Kapitel 2
Jahr 0, Tag 88, Erde
Die Türen des Fahrstuhles öffneten sich und Karl blickte gegen eine Holzwand. Sie war drei Meter von ihm entfernt und sah ziemlich alt aus. Als er genauer hinsah, sah er, dass die Wand nicht bis zur Decke reichte, sondern nur zwei Meter hoch war und dann endete.
„Was ist das?"
„Eine Holzwand.", antwortete Meister Neudorf mit einem Grinsen, „Sie gehört zu einem alten Stall, den wir als Ausgang benutzen. Die ganze Reitanlage gehört uns und so können wir hier unauffällig ein und ausgehen."
Karl nickte. Niemand würde auf einem alten Reiterhof den Eingang zu solche einem Komplex vermuten. Es würde auch niemand darauf achten, wer den Stall verließ, er konnte die Kinder und Eltern auf der Anlage spüren, wie sie die Pferde ritten, im Heu spielten oder sich gegenseitig um das Haus jagten. Es war perfekt. Wem würden hier zwei Fremde auffallen, die aus dem Stall kamen?
Meister Neudorf trug diesmal nicht die braune Jacke, die er zuletzt getragen hatte als Karl ihn in der Stadt (echten Welt) getroffen hatte. Er trug ein einfaches, schwarzes T-Shirt, schwarze Turnschuhe und Jeans. Karl hatte sich für ein blaues T-Shirt, eine lockere beigefarbene Stoffhose und schwarze Turnschuhe entschieden. Die Lichtschwerter hatten sie in ihren Rucksäcken verstaut. Im Notfall konnten sie, mit Hilfe der Macht, eine Naht am Boden öffnen und die Schwerter hinausfallen lassen, es würde keine Sekunde dauern, bis sie sie aktiviert in den Händen hielten.
Sie verließen den Stall und Karl blieb stehen. Er hatte fast drei Monate lang keine Sonne mehr gesehen, keine frische Luft mehr geatmet und keinen Wind an seiner Haut gespürt. Und heute hatte er alles drei im Extrem. Die Sonne schien und es herrschten ungefähr dreißig Grad Celsius, die Luft roch frisch, als wenn es gerade erst geregnet hätte und ein leichter Wind glitt über seinen Körper. Es war überwältigend. Intensiver war nur das Gefühl, das die Macht hier verströmte: Leben, Glück und Frieden, das war mehr als überwältigend. Karl fing an zu schwanken und Meister Neudorf musste ihn stützen, damit er nicht auf den Boden fiel.
„Es ist...", mehr brachte er nicht heraus, bevor seine Stimme brach.
„Ich weiß Karl, überwältigend. Merke dir dieses Gefühl, wenn wir in der Stadt sind. Merke es dir gut, denn du wirst es dort nirgends spüren. Geht es wieder?"
Karl nickte und Meister Neudorf ließ ihn los, nur langsam, falls er wieder stürzen würde, aber Karl blieb diesmal auf den Beinen.
„Dort entlang.", der Jedimeister zeigte auf ein großes Gebäude am andern Ende des Hofes, „Arlan erwartet uns."
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Jahr 0, Tag 88, Erde
Arlan war ein großer, muskulöser Asiat, der den Hof leitete. Als die beiden sich ihm näherten, drehte er sich von dem kleinen Jungen weg, dem er grade aufs Pferd half und reichte die Zügel an ein Mädchen weiter, das mit dem Pferd und dem Jungen langsam davon ging.
„Peter, du hast dich lange nicht mehr hier sehen lassen.", rief er Meister Neudorf entgegen und lächelte.
„Ich hatte zu tun."
Als die beiden voreinander standen umarmten sie sich kurz freundschaftlich und dann musterte er Karl skeptisch.
„Arlan, das ist Karl Silber. Mein neuer Schüler. Karl, das ist Arlan."
„Meister Arlan." Karl verneigte sich leicht und streckte ihm dann die Hand entgegen.
Arlan nahm sie nicht an, sondern brach stattdessen in tosendes Gelächter aus. Karl zog die Hand zurück und sah ihn verwirrt und sauer an.
„Hat dir das niemand erklärt, Kleiner? Ich bin kein Jedimeister, ich bin nicht einmal mehr ein Jedi. Ich habe den Job schon aufgegeben, lange bevor du geboren warst."
Die Wut war aus Karls Blick verschwunden und der totalen Verwirrung gewichen. Arlan konnte nicht älter als dreißig sein, maximal fünfunddreißig.
„Ich bin wesentlich älter als ich aussehe mein junger Freund.", er trat neben Karl und klopfte ihm auf die Schulter, „Lasst uns ins Haus gehen, damit ich euch auf den aktuellen Stand bringen kann."
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Jahr 0, Tag 88, Erde
Karl konnte nicht viel vom Haus sehen, aber der kleine Teil, den er sah, sah bäuerlich aus. Die Einrichtung war gut gewählt.
Arlan dirigierte sie direkt zu einem kleinen Nebenraum. Und fing ohne Umschweife an, zu erzählen.
„In den letzten drei Monaten sind die Sith aktiver geworden. Sie haben viele kriminelle Untergrundorganisationen aktiv werden lassen. Banküberfälle, Geiselnahmen und Bombenanschläge sind mittlerweile ein recht bekanntes Bild. Die Leute haben Angst, weil die Polizei sie nicht schützen kann.
Es scheint so, als wenn die Sith sauer wären. Irgendwas muss ihre Anführer in Rage versetzt haben, denn so aktiv sind sie normalerweise nicht. Bis vor dreizehn Studen haben sie nur machtunbegabte Leute eingesetzt, aber das hat sich jetzt geändert.
Ein Sith hat sich zusammen mit einigen Geiseln auf einem U-Bahnhof verschanzt. Ich habe es geschafft die Tunnel einstürzen zu lassen. Der Sith ist also gefangen. Aber die Polizei hat keine Chance an ihn ran zu kommen."
„Woher wissen wir, dass es sich um einen Sith handelt?"
„Ein SEK-Team hat versucht den Bahnhof zu stürmen. Die eine Hälfte hat er mit Machtblitzen getötet, noch bevor sie die Treppe hinunter gekommen waren. Die andere Hälfte hat er mit seinem Lichtschwert in Stücke gehackt und die Überreste mit einem Machtstoß hinausgeschleudert."
Karl wurde blass bei der Vorstellung. Ein ganzes SEK-Team... War ein einzelner Sith so mächtig?
„Wa... was sollen wir tun?", fragte Karl zögernd. Er ahnte es, aber er wollte es hören.
„Ihr, mein Kleiner, sollt den Sith töten.", sein Tonfall klang sachlich, aber trotzdem schwang ein Unterton von Amüsiertheit mit, für den Karl ihn am liebsten zusammengeschlagen hätte.
„Warum erfahren wir erst jetzt davon?", fragte stattdessen Meister Neudorf.
„Weil niemand wusste, ob es sich wirklich um einen Sith handelt. Das hat sich erst heute Morgen herausgestellt. Eigentlich solltet ihr nur heraufgeschickt werden, um die Sithzentrale in der Stadt zu finden."
„Weiß der Rat, dass du uns zu dem Sith schickst?", seine Stimme klang neugierig.
„Was denkst du? Natürlich nicht, sie hätten eine solche Aktion niemals gestattet."
Meister Neudorf seufzte. „Wieso habe ich das geahnt? Also, welcher U-Bahnhof ist es und wie sollen wir an der Polizei vorbeikommen?"
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Jahr 0, Tag 88, Erde
Aus dem persönlichen Tagebuch von Jedimeister Karl Silber:
Ich habe ein komisches Gefühl. Wir sollen einen Sith töten und ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin... Einen Menschen zu töten ist, wie soll ich sagen... Nichts was ich mir je vorgestellt habe zu tun.
Und ich habe Visionen. Seit wir im Auto sitzen habe ich sie. Ich sehe ständig eine verbrannte Hand vor meinen Augen. Die Haut ist vollständig verbrannt, das Fleisch darunter schwarz verkohlt. Es wirkt so echt. Manchmal kann ich es sogar Riechen. Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat, aber es macht mir Angst. Schreckliche Angst.
Ich habe Meister Neudorf nichts davon erzählt, er würde mich wahrscheinlich für verrückt halten. Er fährt den Wagen. Und der Wagen... ich weiß nicht ein mal, was für ein Model das ist. Es stand kein Firmenlogo an irgendeiner Seite und die Amarturen sehen auch nicht normal aus. Es gibt viel zu viele Knöpfe und Displays. Ich schätze, es handelt sich um eine Spezialanfertigung der Jedi, oder Arlans.
Wir sind jetzt fast da, ich muss also aufhören zu schreiben.
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Jahr 0, Tag 88, Erde
Vor ihnen befand sich eine Poliziesperre. Sie hatten die Straße zum U-Bahnhof Neukölln abgesperrt. Meister Neudorf hielt den Wagen vor der Absperrung an. Einer der Polizisten kam auf sie zu und deutete ihm an, das Fenster herunter zu kurbeln.
„Sie können hier nicht weiterfahren."
Meister Neudorf griff in seine Tasche und holte den Ausweis hervor, den Arlan ihm gegeben hatte. Der Polizist musterte ihn kurz, dann winkte er sie weiter und sprach in ein Mikrofon, dass er in der Hand hielt.
„Meister, was stand auf dem Ausweis?"
„Dass ich zu Armee gehöre und den Rang eines Generals bekleide. In den letzten Wochen hat die Armee einige Aufgaben der überlasteten Polizei übernommen."
Sie fuhren weiter auf den U-Bahnhof zu und hielten vor dem ersten Eingang an. Überall um den Eingang standen Polizisten und zielten auf die Treppe. Weiter vorne war der Fahrstuhl erkennbar. Oder das was von ihm übrig war. Er war in sich zusammengestürzt. Die beiden Jedi verließen das Auto und wurden direkt vom Einsatzleiter in Empfang genommen.
„General.", Er salutierte kurz, „Wir haben ehrlich gesagt mit mehr Unterstüzung gerechnet.", Er musterte sie skeptisch, „Warum wurden uns nicht mehr Männer geschickt?"
„Wir sind hier, leben Sie damit oder gehen Sie."
Der Einsatzleiter hatte ruhig gesprochen. Meister Neudorf klang wütend. Karl griff mit der Macht nach ihm, konnt aber keine Wut spüren.
Er spielt seine Rolle gut.
„Was sollen zwei Männer bitte ausrichten? Ich habe zwei komplette SEK-Teams verloren und Sie schicken mir zwei Männer. Ich habe ein GSG9 Team angefordert.", jetzt war der Einsatzleiter an der Reihe wütend zu klingen.
„Ein GSG9-Team würde Ihnen auch nicht mehr einbringen als ihre SEK-Teams. Wir sind besser für den Job geeignet."
Mit diesen Worten drehte er sich nach rechts und marschierte auf die Treppe zu.
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Jahr 0, Tag 88, Erde
Der Bahnhof sah noch genauso aus, wie nach dem großen Umbau vor drei Jahren. Weiße mit Grafitti Wände führten die Treppe hinunter. Nur dass sie jetzt nicht nur von Grafiti verziert war, sondern auch von Brandspuren der Machtblitze. Die Decke des Bahnhofs wurde von drei, ebenfalls weißen Säulen gehalten zwei Säulen auf ihrer Seite, eine auf der anderen. Anstelle einer vierten Säule gab es in der Mitte einen Fahrstuhl. Auf der anderen Seite kauerten ungefähr sechzig Menschen vor einem dunklen Treppenaufgang. Der Zugang war verschüttet.
„Meister, wo ist der Sith?"
„Ich weiß es nicht, aber er muss hier sein, ich kann ihn spüren."
Karl spürte ihn auch. Eine dunkle, hasserfüllte Präsenz, der ganze Bahnhof war von seinem Hass erfüllt. Aber es ging noch weit mehr als nur Hass von ihr aus, Macht. Der Sith war mächtig.
Hinter der zweiten Säule bewegte sich etwas, aber bevor einer der beiden Jedi reagieren konnte traf eine Welle von Machtblitzen Meister Neudorf und schleuderte ihn nach hinten gegen den ersten Pfeiler. Die Wucht reichte aus, um eine Delle in den Pfeiler zu schlagen und Staub von der Decke regnen zu lassen. Der Sith trat hinter dem Pfeiler vor und dreht sich zu Karl.
„Ein Schüler, wie niedlich.", Spott klang aus seiner Stimme, Spott und Verachtung, „Dein Meister ist tot und nun bist du dran."
Wieder bildeten sich Energieblitze um die Finger des schwarz gekleideten Mannes (er kann nicht tot sein, er kann nicht), aber bevor er sie entladen konnte schlug Karl mit der Macht nach ihm. Der Sith wurde nach hinten geschleudert, schlug gegen die Wand und fiel auf die Schienen. Der Schlag war nicht so mächtig gewesen, wie der den Meister Neudorf abbekommen hatte, aber er reichte aus, um den Sith kurz benommen zu machen. Karl sprang hinter dem Sith auf die Schienen als dieser sich langsam wieder aufrappelte.
Er zündete sein Lichtschwert und schlug nach dem Sith, aber sein Schlag kam nie an. Der Sith drehte sich mit einer Geschwindigkeit die Karl sich nie hätte vorstellen können und trat ihn mitten auf die Brust. Das Lichtschwert fiel zu Boden und ging aus. Noch bevor Karl wieder vollständig auf den Beinen war schlug ihm eine Welle an Machtblitzen entgegen. Ohne nachzudenken hielt er seine rechte Hand nach vorne. Die Blitze sammelten sich an seiner Hand, kräuselten sich um sie und verbrannten seine Haut.
Meine Vision, das war es.
Karl spürte wie sich sein Körper mit Energie füllte, mehr und mehr, desto länger der Sith mit seinen Blitzen auf die ausgestreckte Hand einschlug. Nach zwanzig Sekunden hörten die Blitze auf. Karls Sicht war nur noch verschwommen, aber er konnte den Sith vor ihm auf die Knie sinken sehen. Aber die Schwäche schien nur kurz zu dauern, der Sith war fast sofort wieder auf den Beinen.
„Beeindruckend kleiner Jedi, aber ich habe deinen Meister getötet und jetzt folgst du."
Das letzte Wort schrie der Sith förmlich heraus und sprang gleichzeitig auf Karl los.
„ER – IST – NICHT – TOT!"
Karl bebte noch immer vor dunkler Energie, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden was er tat, entlud er diese Energie.
Ein einzelner, blauer Energiestrahl schlug aus seiner verkohlten Hand, mitten in die Brust des Sith - und durch sie hindurch. Der Sith wurde fast sofort in der Luft gestoppt und nach hinten geschleudert, den Energiestrahl entlang.
Karl wurde es schwarz vor Augen, das letzte was er sah, bevor er ohnmächtig wurde, war wie der Sith gegen die Decke prallte und tot nach unten fiel.
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Jahr 0, Tag 90, Erde
Aus dem persönlichen Tagebuch von Jedimeister Karl Silber:
Meiner Hand scheint es schon wieder besser zu gehen, zumindest hat Meister Arlan, nur Arlan, er ist ja kein Jedi mehr, das behauptet. Sie ist dick in Verband eingewickelt und pocht die ganze Zeit darunter. Ich kann nur hoffen, dass sie wieder verheilen wird.
Ich habe Arlan gefragt, was mit meister Neudorf ist, er hat mir nicht geantwortet, sondern schnell woanders hingesehen. Ich befürchte fast der Sith hat mich nicht belogen, aber wie kann das sein? Ich konnte die Machtblitze mit einer Hand aufhalten und Meister Neudorf soll durch sie gestorben sein? Das macht keinen Sinn.
Arlan hat mich gefragt, was im U-Bahntunnel passiert ist. Ich habe ihm alles erzählt, so gut ich konnte, er hat mich auch gefragt, was mit dem Sith passiert ist. Ich wusste es nicht, irgendwie ist dieser Teil aus meinem Gedächtnis verschwunden. Ich weiß noch, wie ich die Machtblitze gestoppt habe, aber danach ist alles schwarz.
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Jahr 0, Tag 91, Erde
Aus dem persönlichen Tagebuch von Jedimeister Karl Silber:
Meister Neudorf ist tot. Arlan hat es mir vor ein paar Stunden gesagt. Anscheinend hat sein Aufprall an dem Pfeiler seine Wirbelsäule zerschmettert und Knochensplitter quer durch seinen Körper gejagt. Bis gestern hat Arlan wohl noch versucht ihn zu heilen, aber keinen Erfolg gehabt. Ich
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Jahr 0, Tag 91, Erde
Karl legte das Buch beiseite. Er konnte nicht mehr schreiben. Die letzte Seite war voll mit Tränen und er weinte noch immer.
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Jahr 0, Tag 107, Erde
Aus dem persönlichen Tagebuch von Jedimeister Karl Silber:
Gestern wurde Meister Arlan zu meinem neuen Meister ernannt. Er hat eine halbe Stunde mit dem Rat gesprochen und trägt nun wieder den Rang eines Jedimeisters.
Nachdem er aus dem Ratssaal kam, wurde ich hineingerufen.
Meister Gutschnuk sprach mir sein tiefstes Mitgefühl aus und fragte mich, ob ich damit einverstanden sei, wenn Arlan mich von nun an weiter unterrichtete. Natürlich war ich einverstanden, er hatte mich in den letzten sechzehn Tagen ja sowieso schon weiter unterrichtet. Hauptsächlich Heiltechniken, damit ich die Heilung meiner Hand beschleunigen konnte.
Meister Dearborn sagte nichts, aber ich konnte in ihren Augen Bewunderung sehen. Ihre Augen sind einfach unglaublich, so groß und dennoch weise, auf eine gewisse Art. Auch die Scheu, die sie beim letzten Mal gezeigt hatte war weg. Ich glaube, sie mag mich. Vielleicht sollte ich sie mal zum Essen einladen.
