Titel: "Lost Souls"

Kapitel: 2 – "Das erste Opfer"

Folge: 1.01/1.02

Autor: Crescentia

A/N: Die bekannten Handlungen weichen teilweise von denen in der Serie ab (z.B. brechen Jack, Kate und Charlie erst mitten in der Nacht zum Cockpit auf).

2. Kapitel – „Das erste Opfer"

Jamie hockte sich vor Caitleen in den Sand. Der Schein des Feuers langte gerade noch bis zu ihm herüber und beleuchtete flüchtig sein Gesicht. Ein warmer, freundlicher, beinahe schon liebevoller Ausdruck lag darin. Seine Augen ruhten auf Caitleens Gesicht, seine Lippen umspielte ein feines Lächeln. Caitleen wandte verächtlich den Kopf ab. Sie kannte sein wahres Gesicht, seinen diabolischen Charakter, und sie empfand Abscheu, wenn sie an die vergangenen Monate dachte. „Darling', warum wendest du dich ab?", raunte Jamie leise. „Nenn mich nicht so", zischte sie zurück. Jamie lachte nur, sein leises, perlendes Lachen, daß ihn auf andere Frauen so anziehend wirken ließ. Caitleen schluckte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie diesem Lachen und diesen Augen auch nicht widerstehen können – damit hatte alles begonnen.

Jamie richtete sich auf und blickte zum Feuer hinüber, dann sah er Caitleen wieder an. „Ob es dir nun gefällt oder nicht, wir sitzen beide hier fest." Seine Stimme klang beschwörend und eindringlich, doch Caitleen ließ sich davon nicht blenden. Obwohl sie ihn nicht anblickte, fuhr er fort: „Unsere Pläne sind damit fürs erste wohl aufs Eis gelegt. Doch ich werde mir etwas einfallen lassen. Tu einfach, was ich dir sage!" Ruckartig sprang Caitleen auf, missachtete einfach den stechenden Schmerz in ihrem Oberschenkel. „Ich tue überhaupt nichts", entgegnete sie patzig. „Und du hast mir schon lange nichts mehr zu sagen." Im blassen Schein des Feuers funkelten sie sich einige Augenblicke lang wütend an, wie zwei Raubkatzen vor dem tödlichen Sprung, dann lächelte Jamie erneut. „Darling', du glaubst, du könntest dich von mir lossagen, doch war es nicht deine freie Entscheidung, in dieses Flugzeug einzusteigen? Hast du nicht auch von einem neuen, besseren Leben geträumt?" Er trat einen Schritt auf sie zu und seine Stimme klang plötzlich verändert, hart und eiskalt: „Tu, was ich dir sage, oder du wirst es bereuen!"

Caitleen wich zurück, als sie den Haß in Jamies Augen sah. „Lass mich in Ruhe", knurrte sie, mehr ängstlich als bestimmt, dann lief sie in einem Bogen an ihm vorbei, hin zum Feuer, wo die anderen ihr Kommen nur mit einigen freundlichen Blicken registrierten. Schweigend ließ sie sich im Sand nieder und blickte sich noch einmal um. Jamie stand noch immer dort, wo sie eben noch geredet hatten. Er hatte sich umgewandt und starrte zu ihr hinüber, doch nun lag sein Gesicht im Dunkeln und sie konnte es nicht mehr erkennen. Im Moment würde er hier nichts tun können, nicht so lange sie sich hier in der Gesellschaft der anderen befand. Aber was würde sein, wenn sie gerettet worden? Die Rettungsmannschaften, von denen alle hier sprachen, müssten bald eintreffen – wohin sollte sie sich dann wenden? Sie war mit ihm gegangen, weil sie keine andere Wahl hatte, aber nun, in dieser Situation, schien es, daß sie die falsche Entscheidung getroffen hatte. Nur wie ...

„Haaallo!" Jacks eindringliche Stimme und die winkende Hand vor ihrem Gesicht holte Caitleen aus ihren Gedanken zurück. Verwirrt blinzelte sie ihn an: „Was?" „Ich habe dich nun schon dreimal gefragt, ob dein Bein dir weh tut", antwortete er auf ihre unwirsche Frage. „Ach, sind wir jetzt etwa schon zum ‚Du' übergangen", konterte sie patzig. Jack zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, da du Jamies Freundin ..." „Ich bin nicht seine Freundin", unterbrach sie ihn wütend. „Ich bin ... ich bin ... seine Nichte." Ihr war klar, daß ihr Zögern ihre Lüge verriet, aber das war ihr egal. Der dunkelhaarige Doktor zog kurz die Stirn in Falten, dann nickte er. „Also gut, dann halt Jamies Nichte. Also, tut Ihnen nun Ihr Bein weh?" Caitleen schüttelte den Kopf, aber ihre Stimme klang immer noch abweisend: „Nein, es ist nicht so schlimm. Und du kannst ruhig ‚Du' zu mir sagen!" Nur mit Mühe ein Aufstöhnen unterdrückend, blickte Jack ins Feuer – diese Frau war ja wirklich zum Verzweifeln.

Die übrigen, die die Auseinandersetzung zwischen dem Arzt und der rothaarigen Frau mitbekommen hatten, ließen sie daraufhin in Ruhe, und Caitleen war das auch ganz recht, konnte sie so doch weiter ihren Gedanken nachhängen. Nur am Rande bekam sie mit, daß sich zwischen den Anwesenden eine Diskussion entwickelte, die sich offensichtlich um ein Funkgerät drehte. Sie wurde erst wieder aufmerksam, als sich Jack neben ihr plötzlich erhob. Erstaunt sah sie zu ihm auf, doch Jack widmete ihr keinen Blick. „Ich werde gehen." Eine Frau mit langen dunklen Haaren erhob sich ebenfalls. „Ich werde dich begleiten, Jack, ich hab es schließlich gesehen!", sagte sie. Jack schien einen Moment lang zu überlegen, dann nickte er zustimmend. Noch ein weiterer Typ erhob, bot ebenfalls an, mitzukommen und nach einer kleineren Diskussion stimmte Jack auch ihm zu. Der Araber sah die drei kritisch an: „Wäre es nicht besser, ihr würdet bis zum Morgen warten?" Jack schüttelte den Kopf: „Je eher wir hier wegkommen, desto besser!" Ruckartig erhob sich Caitleen plötzlich und alle Blicke wandten sich ihr zu. „Du nicht", fuhr Jack sie barsch an. „Du bleibst hier!" Caitleen drehte sich zu ihm und ließ ihren Blick abschätzig über ihn gleiten. „Du hast mir gar nichts zu sagen", maulte sie dann. „Aber wenn es den Herrn Doktor beruhigt, ich begebe mich auf die Suche nach dem Luxusklo, daß im Reiseprospekt angepriesen wurde." Einen Moment lang amüsierte sie sich grinsend über Jacks betroffenen Gesichtsausdruck, dann drehte sie sich brüsk um und marschierte auf den Waldrand zu.

Jack sah ihr kopfschüttelnd nach, dann wandte er sich seinen beiden Begleitern zu. „Kate, Charlie, seid ihr soweit?" Die Angesprochenen nickten stumm. Der Araber, der sich Sayid nannte und in Wahrheit aus dem Irak stammte, reichte Jack und Charlie zwei Taschenlampen. „Seid vorsichtig – wir wissen nicht, was da draußen so alles herumläuft!" Wie um Sayids Worte zu bestätigen, geriet plötzlich Bewegung in den Wald. Etwas raste auf den Strand zu, etwas Großes, etwas Schnelles. Kurz bevor es durch die Bäume brach, hielt es plötzlich inne, dann war ein lautes, seltsam klingendes Brüllen zu hören, daß den Anwesenden das Blut in den Adern schier gefrieren lassen wollte. Gebannt starrten sie auf den Waldrand, doch nichts geschah. Charlie schließlich war es, der als erster aus seiner Starre erwachte: „Da ... da ist die Frau ... eben hingegangen", stotterte er furchtsam. Jack und ein weiterer Mann sahen kurz zu Charlie, dann zum Waldrand und setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Doch in diesem Moment schien das Wesen im Wald wieder zu erwachen. Erneut brüllte es und die beiden Männer hielten im Lauf inne. Das Rascheln der Bäume entfernte sich und es herrschte wieder Ruhe.

Jamie löste sich plötzlich aus der Dunkelheit und kam auf Jack zugestürmt. „Wo ist Caitleen?", fragte er, den leisen Anflug von Panik in seiner Stimme zu unterdrücken wollte ihm nicht gelingen. Schweigend deutete Jack mit dem Kopf auf den Wald. Der blonde Mann folgte der Andeutung mit den Augen und erstarrte. „Sie ... sie war da?" Er lief los, und die beiden Männer folgten ihm. Jack schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete die Büsche ab, dann wandte er sich um und sah zu Charlie. „Komm mit der Taschenlampe her, Charlie, wir brauchen mehr Licht!", forderte er ihn auf, doch Charlie war noch immer wie erstarrt. „Charlie, mach schon", rief Jack ungeduldig, dann schüttelte er den Kopf. „Dann gib Boone wenigstens die Taschenlampe!" Der Angesprochene löste sich aus dem Schatten des Waldes, rannte zu Charlie und riss ihm die Taschenlampe aus den Händen. Zu dritt begannen sie, den Waldrand abzusuchen, dort wo eben noch jenes Wesen zu hören gewesen war.

Währenddessen blieben die anderen wie erstarrt stehen, wo sie waren. Niemand wagte es, sich dem Wald zu nähern, zum einen aus Angst, das Wesen könnte zurückkehren, aber auch aus Furcht vor dem, was sie dort unter Umständen finden könnten. Die drei Männer drangen immer tiefer in den Wald ein, die Lichtkegel der Taschenlampen irrten über den Boden und durch die Gegend, und gedämpfte Rufe nach Caitleen erklungen. Doch nichts schien sich zu rühren. Plötzlich hielt Boone inne, die Taschenlampe in seiner Hand begann zu zittern. „Da ist Blut", rief er den anderen beiden zu. Jack und Jamie zögerten einen Moment, bevor sie zu Boone eilten. Der Anblick ließ ihnen den Atem stocken. Zwischen den breiten Wurzeln eines Baumes war Gras platt getreten, was auf einen Kampf hindeutete. Eine Blutlache versickerte langsam im Boden. Keinerlei Spuren führten von dort weg, es war so, als hätte sich Caitleen in Luft aufgelöst – oder war gefressen worden.

„Nein!" Jamies Schrei hallte durch die Luft, drang hinüber bis zum Strand. „Caitleen", rief er dann, sah sich suchend um. Jacks Hand legte sich auf seine Schulter, zwang ihn, innezuhalten und ihn anzuschauen. Jack schüttelte den Kopf: „Es tut mir leid, Jamie, ich fürchte ..." Noch einmal schüttelte er den Kopf, er konnte selbst kaum fassen, was da geschehen war. Mag sie, sie war zickig gewesen, doch hier war ein Mensch gestorben. Jamie ging vor dem Blutfleck auf die Knie und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. „Caitleen", wimmerte er leise.