- Das 5. Schuljahr -
Josie und ich hatten Kevin nie von unsrer Beziehung erzählt, doch sie existierte auch jetzt noch.
Warum wir es ihm nicht sagten?
Purer Egoismus meinerseits, Sorge um unsere Freundschaft von Josies Seite.
Natürlich lag mir sehr viel an Kevin, versteht mich nicht falsch.
Aber nach einer dermaßen vergeudeten Kindheit war ich endlich glücklich und genoss jede gemeinsame Sekunde mit ihr.
Kevin war neidisch und er würde es sicherlich nicht billigen, wenn er erfahren würde, das Josie und ich hinter seinem Rücken zusammen waren.
Ein wenig tat ich es deshalb auch für ihn.
Josie hatte mir ganz klar gesagt, das sie Kevin nett finden würde, ihn aber ansonsten nicht übermäßig gerne hätte und ihr sein Gehabe auf die Nerven gehen würde.
Ich hatte nicht so richtig gewusst, was ich erwidern sollte.
Kevin war mein bester Freund, aber sie hatte Recht – er nervte inzwischen ziemlich.
Wann immer ich es am wenigsten erwartete, sprach er mich auf seine Vermutungen an, die leider nahe an der Realität lagen.
Hätte ich es ihm sagen sollen?
Es wäre wahrscheinlich das Beste gewesen, aber unsere Freundschaft wäre sicherlich daran zerbrochen.
Ich war nicht auf ihn angewiesen, ich hatte inzwischen eine Menge Freunde gefunden, selbst aus den anderen Häusern und seit ich im Sommer zum Vertrauensschüler gewählt wurde, hatte ich auch Freunde aus Slytherin.
Aber er war mein erster Freund in Hogwarts gewesen.
Wir hatten uns immer super verstanden, hatten die gleichen Interessen und als ich in den Sommerferien zurück zu meinen Eltern musste, hatte er mir regelmäßig Post geschickt.
Er war eben doch mein bester Freund. Gewesen.
Die Betonung liegt aber auf gewesen, denn inzwischen konnte ich ihm keine Geheimnisse, Ängste, Sorgen oder sonstiges anvertrauen, da er immer alles hinterfragte.
Ich hatte inzwischen eine engere Freundschaft mit den Zwillingen aufgebaut, es störte zwar, das sie stets im Chor sprachen, aber ansonsten konnte man normal mit ihnen sprechen, ohne das es in Wutanfälle und Streitereien ausartete.
Was bei Kevin und mir des Öfteren der Fall war.
Schade eigentlich.
Kevin war inzwischen ins Quittditch – Team aufgenommen worden, nachdem ich eine Anfrage als Jäger abgelehnt hatte, und so hatte er nur noch wenig Zeit für Josie und mich.
So war es auch heute, Kevin war zu einem Training gegangen und Josie und ich liefen zu unserem Lieblingsplatz, ein alter, spinnennetzverhangener Raum, der unbenutzt und immer sonnendurchflutet in einem ebenfalls unbenutzten Korridor lag.
„Du hast dich wieder mit Kevin gestritten, oder Albus?", fragte Josie vorsichtig, nachdem wir uns auf den Holzfußboden gesetzt hatten.
„Wundert dich das?", fragte ich zurück.
„Manchmal glaube ich, es wäre das Beste für euch beide, wenn ihr eure Freundschaft aufgeben würdet. Ihr streitet euch nur noch."
„Das ist einfach das Alter."
„Sagt ein 15-jähriger", lachte Josie und ihre Augen funkelten.
Als wir ein wenig später wieder in Richtung Gryffindor – Schlafsaal gingen, wurde ich von unserem Leiter der Hogwartsbücherei angehalten, der mir ein Buch in die Hände drückte.
„Kannst du das bitte kurz zum Quidditchspielfeld hinunterbringen? Sie wollen dort etwas Theorie besprechen, aber ich habe so viel zu tun."
Ich nickte. „Natürlich, kein Problem, Sir."
Er nickte dankbar und zog von dannen.
Josie warf mir einen Seitenblick zu. „Willst du das wirklich machen, es ist draußen schon dunkel."
„Klar, wieso nicht?"
„Ich hab ein ungutes Gefühl dabei, ich komme…"
„Nein, nachher ist Kevin wieder sauer, weil wir ihm izusammen/i das Buch bringen. Ich erledige das schnell und komm dann zurück."
Sie nickte besorgt. „Ich verstehe nicht, wie sie um diese Uhrzeit noch Theorie üben können."
„Morgen ist ein wichtiges Spiel."
„Ich finde es trotzdem unmöglich."
Ich lächelte und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Mach dir nicht immer so viele Gedanken, so weit ist es doch auch nicht bis zum Spielfeld." Ich wandte mich um. „Bis gleich."
„Bis gleich, Albus, und…" Sie stockte und ich drehte mich erstaunt um. „Was?"
„Pass auf dich auf", sagte sie leise.
Ich verstand ihre Besorgnis nicht. Es war ein ganz normaler Abend, draußen schien der Mond, der den Weg zum Spielfeld in gleißendes silbernes Licht tauchte und man hörte leise den Wind durch die Bäume rauschen.
Keinerlei Anzeichen irgendeiner Gefahr.
Josie machte sich ständig wegen irgendwelchen Sachen Sorgen.
Meistens um mich.
Das war zwar einerseits schön und zeigte mir, dass ich ihr wirklich etwas bedeutete, aber ihre Angst erwies sich meistens als unbegründet.
Ich wog das Buch in meinen Händen und innerlich war ich erleichtert, nicht dem Team beigetreten zu sein; solch Theoriekram interessierte mich nicht im Geringsten.
Aus einem Gebüsch in meiner Nähe flatterten zwei Vögel kreischend gen Himmel und etwas raschelte in den Blättern.
Ich machte mir allerdings keine großen Gedanken darum, es war sicherlich nur…
In einem anderen Gebüsch hinter mir raschelte es auch vernehmlich.
Ich bleib stehen und schaute mich leicht misstrauisch um.
Knistern, Ästeknacken und gedämpfte Stimmen vermischten sich mit einem Pfiff einer Trillerpfeife vom Spielfeld, das keine 100 Meter von mir entfernt lag.
Was ging hier vor sich?
Ich umklammerte das Buch.
Schüler aus dem Schloss, die mir einen Streich spielen wollten?
Eher unwahrscheinlich, ich verstand mich mit allen Häusern gut.
Vom Quidditchplatz tönte ein gebrüllter Befehl.
Sie würden mich nicht hören, wenn ich schreien würde, da war ich mir sicher.
„Wer ist da?"
Keine Antwort, doch dem rascheln nach zu urteilen, wurden es hinter den Büschen immer mehr Personen.
Wenn es Personen waren, versteht sich.
Ich entschloss mich, davonzulaufen, weil ich nicht wusste, iwas/i sich da gerade sammelte.
Ich machte im Stand kehrt und wollte zurück zum Schloss rennen.
Nur… man versperrte mir den Weg.
Das Buch fiel mit einem dumpfen Ton auf den Boden.
Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die schwarzgemummte Gestalt vor mir.
Panisch vor Angst machte ich einen Sprung nach hinten und wollte zum Quidditchfeld laufen, doch nun sprangen aus den Büschen weitere schwarzgewandete Gestalten, die sich zu einem Kreis formatierten und mich umkreisten.
Ach du Schande.
Keine Chance zu entkommen.
Ich sah beklommen zu, wie sie ihre Zauberstäbe zogen.
„Dieses Mal entkommst du uns nicht", sagte einer von Grindelwalds Zauberern.
Angst.
Ich hatte Angst.
Meine Knie zitterten wie verrückt und mein Atem ging nur noch stoßweise.
„Was wollt ihr von mir?", fragte ich mit bebender Stimme, zog aus meinem Umhang meinen Zauberstab und hielt ihn schützend vor meinen Körper.
„Dasselbe wie beim letzten Mal."
„Und das wäre?"
„Grindelwald ist sehr interessiert an dir."
„Ich wüsste nicht warum", entgegnete ich bissig und sah mich unauffällig nach einer Lücke im Kreis um, die es aber natürlich nicht gab.
Als ob sie meinen Blick bemerkt hätten, zogen sie den Kreis enger und ich umklammerte meinen Zauberstab so fest, das meine Finger zitterten.
„Du sollst sehr mächtig sein", wurde mir eröffnet, „Große Kräfte sollen in dir schlummern und du kannst Grindelwald gute Dienste erweisen. Außerdem sollst du eine große Intelligenz besitzen."
Ich musste fast lachen. „Ich und mächtig? Ich bin vielleicht nicht dumm, aber ich habe keinerlei besondere Kräfte, also lasst mich in Ruhe!"
Es folgte ein Gelächter, das mich heftig zusammenzucken ließ.
Mein Zauberstab fiel ins Gras.
Ich wollte mich hastig danach bücken, doch mit einem Schwung seines eigenen Zauberstabs, zog einer der Gestalten ihn zu sich herüber und fing ihn gelassen auf.
Ich stand wie betäubt da, während sich der Kreis immer weiter zusammenzog, sie gingen auf mich zu, sie streckten ihre Finger aus, griffen nach mir…
Ich hatte meinen Zauberstab verloren, ich konnte mich nicht wehren.
Ich brauchte ein Wunder.
Doch es geschah nichts.
Als die erste Gestalt meine Haare berührte, schrie ich.
Ich schrie so laut ich konnte, versuchte mich von den Händen zu befreien, die über meine Kleidung glitten, mir an den Haaren zogen, an mir zerrten und mich schubsten und stießen.
Plötzlich langte jemand nach meiner Gurgel und quetschte mir den Hals zu.
Ich schnappte entsetzt nach Luft und bekam keine, hustete und wand mich verzweifelt, um mich dem Griff zu entziehen, Luft zu holen.
Doch der Griff lockerte sich nicht. Ich ging in die Knie, eine Flut aus Händen regnete auf mich herab, zogen mich hoch.
Ich brauchte Luft, ich sah alles nur noch verschwommen, mir wurde heiß und kalt zugleich und meine Glieder erschlafften merklich.
Ich würde sterben.
Aber ich wollte nicht sterben, ich durfte nicht sterben, nicht jetzt.
Ich machte weitere schwächliche Versuche, mich zu befreien und jemand schlug mir sehr brutal ins Gesicht und traf mit voller Wucht meine Nase.
Innerlich schrie ich auf, Blut spritze.
Großvater war für mich gestorben.
Er wäre sicherlich enttäuscht, wenn ich jetzt sterben sollte.
Meine Zeit war noch nicht gekommen, ich wusste es.
In dem Moment ging von meinem Körper ein gewaltiges Leuchten aus, ein pulsierender Schein, der sich ausbreitete und heller wurde, so hell, das die Gestalten aufschrieen, sich die Hände vor die Augen pressten und kreischend versuchten, davonzulaufen.
Der Griff an meiner Kehle löste sich.
Ich holte einen tiefen Atemzug und eine gigantische Explosion erschütterte den Boden und riss alles im Umkreis mit sich.
Entkräftet viel ich zu Boden und landete im angesengten Gras, das unter mir zu Staub zerfiel.
Meine Nase war scheinbar gebrochen, mein Körper von diversen Schlägen geschunden und ich war nahe der Ohnmacht.
Allerdings schaffte ich es, mich etwas aufzurichten und die Verwüstung zu betrachten, die ich angerichtet hatte.
Bäume, Gras, Sträucher, alles war verbrannt und fiel bröckelnd auf den staubigen Boden.
Um mich herum ein Kreis aus Stofffetzen und kleinen Aschehäufchen.
Ich musste mich ziemlich zusammenreißen, um mich nicht zu übergeben.
Mein Kopf sackte zurück auf den Boden.
Ich konnte nicht mehr.
Ich verstand nicht, was gerade passiert war, aber eins war sicher – ich hatte diese Menschen umgebracht.
Ich hatte sie umgebracht.
Ich war ein Massenmörder geworden, von einer Sekunde auf die andere.
Alles drehte sich, ich würde gleich ohnmächtig werden.
Ich schloss die Augen.
Stimmen aufgeregter Jugendlicher kamen näher, jemand schrie „Albus! Nein!"
Ich spürte, wie jemand mich umdrehte und in den Armen hielt. Dann hörte ich Kevins Stimme. „Was haben sie ihm angetan! Diese Schweine!"
Ich öffnete meine Augen und hustete. „Kevin…"
„Albus, wer hat dir das angetan?"
„Grindelwalds… Ge… Gefolge."
Kevin wurde blass vor Zorn.
Ich versuchte etwas zu sagen, um ihn zu beschwichtigen, doch in dem Moment verließen mich meine Sinne endgültig und ich wurde ohnmächtig.
Das letzte, was ich hörte, war Kevins wütender Aufschrei und ein „Ihr verdammten Schweine!", verhallte in der Nacht.
