Die Todesser waren fort. Noch immer umklammerte James eisern seinen Zauberstab und sein Herz pochte heftig in seiner Brust.
Die angekommenen Hexen und Zauberer fluchten laut darüber, dass Voldemort ihnen entwischt war. Einer der Zauberer trat auf James und Lily zu.
„Alles in Ordnung mit euch?"
James blickte auf und erkannte Alastor Moody. Der Auror blickte sie mit einem finsteren Blick an, sein magisches Auge schien direkt durch sie hindurch zu starren.
„Was treibt ihr überhaupt noch hier? Alle anderen wurden bereits ins Schloss gebracht. Warum seid ihr nicht bei ihnen?", brummte Moody.
„Wir waren nicht an den üblichen Hogsmead-Orten", flüsterte Lily leise.
James konnte ein Zittern in ihrer Stimme vernehmen und er spürte, wie sie sich noch immer an seinen Umhang klammerte.
„Was ist mit den anderen? Sind sie in Ordnung?", fragte James aufgeregt.
„Ja, kein Hogwartsschüler ist zu Schaden gekommen. Aber jetzt zurück zum Schloss mit euch, wer weiß, ob sie nicht wiederkommen."
Moody zog aus seiner Tasche einen alten, abgeriffenen Filzhut hervor.
„Das ist ein Portschlüssel. Los jetzt!"
Als Lily und James gleichzeitig nach dem Hut griffen, spürten sie das gewohnte ziehen im Bauchnabel und Sekunden später standen sie in der leeren Eingangshalle von Hogwarts. In dem Augenblick, als die Welt um sie herum sich zu drehen aufhörte, hörten sie schnelle Schritte auf sich zukommen.
Professor McGongall kam auf sie zugeeilt. Ihr Gesicht war angespannt und sie wirkte sehr ernst.
„Oh, bei Merlin! Endlich sind auch sie da. Gehen sie sofort hinauf in ihren Turm", sagte sie brüsk.
„Professor, was genau ist...", versuchte James sie zu fragen.
„Haben sie nicht gehört, Mr. Potter? Sofort hinauf in den Turm. Marsch!", herrschte sie ihn an.
James wollte noch etwas sagen, doch Lily griff nach seinem Arm und zerrte ihn in Richtung Marmortreppe.
Als sie schließlich durch das Portraitloch kletterten wurden sie von einer aufgeregten Menge empfangen.
„James, Lily! Geht es euch gut?"
„Krone wo habt ihr nur gesteckt?"
Remus und Sirius kamen auf sie zugestürmt. Während Peter auf dem Sofa sitzen blieb. Selbst von weitem konnte James sehen, dass Peter am ganzen Laib zitterte.
Noch bevor sie auf die Fragen antworten konnten, kam jemand mit einem dunkelbraunen Lockenkopf auf Lily zugestürmt und riss sie in eine feste Umarmung.
„Lily", schluchzte ihre Freundin Jane. „Ich hatte ja solche Angst um dich. Geht es dir gut?" Sie drückte ihre Freundin noch enger an sich und schluchzte erneut laut auf.
„Bitte Jane, ich bekomm keine Luft mehr", ächzte Lily und versuchte ihre Freundin sanft von sich zu schieben.
„Oh, tut mir leid", mit einem verweinten Gesicht ließ Jane Lily schließlich los.
„Es geht mir gut, mach dir keine Sorgen, Jane", tröstete Lily sie und lächelte sie aufmunternd an.
„Aber jetzt sagt, was passiert ist", wandte Sirius sich an James. „In Hogsmead war plötzlich ein riesiger Auffuhr und sie haben uns alle sofort ins Schloss hochgeschickt. Wir haben mitbekommen, dass Todesser im Dorf aufgetaucht sind, aber mehr auch nicht. Und kein Mensch sagt uns hier irgendetwas", Sirius Stimme klang ärgerlich. Offenbar war er wütend auf die Lehrer, die ihn nichts erklärten.
„Todesser haben das Dorf angegriffen", sagte James und die Freunde setzten sich auf die roten Sessel und ein Sofa im Gemeinschaftsraum. James setzte sich neben Peter, der bibberte und dessen Zähne klapperten.
„Was ist mit Wurmschwanz?", fragte James mit einem Blick auf Peter.
Sirius machte eine wegwerfende Handbewegung. „Der zittert schon, seit er gehört hat, dass Todesser im Dorf aufgetaucht sind. Obwohl uns ja überhaupt nichts passiert ist."
„Pete beruhige dich doch endlich mal wieder", sagte Remus und legte Peter eine Hand auf die Schulter.
„K...kann...i...ich...n...icht...", stammelte Peter nur.
James bemerkte, dass sich Lily wie ganz selbstverständlich neben ihn auf das Sofa gesetzt hatte, während die immer noch weinende Jane auf dem Sessel direkt daneben Platz genommen hatte.
James erzählte seinen Freunden, was geschehen war. Als er erwähnte, dass Voldemort höchst persönlich aufgetaucht war, zuckten sie alle plötzlich zusammen.
„Voldemort war da?", fragte Sirius nach.
Bei der Erwähnung, seines Namens fing Peter noch heftiger zu zittern an.
James nickte.
„Was wollten sie?", fragte Remus weiter.
„Uns töten", meldete sich plötzlich Lily zu Wort. Alle wandten ihr den Kopf zu. „Besser gesagt, er wollte zunächst nur mich töten, weil ich...weil ich ein Schlammblut bin und Abschaum wäre."
„Du bist kein Schlammblut!", sagte James sofort und griff nach ihrer Hand. „Hör auf das zu sagen. Wenn einer Abschaum ist, dann ist das Voldemort und seine Kumpanen. Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand etwas antut." James hatte die Worte mit einer solchen Heftigkeit ausgestoßen, dass plötzlich eine merkwürdige Stille eintrat. Er sah Lily in die Augen und wusste, dass seine Worte wahr waren. Niemand würde ihr etwas antun, eher würde er sterben, als ihr etwas geschehen zu lassen.
„Wie...wie seid ihr ihnen entkommen?", fragte Jane leise.
Auch Lily sah James unverwandt in die Augen. Erst die Frage ihrer Freundin schien sie aus dieser Starre zu lösen und sie wandte ihr den Kopf zu.
„Ganz plötzlich sind einige Hexen und Zauber aufgetaucht und haben sie vertrieben. Und Alastor Moody hat uns mittels Portschlüssel ins Schloss hochgeschickt."
Wieder trat eine Stille ein. James hielt immer noch Lilys Hand fest und sie machte keinerlei Anstalten sie ihm zu entziehen.
Plötzlich öffnete sich das Portraitloch und Professor McGongall trat in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors.
Sofort wandten sich sämtliche Köpfe ihrer Hauslehrerin zu.
„Wie ihr gehört habt, wurde Hogsmead heute von Todessern angegriffen. Ich kann euch mitteilen, dass kein einziger Hogwartsschüler zu Schaden gekommen ist. Alle sind wohlbehalten im Schloss angekommen. Mit Hilfe von Auroren aus dem Ministerium ist es gelungen, die Todesser zu vertreiben. Bis auf weiteres sind die Ausflüge nach Hogsmead gestrichen. Ich möchte sie außerdem bitten bis auf weiteres im Schloss zu bleiben. Das Schulgelände darf keinesfalls verlassen werden und in Zukunft werden sie auch nur noch in Gruppen zum Unterricht für Kräuterkunde und Pflege magischer Geschöpfe gehen. Professor Dumbledore wird diese Regeln Morgen nochmals vor der ganzen Schule verkünden. Und jetzt gehen sie schlafen!"
Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Gemeinschaftsraum so schnell, wie sie gekommen war.
Eine seltsame, bedrückte Stille breitete sich unter den Gryffindors aus.
„Nun", unterbrach Remus die Stille. „Lasst uns schlafen gehen."
Ein Murmeln ging durch den Raum und die Schüler machten sich seltsam Still auf den Weg zu ihren Schlafsälen.
„Kann ich noch einen Augenblick mit dir reden", fragte Lily James als sie sich vom Sofa erhoben hatten.
„Klar", antworte James und er gab Sirius zu verstehen, dass er gleich nachkommen würde. Als auch Jane und die anderen Gryffindors verschwunden waren, ergriff Lily das Wort.
„Ich wollte dir danken", sagte sie leise. „Für das, was du heute für mich getan hast."
„Was meinst du?", fragte James ein wenig verwirrt.
„James du hättest dein Leben für mich geopfert. Du hast dich vor mich gestellt, als Voldemort mich töten wollte. Ist dir eigentlich klar, was du da heute getan hast?"
„Ja! Und ich würde es jederzeit wieder tun. Wie ich vorhin sagte, ich lasse nicht zu, dass dir irgendjemand etwas antut."
„Das ist wirklich dein Ernst?", fragte sie ihn und starrte in seine Augen.
„Ja! Du bedeutest mir wirklich sehr viel, Lily. Und ich..."
Ganz plötzlich war sie noch näher an ihn heran getreten und als James in ihre hellgrünen Augen blickte, wirbelte ein solches Durcheinander durch seinen Kopf, dass er nicht mehr wusste, was er hatte eigentlich sagen wollen. Er sah nur noch Lilys Augen und sein Verstand schien vollkommen auszusetzen. Sie stand hier vor ihm, ganz nah und ihr Gesicht war so sanft und ihre Lippen sahen so einladend weich aus. Ohne genau zu wissen, was er eigentlich tat, beugte er sich aufeinmal vor. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sie küssten sollte und wollte. Ihre Lippen berührten sich vorsichtig und James sah, wie Lily die Augen schloss. Auch er schloss seine Augen und legte einen Arm um ihre Taille, während er sie küsste. Natürlich küsste James nicht zum erstenmal ein Mädchen, doch dieser Kuss war anders. So weich, so sanft, so perfekt.
Plötzlich schoss James ein Gedanke durch seinen wirren Kopf. Hatte sie überhaupt von ihm geküsste werden wollen, oder hatte sie ihm nur danken wollen? Er spürte, wie sie sich ein Stück von ihm wegschob. War sie jetzt sauer? Hatte er damit ihre entstandene Freundschaft kaputt gemacht? Was wenn er jetzt einen dummen Fehler gemacht hatte?
„Ich...es tut mir leid, wenn ich dich überrumpelt habe, Lily...", er sah ihr nicht in die Augen. Plötzlich schämte er sich, dass er sie einfach so geküsst hatte. „Bitte sei mir nicht böse...ich wollte nicht, dass du...", stammelte er sinnlos vor sich hin. Endlich hob er den Kopf und sah sie direkt an. Ihr Blick war nicht wütend, ihr Blick war...irgendwie unergründlich und er wusste nicht, was sie dachte.
Sie antwortete nicht gleich auf sein Gestammel und starrte ihn einfach nur an.
„Verzeih mir Lily, ich...", begann er erneut.
Doch Lily unterbrach ihn, in dem sie Hand auf seinen Arm legte.
„James, halt schon die Klappe."
Mit diesen Worten packte sie die Vorderseite seines Umhangs, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn erneut.
