3. Kapitel Vorahnung

Der Staub unter den Reifen des Jeeps wirbelte auf, als Hakkai mit aller Kraft seinen Fuß auf das Bremspedal stemmte. Ein gleichzeitig erschrecktes wie auch angstvolles Drachenquietschen war zu hören und sagte Hakkai, dass auch Hakuryuu nicht auf diese Vollbremsung vorbereitet gewesen war.

Die beiden auf dem Rücksitz, die schon wieder lautstark zu streiten begonnen hatten, waren sofort verstummt und hatten sich an allem festgekrallt, was ihnen Halt geben könnte.

„Hoi, Hakkai! Klar, wir waren etwas laut. Aber ist das Grund genug, dass du uns aus dem Jeep katapultieren willst?"

Gojyos Stimme klang missmutig.

„Tut mir leid." Wieder fuhr sein rechter Arm an seinen Hinterkopf, dieses Mal aber blieb sein verlegendes Lächeln aus.

„Nicht ihr wart der Grund, warum ich gebremst habe."

Erst, nachdem sich der Staub verzogen oder wieder gelegt hatte, konnte man den wahren Grund erkennen, warum der Jeep zum Halten gezwungen worden war. Da lag einer auf der Straße, jemand, etwas...

„Da liegt jemand.", erkannte Hakkai und wollte aussteigen.

Gleichzeitig legte Goku eine Hand von hinten warnend auf die Schulter des Mönches.

„Dämonen. Das ist auch einer."

Also ein Etwas, nicht ein Jemand.

Hakkai stockte in seiner Bewegung und drehte den Kopf zu den anderen. In seinen Augen lag keine Überraschung. Er wusste um die Identität dieses Wesens. Er wollte nur mit anhören, was die anderen sagten.

„Eine Falle."

Gojyos Worte waren keine Frage. Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen, seine Augen blickten aber kalt und herausfordernd.

„Das wissen wir."

Sanzo würgte Gojyos Erkenntnis mit dem Unterton ab, dass diese Aussage überflüssig gewesen war.

„Sieht nach Spaß aus. Scheint lustig zu werden." Der Halbdämon deutete mit dem Kopf dorthin, wo der zusammengefallene Haufen auf der Straße lag. Gleichzeitig wurde sein Grinsen breiter und er freute sich offensichtlich auf einen Kampf.

Ein hämisches Lachen erhob sich aus dem Nichts und die Quelle konnte erst erkannt werden, als der unförmige Haufen vor dem Jeep seine Hände in den Staub drückte und seine Muskeln sich spannten, als er seinen Oberkörper hoch hievte.

Das Gesicht des Dämons sah aus wie das von so vielen anderen. Das böse Grinsen hatte tiefe Furchen in die Haut geschlagen, die Augen waren zu Schlitzen verengt. Die schmutzig braunen Haare hingen in wilden Strähnen in sein Gesicht und hinten bis in den Nacken.

Dann stand der Feind in voller Größe vor ihnen, stellte sich hin, als könne keine Kraft der Welt ihm etwas anhaben. Seine Muskeln waren übermenschlich und die Größe nicht zu verachten. Und die vier im Jeep waren so überhaupt nicht beeindruckt.

Goku war allenfalls gespannt in Erwartung eines guten Kampfes, Gojyo hatte nur ein bemitleidendes Lächeln für den Feind übrig, Hakkai konnte man die Heiterkeit nicht aus dem Gesicht streichen und Sanzos Miene zeigte allenfalls Langeweile, wenn man genau genug hinsah, um dies zu erkennen.

„Sie hätten sich wirklich einmal etwas Originelleres einfallen lassen können."

Sanzo wusste, was nun kommen würde, und es dauerte gar nicht lange, bis der Dämon zu sprechen begann.

„Genjo Sanzo. Ich habe mir dich anders vorgestellt. Größer, kräftiger..."

„Du redest zu viel."

Auch wenn Sanzo seine Stimme nicht lauter werden ließ, war sie doch eisig genug, um dem Dämon das Wort auf den Lippen gefrieren zu lassen.

„Auch gut. Du willst gleich sterben? Das wirst du nämlich, wenn du mir dein Sutra nicht aushändigst. Und zwar sofort."

Die Stimme des Dämons war tief und hart und ließ keine Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit zu.

Und doch grinste Gojyo breit.

„Sieh an, sieh an. Dieser aufgeblasene Käferfresser will unserem Sanzo Befehle erteilen. Wenn das nicht lustig wird."

„Inakzeptabel."

Sanzo musste nicht mehr sagen, um den Dämonen für einen Augenblick lang stocken zu lassen.

„Das hätte ich allerdings nicht erwartet. Nun gut, dann werde ich dich eben töten müssen und dir dann das Sutra nehmen."

„Wenn ich mir diesen Gedanken erlauben darf. Ich denke, du hattest doch vor, Sanzo so oder so zu töten, nicht wahr?"

Die ständig höfliche Art Hakkais, sogar seinen Feinden gegenüber, bewegte Sanzo dazu, seinen starren Blick für einen Moment von dem Feind abzuwenden und mit einer hochgezogenen Augenbraue Hakkai zu begutachten.

„Da hast du allerdings Recht. Nur hätte ich die Reihenfolge verändert. Ich hätte das Sutra genommen und ihn dann getötet. Und so nehme ich mir das Sutra, nachdem ich dich töte!"

Der letzte Satz war direkt an Sanzo gerichtet und die Stimme des Dämons stieg zu einem wütenden Schreien an, das anzeigte, dass sein Angriff sogleich erfolgen würde.

Sanzo war wie versteinert. Keine Regung von ihm zeigte, dass er sich gegen den angreifenden Feind schützen würde. Voller Hass und Kampfeslust blitzten die Augen des Angreifers, als er schon beinahe den Jeep erreicht hatte.

Eine blitzschnelle Hand griff nach einer Waffe, schoss nach vorne und zielte. Ein Finger krümmte sich um den Abzug. Die Kugel schoss aus der Pistole und riss ein großes Loch in die Stirn des Dämonen, bevor dieser sich unter Schmerzensschreien vor den Augen der vier in Asche und Rauch auflöste. Einen Augenblick später war alles wieder so, wie es vor dem Auftauchen des Dämons war.

„Mann, wie langweilig. Nichts zu tun. Da bekomme ich gleich wieder Hunger."

Gojyos Kopf sank kraftlos nach vorne, nachdem sich seine Augen genervt verdreht hatten.

Dann schoss er wieder nach oben und blickte Goku an. Er war gerade im Begriff, Luft zu holen, um den Goldäugigen anzuschreien, als ihm der kurze Lauf einer Pistole direkt zwischen die Augen zeigte.

„Wage es nicht, auch nur ein Wort zu sagen."

Etwas kleiner werdend, zog sich Gojyo von seiner Angriffshaltung gegen Goku zurück.

„Ha! Jetzt hat´s dir Sanzo aber gezeigt!"

Sanzo drehte sich erneut um und holte mit aller Kraft aus. Mit vollem Schwung ließ er den Fächer auf den Kopf des braunhaarigen Dämons sausen. Dieser zuckte zusammen, rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf und begann sich gerade wieder einmal mit fast schon krächzender Stimme gegen Sanzos Verhalten zu beschweren.

Dieser hörte allerdings nicht mehr zu.

„Gib Gas, Hakkai. Wir haben schon genug Zeit verloren."

Freudestrahlend nickte dieser und setzte den Jeep wieder in Bewegung.

Wortlos zeigte Sanzo auf eine Stelle neben der Straße. Hakkai nickte und lenkte den Jeep dorthin. Kurz darauf holperten die Reifen über teils grasigen, teils mit Blättern bedeckten Waldboden.

Sie waren wieder an einen Wald gekommen, dieser war dieses Mal viel größer, teils dicht mit jungen Bäumen bewachsen, teils nur sehr licht bewaldet.

Es war schon Abend geworden und somit höchste Zeit, einen passenden Lagerplatz zu finden und ein wenig Schlaf zu bekommen, falls dieses unter diesen Umständen überhaupt möglich war.

Auch wenn der einzelne Dämon von heute ein Zufall hätte sein können, er wollte das Sutra haben und je mehr Sanzo darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher war es, dass dieser Dämon, der nur dazu da war, Sanzos Kugel zu vergeuden, im Auftrag von jemandem gehandelt haben musste.

Aber warum hatte dieser dann nicht mehrere von seinen Lakaien geschickt? Oder sie in einen Hinterhalt gelockt? Die Fragen häuften sich, während die Antworten nicht aus ihren Verstecken kommen wollten. Schließlich kam Sanzo zu dem Schluss, dass er schon irgendwann dahinter kommen würde. Immerhin würde das heute nicht der letzte Angriff gewesen sein.

„Hakkai."

„Ja, Sanzo?"

„Welchen Gott kennen wir, der die Sutras so dringend braucht, dass er uns eine ganze Horde von Dämonen nachschicken könnte?"

„Tja", antwortete Hakkai, ohne nachzudenken und seine Augen kniffen sich zusammen, ohne dass er aber auf sein heiteres Lächeln verzichtete.

„Wenn ich ehrlich bin, fällt mir nur einer ein."

„Homura"

„So ist es. Glaubst du, er will das Sutra?"

„So wie viele andere auch."

„Aber er wird als erstes kommen, um es sich zu holen, falls unsere Vermutung richtig ist."

Gojyo hatte über das leise Jammern des Kleinen neben sich ausnahmsweise hinweggehört und mischte sich in das Gespräch ein.

„Ich irre mich nicht."

Mit diesen Worten galt das Gespräch für Sanzo als abgeschlossen und die anderen schwiegen ebenfalls.

Zu hören war, außer des Geräusches, das der Jeep verursachte, nur das monotone Jammern Gokus, das jeden anderen, der ihn nicht kannte und seine Worte nicht mindestens hundert Mal am Tag hören musste, wahrscheinlich in Trance versetzt hätte.

„Ich habe Hunger...Mein Magen knurrt so furchtbar...Ich habe so großen Hunger."

Gojyo knurrte zornig und ballte die Fäuste.

„Wir sind da.", bekundete Hakkai fröhlich und trat auf die Bremse.

„Essen! Es gibt endlich Essen!"

Goku war plötzlich aus seinem Leiden erwacht und sprang sofort auf, um mit einem kraftvollen Satz aus dem Jeep zu hüpfen.

„Ich halte das nicht mehr aus!"

Der rothaarige Halbdämon schlug die Hände vor sein Gesicht und nutzte nun den neben sich freigewordenen Platz, um sich mitleidsvoll zur Seite fallen zu lassen.