VORBEMERKUNG: Geburtstagshalber ist dieses Kapitel Naru gewidmet. Des logischen Handlungsablaufs wegen ist dieses Kapitel außerdem das letzte. Reviewern, Nicht-Reviewern und Irgendwann-mal-Reviewern danke ich für die Aufmerksamkeit.
Hört Neubauten! Lest Max Goldt!
Coffee To Go, Teil 4
Am Dienstag stehen sie früh auf, weil Justine schon verdächtig zeitig verdächtig unruhig ist, und weil sie ja noch nach London wollen. So früh, dass sie sogar Lilys Mutter noch in der Küche erwischen. Die gibt erfreute Geräusche von sich und kommentiert, wie schön es ist, dass die beiden jetzt schon wach seien und dass sie dadurch den Tag viel besser nutzen könnten, und eine Sekunde wünscht Lily sich missmutig, nicht ständig so gottverdammt vorhersehbaren Menschen und Kommentaren zu begegnen.
"Ich wusste gar nicht, dass du uns morgen schon verlassen wolltest, Justine", sagt Lilys Mutter unvermittelt, und während Lily noch 'nee, die bleibt bis Freitag' denkt, hat Justine offenbar schon geschaltet.
"Hat mein Vater angerufen?" fragt sie gleichmütig.
"Vor einer halben Stunde", antwortet Lilys Mutter, "aber ich wollte euch nicht wecken. Er hat sogar versprochen, dich morgen abzuholen. Um neun." Man hört ihr die Freude an, jetzt vielleicht sogar noch einen richtigen Zauberer kennenzulernen.
"Das ist ja nett", sagt Justine, nur ein ganz klein wenig überrumpelt, "hat er denn sonst nichts gesagt?"
"Er lässt dich schön grüßen. Ist aber schade, dass du schon morgen gehst, es ist doch wohl nichts passiert?"
Lily wühlt währenddessen im Schrank. "Mum, haben wir denn immer noch keinen neuen Kaffee?" fragt sie verzweifelt.
"Oh, ich bin gestern nicht zum Einkaufen gekommen", sagt ihre Mutter, "aber es ist Instantkaffee da. Und Tee."
Lily kocht Earl Grey. Sie hasst Early Grey. Aber nicht so sehr wie Instantkaffee.
Justine hatte inzwischen genug Zeit, sich etwas auszudenken. "Meine Cousine hat gestern ihr Baby bekommen", lügt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, "da sollen wir alle mal gucken kommen übermorgen, darum muss ich weg. Schade eigentlich."
Lilys Mutter ist entzückt.
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"Was ist das denn für ein Scheiß hier?" grollt Lily. Bis eben hat sie trotz der frühen Stunde noch vergleichsweise gute Laune gehabt, aber das ist jetzt vorbei. "Nur acht Galleonen und ein bisschen Kleinkram? Da krieg ich doch ein halbes Froschbein und ein Taschenbuch über Kaninchen-aus-dem-Hut-Ziehen von."
Justine neben ihr hebt taktvoll die Schultern. "Ich hab dich vor dem Wechselkurs gewarnt", sagt sie. "Hat wohl nicht nur seine Vorteile." Sie hat sich wohlweislich dafür entschieden, ihr restliches Muggelgeld nicht zurückzutauschen, sondern irgendwann mal bei den Muggeln zu lassen, und den größten Teil ihrer Bücher hat sie auch schon, sagt sie.
"Das ist Rassismus, verdammt noch mal, die haben doch alle was gegen Muggel", sagt Lily und ist dann erst einmal kurz still, denn: ja, klar existiert die Bedrohung durch die spinnerten Terroristen unter ihrem selbsternannten Dunklen Lord, aber nein, man bringt sie nicht zufällig in die Unterhaltung mit ein, und überhaupt sind das spinnerte Terroristen und ganz bestimmt niemand aus der Regierung, oder wer immer auch für diesen gottverdammten Wechselkurs zuständig ist.
Wenigstens schaut Justine jetzt nicht auch noch betroffen. "Das sind Goblins, die Leute bei Gringotts", erläutert sie. "Die sind eher nicht rassistisch, denke ich", und schon schlägt die Spannung in Kichern um, aber es ist nicht besonders freudvoll.
Sie gehen an Fortescue's vorbei ("Eisessen können wir auch in Muggellondon", sagt Lily, aber sie ist verstimmt, denn das Eis von Fortescue's ist wirklich phänomenal) und beschäftigen sich eine frustrierende Weile mit Kleinkram, eine weitere Weile mit Madam Malkins, weil Justine es in de letzten Potions-Stunde vor den Prüfungen geschafft hat, den halben Ärmel von ihrer letzten noch ganzen Schulrobe in Brand zu setzen, und darum eine neue braucht, und anschließend gehen sie zu Flourish & Blotts, Bücher inspizieren. Die bieten, wie üblich, die Lehrbücher einzeln an und als "Fünf für den Preis von vier", und immer noch übersteigen die Bücher allein Lilys Budget. Sie kehrt auf dem Absatz um und zieht Justine aus dem Laden wieder heraus.
Und sie braucht ja noch Pergament, braucht noch Tinte, braucht noch Zutaten für Zaubertränke.
Sie nimmt die Liste aus der Tasche, und einen Stift, denkt nach, fängt an sich Dinge zu notieren. Die Roben sind kein Problem, die kann sie auch noch ein Jahr benutzen. Die getrockneten Kräuter sind dafür allerdings ein Problem, die haben ihren Zenit an Spannkraft schon vor einem halben Jahr überschritten. Das Pergament ist, weil alle, ein großes Problem.
"Das Buch für Kräuterkunde, davon stehen zwölf Exemplare von in der Bibliothek, das brauchste vielleicht gar nicht kaufen", sagt Justine hilfreich, und dann sagt sie erstmal gar nichts, denn sie ist abgewandert, weil sie wohl jemanden entdeckt hat. Lily überlegt noch eine Sekunde, ob sie die paar Misteln, die sie braucht, eventuell selbst sammeln könnte, blickt dann etwas frustriert auf, um mal zu gucken, wen Justine da gefunden hat.
Sie sieht sie mit einem Mädchen, das Lily vage bekannt vorkommt. Möglicherweise eine Hufflepuff, und definitiv eine Umarmfreundin. Die beiden reden irgendetwas, eine Minute, zwei Minuten, und Lily wendet sich schon fast wieder beleidigt ihren Berechnungen zu, da kommen die beiden auf sie zu..
"Hi!" sagt die eventuelle Hufflepuff.
"Das ist Lien. Lien van Rozestruik" sagt Justine und bietet dabei eine ganz passable Aussprache des Namens, an den Lily sich jetzt auch wieder vage erinnert. Dritte Klasse, Wahrsagen mit den Hufflepuffs. Und: fünfte Klasse, auf insgesamt drei sterbenslangweiligen Vertrauensschülervollversammlungen am Anfang jeden Trimesters. Und: Mensch, die hat sich ja verändert.
"Lily. Lily Evans", sagt sie und schüttelt Liens Hand (noch so eine Handreichbekanntschaft für sie, das muss sie sich jetzt auch noch merken), und dann denkt sie, dass diese Art der Vorstellung sie irgendwie an James Bond erinnert, aber natürlich hat's Justine versaut, aber andererseits kann sie's ja auch gar nicht wissen, wo sie doch bis vor ein paar Tagen nicht einmal wusste, was Fernsehen war.
Lien hat einen angenehm festen Händedruck. Anders als gewisse Leute, die einem einen toten Fisch in die Hand geben und dann erwarten, dass man sich mehrere Sekunden lang mit diesem toten Fisch beschäftigt. Lily hasst sowas. Lien hat außerdem ihre blonden Haare so kurz geschnitten, wie es der Hogwarts-Dresscode für Mädchen gerade noch erlaubt, und dann noch einen Zentimeter kürzer.
Der Hogwarts-Dresscode für Mädchen ist ein mehrbändiges Konvolut, dass inzwischen glücklicherweise eher großzügig ausgelegt wird, es sei denn, ein Lehrer versucht mal wieder, ein Arschloch zu sein. Aber im Allgemeinen wird man, beispielsweise, wegen des Tragens eines knielangen Rockes noch nicht zum Nachsitzen verdonnert, auch wenn wadenlang (mit Fußnote: "die untere Hälfte der Wade ist gemeint") vorgeschrieben ist. Wegen der Haare haben die sich aber manchmal ganz schön affig, denkt Lily. Liegt vielleicht daran, dass die Schuluniformen an sich schon eher androgyn sind.
(Der Hogwarts-Dresscode für Knaben besteht aus dem gutgemeinten Ratschlag, mit dem Wachsenlassen des Rauschebarts wenigstens bis zur Volljährigkeit zu warten und das Hemd gefälligst in die Hose zu stopfen, vielen Dank auch.)
"Und, was sagst du zu dem Wechselkurs? Ein Spaß, oder?" fragt Lien. Sie hat sie wohl schon als Muggelgeborene identifziert. Aber gut, Lily hat auch einen normalen Namen anstelle von, sagen wir, Seraphina Florentina Valensina du Rîch-et-Vieux, und vermag es außerdem, sich einigermaßen geschmackvoll anzuziehen, daran wird's liegen.
"Naja. Ja. Nein, das ist nicht mehr lustig", sagt sie und versucht gleichzeitig, im Kopf zu überschlagen, was sie sparen würde, wenn sie das Pergament in Zukunft doppelseitig beschreibt. Lien hat sich inzwischen ungefragt ihre inzwischen mit Anmerkungen versehene Liste geschnappt und runzelt die Stirn.
"In der Knockturn Alley gibt's einen An- und Verkauf. Da hab ich die meisten Bücher bekommen, eigentlich alle bis auf die Astronomietafeln."
"Lass mal sehen", sagt Lily und Lien lässt sich in den Bücherbeutel schauen. Gut, denkt sie, Lien führt hier praktisch eine Staubwolke spazieren, aber bei einem Punkt hat sie recht, teuer können die Dinger nicht gewesen sein.
"Sind ja ganz schön historische Ausgaben", meint sie dann.
"Die gehen schon", sagt Lien, "musste nur ab und an mal was aus der Bibliothek ausleihen oder bei jemandem reingucken. Sofern uns die altehrwürdigen Reinblüter noch gucken lassen -?"
Justine streckt ihre Handflächen in einer Friedensgeste aus. "Dich lass ich immer gucken, Lien", sagt sie mit einem Grinsen und Lien grinst zurück und zwinkert ihr mit beiden Augen zu und das sieht Lily und irgendwie findet sie das niedlich.
"Und außerdem", sagt Lien, "ich hab dafür immer noch fast soviel Geld ausgegeben wie für die gaze Bahnfahrt hierher, und ich komm immerhin aus Glasgow."
Glasgow? Lily schaut Justine an, aber die schaut nicht mal zurück.
"Und hast du gemerkt, dass die Lehrer dieses Jahr fast durchgehend die günstigsten Lehrbücher auf den Plan gesetzt haben?" fährt Lien fort.
"Nee", sagt Lily bitter, "da hab ich nichts von gemerkt." Aber Justine hat jetzt wohl auch was erkannt.
"Das stimmt schon", sagt sie und deutet auf die Liste. "Das Standard Book of Spells Grade XYZ ist weg, dafür haben wir Advanced Spells in Theory and Practice. Kostet glatt ein Drittel weniger. Und guck mal, das hab ich noch gar nicht gemerkt, Muggelkunde ist jetzt Pflichtfach."
Die drei schauen sich ein.
"Eine Gegenkonspiration also", sagt Lien und grinst.
"Meinste?" fragt Justine. "Die eigentliche Konspiration ist ja schon eher fragwürdig."
"Nee, du verstehst nicht -"
"Der Wechselkurs lässt sich doch bestimmt irgendwie erklären, makroökonomisch oder so -"
"Ich hab vorhin vor diesem besseren Lumpensammler bei Nuts for Knuts fast einen Kniefall machen müssen, damit er mir überhaupt sein kostbares recycletes Pergament verkauft. Der wollte schon gar nicht mehr glauben, dass Muggelgeborene überhaupt noch nach Hogwarts dürfen", sagt Lien.
"Der hat aber schon immer gesponnen", sagt Justine, und insgeheim gibt Lily ihr recht. Und damit fällt ihr auch was ein.
"Das Problem ist hiermit gelöst", sagt sie.
Fragende Blicke.
"Ich zeig's diesen verdammten Pergamentnazis", verkündet sie düster. "Von jetzt an werd ich sie mal mit Karoblocks und Aktenordnern und Kugelschreibern konfrontieren, ha!" Sie kann sich da bestimmt an Petunia wenden, die müsste sowas eigentlich besitzen.
Lien kichert. "Ich mag die Art, wie du denkst", sagt sie, und Lily grinst. Irgendwie gehört Lien zu den Menschen, von denen man gerne positiv bestätigt wird, aber darüber wird sie wohl später mal nachdenken.
"Aber um mal zur Gegenkonspiration zurückzukommen", sagt Lien, "man muss auch mal bedenken, wen Dumbledore in den letzten Jahren so alles zu Vertrauensschülern gemacht hat."
"Da hab ich jetzt gar nicht so drauf geachtet", sagt Lily. Sie erinnert sich im Groben und Ganzen natürlich schon, wer so alles Vertrauensschüler ist oder war, aber jetzt, wo sie drüber nachdenkt, stellt sie fest, dass sie bei wenigstens der Hälfte keine Ahnung hat, aus was für einer Familie die nun kommen. Irgendwie ist sie darüber froh.
"Nee, ich auch nicht", sagt Justine, von der Lily weiß, dass sie ungefähr einmal pro Schuljahr aus allen Wolken fällt, wenn sie feststellt, dass der Idiot, der ihr gerade Punkte für Nach-Beginn-der-Stunde-noch-den-Gang-Entlangrennen abgezogen hat, dies tatsächlich darf, weil er zufällig Schulsprecher ist, und nicht bloß eine große Klappe hat.
"Lauter Mischlinge und fast keine Reinblüter. Gottverdammtnochmal, diese Terminologie ist ja schon zum Kotzen", sagt Lien. "Das klingt, als würd' ich über Hunde sprechen. Kein Wunder, dass die Zauberer alle 'nen Schaden haben, wenn die die ganze Zeit diese Wörter vorgebetet bekommen." Sie wirft einen Seitenblick auf Justine. "Anwesende selbstredend ausgenommen", fügt sie hinzu, "es sei denn, sie gestehen von allein."
"Äh", sagt Justine. Lily guckt bloß staunend Lien an, die offenbar gerade ein Lieblingsthema erwischt hat.
"Im Ernst. Du ein Reinblüter und du ein, Anführungszeichen, Schlammblut, Ausführungszeichen, und ich ein Schlammblut und ein Bastard noch dazu." Sie lacht. "Das einzige, was so einen Slytherin noch mehr provoziert als die Existenz einer Muggelgeborenen, ist die Existenz einer Muggelgeborenen, deren Eltern nicht mal verheiratet sind. Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass es a) falsch wäre, zu behaupten, alle Slytherins wären bigott, auch wenn die empirische Betrachtungsweise dies vielleicht nahelegt, und b) dass sich die Bigotterie nicht nur auf Slytherin beschränkt, dankeschön", und da muss sie erst einmal Luft holen.
"Das hast du schön gesagt. Politisch korrekt und so", sagt Lily.
"Ja. Bis auf das 'Schlammblut'. Das solltest du streichen, bevor du in die Politik gehst", sagt Justine.
"Kann sein, aber", Lien überlegt, "wo, verdammt noch mal, ist eigentlich mein Faden geblieben?"
Lily denkt.
"Aber irgendwie gefällt mir das nicht", sagt sie schließlich.
"Was gefällt dir nicht?"
"Das Gegenkonspiration-Dings", versucht sie zu erläutern. "Ich meine, auch wenn mir bis heute nicht eingefallen ist, ob mir die Sache mit dem Vertrauensschülersein nun hätte peinlich sein sollen oder nicht, also, mal angenommen, mir wäre nicht so lächerlich zumute gewesen bei der ganzen Sache - hört sofort auf zu lachen -, dann hätte ich mich doch entschieden dagegen gewehrt, nur deswegen ausgewählt worden zu sein, damit Dumbledore ein antirassistisches Statement machen kann."
"Da haste irgendwo Recht", sagt Lien und denkt nach. Lily lernt noch was über Lien, nämlich, dass sie auf ihrer Unterlippe kaut und in den Himmel schaut, wenn sie nachdenkt."Aber sieh's mal so: dieser Posten ist als solches doch komplett unbrauchbar. Du befolgst sinnlose Regeln und erzählst anderen, dass sie noch mehr sinnlose Regeln befolgen sollen. Wenn man ein antirassistisches Statement aus der Sache machen kann, dann hat man doch wenigstens den Sinn dieses an sich sinnlosen Postens voll ausgeschöpft. Oder so."
"Stimmt schon. Hurra, wir sind die Postergirls der Gegenkonspiration. Oder so."
"Die werden sich noch mal umgucken", stimmt Lien zu. Und nach einem Blick auf die Uhr: "Na, ich muss dann mal. Ich hab für die Rückreise ein paar Leute mit einem Portkey aufgetan, aber ich wette, die würden nicht auf mich warten."
Sie überrascht Lily durch eine flüchtige Abschiedsumarmung. Ging ja schnell, denkt Lily. Das muss sie sich jetzt auch noch merken.
"War schön, sich mal zu unterhalten", sagt Lien und wendet sich Justine zu.
"Lien -"
"Wir sehen uns, nehme ich an?" fragt Lien.
Justine lächelt. "Wir sehen uns", sagt sie.
"Du kommst inzwischen klar?"
"Klar. Bin ein großes Mädchen", sagt Justine, während sie allerdings zu Lien heraufschauen muss, denn sie ist tatsächlich ein ziemlich kleines Mädchen.
"Du baust keinen Mist? Also, keinen größeren als üblich?"
"Ich orientier mich da ganz an dir."
"Gut." Lien legt die Stirn in Falten. "Hast du auch ein Taschentuch dabei, Kind?"
"Hau ab, Lien."
Sie drücken sich, und weg ist Lien. Sie winkt noch mal.
Lily glaubt eher nicht, dass Justine in diesen Ferien überhaupt noch irgend jemanden sehen wird, aber vielleicht meinten die beiden Hogwarts. Kann ja sein.
"Nettes Mädchen", sagt sie und denkt sich, auweia, jetzt klingt sie bald wie ihre eigene Mutter. 'Nettes Mädchen, aber sie sollte sich mal kämmen' - O-Ton Mrs. Evans.
"Sehr nettes Mädchen" bestätigt Justine abwesend; ihr Gesicht leuchtet ein wenig, von einem Lächeln, das noch nicht ganz weg ist. "Aber wir sollten mal zu diesem An- und Verkauf, die machen in der Knockturn Alley immer schon früh zu." Ja, und nachts wieder auf, haha. Aber das muss Justine gar nicht hinzufügen, das weiß Lily von ganz allein. Gut, das weiß sie von Gerüchten. Also weiß sie es eigentlich nicht.
Bücher kaufen gehen. Na also. Vielleicht reicht's ja anschließend doch noch für Fortescue's.
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Am Mittwochmorgen sitzt Justine auf dem Fensterbrett in Lilys Zimmer und raucht eine Zigarette.
Lily braucht natürlich eine Weile, um dies festzustellen. Zunächst ist da der kühle Luftzug, der sie weckt - das warme Wetter ist wohl vorbei - und danach muss sie sich immer noch entscheiden, die Augen aufzumachen, und danach weiß sie nicht recht, ob sie wütend auf Justine sein soll, weil die das Fenster aufgemacht hat, oder ob sie Justine dankbar sein soll, dass sie wenigstens das Fenster aufgemacht hat, während sie hier einfach eine raucht.
Und dann merkt sie, wie unglaublich früh es noch ist, und sie puzzlet sich ein Bild zusammen.
"Was wird das denn?" fragt sie.
Justine scheint nicht im geringsten überrascht, dass sie wach ist. Eher resigniert.
"Ich gehe jetzt", sagt sie.
"Wohin?" fragt Lily. Sie ist inzwischen aufgestanden und geht vorsichtig schon mal in Richtung Tür, mit der vagen Absicht, diese zu blockieren. Das ist wieder so'n typischer Fall Hundehaufen, denkt sie. Sie hat Mr. McKinnons Stimme gehört. Justine hat Ärger, geradezu unglaublichen Ärger, und jetzt sagt sie auch noch:
"Ich hab doch gesagt, dass ich mit Lien ans Meer fahre."
Ob sie weiß, dass sie sich wie ein verzogenes Kind anhört?
"Ach. Und was soll ich deinem Vater erzählen, wenn er Punkt neun hier vor der Tür steht?"
Justine hebt die Schultern. "Dass ich Punkt sechs hier abgehauen bin und dir nicht gesagt hab, wo ich hingehe."
"Du fährst ans Meer, hast du gesagt."
"Dann ist ja gut", sagt sie, und raucht, "dass das hier eine Insel ist."
Sie wirft den Zigarettenstummel aus dem Fenster. Ist wohl vorbei mit den guten Manieren. Sie steht auf, nimmt sich ihren Rucksack, den sie irgendwann in der Nacht gepackt haben muss, und geht auf die Tür zu.
Lily bemüht sich, die Tür noch ein wenig offensichtlicher zu blockieren.
"Wir sehen uns in anderthalb Wochen", sagt Justine, und dann merkt Lily erstens, dass sie gar nicht auf die Tür zugangen ist, sondern auf Lily, und dass sie es offenbar zweitens, warum auch immer, in Justines Begrüß- und Verabschiedungshierarchie einen Platz nach oben geschafft hat.
Noch 'ne Umarmfreundin, denkt Lily schwach, das muss sie sich jetzt wohl auch noch merken.
"Danke", flüstert Justine. Und bevor Lily groß protestieren kann, ist sie durchs Fenster verschwunden.
Lily geht gleich mal nachschauen, ob sich Justine bei den zwei Metern Fallhöhe eventuell etwas gebrochen hat, aber Justine hüpft schon davon, und sie dreht sich noch einmal um, lächelt sie an, und winkt.
