Try to help

Seinen Worten kaum glaubend, sah Joey in Kaibas blaue Augen.
Mit Nachdruck wiederholte der Konsument seine Worte, wobei er Joey genau musterte, um seine Reaktion einzuschätzen.
"Du wirst gleich jetzt anfangen, Wheeler."

Joey hatte sich also nicht verhört.
Kaibas Worte hallten in seinem Gedächtnis wider.
Langsam und müde richtete er seinen Blick wieder auf das Feuer im Kamin. Er wusste nicht wo er anfangen sollte. Fragte sich, warum das Schicksal immer wieder ihm ein Bein stellte, über welches er zu stolpern pflegte.

Von einem Fettnäpfchen ins andere.

Warum hatte er seinen vorlauten Mund auch nicht halten können und Kaiba seinem eigenen Schicksal überlassen.
Joey´ s Gefühle wirbelten erneut durcheinander. Er konnte Kaiba seiner unbewussten Zukunft, nicht ohne den Versuch ihm zu helfen, einfach überlassen. Joey sah vom Inneren des Feuers auf die schwarze Pistole, die immer noch durch Kaibas Finger festgehalten wurde.
"Ich sage die, Alter, nimm lieber professionelle Hilfe an. Am Ende bist du sowieso nicht mit mir zufrieden." Mit diesen Worten beugte Joey seinen Oberkörper nach vorne, legte ein Bein auf das andere, stützte sich mit den Ellbogen am Knie ab und legte sein Kinn auf die linke Handfläche.
Die Wärme des Raumes genießend, starrte Joey wieder auf das Feuer, jedoch Kaiba immer noch im Seitenwinkel sehend. Auch Kaiba schien ihn zu beobachten.

Joey hatte das Gefühl, als durchbohrten seine eiskalten Augen das Innere seiner Gefühlswelt und verrieten dem Braunhaarigen alles, was Joey selbst nicht wusste. Unbehaglich richtete er seinen Blick wieder auf Kaiba.

"Dann lass mal sehen, was du für Drogen hast." Unausgesprochen erschien ihm diese Frage recht gut, doch kaum hatte er sie über die Lippen gebracht, bereute er es augenblicklich.
Joey kniff seine Augen zusammen.
Jetzt klang es so, als wenn er selbst Interesse an Rauschgift bekam. Der junge Mann fragte sich, ob seine Entscheidung richtig war, ihm zu helfen.

Dumpf hallte die Erinnerung wider, dass das alles nicht auf freiwilliger Basis beruhte. Er war gezwungen.
Gezwungen, seine Freizeit mit Seto Kaiba zu verbringen.

Zu Joey´ s Überraschung stand Kaiba auf, legte die Pistole auf den Kaminsims zurück und kramte gelangweilt, mit dem Rücken zu seinem Beobachter gewandt, in einer nebenstehenden Kommode.
Der Blonde setzte sich wieder interessiert und aufrecht aufs Sofa und spreizte wie gewohnt seine Beine, da seine vorherige Sitzstellung im Schritt zu schmerzen begann. Er war es nicht gewohnt und fragte ich, wie Kaiba es immer fertig brachte, lange in solchen Posen zu verharren.

Ein Grinsen huschte auffällig über seine Gesichtszüge.
Vielleicht hatte der Gute entweder einen zu kleinen Penis, sodass er diesen nicht zu beachten brauchte oder er war schlichtweg eine Frau.
Gequält biss er sich auf die Unterlippe, um nicht lauthals aufzubrüllen.

Er riss sich zusammen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Kaiba das Gesuchte gefunden hatte und wieder auf Joey zuging. Ein transparentes, kleines Päckchen landete vor Joey´ s Nase auf dem Tisch. Und wieder realisierte er die Tatsache, die er schon von Anfang an nicht glauben wollte.

Drogen.

Da lagen nun alle Probleme des Jungunternehmers Seto Kaiba auf dem gläsernen Tisch. Das weiße Pulver betrachtend, flogen Joey Unmengen an Gedanken in seinem Verstand, ohne etwas bodenständiges zu entfalten.

"Das ist alles, was ich zur Zeit habe.
Kokain.
Eine geringe Dosis, die mir für zwei - drei male reicht. Jetzt noch." Joey blickte auf Kaiba, wie so oft an diesem Abend. Selten sprach er viel, doch nun hatte der Blonde das Gefühl, das er niemals aufhören wollte. Bis auf äußerste gespannt lauschte er dem klang seiner Stimme, die durch seine Rede vertraut zu klingen begann.
Weder abfällig noch aggressiv.
Einfach nur realistisch, kalt wie immer und bereuend, sich in diese Sache selbst reingeritten zu haben.
"Zähl´ ruhig auch Heroin dazu. Selten, aber hin und wieder komme ich auch in diesen Genuss." Bei seinem letzten Wort zogen sich seine Mundwinkel nach oben, das Lächeln verschwand jedoch sogleich.

"Heroin?" - "Ja."

Joey starrte ihn ungläubig an. Der junge Mann seufzte und suchte wieder einmal nach der Richtigkeit seines Unterfangens und beschloss, die Sache ab nun so laufen zu lassen, wie das Schicksal sich einzufügen versuchte, ohne seinen Kopf zu zermürben. Würde er alles erdenkliche versuchen, um Kaiba zu helfen, konnte dieser im nachhinein Joey Wheeler keinen Vorwurf machen.
Zufrieden lächelte er in sich hinein.

Kaibas braunen Haare fielen ihm ins Gesicht, seine spitze Nase hob sich davon auffällig ab. Der blaue, fast melancholische Blick bohrte sich tief in Joey´ s Augen. Wie gefesselt hielt Kaiba den Blicken stand.
Im Grund hatte er einen größeren Widerstand des Mannes vor ihm erwartet.

Tobsuchanfälle.

Wütende Proteste.

Kaiba überdachte seine letzten paar Stunden noch einmal neu.
Hatte er ihn unterschätzt und war Joey Wheeler doch nicht so berechenbar, wie er sonst immer zu sein schien?

Seine Gedanken nicht akzeptierend, wand er sich von dem Mann ab, der eher noch Kind war und die Welt von ihrer verführerischen und angenehmen Seite betrachtete.

Kaibas Augen streiften die Tüte, in welchem sich das weiße Pulver befand. Ungewollt erinnerte er sich an die vielen Stunden, in denen er dem Gift unterlegen war.
Mit einer sicheren Handbewegung griff er langsam nach der Tüte, um diese an den Ort zurückzulegen, aus welchem er es entfernt hatte.
Noch bevor seine Finger den in Pulvergestalt befindlichen Teufel beführen und greifen konnten, verschwand es vom Tisch.

Joey hatte schneller reagiert,
mit der linken Hand die Pulvertüte haltend, betrachtete er es genauer.

"Und du lügst mich auch nicht an? Das ist echt das einzigste, was du hier hast? Wenn du mich verarschst, dann ist es nur dein Problem." Seine Augen fixierten wieder den Jungunternehmer, der etwas überrascht seine Hand zurückzog und seinen Blick erwiderte.
Ein sanftes Nicken bestätigte die Wahrheit.
Joey kniff die Augen zusammen. "Gut." Dann stand er auf, umging das Sofa, auf welchem er gesessen hatte, und steuerte auf eine von Bücherregalen versteckte Tür zu. Er hatte sie nur flüchtig beim Überschauen des Zimmers registriert.
Noch immer das sauber eingebundene Kokain in der linken Hand haltend, öffnete er die Tür. Kaiba saß reglos da und beobachtete Joey´ s Treiben, ahnen was dieser vorhatte.

"Bingo!" Den Lichtschalter suchend, betrat der Teenager das dunkle Badezimmer. Vollkommen vergessend, das das Licht auf Bewegungen wärmeausstrahlender Körper reagierte, versuchte er vergeblich, sich einen klaren Überblick zu verschaffen.
Das Licht ging an und Joey erschrak unbewusst, erblickte jedoch bald das, was er gesucht hatte.

Eine saubere Toilette befand sich direkt vor ihm.

Noch einmal drehte er sich zu Kaiba um und fächerte fröhlich mit dem Kokain vor seiner Nase.
"Sag auf Wiedersehen zu deiner letzten Droge, Kaiba!" Der Konsument verzog keine Mine, das alles nicht besonders lustig findend.

Joey öffnete das Päckchen, nicht ohne daran zu zerren und zu reißen, bevor er den Tessastreifen entdeckte, der alles hielt. Nach wenigen Minuten kippte er den Inhalt ins Wasser des WC´ s und spülte. Durch Saugkraft verschwand das aufgelöste Kokain.

Der junge Mann konnte nicht glauben, dass er Kaiba dazu bringen würde, keine Drogen mehr zu nehmen, keine Abhängigkeit in seinen Adern zu spüren.
Joey war sich klar darüber, dass das alles erst der Anfang war und die Ausmaßen des Entzugs gewaltig werden würden.

Sowohl der Blonde, der dem Verschwinden des Kokains zusah, als auch der Blauäugige, der nachdenklich aus dem Fenster schaute, wussten, dass der Weg zu dem Ergebnis Veränderungen verlangte.

Das Gewitter verharrte weiterhin im Zustand der Unberechenbarkeit und benetzte die Straßen weiterhin mit Regen. Blitze zuckten am Horizont, das Grollen folgte.

Kaiba sah endlich Joey´ s Gestalt auf sich zukommen.
Der Junge lächelte ihm entgegen.

Er tat es oft, wie es Kaiba auffiel. Es schien immer so eine Leichtigkeit, wenn er seinen Mund zu einem warmen Lächeln formte und seine braunen, treuen Augen dabei immer leuchteten.

Wie ein Kind in einem Spielzeugladen.

Noch bevor Joey sich auf seinen Platzt setzen konnte, stand Kaiba auf und steuerte auf die Eingangstür zu, die er nun aufschloss.
"Du kannst mir jetzt nicht helfen. Komm morgen wieder." - "Aber du hast doch selbst gesagt.. -" - "Ich kann dich jetzt nicht gebrauchen. Morgen um neun bist du wieder hier." "Hey!" Die Tür stand nun offen, eine kalte Brise, die vom Flur entgegenströmte, durchzog den stickigen Raum.
Irgendwo stand ein Fenster offen.

"Kaiba, ich bin nicht dein Schoßhündchen, das du immer rumkommandieren kannst! Du alter Arschkriecher, denkst du ich lass mir alles von dir gefallen?" Um seinen Protest zu bestärken, blieb er abrupt hinter Kaiba stehen und wartete seine Reaktion ab.
Obwohl die offene Tür nach Freiheit und Kühle roch, bewegte sich der Blond nicht von der Stelle.
Fest entschlossen seinen Willen nicht brechen zu lassen.
"Wheeler, mach kein Theater." - "Hast du das Wetter nicht gesehen! Ich GEHE ganz bestimmt nicht bei solchem Sturm raus!" "Dann bleibst du eben hier. Wo ist das Problem."

Keine Antwort erwartend, drehte sich Kaiba angewidert von ihm weg und folgte einem langen Flur. Unschlüssig tapste Joey von einem Fuß auf dem anderen, nicht genau wissend, ob er Kaibas "Einladung" ernst nehmen sollte.
Noch bevor er sich seinen Entschluss richtig überdenken konnte, folge er ihm.
"Aber lass dich bloß nicht in meiner Nähe blicken." Kaiba starrte Joey beim Gehen von der Seite an und kassierte dessen Lächeln. Überrascht drehte er sich weg und folgte weiterhin dem Weg, den er einschlug.
Seine Reaktion wollte er verbergen, er lies sich nicht so schnell aus der Fassung bringen und so ein dahergelaufener Straßenjunge sollte dabei keinen Erfolg haben.

Die Ruhe nahm wieder die Oberhand.
In dieser nutzte Joey die Chance sein Gegenüber erneut etwas näher zu betrachten. Er fragte sich immer wieder, wie man nur so einen versteiften Charakter haben konnte.

Kaiba lief mit normalen Schritten vor Joey, ohne seine Blicke zu beachten.

Joey´ s Augen glitten von seiner schmalen Taille bis zu seinen Wangen. Das Gesicht schien fahl unter der trüben Beleuchtung des Ganges.
Kaibas Lippen formten einen leisen Seufzer. Joey´ s fixierende Blicke wurmten ihn, bis er einen genervte Blick auf seinen Helfer warf.
Der Blonde lächelte ihm entgegen und genoss diese Bedrängnis.

Längst hatte er sein privates Experiment begonnen, zu Seto Kaiba nett zu sein und ihn als Mensch und nicht als Rivale oder gar Monster anzusehen.
Joey versuchte sich zusammenzureisen und nicht auf dessen zukünftigen Provokationen anzuspringen.
Versprechen konnte er nichts, so wie er sich selbst kannte, doch er war gewillt den Versuch nicht platzen zu lassen.

Joey spürte etwas, tief in ihm, dass Kaiba nur vorgab kalt und unempfänglich gegenüber Gefühlen zu sein.
Der junge Mann schaute in Kaibas Augen und bekam dort wieder einmal die Antwort, die er brauchte.
Trotz dieser kalten Atmosphäre in seiner Nähe und dem gleichgültigen Blick, war etwas anderes, was Joey wollte und sich sicher war, es von ihm auch zu bekommen. Eine angenehme Woge flutete seinen Körper.
"Was du brauchst ist Lockerheit. All right?"

Kaiba achtete nicht mehr auf ihn.
Schnellen Schrittes bog er einen weiteren Gang ein und öffnete eine Tür.
"Hier wirst du bleiben." Mit einem Kopfnicken auf den Gang zurück, den sie gekommen waren, sprach Kaiba weiter. "Den Gang entlang und dann rechts. Die Treppe runter und du befindest dich in der Eingangshalle. Die Küche ist" - "Ja, Alter, ich weiß wo sie ist."

Noch einen letzten Blick warf Kaiba auf Joey Wheeler, man sah es ihm an, das er keine Lust hatte jegliche Hilfe zu empfangen und Joey in seiner Nähe zu dulden.

Anschließend nahm er den Weg zurück, Joey sah ihm nach, in der Hoffnung, seine kurzzeitige Lähmung zu lösen und Kaiba ein ´Danke zu schenken.
Stattdessen aber kochte sein Blut wieder,
er hatte Kaibas Blicke der Unterwerfung nicht übersehen.
Noch bevor der Jungunternehmer in der Dunkelheit verschwand, hörte er wie Joey eine zahlreiche Palette an Schimpfwörtern ihm entgegen schrie.

Kurz vor seinem Büro durchzog ein Lächeln Kaibas Lippen.
Vielleicht war es genau das, was er so sehr genoss.