicht schlafe und das nervt tierisch aber bald" sagte er wissend. „Und was ist mit Ihnen?"

„Ich bin vollständig geheilt. Keine Schmerzen mehr."Ron sah ihn neidisch an. „Oh, sieh mich nicht so an. Wenn ich sagte, keine Schmerzen mehr, dann meinte ich damit nur, dass die Wunden des Krieges verheilt sind. Natürlich gibt es da immer noch Wunden, die nie verheilen werden. Und du Harry, was machst du so"fragte er und wechselte geschickt das Thema.

„Ja, ist alles ganz okay. Wir gehen nachher noch zu Ginny"sagte Harry.

„Die alte Gruppe von damals, wie?"fragte Remus und wollte nicht direkt nach jemand bestimmtem fragen.

Ron und Harry tauschten einen Blick ehe Harry sagte. „Nicht ganz. Hermine wird nicht da sein."

"Was?" fragte Remus und fühlte, wie sein Brustkorb sich zusammenzog.

Harry schüttelte den Kopf und blickte Remus an. „Nein, wir haben sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen."

„Stimmt etwas nicht?"fragte Remus.

Ron zuckte mit den Schultern. „Wer weiß das schon? Sie redet mit keinem von uns. Sie ist seltsam geworden."

„Habt ihr denn nicht versucht, mit ihr zu reden?"fragte Remus und spürte, wie die Sorge in ihm aufstieg. Obwohl es ihm schlecht ging, hätte es ihn doch sehr erleichtert zu wissen, dass Hermine wieder genas, dass sie wieder lachte und lächelte, zusammen mit ihren alten Freunden.

„Natürlich haben wir das"verteidigte sich Ron. „Was glauben Sie sind wir? Sie ist unsre beste Freundin, aber wir können sie nicht dazu zwingen, mit uns zu reden."Remus erkannte, das Hermine für Ron ein heikles Thema war. Und zu Recht, denn Ron, Hermine und Harry waren seit beinahe sieben Jahren die besten Freunde.

„Sie beantwortet unsere Eulen nicht"sagte Harry leise und lächelte traurig. „Wir hoffen immer noch, dass sie auf uns zukommt, wenn sie dazu bereit ist."Ron nickte zustimmend.

„Hey Seamus. Versuch mir nicht so ein lausiges Bier anzudrehn, das ist ja was für Mädchen. Du weißt, dass ich diese Plörre nicht trinke. Hey, war schön, Sie mal wieder zu sehn, Professor. Kommen Sie doch mal bei uns vorbei, wenn Sie mögen"sagte Ron ehe er aufstand und zu Seamus hinüberging um mit ihm zu streiten.

Remus sah wieder Harry an, der ihn genau im Auge behielt. Harry lehnte sich vor, so als wolle er nicht, dass andere seine Worte belauschten. Remus lehnte sich instinktiv ebenfalls vor.

„Ich weiß von Ihnen und Hermine"sagte Harry leise.

Für einen Moment war Harry erstarrt. „Wirklich?"fragte er und wich Harrys Blick aus. „Hat sie es dir erzählt?"Er fühlte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Was würde Harry von ihm denken?

„Nicht wirklich?"sagte er. „Sie erzählte mir, was mit dem Buch geschehen ist und dass sie, als sie dort war, sich in jemanden verliebt hätte."Harry sah auf und blickte Harry überrascht ins Gesicht. „Aber in der nacht im Krankenhaus, war sie da...sie hat mit Ihnen geredet, während Sie schliefen. Ich war wach. Sie hat von vielen Dingen gesprochen."Flüsterte Harry und Remus errötete.

„Harry, ich..."Er hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen, aber er brachte die Worte nicht über die Lippen.

„Entschuldige, dass ich das sage, aber du bist ein Idiot, Lupin"sagte Harry, wechselte plötzlich in eine vertraute Anrede und verschränkte die Arme vor der Brust.

Remus war erneut überrascht. „W...was?"

„Du hast mich schon verstanden."

„Du bist nicht...wütend?"fragte Remus vorsichtig.

„Warum sollte ich wütend sein?"fragte Harry und runzelte die Stirn.

„Weil ich..wir..naja, ich hab mich in Hermine verliebt"sagte er umständlich.

„Und warum sollte mich das wütend machen?"

„Weil sie...naja, mal ganz ehrlich, wir waren damals gleichaltrig, aber jetzt sind wir...naja, ich bin älter als sie"sagte er und kam sich dabei unwohl und dumm vor.

„Wen kümmert das, Lupin?"fragte Harry.

„Sie ist ein Kind Harry"sagte Remus und wich Harrys Blick aus.

Harry stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und sein Blick verdüsterte sich. „Denkst du allen Ernstes, dass, nach all dem, was sie durchgemacht ist, sie immer noch ein Kind ist, Lupin? Ist überhaupt irgendjemand von uns noch ein Kind? Nein"sagte er düster „die Unschuld des Lebens ist dahin. Das ist sie schon seit langem. Du verhältst dich wie ein Idiot."

„Aber der Altersunterschied..."

„Hör mir zu, Lupin. Ich verstehe ja, dass du höflich sein willst und Gryffindor aber du wirst es dir dadurch mit ihr verderben. Sie liebt dich. Siehst du das denn nicht? Sie liebt dich und wenn Hermine ihr Herz an jemanden verloren hat, dann verdient dieser jemand sie auch. Also, all diese Selbstzweifel, diese Unsicherheiten die du fühlst...du muss sie überwinden. Es wäre dumm sie für immer zu verlieren, findest du nicht auch? Und weswegen...wegen deiner Dummheit?"

Remus fühlte sich leicht überrumpelt durch Harrys Unverblümtheit, aber er wusste, dass seien Worte wahr waren...selbst wenn ihn dies nur noch mehr herunter zog. „Und wenn sie mich nicht zurück haben will?"fragte er.

Harry seufzte. „Ich kenne Hermine schon sehr lange. Sie braucht etwas und ich habe das Gefühl, dass du das bist. Ich weiß nicht, was geschehen wird. Aber du könntest zumindest versuchen, mit ihr zu reden und wenn sie dich von sich stößt, dann hast du es zumindest versucht. Das wäre immer noch besser als hier in dieser Kneipe zu sitzen und in Selbstmitleid zu schwelgen. Ich sage dir das nur weil ich sehr viel von dir halte und weil ich Hermine liebe. Es ist so offensichtlich, dass eure Liebe füreinander viel größer war als jeder von euch es erwartet hätte und wenn ich überhaupt etwas gelernt habe, dann, dass es keine größere Macht gibt als die Liebe. Denk drüber nach und wie Ron schon sagte, komm mal vorbei."Harry rutschte von der Bank und lächelte Lupin ermutigend an, ehe er sich seinen Freunden an der Bar anschloss.

Eine Weile lang saß Remus allein auf der Eckbank, dann hinterließ er etwas Geld auf dem Tisch und schritt auf die Tür zu. Er sah über die Schulter zurück, ehe er die Tür öffnete. Harry lachte mit Ron über etwas drüben an der Bar und für einige Sekunden wandte er seinen Blick ab und sah Remus an. Danke, formte Remus mit den Lippen und Harry nickte ihm zu, ehe er sich wieder Ron zuwandte.

Remus öffnete die Tür und trat auf die dunkle Straße hinaus. Er war sich nicht sicher, wie spät es war und er wusste auch nicht genau, wo er eigentlich hinging, aber er begann zu gehen. Er dachte an Hermine während er ging und er dachte daran, wie sein Leben sich verändern würde, wenn sie ein Teil davon wäre. Würde sie wieder ein Teil meines Lebens werden wollen? Hasst sie mich, weil ich mich von ihr abgewandt habe?

Abrupt blieb er stehen, als er beinahe jemanden angerempelt hätte.

„Oh, verzeihen Sie, Sir. Ich habe nicht aufgepasst."sagte Remus entschuldigend.

„Das ist schon in Ordnung, mein Sohn"erwiderte der alte Mann. „Was für eine schöne nacht, nicht wahr?"fragte er, ehe Remus weitergehen konnte

Remus sah den alten Mann verwirrt an, ehe er seinen Kopf hob und den Himmel betrachtete. „Es ist dunkel"sagte er einfach. Kein einziger Stern war am Himmel und auch nicht der Mond.

„Ja" sagte der alte Mann lächelnd. „Aber es wird nicht immer so sein."

„Nein, naja, ich wünsche Ihnen einen schönen Abend"sagte Remus und begann weiterzugehen.

„Danke, und mögen Sie etwas Trost finden"sagte der alte Mann. Remus wandte sich um und sah ihn über die Schulter hinweg stirnrunzelnd an, ging aber weiter.

Trost, ha, dachte Remus. Dann schweiften seine Gedanken ab......

Wohin gehen wir Mummy?´ fragte Remus.

Mummy braucht ein wenig Trost´ erwiderte sie als sie sich niederkniete und die Knöpfe ihres schweren Mantels öffnete.

Sofort veränderte Remus seine Richtung und begann sich auf den Weg zu dem Platz zu machen, der ihm immer Trost gespendet hatte, als er jünger war – die Kathedrale von St.Bridgid.

Es war ein langer Fußweg, aber Remus machte das nichts aus. Es ließ ihn Zeit zum Nachdenken – nicht dass er das in der letzten Zeit nicht zu Genüge getan hätte. Der Wind frischte auf und er zog sich die Kapuze seines Umhangs ins Gesicht, als er weiterging. Er kannte diesen Weg sehr gut und seufzte, als er sich an all die Male erinnerte, die er diesen Ort besucht hatte.

Bald schon stand er an der unteren Stufe die zu den großen hölzernen Toren hinaufführte. Er ging langsam die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Dämmriges Licht aus dem Inneren ergoss sich auf die Treppenstufen vor dem Portal und vertrieb die Finsternis.

Er trat ein mit gesenktem Haupt und holte tief und langsam Luft.

"Remus?" rief eine wohlbekannte Stimme und beinahe wäre Remus mitten im Schritt gestrauchelt.

Langsam blickte er auf, schob die Kapuze von seinem Kopf und starrte mit offenem Mund die eine Person an, die in all diesen Jahren seine Gedanken gemartert hatte – Hermine.