Ein unangenehmer kalter Ostwind blies über das Hogwartsgelände, als James sich auf den Weg zum Quidditchfeld machte. Er hatte seinen Besen geschulterte und zog seinen Umhang fester um sich. Zumindest sah es nicht nach Regen aus, aber wenn es schon hier unten so kalt war, wie würde es dann erst oben in der Luft sein?
Doch das Training war wichtig, in einer Woche hatten sie ein wichtiges Spiel gegen Ravenclaw und wenn Gryffindor dieses Jahr wieder den Quidditch-Pokal gewinnen wollten, dann mussten sie sich ranhalten.
Er lief über die Wiese in Richtung Quidditch-Feld, sein Blick glitt über das Gelände und blieb an einer Person hängen, die unten am See auf einem großen Stein saß. Er blieb stehen und blickte hinüber, die Person hatte langes rotes Haar, das im Wind leicht flatterte. James war einen Blick auf seine Uhr er hatte noch ein paar Minuten Zeit, bis das Training anfing. Kurz entschlossen drehte er sich um und lief hinunter zum See, in letzter Zeit verstand er sich mit Lily sehr gut. Sie beide führten immer wieder nette freundschaftliche Gespräche miteinander und natürlich ging ihm ihr Kuss auf seine Wange nicht aus dem Sinn, mit dem sie sich bei ihm für ihre Rettung im Wald bedankt hatte. Eigentlich wollte er sie immer wieder fragen, ob sie nicht mit ausgehen wolle, doch James hatte das Gefühl dass es besser war damit noch ein bisschen zu warten, im Augenblick wollte er Lilys Freundschaft nicht verlieren.
„Hallo Lily", sagte er, als er jetzt bei ihr angekommen war. Lily drehte ihm kurz den Kopf zu.
„Hallo James", sagte sie rasch und wandte das Gesicht schon wieder ab.
James überlegte kurz, dann setzte er sich neben sie auf den Stein. Ihr langes, rotes Haar verdeckte ihr Gesicht.
„Was machst du hier?", fragte er.
„Nichts besonders, ich denke nur nach", antwortete Lily leise.
Etwas in ihrer Stimme und an ihrer verkrampften Haltung sagten James, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Ist alles in Ordnung Lily?"
Lily nickte stumm. James blickte auf ihre Hand und sah, dass sie ein zerknülltes Stück Pergament fest mit der Faust umschloss.
„Du hast doch irgendwas", sagte James vorsichtig und ließ keine von Lilys Regungen aus den Augen.
„Nein, es ist...nichts", flüsterte sie und dann ganz plötzlich schluchzte sie leise, sie hob ihre Hand und versuchte offensichtlich eine Träne von der Wange zu wischen.
„He, Lily. Was ist denn?", James berührte sanft ihren Arm.
Jetzt endlich hob sie den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen waren rotgeweint und Tränen rollten über ihre Wangen, sie biss sich auf die Unterlippe, um ein weiteres Schluchzen zu unterdrücken. Sie schüttelte nur stumm den Kopf. James schluckte, er wollte sie in seine Arme ziehen und trösten, was war nur passiert?
„Sag was passiert ist Lily. Wir sind doch inzwischen Freunde, oder nicht?", James streichelte ihr aufmunternd über den Unterarm.
„Es ist... es ist nicht so wichtig. Nur...nur Familienprobleme", stammelte Lily und deutete auf den zerknüllten Brief in ihrer Hand.
„Hast du Ärger mit deinen Eltern?"
Doch Lily schüttelte energisch den Kopf: „Nein, das ist es nicht. Mit meinen Eltern ist alles in Ordnung... Es ist nur... meine Schwester Petunia..."Und wieder brachen jetzt Tränen aus ihren Augen hervor und sie konnte eine Schluchzer nicht unterdrücken.
James überlegte diesmal nicht lange, er legte den Arm um sie und Lily ließ sich auf den Trost ein, sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, während ihr Körper unter ihrem Schluchzen bebte. James fuhr ihr tröstend mit der Hand sanft über den Rücken.
„Psst, beruhige dich Lily. Bestimmt wird alles gut!", flüsterte er leise.
Lily weinte noch ein paar Minuten, dann schob sie sich plötzlich von ihm weg und wischte mit dem Handrücken, die Tränen aus ihrem Gesicht und begann wie von selbst zu erzählen.
„Seit ich meinen Hogwartsbrief bekommen habe, verstehen Petunia und ich uns nicht mehr so gut. Sie hat es nie verkraftet, dass ich eine Hexe bin. Ich weiß noch, wie meine Eltern sich gefreut haben, als sie es hörten, aber Petunia... Petunia hat mit seither immer als etwas unnormales betrachtet. Sie schämt sich meiner, sie empfindet es als eine Schande, eine Schwester zu haben, die eine Hexe ist...." Lily schniefte erneut und James legte wieder den Arm um ihre Schulter. „Aber deswegen weine ich nicht. Ich meine ich habe mich damit abgefunden, dass Petunia in mir eine Art Freak sieht, wie sie es ausdrückt. Doch...doch seitdem Petunia mit Vernon verlobt ist, ist alles noch schlimmer. Vernon ist so furchtbar.... spießig. Er hasst alles, was nicht normal ist. Eines Tages wird er in einem gepflegten, spießigen Vorstadt Reihenhaus leben, jeden Samstag sein Auto waschen, nur mit Krawatte aus dem Haus gehen und Frau und Kind am Wochenende ausfahren und hinterrücks wird er über seine Nachbarn herziehen und sich darüber aufregen, wenn sie Sonntags den Rasen mähen. Vernon Dursleys Zukunft ist wohl nicht schwer vorherzusagen, dazu braucht man keinen Wahrsagenunterricht."
„Hört sich wie ein interessanter, netter Mensch an", warf James ein. Lily sah ihn schräg von der Seite ein und lächelte schwach.
„Natürlich kann Vernon mich nicht leiden. Ist ja wohl kein wunder, so unnormal wie ich bin. Jedenfalls wollen die beiden im Mai heiraten und Petunia hat mir heute geschrieben, dass...."Lily schluckte. „Das ich nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen werde und überhaupt will sie gar nichts mehr von mir hören und sehen. Sie meint es sei besser, wenn sich unsere Wege jetzt strickt trennten. Wenn ich bei unseren Eltern bin, wird sie in Zukunft nicht mehr vorbekommen und ich soll es ja nie wagen vor ihrem Haus zu stehen, sie und Vernon wollen nichts mit einer....", wieder musste Lily schlucken und eine Träne kullerte über ihre Wange. „Sie wollen nichts mit einer Missgeburt zu tun haben."
„Verdammte Idioten", murmelte James ärgerlich. „Hör zu Lily. Du bist keine Missgeburt, das weißt du. Du bist eine verdammt clevere Hexe. Du bist die Beste unseres Jahrgangs, du bist wunderhübsch und du bist der großartigste Mensch, den ich je getroffen habe. Mach dir nichts draus, was deine Schwester und ihr Verlobter sagen. Sie verdienen es überhaupt nicht, dass du dich mit ihnen abgibst."
Lily hob ihren Kopf und sah ihn an. Ihre hellgrünen Augen schienen ihn regelrecht zu durchbohren und sein Herz klopfte heftig in seiner Brust dabei. Einen Augenblick lang sahen sie sich nur schweigend in die Augen, dann trat ein schwaches Lächeln in ihr Gesicht und James schoss der Gedanke durch den Kopf, dass wunderhübsch nicht ausreichte, um Lilys Schönheit zu beschreiben.
„Danke!", flüsterte sie leise. Dann fiel ihr Blick auf seinen Besen, der neben ihm lag. „Wo wolltest du eigentlich gerade hin."
„Zum Quidditch-Training", sagte James und konnte die Augen nicht von ihr wenden. Dann fiel es ihm urplötzlich wieder ein. Natürlich das Quidditch-Training, das hatte er ganz vergessen. Rasch blickte er auf die Uhr. „Oh. Sch...., das hab ich total vergessen."Er sprang auf, schnappte sich seinen Besen und wollte schon davon eilen. Doch dann blieb er plötzlich stehen und sah sich noch mal zu Lily um. „Warum kommst du nicht mit? Du könntest beim Training zusehen. Ich glaube du hast für heute genug gegrübelt."
Lily zögerte: „Also...ich weiß nicht".
„Ach, komm schon. Ein könntest ein bisschen Ablenkung gebrauchen. Außerdem kannst du meine Flugkünste bewundern", er grinste sie schräg an.
Jetzt konnte Lily nicht anders und prustete laut los: „James du bist manchmal echt ein Idiot."
„Ich weiß!", er grinste weiter. „Also was ist jetzt, ich komm sowieso schon zu spät."Auffordern hielt er ihr die Hand entgegen.
„Also gut", Lily fasste sich ein Herz und stand auf. „Aber ich komm nur mit, damit ich mich über deine Flugkünste lustig machen kann."
„Von mir aus. Aber jetzt komm Evans, ich komm zu spät", er griff nach ihrer Hand und zerrte sie mit sich fort.
Sirius warf James einen fragenden Blick zu, als er aus der Umkleidekabine auf das Quidditch-Feld gestürmt kam.
„Wo warst du denn solange? Ich sollte dir ein paar Strafrunden aufbrummen", mit bösem Blick sah er James an und schob sein Gryffindor-Manschaftskapitäns-Abzeichen zurecht.
„Entschuldigung, hab die Zeit vergessen", murmelte James und stellte sich zu seinem Team.
Sirius zog eine Augenbraue hoch, James vergass nie die Zeit, wenn es um Quidditch ging.
„Also gut", brüllte Sirius über das Feld. „Brian, Gerald und Mark ihr übt jetzt erst einmal ein paar Torschüsse. Und du Frank versuchst sie abzuwehren", ordnete Sirius an und sah zu Frank Longbottom der ihm zunickte. „Der Rest kann schon mal ein paar Übungsflüge machen."Als die anderen begannen in die Luft zu steigen, wandte Sirius sich James zu. „Wieso kommst du zu spät?"
„Ach ich Lily unten am See gesehen und ein bisschen mit ihr geredet", sagte James leise damit es die anderen nicht hörten.
„Ach so", ein wissendes Grinsen trat auf Sirius Gesicht.
„Nichts ach so, sie ist gerade ziemlich fertig. Hat Probleme mit ihrer Schwester und ich hab versucht sie zu trösten."
„Oh gut Anmache Potter", grinste Sirius.
„Das ist keine Anmache, Tatze. Falls du es noch gemerkt hast, Lily ist mir wirklich wichtig. Ich würde so eine Situation nicht zu meinem Vorteil ausnutzen", antworte James ernst.
„Holla, dich scheint es ja wirklich schwer erwischt zu haben, Krone. Aber jetzt mach, dass du auf deinen Besen kommst, ich will das verdammte Spiel gegen Ravenclaw gewinnen und außerdem kannst du Lily jetzt zeigen, was du kannst", wieder grinste Sirius verdächtig und blickte zu der Tribüne hoch, wie Lily Platz genommen hatte.
James antworte ihm nicht, sondern bestieg seinen Besen und flog zu den anderen hoch.
Wie immer war Sirius Training hart und James hatte, keine Zeit sich einmal nach Lily umzudrehen. Er flog so gut er konnte und schaffte einige sehr gute Torschüsse. Als er schließlich eine letzte Runde flog sah er, dass Lily nicht mehr alleine auf der Tribüne saß. Remus saß neben ihr und die beiden unterhielten sich angeregt. Der Anblick versetzte James einen jähen Stich und erspürte ein kurzes aufflammen von Eifersucht in seinem Herzen. Lily verstand sich sehr gut mit Remus. Aber natürlich, warum auch nicht. Die beiden waren gemeinsam Vertrauensschüler gewesen und mit Remus konnte man immer gut reden. Außerdem würde Moony sich niemals an Lily ranmachen, er wusste, sie sehr James sie mochte. Nichtsdestotrotz, gefiel es James nicht, dass die beiden sich gerade jetzt so gut zu verstehen schienen. Sie lachten und lächelten sich immer wieder an.
„Hör auf mit diesem Unsinn, James!", rief er sich selbst in Gedanken zur Ordnung. „Es gibt überhaupt keinen Grund eifersüchtig zu sein."
Als er einige Minuten später gemeinsam mit Sirius aus der Umkleidekabine trat, kamen Remus und Lily ihnen entgegen. Lily lächelte ihn an, als sie ihn erblickte und James Eifersucht war plötzlich wie weggewischt. Er hatte das Gefühl, dass sie Remus nicht auf diese Art anlächelte, wie sie ihn anlächelte.
„Ich bin mir sicher Gryffindor gewinnt gegen Ravenclaw", sagte Lily. „Ich muss zugegeben, du kannst wirklich gut fliegen Potter. Obwohl dieser Spruch jetzt nicht gerade gut für deine Ego ist. Wahrscheinlich schwillt dir nur der Kopf davon an", sie lachte und seine Freunde lachten ebenfalls.
„Ja, ja schon gut. Lacht nur über mich. Aber Ravenclaw werden wir besiegen!", sagte James.
„Das will ich doch schwer hoffen", antwortete Sirius energisch.
„Ich hab übrigens gerade eine Nachricht von Dumbeldore bekommen", flüsterte Remus plötzlich sehr leise, als sie alle auf dem Weg zum Schloss waren. „Am Samstag findet ein Treffen des Ordens statt. Wir sollen alle kommen. Er will mit uns über Vorkehrungen sprechen...."
Alle nickten und verfielen plötzlich in Schweigen. Gerade noch waren sie angeregter Stimmung gewesen und hatten gelacht, doch mit Remus Worten schien der ernst des Lebens zurück zu kehren.
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