2. Kapitel Gerüchte

„Ich hab Hunger!"

„Nein! Verdammt, haben die dem Affen denn nur diesen einen Satz beigebracht?"

„Nenn mich nicht Affe! Mir kommt vor, du machst das mit Absicht. Aber irgendwann werde ich noch richtig böse!"

„Das hat, verdammt noch mal, mit Absicht nichts zu tun. Das ist nur die Wahrheit!"

„Sanzo! Sag doch was! Diese rothaarige Wasserratte sagt ständig Affe zu mir!"

Ein zutiefst genervter Blick traf die beiden, dann drehte sich der Mönch scheinbar gelangweilt um und ging.

„Ich werde euch beide töten. Das werde ich. Ganz sicher."

Seine eisige Stimme konnte die beiden Streitenden nicht erreichen.

Hakkai begutachtete die Szene, an einen Baum gelehnt und eine Hand auf Hakuryuus Hals gelegt. Er schmunzelte amüsiert. Jeden Tag dasselbe. Und trotzdem brachte es ihn jeden Tag aufs Neue zum Lachen.

Die Gruppe rund um Sanzo war weiterhin westwärts unterwegs. Das Ziel war noch lange nicht erreicht und trotzdem war den vieren nie langweilig. Gut, die meiste Zeit, die sie miteinander verbrachten, verging damit, dass Goku und Gojyo sich gegenseitig beschimpften und sich anfuhren wie Rohrspatzen.

Goku hatte immer Hunger und der rothaarige Halbdämon nahm fast jeden Atemzug des Kleinen zum Anlass, einen Streit vom Zaun zu brechen.

Sanzo wurde manchmal unfreiwillig in diese Auseinandersetzungen hineingezogen. In jedem Fall aber war er froh, dass er seinen Fächer hatte. Hätte er diesen nämlich nicht immer wieder über die, seiner Ansicht nach, hohlen Köpfe der Streithähne ziehen können, hätte er vielleicht schon des Öfteren seine Drohung wahr gemacht und die beiden getötet. Mehrmals sogar. Wenn das möglich gewesen wäre.

Hakkai dagegen nahm alles gelassen und amüsierte sich köstlichst über die Ereignisse, die sich fast täglich wiederholten. Hätte Hakkai Spaß daran gehabt, hätte er die Streitdialoge von Goku und Gojyo sogar mitsprechen können. Aber er wollte sich nicht in einen Streit einmischen, der erstens nicht seiner und zweitens überhaupt kein Streit war. Goku war so etwas wie der kleine Bruder von Gojyo und auch wenn er es niemals zugeben würde, der Kleine mit den goldenen Augen war ein Teil seines Lebens...wie es auch die anderen waren. Natürlich würde niemand das zeigen, aber Hakkai hatte sie alle durchschaut.

Man durfte allerdings auch nicht die fast schon täglichen Trainingseinheiten vergessen, wie die Gruppe es nannte, die ihren Alltag etwas abwechslungsreicher gestaltete. Dämonen gab es überall und solche, die ihnen an den Kragen oder sogar ans Leben wollten, erst recht. Für die vier war dies allerdings nur eine gelungene Abwechslung zu der langwierigen Reise und außerdem konnten sie, auch wenn es den Gegnern nicht allzu sehr gefiel, immer wieder üben und trainieren.

Eigentlich waren sie ganz zufrieden, trotz der kleinen Reibereien, hätte sich da nicht ein Gerücht in der letzten Stadt verbreitet, die sie besucht hatten. Und dieses Gerücht gefiel Sanzo gar nicht.

Die kleine Pause, die sie in dem kleinen Waldstück gemacht hatten, war zu Ende. Das knappe „Wir gehen" von Sanzo zeigte dies nur zu deutlich an. Der wortkarge Mönch verstand es, sich so auszudrücken, dass die anderen sofort ihre Sachen zusammenrafften und zum Jeep zurückmarschierten, der eigentlich Hakuryuu war.

Oder hatten sie etwa nur alle Angst vor Sanzos Fächer?

Die Fahrt selbst begann sehr ruhig. Goijo hatte sich bequem zurückgelegt, sodass er den fast wolkenlosen Himmel begutachten konnte, einen vorher achtlos abgerissenen Halm im Mundwinkel. Goku betrachtete die vorbeiziehende Landschaft, Hakkai saß wie immer am Steuer. Sanzo saß wie zu Eis erstarrt neben Hakkai und fixierte die Landschaft vor sich. Ob seine Gedanken nun weit in der Ferne waren, oder ob er genauestens mitbekam, was um ihn herum passierte, das hatte noch nicht einmal Hakkai durchschauen können.

„Wie ernst sollten wir die Sache mit dem Sutra nehmen? Es ist immerhin nur ein Gerücht, das sich in einer Stadt zusammengebraut hatte, die voller religiöser Fanatiker steckt."

Den stechend bösen Blick, der Hakkai auf diese Bemerkung zusammenfahren ließ, brachte ihn dazu, verlegen zu lächeln. Er fuhr sich mit dem rechten Arm an den Hinterkopf und kratzte sich.

„Nichts für ungut, Sanzo."

Kommentarlos schob der Mönch die Bemerkung sowie die Entschuldigung beiseite und war sofort wieder beim Thema.

„Eben, weil die Stadt voll lebender Religion ist, beunruhigt mich das Gerücht. Menschen wissen nicht viel von den Göttern. Und erst recht haben sie keine Ahnung von den verschiedenen Schriften. Wie kann es da sein, dass plötzlich ein Gerücht aufkommt, das besagt, ein Gott hätte eine dieser Schriften von einem Dämonenfürsten gestohlen? Die Informationen sind zu detailliert, als dass ich sie ignorieren könnte."

Sanzo blickte, während er sprach, weiterhin starr gerade aus.

Gojyo war in der Zwischenzeit hellhörig geworden. Als ob es anders sein könnte, hatte er sich gerade vorher mit Goku gestritten, der, kaum aus der Stadt, schon wieder seinen knurrenden Magen verbal zur Schau gestellt hatte.

Nun aber hörte er gut zu. Er hatte nur vage von einem Gerücht gehört. Wieder einmal war er derjenige, der Kleingeld hatte besorgen müssen und deshalb allein in der Stadt unterwegs gewesen war. Außerdem waren Sanzo die Zigaretten ausgegangen, und wenn er sich nicht darum gekümmert hätte, wäre der Mönch wieder über Tage hinaus schlecht gelaunt und missmutig gewesen. Als ob das bei ihm einen Unterschied machen würde.

„Eine Falle.", war der karge Beitrag des Rothaarigen. Man konnte nicht erkennen, ob dies nun eine Frage oder eine Feststellung hätte sein sollen. Trotzdem tat Sanzo diese Möglichkeit nicht als nichtig ab.

„Falls ja, werden wir vorbereitet sein."

„Also nehmen wir das Gerücht ernst?", fragte Hakkai, nur um einer Entscheidung willen, die alle im Stillen, für sich allein schon lange gefällt hatten.

„Ja."

„Du bist jetzt ein gejagter Mann, Sanzo. Jetzt noch mehr als früher. Wer auch immer das Skript hat, er will auch deines." Gojyos Stimme klang wie immer leicht ironisch. Sein schräges Grinsen blitzte Sanzo von der Seite an, nachdem sich der Halbdämon nach vorne gebeugt hatte.

„Das stellt für mich nicht im Geringsten ein Problem dar. Sie sollen kommen und ich werde sie töten."

„Aber lass uns auch ein paar übrig! Nicht, dass du den ganzen Spaß für dich allein hast!"

Die immer etwas aufgeregt klingende Stimme von Goku krächzte in Sanzos Ohr.

Goku hatte keine Chance. Der eiserne Fächer sauste so blitzschnell auf seinen Kopf herab, dass der Kleine gerade noch Zeit hatte, den Schmerz zu bemerken.

„Autsch! Sanzo! Das hat wehgetan! Schlag doch wenigstens einmal jemanden anderen mit diesem verfluchten Ding."

Während sich Goku beschwerte und sich die Stelle rieb, an der er getroffen wurde, lehnte sich Gojyo gemütlich auf dem Rücksitz zurück, verschränkte die Arme und blickte überlegen in Gokus Richtung.

„Ein kleiner Schlag auf den Kopf soll das Denkvermögen erhöhen. Vielleicht hilft es ja sogar."

Die ruhige und siegessichere Stimme des Halbdämons ließ Goku sofort in Rage geraten. Seine Stimme gellte dem Rothaarigen entgegen. Und wieder entbrannte ein Streit zwischen den beiden, der schon nach wenigen Worten mit einem Handgefecht fortgesetzt wurde.

„Ich werde sie mit Freuden töten."

Sanzos Hand fuhr zu seiner Pistole, die dann von seinen Fingern umschlossen wurde. Der Zeigefinger legte sich bestimmt um den Abzug und mit einer raschen Bewegung drehte er sich in seinem Sitz um. Der ausgestreckte Arm und somit auch die Waffe, zeigte genau auf die beiden Streithähne.

„RRUUUUUUHHEEEEE"