Erik
Erik war in sein eigenes Schlafzimmer zurückgekehrt und öffnete hastig die
Eckvitrine die direkt neben seinem Bett stand.
Darin bewahrte er die verschiedensten Mittel und Kräuter auf und wieder
einmal war er froh dafür gesorgt zu haben dass immer die wichtigsten Zutaten bereitstanden.
Routiniert nahm er alles heraus was er brauchte und begann verschiedene Kräuter
mit heißem Wasser aufzubrühen und sie darin zu zerstampfen.
Welcher Wahnsinn hatte Christine dazu bewogen sich ins Wasser zu stürzen. Oder
hatten seine Augen ihm einen Streich gespielt und sie hatte nur das Gleichgewicht verloren und war aus dem Boot gefallen.
Die Kräuter hatten sich mittlerweile zu einer hässlichen ockergrünen Masse verbunden und verströmten einen herben Geruch. Erik erhitzte sie nun auf einer großen Flamme, fügte dann ein weißliches Pulver hinzu und ließ alles eine Weile köcheln während auch er sich seiner durchnässten Kleider entledigte.
Als sich die Farbe in schlammiges Braun verwandelt hatte nahm er die Schüssel
vom Feuer und füllte das Gebräu in ein Trinkgefäß um.
Mit sorgevollem Blick und schnellen Schritten kehrte er zu Christine zurück.
Raoul hatte in der Zwischenzeit ein Feuer entzündet, welches nun den
Raum mit tanzenden orangenen Schatten füllte.
Hat sich an ihrem Zustand irgendetwas verändert?" Eriks Frage war kurz und
knapp und schien Raoul aus seinen Gedanken aufzuschrecken.
Raoul schüttelte den Kopf: "Nein, aber sie scheint einen Alptraum zu haben. Ihr
Kopf zuckt ab und zu und die ihre Augen rollen unter den Liedern rastlos umher."
"Alpträume sind nicht schlecht. Sie bedeuten dass sie sich wieder mehr im
Bewusstsein befindet als im Dämmerzustand."
"Hier," Erik hielt den Becher mit der Arznei in die Höhe. "Das wird ihr helfen.
Würden sie es ihr bitte einflößen?"
Raoul blickte ihn überrascht an, nahm ihm aber dann den Becher ab und setzte
sich zu Christine auf die Bettkannte.
Sacht legte er ihr einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich hoch.
Erik wandte sich ab. Er wollte dem Vicomte dieses Privileg nicht vorenthalten,
allerdings konnte er nicht zusehen, da es ihn vor Eifersucht innerlich zerriss.
Raoul war es schließlich mit dem Christine gegangen war. Er selbst hatte
keinerlei Rechte an ihr.
Wieder schienen sich Tränen an die Oberfläche kämpfen zu wollen, doch er zwang
sie nieder und verfluchte sich innerlich für seine Schwäche.
"Ich werde draußen warten", stieß er noch mühsam hervor und verließ dann,
vielleicht ein wenig zu hastig den Raum.
Erik war froh dieser erdrückenden Szenerie entkommen zu sein. Er stützte sich auf den Rand seiner Orgel und zwang seine wirren Gedanken zur Ordnung. Leise Schritte holten ihn zurück in die Gegenwart. Raoul war aus Christines Zimmer getreten und schloss nun leise die Tür. „Sie scheint nun zu schlafen", mit diesen Worten ließ er sich auf den Diwan sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen. Er sah viel älter aus als er war und unendlich müde. „Was hat sie sich bloß dabei gedacht?" Seine Stimme klang dumpf durch seine Finger hindurch und er schüttelte beim Reden leicht den Kopf. Ein starkes Gefühl des Mitleids überkam Erik. Mitleid mit seinem Konkurrenten der nun vollkommen hilflos vor ihm saß. Er zog sich einen der Sessel heran und nahm in einigem Abstand gegenüber von Raoul platz. „Ich kann beim besten Willen nicht verstehen was sie dazu veranlasste in den See zu springen. Hat sie denn vorher nichts gesagt oder getan?" Eriks Stimme klang vollkommen leer und ausdruckslos. Raoul sah auf und es schien als würde ihm wieder bewusst werden mit wem er hier so idyllisch zusammensaß. Sofort strafften sich seine Schultern und der leicht spöttische Ausdruck um seinen Mund kehrte zurück. „Sie sagte nur sie wolle zurück!" Erik holte hörbar Luft. „Ah! Nun Monsieur, ich kann verstehen dass sie sie nicht zurückkehren lassen wollten, aber dies ist wohl der Grund für ihre unüberlegte Tat. Aber das ist nun nicht wichtig. Das Einzige was nun zählt ist dass ihre Kräfte zurückkehren und sie überlebt. Und das kann sie nur indem sie ruht." „Ich werde selbstverständlich hier bleiben und alles tun damit es ihr bald besser geht." „Das wird nicht nötig sein, Monsieur le Vicomte. Sie können hier nichts tun. Auch ich werde nichts tun können als warten und ab und an das Feuer schüren. Sie sollten nach Hause gehen." Raoul sprang auf. „Und sie hier mit IHNEN allein lassen, sicher nicht!" „Was soll denn geschehen? Habe ich nicht bewiesen dass ich sie gehen lassen werde wenn sie es wünscht. Ich geben ihnen mein Wort ihnen jederzeit Einlass in meine Wohnung zu gewähren so lange sie hier ist." Er war es leid, leid sich beschuldigen zu lassen, leid sich zu verteidigen. Er wollte allein sein und der Gedanke den Vicomte für die nächsten Tage zu beherbergen schien ihm unerträglich.
