Titel: "Lost Souls"
Kapitel: 3 – "Schritte in der Dunkelheit"
Folge: 1.01/1.02
Autor: Crescentia
A/N: Ich habe die Szene im Cockpit nicht so ausführlich beschrieben, wie sie in der Serie vorkam – ich gehe davon aus, daß jeder Lost-Fan sie ja gesehen hat.
3. Kapitel – „Schritte in der Dunkelheit"
„Sie ist tot!" – „Das weiß ich auch!" Jack und Michael standen sich gegenüber und funkelten sich einen Moment lang an, bevor Michael sich schließlich kopfschüttelnd abwandte. Er ballte die Fäuste und blickte zu den Anderen, die einigen Abstand zu den beiden Streitenden hielten, aber neugierig jedes Wort verfolgten. „Es wäre taktlos, jetzt einfach fortzufahren mit dem, was wir vorher getan haben, gerade so, als wäre nichts passiert", ereiferte Michael sich. „Da ist ein Mensch gestorben – schlimmer noch, er ist gefressen worden, von etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist. Wie kannst du ...?" Seine Stimme überschlug sich fast, und Michael hielt inne, atmete tief durch und sammelte seine Gedanken. Doch als er fortfahren wollte, kam ihm Jack zuvor: „Was sollen wir denn deiner Meinung nach tun? Drei Tage Trauer halten, während das Vieh kommt und einen nach dem anderen von uns wegholt? Oder auf einen göttlichen Wink hoffen, der die Rettungsmannschaften, so sie denn nach uns suchen, hierher führen?" Michael schüttelte den Kopf. „Nein, aber ..."
Jack winkte nur ab – er wollte diese Diskussion nicht mehr länger weiter führen. Stunden waren vergangen, seit das Vieh hier aufgetaucht und Caitleen ein jähes Ende zugefügt hatte. Nach der lähmenden Hilflosigkeit des ersten Moments und der nahezu herzzerreißenden Trauer Jamies, der sich inzwischen zurückgezogen hatte, ohne mit jemandem zu sprechen, hatte Jack sich nun endlich dazu aufgerafft, zum Cockpit aufzubrechen – bis Michael sich ihm in den Weg gestellt hatte. Doch nun schulterte er seinen Rucksack und sah sich nach Kate und Charlie um. „Was ist mit euch?", rief er ihnen zu. „Kommt ihr nun mit?" Charlie nickte eifrig, auch wenn aus seinen Augen die Furcht sprach, die er beim Gedanken an das Geschehene empfand. Kate zögerte, sah Jack nur mit leicht zusammen gekniffenen Augen an. Jack trat ein wenig näher, ohne ihrem Blick auszuweichen. Leise sprach er: „Du mußt nicht mitkommen, Kate, das ist okay. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn du hier ..."
„Ich komme mit", unterbrach sie ihn. „Ich frage mich nur ..." Sie brach mitten im Satz ab, um sich in den Sand zu hocken und die Schuhe, die sie zuvor, mit einiger Überwindung und der stummen Bitte um Verzeihung, einem Toten abgenommen, zu schnüren. Jack trat noch einen Schritt näher: „Was fragst du dich?" Eben so plötzlich, wie sie sich hingehockt hatte, stand sie wieder auf und sah ihm erneut in die Augen. „Ob du weißt, was du tust?" Sie trat an ihm vorbei und nickte Charlie zu, der sich daraufhin in Bewegung setzte und Kate zum Waldrand folgte. Jack sah ihnen nach, verwundert und ratlos, dann beeilte er sich, zu den beiden aufzuschließen, ohne auf die Blicke zu achten, die ihnen folgten.
Schweigend bahnten sich die drei ihren Weg durch den Wald. Nachdem der Schein des hohen Feuers am Strand verblasst war, hatten sie ihre hellen Taschenlampen, die sie aus dem Flugzeugrumpf geborgen hatten eingeschaltet. Jack ging vorneweg, ließ den Schein seiner Lampe ruhig über den Boden gleiten. Dicht hinter ihm folgte Kate. Ihr Licht schwirrte über die Bäume und Büsche, nur hin und wieder traf es auf Jacks Rücken, wenn sie ihm leise Richtungsangaben zuflüsterte. In einigem Abstand schließlich trabte Charlie den beiden hinterher. Unruhig zuckte seine Taschenlampe hinterher, huschte stets dorthin, wo seltsame Geräusche auftauchten, und glitt immer öfter zurück. Mehrmals drehte Charlie sich atemlos um.
Da waren Schritte, er konnte sie deutlich hören. Leuchtete er auf den Weg hinter ihm, verstummten die Schritte, doch ging er dann weiter, folgten sie ihm wieder. Nervös strich er sich über seine schweißbedeckte Stirn. War es vielleicht nur Einbildung? Spielte ihm sein Unterbewußtsein ein Streich? Seine Hände zitterten so stark, daß er Mühe hatte, die Taschenlampe noch festzuhalten. Er wußte, es war nicht nur die Furcht, die ihn zittern ließ. ‚Herrgott, laß uns rasch das Cockpit finden', dachte er sich, ‚sonst drehe ich noch durch.' Ein Knacken dicht hinter ihm ließ ihn herumfahren. Es war ganz nahe. Wer oder was auch immer sie verfolgte, es war ihnen dicht auf den Fersen. Der Lichtschein der Taschenlampe zitterte über die Bäume und mit halb zusammengekniffenen Augen versuchte Charlie, etwas zu erkennen. Die Bäume hatten seltsame Gesichter, die ihn höhnisch auszulachen schienen, aber nichts bewegte sich. „Reiß dich zusammen, Charlie", forderte er sich selbst auf.
Langsam drehte er sich wieder um und sah, daß Kate und Jack inzwischen im Dunkeln verschwunden war. Heftig schlug sein Herz. „Hey", rief er laut aus, setzte sich rasch in Bewegung, den beiden zu folgen. Als er sie schließlich erreichte, rannte er schon regelrecht, warf immer wieder panische Blicke zurück. Als Charlies Ruf durch den Wald tönte, waren Kate und Jack stehen geblieben und sahen ihm nun entgegen. „Was ist denn los, Charlie?", wollte Kate besorgt wissen. Charlie blieb vor ihr stehen, zitternd, keuchend, und lauschte. Die Schritte waren weg. Hirngespinste! Es waren nur Hirngespinste, sein Unterbewußtsein und seine Furcht spielten ihm einen Streich. „Charlie?", fragte Kate noch einmal, legte ihre Hand kurz auf seinen Arm. „Nichts, es ist nichts. Ich hatte euch nur einen Moment lang aus den Augen verloren", murmelte er als Antwort. Jack drehte sich mürrisch um und setzte den Weg fort: „Mach nicht solchen Krach, wir wissen nicht, was hier lauert!" Auf Charlie wirkte das wenig beruhigend, ängstlich sah er sich um. „Komm, Charlie!" Kate klopfte ihm auffordernd auf die Schulter und ließ ihn nun vorsichtshalber vor ihr laufen.
Als der Himmel sich leicht aufhellte, erreichten die drei eine kleine Lichtung, die offensichtlich erst durch den Einschlag des Cockpits entstanden war, wie zahlreiche umgeknickte und halb verbrannte Bäume vermuten ließen. Genau in diesem Moment setzte heftiger Regen ein und sie retteten sich unter das Dach der steil in die Höhe ragenden Flugzeugspitze. Doch kaum, daß sie sich umwandten, starrten sie auf ein Meer von Leichen. Einige waren aus ihren Sitzen gerissen wurden und lagen nun mit verzerrten Gesichtern und verdrehten Gliedmaßen auf dem Boden, andere hingen noch in ihren Gurten, entsetzlich entstellt und zugerichtet. Kate schlug die Hand vor den Mund und Charlie spürte ein heißes Entsetzen seine Kehle hinaufkriechen. Mühselig röchelte er: „Ob hier wohl jemand überlebt hat?" Jack ließ seinen Blick über die Reihen gleiten. Als Arzt war er einiges gewohnt, doch dieser Anblick machte selbst ihm zu schaffen: „Ich fürchte – nein." Er deutete aufs Cockpit: „Laßt es uns schnell hinter uns bringen und dann von hier verschwinden!"
Während sich Jack und Kate über den steil aufragenden, rutschigen Boden bis ins Cockpit gearbeitet hatten, verschwand Charlie in der Bordtoilette. Mit zittrigen Händen suchte er im Mülleimer nach dem kleinen Tütchen, daß er wenige Minuten vor dem Absturz dort hinein geworfen hatte, und mit ebenso zittrigen Fingern steckte er es weg, bis er langsam die Wirkung spürte. Warm durchströmte es ihn, ließ sein Zittern ersterben und seine Sinne schärfen. Da waren keine Schritte gewesen, es war nur eine Einbildung gewesen. Doch jetzt ging es ihm wieder gut, jetzt konnten ihn die Geräusche der Nacht keine Angst mehr einjagen. Er straffte sich und verließ die Toilette wieder.
Er hörte Stimmen, erkannte die von Jack und Kate, während eine weitere, ihm unbekannte Stimme etwas von Turbulenzen und einem abgebrochenen Funkkontakt erzählte. Dann stockte ihm der Atem. Hatte der Fremde gerade tatsächlich gesagt, sie waren 6.000 Meilen von ihrer eigentlichen Flugroute entfernt? Dann ... dann waren sie verloren, niemand würde sie finden. Charlies Finger schlossen sich fester um das Tütchen in seiner Hand. Verloren, dröhnte es doch seinen Kopf.
Ein weiteres Dröhnen ließ das Bruchstück des Flugzeugs erzittern. Erstaunt blickte er auf seine Hand. ‚Wow, starkes Zeug', dachte er sich, als ein erneuter Schlag ihn erschütterte. Jack erschien ihn der Tür des Cockpits. „Was ist das?", fragte Charlie ihn, doch Jack zuckte nur mit den Schultern. „Schritte oder so", murmelte er. „Und sie kommen rasch näher", fügte Kate hinzu. Charlie schluckte. Das erinnerte doch stark an Jurassic Park, und dort war das nicht für jeden gut ausgegangen. Die Schritte kamen rasch näher, etwas krachte gegen die Außenhaut des Flugzeuges. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Mit einem Mal verschwand der Pilot durch das zerbrochene Fenster und die anderen drei begangen zu laufen, hinaus in den Dschungel, weg von dem, was auch immer den Piloten erwischt hatte.
Schwer atmend hielt Kate schließlich inne, stützte sich einen Moment lang auf ihre Knie, nur um im nächsten Moment wieder hoch zu fahren. Da waren Schritte. Leise patschten sie durch den vom Regen aufgeweichten Boden. Nicht so schwere Schritte wie zuvor am Flugzeug, aber Schritte. Panisch sah sie sich um. „Jack? Charlie? Wo seid ihr?" Die Schritte hielten inne. „Jaaack!" Kates Stimme überschlug sich fast. Ihr Herz schlug so heftig, daß ihr fast schwindlig wurde. Tränen liefen ihr übers Gesicht, gingen unter im strömenden Regen. Sie trat langsam zurück, bis sie die kühle Rinde eines Baumes an ihren Armen spürte, dann preßte sie sich gegen den Baum. Sie kniff die Lippen zusammen und schluckte gegen die Tränen an. ‚Ich bin nicht schwach', versuchte sie sich selbst zu beruhigen ‚und ich laße mich nicht von der Furcht überwältigen. Ich besitze noch immer die Kontrolle ...'
Plötzlich waren die Schritte ganz nahe. Kate stieß sich vom Baum ab, wollte loslaufen und prallte auf etwas, daß mit ihr gemeinsam zu Boden ging. „Charlie, verdammt!" Sie blickte in das Gesicht des unter ihr liegenden Mannes, der sie nicht minder erschrocken ansah. Rasch erhob sie sich wieder. „Wie kannst du mich nur so erschrecken? Ich dachte schon ..." Sie hielt inne, lauschte. Auch Charlie erhob sich und sah sie fragend an: „Was dachtest du?" „Ssscht", sie legte einen Finger auf ihre Lippen. „Hör doch!", zischte sie. Da waren sie wieder – die Schritte. Charlie erstarrte und sah Kate entgeistert an: „Du hörst die auch?" Viel Zeit blieb Kate nicht, sich über Charlies seltsame Frage zu wundern, statt dessen stieß sie ihn grob an: „Lauf!" Schon setzte sie sich in Bewegung. Einen Moment lang blieb Charlie noch verwundert stehen, dann folgte er ihr.
Quer durch den Wald schlug sich Kate durch, während Charlie versuchte, ihr zu folgen und sich dabei immer wieder ängstlich umsah. So bemerkte er dann auch nicht, wie Kate plötzlich erschöpft inne hielt, und prallte gegen sie. „Charlie", fauchte sie ihn an, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, daß sie nicht wirklich wütend war. „Haben ... haben wir es abgehängt?", erkundigte sich Charlie. „Ich höre nichts mehr." Auch Kate lauschte und nickte schließlich: „Scheint so. Aber woher willst du wissen, daß unser Verfolger ein Es ist?" Charlie zuckte nur mit den Schultern, doch noch bevor er etwas erwidern konnte, raschelte es hinter ihnen.
Die beiden fuhren erschrocken herum. Ein Busch bewegte sich und instinktiv wichen sie zurück. Dann teilte sich das Blattwerk und Jack kam zum Vorschein. „Jack!" Ruckartig fiel Kate ihm um den Hals, doch noch bevor er begreifen konnte, was geschah, hatte sie sich schon wieder gelöst und strich sich verlegen das Shirt glatt. „Ich hatte schon befürchtet, du ... das Ding ..." „Es hat den Piloten übel zugerichtet – keine Chance!" Jacks Stimme klang leise und bedrückt, und den beiden anderen wurde klar, daß er gesehen haben mußte, was dem Piloten geschehen war.
Jack ließ seinen Blick prüfend über die Gesichter von Kate und Charlie streifen: „Seid ihr okay?" Beide nickten wie auf Kommando. „Etwas hat uns verfolgt", stammelte Charlie noch. Fragend blickte Jack zu Kate, die bestätigend nickte. „Da waren Schritte, die ganze Zeit." Er zuckte ratlos mit den Schultern: „Ich bin euren Spuren gefolgt – da waren nur eure Spuren, keine weiteren. Euch ist niemand gefolgt!" „Ich bilde mir das nicht ein, Jack", ereiferte sich Kate. „Aber ... wenn du uns gefolgt bist, dann waren es vielleicht deine Schritte, die wir gehört haben." Er schüttelte mit dem Kopf. „Dazu war ich zu weit hinter euch – ihr hättet mich nicht hören können." „Aber da waren Schritte", brauste Charlie auf. „Ich habe sie schon gehört, als wir losgelaufen sind." Die beiden sahen ihn erstaunt an, und Jack hob für einen kurzen Moment lang die Augenbrauen: „Aber ich sage es euch doch: da war niemand. Laßt uns jetzt lieber zurückkehren!" Damit ließ er die beiden stehen und ging einfach los. Kate fing Charlies Blick auf, der sie mit einer Mischung aus Trotz und Verwirrtheit ansah, und zuckte nur ratlos mit den Schultern, bevor sie Jack folgte, so daß auch Charlie nichts anderes übrig blieb, als sich zu fügen.
