Titel: Liebe lieber ungewöhnlich
Autor: Cyrrer aka Laren
Prequel: Kleine Tode unter Freunden
Disclaimer und Warnungen: siehe erstes Kapitel
Unwillkürlich schlossen sich Heeros Arme noch enger um Duo. Das was der Langhaarige ihm gerade erzählt hatte, war fast unbegreiflich. Wie konnte jemand nur so etwas einem anderen Menschen antun, wie konnte jemand so etwas Duo antun? Heero zitterte vor unterdrückter Wut.
„Dieses verdammte Schwein," presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich könnte dieses Arschloch erwürgen – oder noch besser, kastrieren. Das hätte er verdient." Wenn er Treize jetzt in die Finger bekäme, dann würde er garantiert etwas tun das er später vielleicht bereuen würde.
Duo hatte sich bei seinen Worten erst noch mehr versteift, dann drehte er seinen Kopf mit einer schnellen Bewegung zur Seite und blickte Heero verstört an. „Sag so etwas nicht," brachte der Langhaarige leise hervor, einen Anflug von Panik im Blick.
Heero hätte sich in dem Moment am liebsten selbst getreten. Wie konnte er nur so etwas sagen, wo er doch wusste das Duo nicht besonders gut auf körperliche Gewalt – und wenn es auch nur angedrohte gegen seinen Ex war – reagierte? Heero wollte auf keinen Fall das Duo ihn für einen weiteren Schläger hielt.
„Shhhh, so hab ich das nicht gemeint," versuchte er zu beruhigen. „Es ist nur so, solche Typen wie Treize machen mich einfach rasend. Irgendjemand muss ihnen mal beibringen das sie nicht alles dürfen. Und ich glaube nicht das er auf logische Argumente hören würde, Treize ganz sicher nicht – der versteht nur das Gesetz des Stärkeren."
Duo hatte seine Hand inzwischen auf Heeros linken Arm gelegt. „Bitte," flüsterte er und schluckte schwer. „Versprich mir das du dich nicht mit Treize anlegen wirst. Das ist die Sache... das bin ich nicht wert."
Heeros Puls raste. „Wie kannst du das sagen! Natürlich bist du das wert!" er schüttelte vehement den Kopf.
„Nein, verdammt! Was soll dabei herauskommen? Du polierst Treize die Fresse, und dann? Ganz davon abgesehen das ich nicht glaube das Treize irgendwas begreifen wird, was wird danach passieren? Du hast für ca. 5 Sekunden das tolle Gefühl ihm eine reingewürgt zu haben, solange bis sie dir zum einen das Stipendium streichen und zum anderen dein Arsch von Khushrenadas Anwaltsarmee vor Gericht geschleift wird. Gegen die kommt keiner an. Deine Zukunft wird zerstört werden. Das ist es einfach nicht wert."
Heero stieß einen langen Atemzug aus. Dann lehnte er sein Kinn gegen Duos Schulter. „Tschuldigung. Ich hab mich wohl aufgeführt wie der letzte Neandertaler. Du hast Recht, Gewalt ist keine Lösung. Aber solche Typen wie Treize, die machen mich einfach rasend. Spielen sich als die letzten Moralhüter auf, greifen mich an weil ich schwul bin und dann so was..."
Duo schien sich wieder etwas zu entspannen. „Glaubst du mich regt das nicht auf? Glaubst du ich hätte nicht in meinem Kopf schon tausend Rachepläne ausgeheckt? Natürlich hab ich das getan, und jedes einzelne der Szenarien genossen. Aber das ist einfach nicht ausführbar. Und ich will auch nie wieder etwas mit Treize zu tun haben, egal auf welche Art. Darum hab ich mich entschlossen da einfach nicht mehr daran zu denken. Ich hab damals einen blöden Fehler gemacht und bin schrecklich auf die Schnauze gefallen. Aber ich will mir jetzt mein Leben davon nicht mehr kaputt machen lassen. Und ich will ganz besonders nicht das mein neuer Freund meint sich in Obermachopose werfen zu müssen und loszieht um mich zu rächen," bei diesen Worten hatte Duo sein Kinn nach vorne gestreckt, vermittelte das ultimative Bild der Entschlossenheit.
Heero musste fast schmunzeln. Schnell schob er seinen Kopf nach vorne und drückte einen kleinen Kuss auf Duos Wange. Bei den Worten des Langhaarigen hatte sein Herz einen Jubelhüpfer getan. Es war Duo wahrscheinlich selbst gar nicht aufgefallen, aber Heero hatte natürlich sofort bemerkt das dieser ihn als seinen 'neuen Freund' tituliert hatte. Er musste stark an sich halten um nicht zufrieden vor sich hin zu grinsen.
„Ich hab doch schon gesagt, ich schick den Höhlenmenschen auf unbefristeten Urlaub."
Duo erlaubte sich einen kleinen Schnauber. „Das will ich auch stark gehofft haben." Dann lehnte er sich wieder zurück in die Umarmung.
Heero hätte noch sehr viel länger hier so sitzen können, aber nach einer kurzen Weile siegte dann doch seine Neugierde. „Und wie bist du dieses Schwein dann losgeworden?"
Duo versteifte sich wieder merklich. Aber nach einer kurzen Pause begann er dann doch zu reden. „Ich bin zunächst völlig kopflos weggerannt. Bin ziellos durch die Gegend geirrt und hab dabei über alles nachgedacht. Mir klar gemacht das ich mich so schnell wie möglich von Treize lösen muss. Am Abend ist er dann wieder zu mir gekommen. Und ich hab ihn in die Wüste geschickt. Und das war das Ende dieser Geschichte."
Heero wollte schon ansetzen zu protestieren. Er konnte sich irgendwie nicht vorstellen das jemand wie Treize sich so einfach abservieren ließ. Garantiert nicht. Da musste noch mehr vorgefallen sein. Es schmerzte ihn kurz, das Duo ihm scheinbar nicht genug vertraute um ihm alles zu erzählen.
Doch dann schalt er sich wieder einen schrecklichen Idioten. Duo hatte die ganze Unterhaltung über nichts anderes getan als sich ihm geöffnet. Seine schlimmsten Erlebnisse offenbart. Das war sicher emotional sehr anstrengend für Duo gewesen, vielleicht konnte er einfach nicht mehr. Und hatte er überhaupt ein Recht darauf mehr zu verlangen? Duo hatte ihm so weit getraut und dieses Geschenk durfte er jetzt nicht Kleinreden. Im Übrigen, vielleicht wollte Duo auch nur verhindern das er sich wieder in Heldenpose warf und mit dem Spruch 'Ich werde ihn töten!' auf Treizejagd ging. Das war das letzte was Duo jetzt brauchen konnte.
Heero ließ sein Kinn wieder auf der Schulter des Langhaarigen ruhen und drückte diesen kurz. „Ich bin so froh, das du dich von diesem Schwein befreit hast," sagte er ruhig.
„Und, verachtest du mich jetzt?" kam es leise von Duo.
„Wieso... Wieso sollte ich dich verachten?"
Duo zitterte wieder. „Na, ich war doch so furchtbar dumm und schwach auf Treize hereinzufallen."
„Duo, es gibt nur eine Person die ich deswegen verachten kann, und das ist Treize. Du hast den Fehler begangen auf den falschen Typen hereinzufallen, aber das passiert häufiger als man glauben sollte. Aber als du erkannt hast was da abging, da hast du dich aus diesem Teufelskreis gelöst, das erfordert viel Mut und viel Kraft. Dafür kann ich dich nur bewundern, nicht verachten."
Ein tiefer Seufzer folgte. „Ich weiß nicht, ich hätte es einfach früher merken müssen. Ich hätte ihm schon nach dem ersten Schlag die Tür vor der Nase zuwerfen müssen. Wieso war ich so schwach und bin bei ihm geblieben, hab alles mit mir machen lassen?"
„Du hast doch selbst gesagt, er hatte dich total in der Hand. Zurückblickend erkennen was da ablief, das ist einfach. Es aber in genau der Situation begreifen und wirklich etwas dagegen tun zu können, das ist eine ganz andere Sache."
„Du hast wahrscheinlich Recht. Quatsch, natürlich hast du Recht. Das sage ich mir ja auch. Aber eine kleine zweifelnde Stimme in mir behauptet trotzdem immer das Gegenteil. Das ist auch einer der Gründe, warum ich die ganze Sache am liebsten so weit wie möglich vergessen will."
Heero glaubte nicht das Duo damit wirklich großen Erfolg haben würde – ansonsten hätte er sicher nicht derart negativ auf ihn reagiert nur weil er auf die gleiche Uni wie Treize ging – aber er glaubte auch nicht das es eine Sache war, die sie hier und heute mit einem Gespräch begraben konnten. Er wusste selbst das manche Schmerzen zu tief saßen um durch logische Argumente geheilt zu werden.
Heero fühlte sich plötzlich etwas müde, kein Wunder es war schon recht spät und dieses Gespräch war ziemlich anstrengend gewesen, obwohl er die meiste Zeit nur zuhören musste. Er gähnte kurz und ließ sich dann einfach seitlich nach hinten auf das Bett fallen. Da er Duo immer noch in einer festen Umarmung hatte, zog er diesen einfach mit sich.
So lagen sie beiden dann auf dem Bett. Heero auf dem Rücken, und Duo halb auf ihn drauf. Der Kopf des Langhaarigen ruhte auf Heeros Schulter. Sein Zopf war verrutscht und Heeros rechte Hand begann damit zu spielen. Seinen anderen Arm hatte er um Duos Hüfte geschlungen.
Für einige Momente lagen sie einfach so da, lauschten dem Atem und dem Herzschlag des anderen, während die Wanduhr die Zeit wegtickte. Heero ruckelte Duo etwas zurecht, so das sein Kinn auf dem Kopf des Langhaarigen ruhen konnte und seufzte zufrieden. Das hier fühlte sich schlicht und ergreifend richtig an. Er hoffte inständig das Duo zu seiner unbewussten Äußerung über seinen 'neuen Freund' stehen würde. Denn dieses herrliche Gefühl von Duo in seinen Armen wollte er nie wieder missen.
Duo kicherte leise. „Was hat das jetzt zu bedeuten?" fragte er.
„Ich bin etwas müde," gestand Heero.
„Kein Wunder, es ist ja auch schon spät."
Heero drückte einen kurzen Kuss auf den Schopf des Langhaarigen. „Und ich muss morgen früh raus," bestätigte er.
Heero hielt gespannt den Atem an. Duo könnte ihm jetzt entweder sagen das er doch nach Hause gehen sollte, oder aber ihn bitten hier zu bleiben. Aber nichts dergleichen geschah, Duo blieb stumm. Aber er kuschelte sich tiefer in die Umarmung, und das war genauso gut wie eine Einladung. Hier mit Duo zu liegen, war eh viel besser als Schlaf. Und wenn er morgen wie ein Zombie im Labor umherirren würde, dann wäre das ein geringer Preis, den er gern für dieses Privileg zahlte.
Nach einer weiteren Pause der Stille fragte Duo wieder, „Und du bist ganz sicher nicht reich?"
Heero gluckste. „Ganz sicher. Oh Mann, ich glaub du bist der einzige Mensch auf der Welt der Armut als Bedingung an seinen Partner stellt."
„Ich bin halt ungewöhnlich," gab Duo zu.
„Das kann ich bestätigen," lachte Heero wieder. „Aber keine Angst, ich bin wirklich nicht reich. Und du wirst diese Tatsache noch bereuen, wenn du mich andauernd zum Essen einladen darfst. Ich bin das ständige Mensaessen nämlich leid."
„Du isst wirklich in der Mensa?"
„Jeden Tag. In unseren Wohnheimen gibt es keine wirkliche Kochgelegenheit. Da bleibt mir nichts anderes übrig als die Mensa."
„Mein Held," kicherte jetzt Duo. „Hm, ich hab auch nicht genug Kohle um dich täglich auszuführen. Aber ich könnt für dich kochen."
Dieser Gedanke ließ ein angenehmes Gefühl in Heero entstehen. „Ich glaub das könnte mir gefallen," sagte er. Doch dann fiel im etwas ein. „Momentmal, Wufei hat behauptet du bist eine Katastrophe in der Küche. Du willst mich vergiften, hab ich recht?"
Das Kichern wurde lauter. „Ungerechtigkeit. Ich bin nur sehr kreativ in der Küche..." sagte er gespielt aufgebracht. „OK zugegeben ich bin nicht der beste Koch, schon gar nicht im Vergleich mit Wufei, aber ich hab es heute doch trotzdem geschafft etwas sehr heißes in der Küche zu fabrizieren."
Oh ja. Etwas unglaublich heißes. Heero errötete leicht bei dem Gedanken an das was sie heute in der Küche getan hatten. Die Erinnerungsfetzen kamen wieder und ihm wurde deutlich bewusst das er hier Duo in seinen Armen hielt. Hier auf dem Bett auf dem sie vorhin diesen heißen Sex gehabt hatten. Seine Erregung war wie auf Kommando wieder zurückgekommen, zusammen mit ein paar Ideen was sie hier sonst noch machen könnten.
Seine Hand begann langsam Duos Rücken und Po zu liebkosen. Nicht drängend, nein. Er würde nichts überstürzen. Aber falls Duo die gleichen Ideen hatte, dann würde er sich auch garantiert nicht dagegen sträuben.
Aber Duo war wohl noch zu sehr in der Unterhaltung gefangen. Er legte seine Hand auf Heeros Brust, stützte sein Kinn darauf aus und blickte Heero tief in die Augen. „Und dein Vater hat dich wirklich aus dem Haus geworfen als du 16 warst?" fragte er ungläubig.
Heero schloss für eine Sekunde gepeinigt seine Augen. Das war keine Sache an die er besonders gerne zurückdachte, und sie schaffte es seine Erregung wie auf Kommando verschwinden zu lassen. Und darüber reden mochte er noch weniger. Andererseits, hatte er vorhin nicht von Duo die Wahrheit verlangt? Hatte er nicht überlegt das sie sich gegenseitig alles Schlimme was ihnen widerfahren war erzählen müssten, damit es nicht zu weiteren Missverständnissen kommen konnte? Das bedeutete auch er würde seinen Mund aufmachen müssen.
Vielleicht wäre das auch gar nicht das schlimmste. Irgendwie würde es ihn und Duo wieder auf eine Ebene bringen, auch wenn seine Erlebnisse mit J. bei weitem nicht so schlimm waren wie das was Duo durchgemacht hatte.
„Das ist eine lange Geschichte," warnte er.
„Kein Problem, ich hör zur Abwechslung gerne mal dir zu," Duos wunderbaren Amethyste strahlten ihn an. Wie hätte Heero da stumm bleiben können?
„Hn. Ich hab das bisher erst zwei anderen Menschen erzählt," sagte Heero, versuchte so klar zu machen wie wichtig Duo ihm doch war. „Also ich glaub ich muss da etwas weiter ausholen. Mein Vater stammt aus einer alten, reichen Familie. Bei weitem nicht die gleiche Kategorie reich wie Quatre oder Treize, aber es reicht das J. – mein Vater – sich viel zu viel darauf einbildet. Und keine Panik, ich bin trotzdem nicht reich. J. hat sich völlig von mir losgesagt und ich würde sein Geld sowieso nicht einmal mit der Kneifzange anrühren."
„Weißt du was? Irgendwie finde ich das sympathisch," grinste Duo.
„Du bist wirklich merkwürdig, Maxwell," grinste Heero zurück. Erstaunlicherweise hatte der Langhaarige durch diesen einen Satz fast die gesamte Anspannung die in ihm herrschte abgebaut. „Weiter im Text. Mein Vater hat mich praktisch allein aufgezogen, meine Mutter ist gestorben als ich 3 Jahre alt war."
Duos Augen verdüsterten sich augenblicklich. „Oh das tut mir leid," flüsterte er.
Heero streichelte ihn kurz. „Nein muss es nicht. Ich kann mich selbst kaum an sie erinnern, ich weiß nur noch das sie mich geliebt hat. Ich wuchs eigentlich ziemlich normal auf. Abgesehen davon das ich nicht zu der besonders sozialen Sorte Mensch gehörte und lieber für mich allein war. Ich kann nicht mal sagen das J. mir besonders viel Gefühl gegenüber gebracht hat, das ist einfach nicht seine Art. Aber ich hatte schon den Eindruck das er mich mochte, ich war schließlich sein 'Kronprinz' und er hat überall stolz mit mir angegeben.
Hn. Irgendwann merkte ich das ich anders war als die anderen. Mädchen ließen mich kalt. Ich gestand mir ein, das ich auf Jungs stand. Ich weiß auch nicht mehr genau warum ich es J. unbedingt erzählen musste. Vielleicht weil ich einfach mit jemandem darüber reden wollte und ich keine Freunde hatte denen ich das beichten konnte. Außerdem bin ich eigentlich ein ziemlich ehrlicher Typ, ich kann solche Geheimnisse nicht besonders lang für mich behalten, das fühlt sich irgendwie nicht richtig an.
Na ja, kurz nach meinem 16 Geburtstag hab ich das also meinem... J. erzählt. Und er ist völlig ausgerastet," ein Erinnerungsblitz mit J.'s ärgerlichem Gesichtsausdruck peinigte Heero. „Ich kann dir gar nicht sagen was er mir alles an den Kopf geworfen hat, aber es war schlimm. Er hat mich beschimpft, hat meine Mutter beschimpft – weil 'das' konnte ja nur von ihrer Seite der Familie kommen – hat verlangt das ich das zurücknehme und hat was von Therapie gemurmelt damit ich wieder normal werde."
Duo konnte nicht mehr länger schweigen. „Bitte? Was ist das denn für ein Idiot? In welchem Jahrhundert lebt der bitte schön?"
„Frag lieber in welchem Paralleluniversum der lebt. Das ganze war ziemlich unschön. Und es war das erste Mal das ich ihm nicht nachgegeben hab. Vorher war ich immer der brave, fügsame Sohn gewesen, diesmal hab ich nicht nachgegeben. Das hat J. wohl nur noch weiter verwirrt. Die ganze unschöne Sache endete damit, das er mich aus dem Haus geworfen und behauptet hat das ich nicht sein Sohn sein könne. Sein Fleisch und Blut würde niemals so krank sein. Ich solle es auch nie wieder wagen zurückzukommen, er würde mich wie einen räudigen Hund davon jagen, was anders würde ich sowieso nicht verdienen."
Duo schluckte schwer. „Das kann doch nicht sein. Verdammt es gibt Gesetze. Wie kann er es wagen? Ich hoffe du hast ihm die Hölle heiß gemacht."
Ein kurzer trauriger Lacher entkam Heero. „Das hätte ich vielleicht, wenn ich in dem Moment klar hätte denken können. Ich bin einfach nur davon gerannt. Ich war völlig fertig. Ich konnte nicht verstehen das mein... Vater mich so behandeln konnte, mich plötzlich verleugnete. Meine ganze Welt ist in den Augenblicken zusammen gebrochen."
Duos andere Hand war wie durch Zauberei unter Heeros Hemd gekrochen und streichelte jetzt beruhigend seine Seite auf und ab. „Das kann ich verstehen. Und was ist dann passiert?"
„Hn. Ich bin zwei, drei Tage völlig ziellos durch die Gegend gelaufen. Ich hatte keine Freunde zu denen ich hätte gehen können, darum hab ich mich mit dem bisschen Geld das ich bei mir hatte mehr schlecht als recht durchgeschlagen. Besonders toll war das ganze nicht."
Das erntete ein ehrliches Kichern von Duo. „Du armes verwöhntes, reiches Balg. Ich hätte wohl länger als drei Tage ausgehalten. Bist du dann zumindest zu den Behörden gegangen und hast diesen Arsch auseinander nehmen lassen?"
Heero küsste ihn wieder kurz auf die Stirn. „Es kann ja nicht jeder so straßentauglich sein wie du. Nein, ich bin immer noch nicht zu den Behörden gegangen. Aber mir war klar das es so nicht weiter gehen konnte. Und ich konnte zum Glück endlich wieder halbwegs klar denken. Deshalb bin ich dann zu Sally gegangen."
Heero sah das Duo seine Augenbraue fragend erhob. „Sally war eine gute Freundin von meiner Mutter, deshalb wurde sie auch meine Patentante. Wohl sehr zum Leidwesen von J. der sie nicht ausstehen konnte. Aber ich hab Sally schon immer gemocht. Und sie hat mich mit offenen Armen aufgenommen.
Nicht nur das, sie war auch völlig empört über das was J. da mit mir getan hat. Wie eine Furie ist sie auf ihn losgegangen, hat ihm ein paar Wahrheiten an den Kopf geworfen und verlangt das er sich wieder als Vater um mich kümmert."
Duo streichelte besänftigend weiter. „Sie hört sich cool an."
Heero lächelte sekundenkurz. „Ja, das ist sie. Leider hatte sie keinen Erfolg. J. hat auf stur geschaltet. Und wieder behauptet das ich nicht sein Sohn sein könnte. Hat die ungeheuerlichsten Dinge über Mutter behauptet und gesagt, das wenn ich Freak auch nur einen Pfennig von ihm wolle, ich vor Gericht gehen müsse. Und das seine Anwälte dann alle dunklen Geheimnisse über meine Mutter und mich aufdecken würden. Ich war so wütend. Ich mein, da stand der Mann den ich all die Jahre geliebt und geachtet hab, und hat mich so behandelt. Ich war nur froh das Mutter das nicht mehr erleben musste."
Duo war wieder – oder immer noch – wütend. „So ein Arschloch. Ich hoffe ihr habt ihm die Hölle heiß gemacht."
Heero schüttelte den Kopf. „Nein."
„Seid ihr verrückt. Ein einfacher Test würde doch schon beweisen dass das Schwein gelogen hat. Und so leicht sollte sich niemand aus der Verantwortung ziehen dürfen. Ihr hättet ihn bezahlen lassen sollen."
„Sally wäre auch in den sprichwörtlichen Kampf gezogen. Sie ließ sich nicht von einer Horde Anwälte einschüchtern. Aber ich wollte nicht. Sicher der Test hätte alles bewiesen, aber zunächst hätte der Mutter vor Gericht durch den Schmutz gezogen. Und außerdem wollte ich wirklich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich hätte mich schlecht dabei gefühlt sein Geld zu nehmen, es wäre dreckiges Geld gewesen."
„Ich weiß nicht, du hast ihn viel zu leicht davon kommen lassen."
„Vielleicht, aber damals wollte ich einfach von der ganzen Sache nichts mehr wissen. Sally hat gesagt das sie mich bei jeder Entscheidung unterstützt. Als ihr klar wurde das ich mit J. nichts mehr zu tun haben wollte, hat sie ihn dazu gebracht ihr das Sorgerecht für mich zu übertragen. Dafür musste ich unterschreiben das ich nichts von seinem Geld haben oder erben wolle. Ich hab das gerne unterschrieben, dadurch das Sally das Sorgerecht hatte, war ich vor möglichen "Therapien" sicher, falls J. doch noch einfiel mich zum normal-sein bekehren zu wollen."
„Aber so ein Vertrag kann doch nicht rechtsgültig sein."
„Wahrscheinlich nicht, aber das ist mir egal. Das Thema J. ist für mich absolut abgeschlossen. Ich scheinbar auch für ihn. Nicht mal ein Jahr nach der Sache war er wieder verheiratet und Vater von Zwillingen. Ich hoffe das seine neuen Söhne ihm besser gefallen." Heero konnte trotz aller Versuche es nicht verhindern das sich eine tiefe Bitterkeit in seine Stimme geschlichen hatte.
Duo schloss kurz seine Augen. „So ein Schwein ist es erlaubt noch einmal Vater zu werden? Manchmal ist die Welt echt wahnsinnig. Und was ist dann passiert?"
„Hn. Ich war für die nächsten Wochen völlig unter Schock. Wirklich mein ganzes Leben hatte sich verändert. Nicht nur das ich nicht mehr bei J. wohnte, ich ging plötzlich auch auf eine andere Schule – Sally konnte sich die hohen Gebühren der elitären Privatschule nicht leisten. Zwar hatte ich da keine besonderen Freunde gehabt, aber meine gewohnte Umgebung war trotzdem auf einen Schlag verschwunden.
Und nachdem ich diesen ersten Schock verkraftet hatte, bekam ich plötzlich Schuldgefühle Sally gegenüber. Denn jetzt hatte sie mich auf den Hals und musste für mich sorgen. Ich bekam die dumme Idee die Schule hinzuschmeißen um Geld zu verdienen.
Zum Glück hat Sally das verhindert. Sie hat mir sogar verboten neben der Schule zu jobben. Sie sagte mir der einzige Weg mich an J. zu rächen, wäre in meinem Leben Erfolg zu haben. Und damit hat sie recht. Es war immer für mich geplant gewesen das ich später an dieser Uni studiere. Und ich hab es jetzt auch ohne J. geschafft. Weil ich gut bin. Mir musste mein Platz dort nicht von meinem Papi durch generöse Spenden erkauft werden, wie bei Treize. Es ist zwar nicht einfach, weil das Stipendium nicht alles abdeckt, aber ich werde auch noch die letzten eineinhalb Jahre überstehen. Und dann stehen mir mit meinem Abschluss alle Türen offen. Mir, dem Freak."
„Schöne Rache," stimmte Duo zu. „Hast du... hast du J. danach noch einmal gesehen?"
„Ein einziges Mal. Kurz nachdem ich mein Studium angefangen habe, ist er plötzlich aufgetaucht. Einer seiner Freunde hatte ihm wohl berichtet das ich da jetzt studier, und das ich – oh Schreck – keinen Hehl daraus mach schwul zu sein. Er kam um mir ein Geschäft vorzuschlagen. Ich solle den Namen Yuy ablegen. Dann würde er mir woanders einen Studienplatz besorgen. Dafür würde er alle Kosten übernehmen und mir auch sonst noch ein erkleckliches Sümmchen geben."
„Du hast ihn doch wohl hochkant heraus geworfen, oder?"
„Aber natürlich. Zwar liegt mir im Grunde gar nichts mehr an seinem Namen, ich würde viel lieber den von Mutter oder den von Sally tragen. Aber allein um ihn damit zu ärgern, werde ich ihn tragen. Ich war auch nicht mehr so leicht zu erschüttern wie damals als Teenager und hab ihm gesagt, wenn er mich weiter belästigen würde, dann würde er schon sehen was er davon hätte, das es ihm doch sicher noch weniger gefallen würde seinen 'guten' Namen durch einen Schlammschlacht-Prozess gezogen zu bekommen... Na ja er ist dann schnell gegangen und hat mich nie wieder belästigt."
Für eine Weile lagen sie beide wieder still da. Dann fing Duo doch mit dem sprechen an. „Du hast vorhin gesagt das du nur zwei Leuten bisher davon erzählt hast. Wem?"
„Sally natürlich und Quatre."
„Dann bin ich ja wirklich in illusterer Gesellschaft," schnaubte Duo und kräuselte dabei seine Nase.
Weil es ihm soviel Spaß machte, küsste Heero ihn wieder auf die Stirn. „In sehr exklusiver Gesellschaft," bestätigte er.
Das Schweigen zwischen ihnen kehrte wieder. Aber es war ein angenehmes Schweigen. Heero genoss weiter das unglaubliche Gefühl Duo in seinen Armen zu haben und versuchte die letzten dunklen Geister der J. Geschichte zu vertreiben.
„Weißt du, ich glaub wir machen irgendwas verkehrt," sagte Duo plötzlich.
„Was meinst du mit verkehrt?" fragte Heero erschreckt.
„Na ja, bisher dachte ich immer das man sich am Anfang einer Beziehung eher die netten Sachen sagt. Und erzählt welche Lieblingsfarbe man hat, welche Bücher und Filme man mag. So ein Zeug halt. Ich habe noch nie gehört das man sich gleich am ersten Abend so tiefe Geheimnisse anvertraut."
Eigentlich konnte Heero dem nur zustimmen. Aber es hatte sich richtig angefühlt diese Dinge zu hören und zu erzählen. „Vielleicht hast du Recht. Aber ich glaub bei dem Beginn unserer Beziehung ist so gut wie nichts normal verlaufen. Da wäre es fast zu banal um über solche Dinge wie Lieblingsfarben zu reden. Außerdem kann es nicht schaden diese bösen Erinnerungen jetzt gleich auf den Tisch zu bringen, immerhin waren die schon für ein riesiges Missverständnis verantwortlich."
„Was heißt hier banal?" grinste Duo. „Das sind wichtige Informationen, die man einfach wissen muss! Ich würde gern erfahren was für politische Ansichten du hast. Und falls du rosa magst oder Tom Cruise, dann kann nie etwas aus uns werden. Es gibt gewisse Dinge, die kann ich einfach nicht tolerieren, bei so was ist eine Beziehung ausgeschlossen."
Unwillkürlich musste Heero lachen. „Aha, du hast also noch weitere Bedingungen außer 'nicht reich sein'. Also lass mich mal überlegen. Ich nehme stark an das wir politisch ziemlich auf der gleichen Welle schwimmen. Und was rosa betrifft, ich hasse diese Farbe, die ist nur dazu gut einem die Sehnerven abzutöten. Zu Tom Cruise muss ich sagen..."
„Sag jetzt nur nichts falsches," warnte Duo grinsend.
„Tja zu Tom Cruise fällt mir ein das ich sehr lange darüber nachgrübeln muss um einen Schauspieler zu benennen den ich noch schrecklicher finde als diesen laufenden Meter. Und was sagt dir das jetzt?"
„Das wir einfach perfekt zusammen passen. Wir sind wie geschaffen für einander."
„Weil wir die gleiche Farbe und den gleichen Schauspieler verabscheuen?" fragte Heero. Aber ihm war klar, dass das perfekt zusammen passen eher darauf gemünzt war das sie beide ihre Geheimnisse geteilt hatten und einander verstanden.
„Jup. Es wurden schon Beziehungen auf weniger Gemeinsamkeiten gegründet."
Heero musste wirklich lachen bei diesem absurden Gedanken. „Wirklich?"
„Wirklich. Wirklich."
In einem Moment strahlte Duo noch, doch schon im nächsten war sein Lächeln plötzlich verschwunden. „Das heißt, du willst doch eine Beziehung, oder?" fragte er mit einem besorgten Unterton.
Heero konnte trotz der Ernsthaftigkeit der Frage ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Aber natürlich will ich das. Warum sonst sollte ich hier bei dir sein? Deiner Geschichte mit Treize lauschen und meine eigene Seele vor dir entblößen? Ich will dich. Und das am liebsten für immer. Wie kannst du das nur in Frage stellen?"
Duo sah recht unglücklich drein. „Ich kann das ganze noch nicht so richtig begreifen. Ich mein, ich hab dir vorhin so wehgetan. Ich muss doch schrecklich anstrengend sein. Wie kannst du mich nur wollen?" nach diesen Worten versteckte Duo sein Gesicht an Heeros Brust.
Heeros Hand, die an Duos Zopf spielte zog sanft daran um Duo dazu zu bewegen seinen Kopf wieder zu heben. „Ich will ehrlich mit dir sein Duo. Das heute war emotional betrachtet die schlimmste Achterbahnfahrt die ich je mitgemacht hab. Meine Gefühlswelt hat noch nie derartige Hochs und Tiefs erlebt. Aber insgesamt betrachtet war es nur positiv. Ich hab schon lange nicht mehr soviel Glück empfunden wie heute in den wenigen Stunden. Und das trotz all der bösen Augenblicke. Ich will das nie mehr missen. Auch wenn ich ganz zufrieden damit wäre, wenn wir einfach für die nächste Zeit nur glücklich wären, so ungefähr für die nächsten 50 Jahre."
Duo wollte sich wieder wegdrehen. „Ich versteh nicht was du an mir findest."
„Was ist das, Duo? Fishing for compliments? Du bist der schönste Mann dem ich je begegnet bin und der interessanteste. Ganz davon zu schweigen das der Sex mit dir schlicht umwerfend war. Du bist so voller Leben und wie eine Motte vom Licht werde ich total von dir angezogen. Eigentlich ist es eher anders herum. Ich versteh nicht was du an mir findest. Ich komm nicht gut mit Leuten aus – außer Quatre hab ich keine Freunde. Ich bin zu still und zu vertieft in meine Arbeit. Damit hab ich bisher noch jeden von mir getrieben."
Duo sah ihn erstaunt an. „Davon das du still sein sollst, hab ich aber noch nicht viel bemerkt."
„Hn. Heute ist nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Normalerweise sage ich selten etwas anderes als 'Hn'."
„Ist das überhaupt ein offizielles Wort?" neckte Duo.
„Hn."
„OK, OK," Duo lächelte wieder, was Heero zufrieden zur Kenntnis nahm. „Du bist also der schweigsame Typ. Kein Problem. Dann werde ich den größten Anteil an unseren Gesprächen ausfüllen. Macht mir nichts aus. Ich rede gern."
„Also DAS war mir schon vorher bewusst."
„Was willst du damit sagen?"
„Na vorhin als du mir das erste mal begegnet bist, da hast du fast 5 Minuten ohne Luft zu holen vor dich hingebrabbelt. Und dich dabei sogar darüber beschwert das dir dein einer Nachbar das Ohr abgekaut hat," lachte Heero.
„Pft, üble Verleumdung," lachte auch Duo.
„Also sind wir uns jetzt einig, das wir zwei zusammen passen und auch zusammen gehören wollen?"
Duo schien nicht einmal eine hundertstel Sekunde nachdenken zu müssen, bevor er Heero die Frage mit einem tiefen Zungenkuss beantwortete.
Heero konnte sein Glück nicht fassen. Er und Duo waren jetzt ein Paar. Und er würde den Langhaarigen nie wieder loslassen. Soviel Glück würde er niemals wieder im Leben haben.
Aber noch eine Sache nagte an ihm. Er wusste das Duo vorhin nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Da musste noch mehr mit Treize vorgefallen sein. Aber konnte er es wagen danach zu fragen? Andererseits, konnte er es wagen nicht danach zu fragen? Was wäre wenn seine Unkenntnis irgendwann zu einem weiteren Missverständnis führen würde? Ob sie das dann auch so leicht beheben könnten wie das von heute?
Aber ihm war auch nicht wohl dabei Duo so sehr zu drängen. Es war dem Langhaarigen schon nicht einfach gefallen das zu erzählen was er erzählt hatte, wie würde er auf ein tieferes nachbohren reagieren? Es war eine schwierige Entscheidung. Doch dann nahm Heero all seinen Mut zusammen.
„Duo, jetzt wo wir uns einig sind das wir zusammen gehören – willst du mir nicht doch sagen was Treize bei der Trennung getan hat?"
