Kapitel 5 – Familiendramen
Carl Langfield lebte zusammen mit seiner Frau Julia und den Kindern Maria und Brad in Westphiladelphia in mitten einer Einfamilienhaussiedlung. Als Detective Rush und Valens aus dem Dienstwagen des Morddezernates Philadelphia ausstiegen, hatten sich bereits mehrere Nachbarn in ihren Gärten eingefunden und begutachteten die Fremden und ihren Wagen: „Die schauen sie an Scotty", stellte Lilly fest, während sie auf das Haus der Familie Langfield zugingen.
„Vielleicht erinnere ich sie ja an jemanden aus dem Fernsehen", war alles, was Detective Valens darauf erwiderte, bevor er die Klingel betätigte.
Ein junges Mädchen öffnete und fragte die beiden, was sie für sie tun konnte.
„Wir suchen einen Carl Langfield. Ist der zu sprechen?", fragte Lilly, während sie ihre Marke zeigt, um sich auszuweisen.
„Einen Moment", das Mädchen lehnte die Tür an und lief einige Stufen die Treppe zum Obergeschoss hinauf. Scotty und Lilly konnten deutlich hören wie sie rief: „Dad. Da will jemand mit dir sprechen. FBI, oder so."
Lilly musste lachen: „Da sehen sie mal, was ihr neuer Anzug ausmacht Scotty. Dank ihnen wirken wir schon wie Bundesbeamte." Auch Scotty konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Sie hörten schließlich, wie das Mädchen Kehrt machte und zur Tür zurückkam, die sie nun wieder weit aufmachte: „Er kommt gleich", sagte sie noch, bevor ein hochgewachsener Mann hinter sie trat und das Mädchen zurück auf ihr Zimmer schickte.
„Sie sind vom FBI?", fragte Carl.
„Nicht ganz", antwortete Scotty und zeigte Carl Langfield seine Marke, „Philadelphia Dade Police Department. Morddezernat. Wir würden uns gerne mit ihnen unterhalten, wenn sie nichts dagegen haben"
„Kommen sie erst mal rein, die Nachbarn wissen so schon immer genug über alles um sie herum bescheid", bei diesen Worten machte er eine einladende Bewegung und die Detectives traten ein.
„Ein schönes Haus haben sie hier, Carl", Scotty war darauf bedacht ein wenig Small Talk zu betreiben, immerhin würde es gleich unangenehm für Anns Ex-Mann werden.
„Danke. Wir haben auch lange darauf gespart, um es uns leisten zu können. Es gibt hier eine tolle Schule für die Kinder und meine Arbeitsstelle ist auch nicht weit entfernt. Aber deswegen sind sie nicht hier, oder?"
„Nein sind wir nicht", antwortete Lilly und folgte Carls Einladung sich zu setzen, bevor sie ein Foto aus der Akte hervorholte, welche sie mitgenommen hatte. Sie legte es vor Carl auf den Tisch und fuhr fort: „Es geht um ihre Kinder. Ich meine nicht Brad und Maria, ich rede von Michael, George und Lisa."
„Wie meinen sie das? Sie sind alle drei seit 26 Jahren tot", Carl verstand nicht sofort worauf die Detectives ihm gegenüber hinauswollten.
„Nun. Wir rollen den Fall ihrer Kinder noch einmal neu auf", klärte Scotty ihn auf.
„Und warum wenn ich fragen darf?"
„Nun, es gibt Zweifel an der Schuld ihrer Frau. Ich meine Ex-Frau: Ann", erklärte Detective Valens.
„Das habe ich der Polizei schon vor 26 Jahren gesagt, aber damals wollte es niemand hören. Warum heute?"
„Nun, wir bearbeiten die alten Fälle, Carl und wir ziehen in Betracht, dass es sich bei dem Brand um einen geplanten Anschlag auf ihre Familie handelte und nicht um eine Kurzschlussreaktion ihrer Ex-Frau", antwortete Lilly, „Wir würden einfach gern noch einmal hören, was aus ihrer Sicht in der Nacht des 21. Juli 1978 geschehen ist."
„In Ordnung. Wenn es ihnen hilft. Ann wird es mit Sicherheit nicht mehr helfen. Sie ist seit dem Vorfall damals nicht ansprechbar und lebt in Trenton in einer Nervenheilanstalt."
„Das wissen wir. Wir waren bereits bei ihr. Daher haben wir auch ihre Adresse."
Carl Langfield nickte nur langsam, er schien über alles nachzudenken und reagierte, erst wieder auf seine Umgebung, als Lilly ihn noch einmal darum bat, zu erzählen, was passiert war: „Also Carl, was ist damals geschehen?", und er begann zu berichten:
„An dem Abend fand, wie jedes Jahr, ein Sommerfest in der Firma in der ich arbeitete, statt: "William Masters - Finanzen". Ann und ich wollten gemeinsam hingehen, aber der Babysitter sagte kurzfristig ab. Ann beschloss daher, dass sie zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen würde und schickte mich zum Betrieb. Da kam ich auch so gegen 21 Uhr an und alles war zu dem Zeitpunkt noch normal. Ich hatte mit meinem Kollegen Josh Hagen abgesprochen, dass er nüchtern bleiben und mich und noch zwei weitere Kollegen nach Hause fahren würde, da ich das beim Weihnachtsfest im Jahr zuvor getan hatte.
Es war gegen 23:30 Uhr nachts, als die Polizei in der Firma anrief und mir sagte, dass mein Haus in Flammen stehe. Ich habe mich dann sofort von Josh nach Hause fahren lassen. Als ich ankam, war die Feuerwehr schon dabei das Haus zu löschen, oder was davon übrig war.
Ann stand vor dem Haus auf dem Rasen, in einem Morgenmantel und Hausschuhen, zusammen mit unserer Nachbarin Marie Watkins. Ich bin dann sofort zu ihnen gelaufen und habe versucht mit ihr zu sprechen, aber sie hat einfach nicht reagiert und keine meiner Fragen beantwortet, oder mich nur angesehen.
Mrs. Watkins sagte mir dann, dass Ann einen Schock hätte und schon schwieg, als sie eingetroffen war. Ich fragte sie dann noch einmal, wo die Kinder seien, doch sie blickte mich nur an und stellte dieselbe Frage Marie Watkins.
Ich habe dann von ihr erfahren, dass sie es nicht geschafft hatten und auch noch nicht von der Feuerwehr entdeckt worden waren.
Das letzte was meine Frau jemals wieder zu mir sagte, war: „Ich bin Schuld, dass sie tot sind.". Diesen Satz höre ich seither jede Nacht in meinen Träumen, als wäre es wieder der 21. Juli 1978."
Carl holte tief Luft und lehnte sich zurück: „Ich habe nie geglaubt, was die Polizei behauptete. Ann war es nicht, sie hat das Feuer nicht gelegt. Sie wäre zu so etwas nicht fähig gewesen", bei diesen Worten beugte er sich wieder vor und sah Lilly eindringlich an.
„In Ordnung Carl. Danke, dass sie uns alles noch einmal erzählt haben. Ich habe da nur noch zwei Frage an sie", nun kam der Teil der Befragung, der Lilly schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte, „In den Akten steht, dass sie ihre jetzige Frau, Julia, bereits 3 Monate nach dem Brand heirateten. Können sie uns das vielleicht erklären. Ich meine ihre Kinder waren gerade erst begraben, ihre Frau in Trenton eingewiesen und sie beide geschieden und sie heiraten erneut? Verstehen sie mich nicht falsch, aber das ist ein nicht ganz unwichtiger Aspekt unserer Ermittlungen", nun war es Lilly, die sich weiter vorbeugte und Carls Blick fixierte, doch dieser hielt ihr ohne Mühe stand: „Sie können gerne fragen, aber das hat nichts mit ihren Ermittlungen, oder dem Brand zu tun. Die Hochzeit hat sich einfach ergeben. Wir teilten ein ähnliches Schicksal, wissen sie. Julia hatte nur 2 Monate zuvor ihren Bruder bei einem Autounfall verloren und wir wussten sofort, dass wir einander helfen konnten mit diesen Erlebnissen fertig zu werden", die letzten Worte hatte Carl bewusst betont, um ihre Wirkung auf Außenstehende zu verstärken und das war ihm auch gelungen, allerdings anders, als er es beabsichtigt hatte.
„In Ordnung", erwiderte Lilly schwungvoll und lächelte. Sie wollte ihn nicht spüren lassen, dass sie ihm kein einziges Wort glaubte, bezüglich Julia, denn um ihn damit zu konfrontieren, brauchte sie erst stichhaltige Beweise.
„Und warum besuchen sie heute noch Ann? Und das gleich viermal im Jahr?", Lilly beobachtete, wie Carls Gesichtszüge weicher wurden, er schien sich wieder zu entspannen und fing dann an zu erzählen: „Ich besuche sie an jedem Geburtstag unserer Kinder und an unserem Hochzeitstag. Einfach um der alten Zeiten willen. Wir hatten nie Probleme miteinander, wir haben und geliebt. Ich kann sie doch nicht dafür bestrafen, dass jemand uns bestraft hat. Ich bin vielleicht wieder verheiratete und habe zwei Kinder, aber Ann ist und bleibt ein Teil meines Lebens. Uns verbindet der Tod unserer Kinder und es schmerzt mich jedes Mal, wenn ich sie so sehe, wie dort vor sich hin vegetiert in dieser Anstalt. Sie war eine so fröhliche junge Frau und sehen sie sie sich heute an. Ach was rede ich, sie waren ja beide dort", Carl unterbrach seine Ausführungen, als er merkte, dass er ein und das selbe wieder und wieder wiederholte und dieses Mal glaubte ihm Lilly, doch sie war sich trotzdem sicher, dass sie nicht das letzte Mal hier gewesen waren.
„Wir bräuchten dann nur noch die aktuelle Adresse von Mrs. Watkins, wenn sie die haben", Lilly notierte sich hastig etwas auf ihrem Block, um Carl die nötige Euphorie zu vermitteln, mit der sie an dem Fall arbeiteten, nicht ohne den Hintergedanken ihn damit nervös zu machen oder aus der Reserve zu locken, sollte sich ihr Verdacht erhärten.
„Es tut mir leid, aber die habe ich nicht. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sie und ihr Mann James weggezogen sind, sie waren immerhin beide damals schon über 50."
„Danke sehr, das hilft uns wirklich weiter", Scotty verabschiedete sich als erster und Lilly tat es ihm gleich: „Ich hoffe wir können etwas für Ann tun, auch wenn es sehr spät kommt", sie schüttelten einander die Hand und die Detectives machten sich auf den Weg zurück zum Auto.
Draußen schien alles unverändert. Die meisten Nachbarn gingen noch immer geschäftig ihrer Gartenarbeit nach, vergaßen dabei aber nicht alles im Blick zu behalten. Doch Lillys Aufmerksamkeit galt etwas anderem: Ein Auto bog um die Ecke und hielt direkt in der Einfahrt der Langfields. Carl, der noch in der Tür gestanden hatte, um die beiden Detectives hinauszugeleiten, ging zu dem Auto und holte diverse Einkaufstaschen aus dem Kofferraum, während eine Frau, vermutlich Julia Langfield, aus dem Auto stieg. Die beiden küssten sich und trugen dann die Taschen ins Haus, während Lilly wieder ein Gefühl des Zweifels an der Idylle dieser Familie überkam. Mit diesem Gedanken bemerkte sie, wie Scotty das Auto in Bewegung setzte und losfuhr.
Die beiden Detectives wurden bereits von ihren Kollegen im Homicide Squad erwartet, als sie eintrafen: „Hey Rush. Was sagt unsere Irre?", fragte Vera bereits von der Kaffeemaschine aus.
„Sie werden es kaum glauben, Vera. Sie sagt nichts", erwiderte Lilly.
„Wie meinen sie das?", plötzlich schien der alte Brummbär interessiert zu sein.
„Sie spricht mit niemandem, Vera", warf Scotty ein, „und das schon seit 26 Jahren."
„Die ist ja tatsächlich noch schrulliger als ich dachte", brummte Nick in seinen Kaffeebecher.
„Vera", ermahnte ihn Tom Stillman, der gerade aus seinem Büro gekommen war, als er seine beiden Detectives hatte ankommen sehen: „Wie weit sind sie in dem Fall Langfield?"
„Nun ich bin der Meinung, dass Carl uns nicht die Wahrheit erzählt hat, was seine plötzliche Liebe Julia angeht", erzählte Lilly während sie sich in ihren Stuhl sinken ließ und sachte hin und her schwenkte.
„Wie komme sie darauf?", Stillman war interessiert.
„Nun, er behauptet, dass sie fast zeitgleich mit ihm ihren Bruder verloren hat und sie deshalb einander halfen mit dem Verlust klarzukommen. Daher auch die plötzliche Hochzeit – Seelenverwandte eben", auch Scotty hatte sich bei diesen Worten gesetzt.
„Nun, das mit dem Bruder lässt sich leicht nachprüfen. Sie finden die Akten sämtlicher Todesfälle in unserer Datenbank", meldete sich Jeffries zu Wort, „Ich kann das für sie übernehmen."
„Das wäre klasse Jeffries", bedankte sich Lilly und schwang sich in eine aufrechte Sitzposition, um etwas aufschreiben zu können: „Außerdem brauchen wir noch die Adresse der Watkins´ und wir werden auch Carls Alibi für die Nacht überprüfen", Lilly sprach laut aus, was sie sich notierte und Scotty kam nicht umhin seine eigenen Gedanken zu äußern: „Lil, er war auf einer Betriebsfeier. Da werden ihn sicherlich an die 30 Menschen oder mehr gesehen haben, meinen sie nicht?"
„Mag sein, aber ich bin mir da nicht so sicher. Irgendetwas sagt mir, dass dieser Carl etwas vor uns verheimlicht und das dieses etwas, oder dieser jemand mit dem 21. Juli zu tun hat", Lilly war ganz in ihrem Element und Scotty konnte lediglich mit Stillman einen Blick wechseln, welcher ihm verriet, dass er Lilly vertrauen sollte. Außerdem konnte man nie zu gründlich sein, dass sah schließlich auch Scotty ein: „In Ordnung. Dann besorgen wir uns mal die Gästeliste unserer illustren Runde. Einen Namen haben wir ja schon: Josh Hagen."
„Stimmt und mit dem fangen wir an…", warf Lilly ein, doch sie kam nicht dazu auszureden, bevor Scotty ihr erneut ins Wort fiel: „…nachdem wir bei den Watkins´ waren, alles hübsch der Reihe nach Lil."
Stillman nickte zustimmend und kehrte dann in sein Büro zurück.
„Also dann werfe ich mal den Computer an und entlocke ihm ein paar Informationen bezüglich Julia Langfield", mit diesen Worten machte sich auch Jeffries an die Arbeit und nur Vera blieb zurück und trank gemächlich seinen Kaffee. „Ist der mittlerweile nicht schon kalt, Vera?", zog ihn Lilly auf, doch Vera erwiderte sofort: „Ich hab ja nichts zu tun und daher viel Zeit um ihn zu genießen. Ich verhöre ja nicht stundenlang irgendwelche Irren, die dann nicht mal mit mir sprechen. Pfffh", mit diesen Worten nahm er einen Schluck seines mittlerweile doch erkalteten Kaffee, doch Nick verzog keine Miene.
„Nun, dann gebe ich ihnen etwas zu tun, Vera. Wie wär´s wenn sie sich daran machen die Adresse der Watkins´ zu überprüfen", warf Scotty ein. „Wenn´s sein muss", Nick zuckte mit den Schultern, nichts ahnend, auf was er sich da eingelassen hatte.
Nachdem Rush und Valens stundenlang die Gäste des Sommerfestes einer Firma, die schon seit 1982 nicht mehr existierte, ausfindig gemacht hatten, beschloss Stillman, dass das für diesen Tag reichen sollte und schickte alle nach Hause: „Um diese Uhrzeit sollten sie nicht unbedingt noch jemanden zu Hause aufsuchen."
„Wie sie meinen Boss", Scotty war das recht, auch wenn er wusste, dass seine Partnerin das anders sah.
„Ich werde noch weiterarbeiten", sagte Lilly darauf.
„Sie wollen sich mal wieder die Nacht um die Ohren schlagen? Rush, sie sollten ernsthaft versuchen sich ein Privatleben zu schaffen und ich meine damit nicht Olivia und Peta zu füttern."
„Boss, bitte. Ich bin dazu noch nicht wieder bereit. Ich brauch etwas Zeit um mich abzulenken."
„Vergessen sie diesen Kerl Lill und gehen sie mal wieder weg, ich denke, dass Scotty, Vera und Jeffries sicherlich nichts dagegen haben sie zu begleiten, wenn sie mal wieder auf ein Bier bei McGintys vorbeischauen, ich würde mich auch anschließen."
„Okay, aber nicht heute. Vielleicht wenn dieser Fall gelöst ist. Vorher werde ich sowieso die ganze Zeit im Dienst sein, sehen sie sich nur diese Liste an…", Detective Rush wies auf die ellenlange Liste mit Namen von der Betriebsfeier, „…und sie kennen ja die Vorschrift: Kein Alkohol während des Dienstes", Lilly lächelte und gab Stillman somit das Gefühl, dass sie sich bemühte.
