Vertrauen
Angst klopfte an die Tür, Vertrauen öffnete und niemand stand draußen.(chinesische Weisheit)
„Junge! Mach das Gatter auf!" Yosh tat wie ihm befohlen und ließ das Gatter aufspringen. Die Kühe nahem diese Chance wahr und liefen hindurch, hinein in den Stall. Damian kam auf Moritz hinterher. „Gut, komm, da wartet noch Arbeit auf uns!"
„Ich weiß!", erwiderte Yosh und lief in Gummistiefeln hinter Damian her, welcher schon vorgeritten war.
Langsam stapfte er den schlammigen Weg entlang. Nachdem Regen war es ziemlich schnell wärmer geworden, sodass der Boden mittlerweile getaut und sehr feucht war.
Damian hielt es für besser, das Vieh wieder reinzuholen, damit die Weiden ordentlich wachsen konnten. Außerdem waren einige der Tiere bereits tragend, sie sollten Aufregung möglichst vermeiden.
„Damian?", rief Yosh, nachdem er das große Eisentor aufgeschoben hatte. Ihm schlug der Geruch von Kühen, Silage und Futter in die Nase.
Es roch unangenehm.
„Hier bin ich. Schnapp dir eine Focke, dann geht das füttern schneller."
Yosh sah sich um und nahm sich die am nächsten stehende Focke und begann die Silage, die in der breiten Gasse aufgehäuft war, in die Tröge zu schieben.
Damian kam zu ihm und sie arbeiteten schweigend nebeneinander, bis der Mann die Stille durchbrach.
„Was ist nur los mit dir Yosh. Alicia kam gestern wild wie eine Furie von oben herunter. Sie hat kein Wort mit uns gewechselt, nur böse Worte geflucht. Was hast du gemacht?" Yosh hielt in der Bewegung inne und schaute auf Damian, welcher scheinbar ungerührt weiter arbeitete. Doch Yosh konnte genau erkennen, wie der Mann ihn aus dem Augenwinkel beobachtete.
„Ich hab gar nichts gemacht… Zumindest nicht so, wie du denkst!", antwortet Yosh und warf einen Haufen Silage in die Tröge vor sich.
„Was habe ich denk gedacht?", fragte der Mann scheinheilig. „Ich kenne den Ruf von Alicia, glaub mir. Wenn sie irgendwas will, dann…!"
„Genau das ist der springende Punkt. Sie will und ich nicht. Und genau das habe ich ihr gestern deutlich gemacht. Schien ihr nicht gefallen zu haben, aber weißt du, wenn ich…", versuchte Yosh sich zu rechtfertigen, aber Damian fuhr dazwischen.
„Du musst dich nicht entschuldigen. Wenn du etwas nicht willst, solltest du es auch sagen. Nur weißt du, ich und Marie machen uns Sorgen. Wir dachten, die würdest dich mit dem Mädchen verstehen und sie vielleicht sogar heiraten und…!" Yosh fuhr erschrocken auf und starrte Damian verwirrt an.
„Heiraten? Ich? Sie? Also, weißt du…!" Damian lachte fröhlich.
„Ja, das haben wir uns eigentlich gedacht, aber so wie es aussieht, hast du da ganz andere Dinge im Kopf, wie? Was war das eigentlich für ein komischer junger Mann, neulich in der Stadt? Kanntest du ihn? Marie hat mir eigentlich verboten, dich darauf anzusprechen, sie meinte, wenn du uns etwas zusagen hast, würdest du das auch von alleine tun."
„Klar, das Marie ihre Finger mit im Spiel hat!", meinte Yosh nachdenklich und arbeitete weiter. Bisher hatte er noch nie mit jemanden über seine Gedanken gesprochen. Er schaute kurz zu Damian, welcher ob seiner Aussage, zu denken schien, Yosh wolle nicht darauf antworten. „Nein, ich kannte ihn nicht. Aber…!" Verlegen blickte Yosh zur Seite. Sollte er Damian einfach erzählen, was ihn bewegte? Ihm erzählen, dass er sich im Nachhinein richtig mies gefühlt hatte? Nur weil er so kühl zu dem Blonden gewesen war? „Ich weiß auch nicht. Da war etwas… Hast du nicht seinen Blick gesehen? Er sah so… verletzt aus. Schon seltsam, oder?" Verlegen strich Yosh sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Die Arbeit war vergessen, sie hatte nach einer Weile aufgehört und Damian, welcher sich auf eine längere Unterhaltung gefasst machte, winkte den Jungen zu sich.
„Ist besser, wenn wir uns wo anders hinsetzen, meinst du nicht?", fragte er gütig und Yosh schaute auf.
„Und was ist mit den Tieren?"
„Die meisten haben schon, den Rest können wir auch nachher machen. Nun komm. Ich hab noch irgendwo einen feinen Brandy stehen und ein paar Zigarillos müssten sich auch auftreiben lassen!", er grinste freundlich und ging zu einer kleinen Tür. „Erzähl das aber bloß nicht Marie. Sie mag nicht, wenn ich rauche oder trinke." Er schloss die Tür auf und schaltete das Licht an. Es war ein kleiner, aber gemütlicher Raum, auch wenn er ein wenig staubig war. Ein Holztisch stand in der Mitte, ein Sessel unter einem kleinen schmutzigen Fenster, genauso wie eine gemütliche Couch. In einer Ecke befand sich ein Ofen und Damian war gerade dabei ihn anzuzünden. Nachdem er das geschafft hatte, wies er Yosh an, sich zu setzen und suchte in einem kleinen Holzschrank nach einer Flasche und zwei Gläsern. Ebenfalls zog er ein kleines Etui heraus.
Er schenkte ihnen ein und bot Yosh eine der Zigarillos an.
„Nein danke, ich mag die Teile nicht besonders…!", meinte Yosh und schüttelte den Kopf. Die Antwort war instinktiv und er kannte den Geruch auch, woher war ihm schleierhaft.
Aber war das in letzter Zeit etwas Unnormales? Er machte, wusste, kannte und fühlte so viele Dinge, die er nicht kennen durfte, weil er sie in ‚diesem' Leben, seinem neuem Leben, noch nie getan, gefühlt, gelernt oder angewandt hatte.
„Nicht? Du magst sie nicht? Na gut, stört dich hoffentlich nicht, wenn ich…!" Yosh schüttelte den Kopf.
„Nein, mach nur…!" langsam griff er zu seinem Glas, leerte es in einem Zug und spürte sogleich, wie der Alkohol sich in ihm breit machte. Angenehme Wärme, gemischt mit der Hitze und dem Brennen des Brandys, breitete sich in seinem Körper aus.
„Du willst also wissen, was mich beschäftigt?", fragte er langsam und ließ sich von Damian nachschenken. Dieser nickte nur und zündete das Zigarillo an und nahm einige Züge.
Yosh
atmete tief durch und begann dann zu erzählen.
Wie er sich
fühlte, einige seiner Gedankengänge. Von der Begegnung mit
dem komischen Jungen, von seiner Sehnsucht, von seinem
unentschlüsseltem Wissen, dass da jemand sei, von der Eule, von
dem Brief.
Und es tat gut, sich anzuvertrauen, auch wenn es ihm Anfangs Unbehagen und ein wenig Angst gemacht hatte.
Es war eine anstrengende, mühsame Aufgabe, die Draco sich auferlegt hatte. Niemand schien zu wissen, wer der Junge war. Die benachbarten Dörfer, welche meist nicht als ein paar in der Nähe liegende Bauernhöfe waren, hatten wenig mit der ‚Stadt' zu tun und nur durch Zufall war Draco an einen Kurier gekommen. Dieser war für die Post verantwortlich und kam somit auch in etwas weiter entfernten Gegenden. Er hatte von einem Jungen gehört, welcher anscheinend sein Gedächtnis verloren hatte. „In so kleinen Orten spricht sich so was schnell herum, müssen sie wissen. Das ist ganz anders, als in einer Stadt, da kennt man ja kaum seinen Nachbarn. Gestern erst hab ich meiner Frau gesagt…!" Draco hatte sich jedoch umgedreht und war seiner Wege gegangen, bevor der Mann weiter sprechen konnte.
Er hatte erfahren, was er wissen wollte. Das Dorf war von hier aus knapp eine dreiviertel Stunde entfernt. Keine große Strecke, also.
Langsam schlich er sich in eine kleine, schmale und schmutzige Seitengasse.
Seine
Gedanken konzentrierten sich, so wie sie es ihm beigebracht hatten,
auf die Richtung und die ungefähre Entfernung.
Es gab ein
leises Plopp und Draco war disappariert.
Blaise war währenddessen im Zug und blätterte eine Zeitschrift durch, welche er sich zuvor gekauft hatte.
Er war auf eine gewisse Art und Weise beruhigt. Sie hatten zumindest eine Möglichkeit gefunden, wie sie Harry wiederbekommen konnten.
Auch wenn ihm die Gründe nicht bekannt waren, warum sich der Junge nicht mehr erinnern konnte. Nachdenklich schaute der Schwarzhaarige auf und blickte aus dem Fenster. Die Landschaft rauschte an ihm vorbei, verschwamm zu undeutlichen Farben.
Wie die Zeit, dachte er philosophisch. Auch sie zog weiter, wenn man nicht drauf achtete und wenn man es am wenigsten wollte, würde sie langsamer oder schneller. Manchmal kam man nicht mehr mit und verlor sich um Strudel der Farben, in die sich die Vergangenheit kleidete, wenn man nicht genau hinsah.
Ob es Harry auch so ergangen war?
Ob er auch nicht mehr mit all dem Geschehenen klar gekommen war?
War alles auf ihn eingestürzt, nachdem er sein Ziel, seinen Sinn, verloren hatte, ihn zu einem Teil seiner Vergangenheit gemacht hatte?
Blaise wusste es nicht, aber was er wusste war, dass dies kein Unfall gewesen sein konnte. Harry hatte den Dunklen Lord am Ende besiegt und wäre er nicht im vollen Besitz seiner Zauberkraft gewesen, hätte sich schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erinnern können, so hätte er es niemals geschafft.
Was war also der Grund, warum der Junge einfach nur vergessen wollte?
Und wieso hat er dies Draco angetan?
Liebte er den Blonden so wenig, als dass er alles, was geschehen war, einfach aufgab?
Hatte es dann überhaupt einen Sinn, dies für ihn zu tun, wenn er doch lieber für sich leben wollte?
War es dann nicht falsch, bei aller Liebe, ihn wieder in dieses Leben zu pressen, ihn an alles zu erinnern, was geschehen war?
Blaise war sich nicht sicher. Er wusste nicht, wie er gehandelt hätte.
Draco war egoistisch und manchmal dachte er nicht nach oder verschleierte die Tatsachen für seine Augen.
Ob er schon einmal darüber nachgedacht hatte, warum Harry dies getan hatte? Ob er zum selben Schluss gekommen war, wie Blaise?
Oder hatte er es nie in betracht gezogen, dass Harry nicht mehr wollte?
Das er seinem Leben nicht wie andere ein Ende setzen konnte, indem er in den Tod floh, sondern einfach vor seinen Erinnerungen?
Er heiseres Lachen entkam ihm. Nein, selbst wenn Draco es ahnte, er würde nie, niemals etwas hergeben, was mit Haut und Haaren ihm gehört hatte. Ob dieses ‚etwas' es nun wollte oder nicht, vor dem Blonden konnte man nicht fliehen.
In dieser Beziehung war er ganz sein Vater, ganz der Malfoy, zudem er durch Jahrelange, harte Erziehung geworden war.
Sein Vater hatte Draco auch nicht gehen lassen wollen und war bei dem Versuch seinen Sohn wiederzubekommen, kläglich gescheitert.
Draco hatte darüber nie gesprochen, doch Blaise war sich sicher, dass Draco froh war, nachdem sein Vater endlich gestorben war.
„Mein Vater war hier!", sprach die ruhige Stimme Dracos. Blaise schaute erschrocken auf und blickte zu Draco.
„Er war hier? Wie… Warum? Wir müssen Bescheid sagen, wir…!" Er wurde jäh unterbrochen. Draco hatte ihn mit einer simplen Geste seiner Hand zum Schweigen gebracht.
Ja, wenn Draco wollte, konnte er sich Gehör verschaffen. Seine Ausstrahlung erlaubte es ihm. Aus demselben Grund und nicht wie alles immer behaupteten wegen seinem Vater, hatte er schon in der ersten Klasse, halb Slytherin unter seiner Kontrolle gehabt. Selbst diejenigen, welche, zu seiner Bewachung da waren, hatten in bestimmten Momenten nur auf ihn gehört.
„Er war hier um mich zu warnen. Er wollte keinem von uns beiden etwas antun!"
„'Euch Beiden'? Harry auch?"
„Ich bin nicht oft ohne ihn!", lachte der Blonde leise. Blaise stimmt ihm zu. „Und warum? Warum hat er euch nicht angegriffen?"
„Er hätte keine Chance gehabt. Durch die Verbindung sind wir zu stark für ihn. Außerdem… Ich denke, er wollte mir zeigen, dass auch er nett sein kann. Vielleicht ein kranker Versuch, wieder Kontakt aufzunehmen.", winkte Draco ab.
„Kontakt? Hast du gar keinen Kontakt mehr zu deiner Familie?"
„Weißt du doch. Seitdem Vorfall im sechsten Jahr nicht mehr, nein."
„Und warum will er dich… ‚zurück'?"
„Weil ein Malfoy etwas, was er einmal besessen hat, niemals aufgeben wird. Und wenn es sein Leben kostet."
Eine abstrakte Denkweise hatten die Malfoys schon immer gehabt. Blaise fragte nie weiter nach, war er sich doch sicher, dass auch wenn Draco scheinbar alles verarbeitet hatte, sich immer noch Abgründe auftaten, die so tief waren, dass nur langsam Licht in sie dringen sollte.
Harry hatte vielleicht Recht. Manchmal ist vergessen besser. Ein Fluch und eine Gnade zugleich, es kommt nur drauf an, wie viel man bezahlen will um Beide zu kaufen.
Vielleicht war Harry bereit dies zu bezahlen?
Mit all den Zinsen und Zinseszinsen.
Blaise wandte seinen Blick vom Fenster ab und lachte trocken auf.
„Ich hab meinen Beruf verfehlt. Ich hätte Philosoph werden soll!"
Mit diesen Worten schenkte er seine ganze Aufmerksamkeit seiner Zeitschrift.
Yosh schaute betreten zur Seite. Er hatte Damian alles erzählt und auf eine abstrakte Art und Weise fühlte er sich befreit. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob er das Richtige getan hatte, indem er Damian in seine Gedanken eingeweiht hatte, so war dieses bisschen Vertrauen, dieses Aussprechen der Tatsachen, überraschend beruhigend.
„Und?"
„Wie und?", entgegnete Yosh irritiert.
„Junge,
was hast du jetzt vor? Freu dich doch, scheinbar sind deine
Erinnerungen noch nicht ganz verschwunden, wenn du dich an Sachen
erinnerst. Und wenn du ehrlich bist… Es passieren in deiner
Gegenwart häufig Dinge, die… Nun ja, nicht passieren können.
Ich könnte dir viele Beispiele nennen, aber ich denke, du weißt
was ich meine, oder?" Damian wiegte leicht seinen Kopf und zündete
sich ein weiteres Zigarillo an.
Auch wenn er nach außen hin
ruhig wirkte, so waren seine Gedanken aufgewühlt. Er mochte Yosh
gerne. War er doch wie der Sohn, den er nie gehabt hatte, auch wenn
er noch nicht lange hier war. Und Damian war sich sicher, dass Marie
das genauso sah. Auf der anderen Seite jedoch, wünschte er sich,
dass Yosh wieder lachen würde. Ehrlich lachen und ehrlich
glücklich sein könnte.
Denn auch wenn Yosh dachte, dass man es ihm nicht ansah, so wusste das Ehepaar nur zu gut, wie es in seinem Inneren aussah. Diese zweifelnden Blicke, wenn er etwas tat, wenn er angesprochen wurde oder wenn man ihn etwas fragte.
Vielleicht war das auch der Grund, warum er Alicia so abstieß. Anfangs waren sich Damian und Marie nicht sicher gewesen, aber nun, da der alte Mann erfahren hatte, welche Zweifel Yosh tatsächlich beschäftigten, war es nicht weiter verwunderlich.
Vielleicht hatte Yosh tatsächlich jemanden gehabt oder hatte immer noch jemanden, irgendwo dort draußen, der auf ihn wartete. Der vielleicht sogar dachte, er wäre tot.
Und das
Zusammentreffen mit diesen beiden jungen Männern in der Stadt,
dass war auch mehr als eigenartig. Vielleicht war Yosh der Lösung
all seiner Fragen schon so nah gewesen, aber er hatte sie nicht
erkannt oder wollte sie schlichtweg nicht erkennen.
Aber was
wusste Damian schon. Er war nie weiter gereist, als bis nach
Milltown. Brauchte er auch nicht, er fühlte sich auf dem Land
wohl, aber Yosh. Yosh gehörte nicht hierher und so sehr sich das
Ehepaar dies auch wünschten und einredeten, so wussten sie
Beide, dass es nicht der Wahrheit entsprach.
Yosh gehörte in eine andere Welt, die sich vielleicht noch extremer von der ihren unterschied, als das sie es ahnen konnten.
„Ich weiß, was du meinst, aber ich weiß es nicht. Damian, ich habe Angst. Angst, falls die Wahrheit irgendwann kommt und ich sie nicht aufhalten kann. Alles ist so seltsam. Was genau ist mit mir passiert, dass ich mich nicht erinnern kann? Warum war ich in einer so schlechten Verfassung, als du mich gefunden hast? Woher stammt die Brandwunde? Und wieso spüre, höre und rieche ich immer diese Person." Kopf schüttelnd hielt er sich die Hände vor sein Gesicht. „Gott, ich weiß nicht mal, ob es zu meiner Vergangenheit gehörte oder ob ich es mir nur wünsche."
„Ich denke nicht, dass du es dir nur wünscht. Sicherlich, ein Teil von dir bestimmt, aber vielleicht ist genau dieser Teil daran beteiligt, dass du dich langsam wieder erinnerst. Vielleicht kannst du etwas nicht vergessen, weil es zu wichtig ist oder war. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?", fragte Damian ruhig. Das Brüllen der Kühe ließ ihn jedoch aufmerken. „Komm Junge, ich füttere noch schnell die Tiere und du fragst mal Marie. Vielleicht hat sie noch Einkäufe zu erledigen und du kannst noch mal runter zum Krämer. Ich hab sie vorhin fluchen hören, dass die Pfanne langsam kaputt geht. Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken!" Er drückte sein Zigarillo auf dem Boden aus, trank den letzten Schluck Brandy und verließ dann das kleine Zimmer. Yosh saß noch da, den Kopf immer noch in seinen Händen vergraben.
Dann, plötzlich, als hätte er eine Entscheidung gefällt, stand er auf und verließ ebenfalls den Raum. Vielleicht sollte er Marie wirklich fragen.
Er betrat das Haus und musste auch nicht lange suchen um Marie zu finden. Sie stand in der Küche und schnitt Gemüse.
„Yosh, schön, das du da bist. Was kann ich für dich tun?", fragte sie freundlich und lächelte ihn an. Yosh erwiderte das Lächeln matt.
„Damian hat gesagt, du bräuchtest eine neue Pfanne. Ich wollte sowieso noch mal runter und kann sie dir mitbringen, wenn du willst!", bot er an und nahm sich ein Glas aus dem Schrank, welches er mit Wasser füllte. Er mochte keine Milch.
„Oh, sicher! Warte, ich bin gleich da und gebe dir Geld mit!", rief sie freudig und verschwand ins Wohnzimmer um nach dem Geldbeutel zu suchen. Kurz darauf war sie wieder da.
„Hier, aber achte gut drauf! Nicht, dass du was verlierst. Falls etwas übrig bleibt, kannst du es gerne behalten!", zwinkerte sie. Yosh nickte.
„Ich weiß nicht, wann ich wieder da bin!", meinte er und griff sich seine Jacke von dem Stände im Flur.
„Ist gut, aber achte wenigstens darauf, falls du irgendwo übernachtest, uns vorher anzurufen. Nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen."
„Mach ich!", verabschiedete sich Yosh und ging los.
Es würde eine Weile dauern, dessen war er sich bewusst. Die Höfe lagen zwar nicht weit auseinander, aber es war schon etwas anderes, ob man mit dem Auto, dem Fahrrad oder einem Pony das Zentrum dieses Nichts besuchte.
Oh ja, ein Nichts war es tatsächlich. Aber es wäre anmaßend gewesen, sich so abfällig über sein neues zu Hause zu äußern.
So dachte er besser nicht daran, verursachte der Gedanke alleine schon Schuldgefühle ihn ihm. Marie und Damian waren nett zu ihm, sie hatten ihn aufgenommen, erwarteten nur, das er ein klein wenig im Haushalt half.
Es war in Ordnung. Es gab sicherlich Leute, die sich darüber freuen würden.
Ganz bestimmt.
Wütend trat er nach einem kleinen Stein auf dem Weg.
Klackernd sprang er einige Meter weiter, bis er liegen blieb.
Die Anfängliche Befriedigung, die er nach dem Gespräch mit Damian empfunden hatte, war verflogen und nun breitete sich Wut ihn ihm aus.
Wut auf sein neues Leben.
Wut auf seine Vergangenheit.
Wut darauf, dass er undankbar war.
Wut auf sich selbst.
Das er auch nie zufrieden sein konnte.
Immer nur er, er, er.
Vielleicht hatte die alte Fledermaus damals recht gehabt, als sie sagte, er würde so anmaßend sein, wie sein Vater und…
„Was?", er keuchte erschrocken. Was hatte er da gerade gedacht? Fledermaus? Vater?
Verwirrt blieb er stehen, schloss seine Augen und versuchte den Bilderstrom in seinem Inneren deuten zu können. Alles verwaschene Farben, nichts was ihm half.
Wieso
erinnerte er sich gerade jetzt daran?
Wieso musste er immer
wieder neue Fragen gestellt bekommen, die er sowieso nicht
beantworten konnte?
Und warum
stellte er sich überhaupt diese Fragen?
Konnte er es nicht
einfach auf sich beruhen lassen?
„Ich werde wahnsinnig.", sprach er monoton und blickte nach vorne. Er konnte die kleine Ansammlung von Geschäften schon erkennen.
Die Zeit verfliegt, wenn man nachdenkt, dachte er überrascht. Schon komisch…
Schnell schritt er weiter, dabei schaute er sich um. Alicias Haus war ganz in der Nähe. Eine Ecke hinter der Scheune.
Er blickte zur besagten Scheune und erinnerte sich an ihr… missglücktes Schäferstundchen. Etwas zog ihn magisch dahin. Es war seltsam das Wort ‚Magisch' mit etwas in Zusammenhang zu bringen. Irgendwie vertraut.
Langsam ging er darauf zu. Er sollte sich wirklich entschuldigen, auch wenn nichts mehr zwischen ihnen sein sollte, so würde er wenigstens des Friedens Willen mit ihr reden.
Er brauchte keine Feinde. Nicht noch mehr.
Vorsichtig schritt er näher auf das große Scheunentor zu. Irgendwie fühlte er sich unwohl, als würde etwas über ihm sein, ein dunkler Schatten, ein böser Blick.
Dabei war das Wetter alles andere als bedrückend. Immer noch ziemlich kühl, aber die Sonne schien und warf die ersten warmen Strahlen auf ihn. Irgendwo krächzten ein paar Raben.
Er strich mit den Fingern über das alte Holz des Tores und öffnete es schließlich. Niemand war da, nur das Sonnenlicht ließ das Stroh golden Schimmer.
„Wie lächerlich!", schallte er sich selber und wollte das Tor gerade wieder schließen, als er eine Bewegung hinter sich spürte. Abrupt drehte er sich um.
David, Markon und Seamus standen ihm gegenüber, die Hände locker in den Taschen ihrer ausgeblichenen und schmutzigen Jeans vergraben.
Yosh sah sie betont gelangweilt an. Es waren dieselben Typen, die ihn schon einmal in die Mangel genommen hatten. Ein Wunder, dass sie sich noch in seine Nähe trauten.
„So alleine du Freak?", fragte David und kam grinsend auf ihn zu. Yosh rührte sich nicht, auch wenn das Wort ‚Freak' unangenehme Gefühle ihn ihm weckte, die er aber nicht wirklich einordnen konnte.
„Was wollt ihr? Hat es euch beim letzen Mal nicht gereicht?", entgegnete Yosh ruhig, doch der drohende Unterton in seiner Stimme war deutlich.
„Letztes Mal? Da hast du uns überrascht. Aber diesmal nicht du Schwuchtel!", knurrte Seamus und grinste böse.
„Schwuchtel? Ich wüsste nicht, dass ich ans andere Ufer gewechselt hätte!", entgegnete Yosh, doch Wut, die er vorhin noch gespürt hatte, stieg wieder in ihm auf. Er fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise berauscht. Macht vermischt mit den unterschiedlichsten Gefühlen floss durch seine Adern. Er brauchte nur nach ihr zu greifen und… „Was wollt ihr? Ich habe noch andere Dinge zu tun, als mich mit euch zu unterhalten."
„Klappe. Danach hat niemand gefragt. So eine Schwuchtel wie du, hat uns überhaupt nichts zu sagen!", brauste David auf und zog eine Hand aus seiner Tasche. Ein Messer blitzte gefährlich auf.
„Wie oft soll ich eigentlich noch sagen, dass ich keine ‚Schwuchtel' wie du so schon sagtest, bin? Oder muss ich es dir noch aufschreiben? Auch nein, ich vergaß, dass mit dem Lesen bekommst du ja nicht so hin, oder?" Er fühlte sich vollkommen sicher. Ihm konnte gar nichts passieren, denn da war etwas, was dies verhindern würde. Etwas was ihn beschützte.
„Du musst uns gar nichts erklären. Alicias Erklärung reicht uns vollkommen. Du hast sie ziemlich beleidigt, als du sie zurückgewiesen hast, weißt du? Man weist sie nicht einfach zurück!", meinte Seamus. Sie waren in der kurzen Zeit naher gekommen und standen nun in einem Halbkreis um Yosh.
„Ah, hat sie sich bei euch ausgeheult? War zu erwarten, bei diesem Flittchen! Tschuldige, aber ich schlafe ungern auf gebrauchten Matratzen!", meinte Yosh selbstsicher. Er hatte sich zwar vorgenommen, Frieden mit ihr zu schließen, aber wenn sie dazu nicht bereit war? Er würde nicht nachgeben.
„Wie kannst du…!" David schlug mit der Faust nach ihm, doch Yosh hatte keine Angst. Diese Kraft durchflutete ihn, entwich nach draußen, schützte ihn, ihren Meister.
Die Faust traf mit einem leisen Knallen von einer unsichtbaren Wand ab. Sie war leicht verbrannt. „Du kleiner Mistkerl, was hast du…!" er konnte nicht ausreden, denn Yosh hatte seine Hand erhoben. Er wusste nicht genau, wie er es machte, es geschah einfach. Er wollte ihnen Schmerzen zu fügen, wollte ihnen eine Lektion erteilen, dass sie sich schon wieder gegen ihn verschworen hatten.
Er fixierte die Kraft, richtete seine Gedanken allein auf seinen Befehl und schaute zu, wie seine ‚Gegner' mit verzerrten Gesichtern zu Boden gingen. Er ergözte sich an ihren Schmerzen, liebte es sie schreien zu hören, auch wenn kein anderer sie hören würde. Dafür hatte er gesorgt.
Wie angenehm diese dunkle Seite doch war, was für Kräfte sie ihm schenkte, er musste nur seine Hand ausstrecken und schon gehörten sie ihm. Ganz alleine ihm.
„Du bist ihr verfallen!"
„Genauso wie du auch, also lass mich ihn Ruhe!"
„Aber im Gegensatz zu dir, habe ich mich unter Kontrolle!" Er sprang auf, war kurz davor anzugreifen, als er bemerkte, was er da tat. „Du hast dich verändert, seit dem Training. Die nimmst es nicht wahr, aber ich. Ich spüre, sehe, fühle es. Lass dich nicht von dieser Macht überrennen. Banne sie in dir.", flüsterte die vertraute Stimme und nahm ihn sanft in die Arme. Er zitterte und schluchzte.
„Ich kann das nicht. Ich kann das nicht!", flüsterte er leise, immer wieder, wie ein Mantra.
„Ich werde dir helfen!"
Die Erinnerungen kamen und verschwanden wieder im Strom der Zeit. Nur die Gefühle blieben und die Gewissheit beschützt zu werden, von kräftigen Armen, einem weichen Körper. War es ein Nachklang, des eben gesehenen?
Yosh bemerkte nicht, wie der Zauber, denn er gesprochen hatte, verschwand, spürte nicht, wie die Kraft, die ihn eben durchflutet hatte, verschwand. Seine Knie zitterten, sein Herz raste und er fühlte sich so schmutzig, böse, schuldig.
„Bleib ruhig, es hört bald auf!", hauchte eine weiche Stimme neben seinem Ohr und die Arme, welche immer noch um ihn geschlungen zu sein schienen, zogen ihn dichter an den fremden Körper. Wieder eine Erinnerung? „Ich habe dir versprochen bei dir zu sein!"
Lippen streiften seine Wange, wie der Schlag eines Schmetterlings.
War es nur
eine Erinnerung?
Sicher?
Oder war es real?
Er hatte seine
Augen immer noch geschlossen, traute sich nicht, sie zu öffnen,
in der Gewissheit, wieder alleine zu sein.
Er war immer noch schuldig, schmutzig und sicher auch böse, aber unter dieser Schicht aus Grausamkeit, drang ein weiteres, bittersüßes Gefühl. Es kam tief aus seiner Seele, stieg langsam an die Oberfläche, bereitete ihm Schmerz und Freude zu gleich.
„Geht es wieder?", die Stimme war immer noch da und eine feingliedrige Hand strich ihm die Tränen, die er nicht bemerkt hatte, von der Wange.
Yosh schlug die Augen auf, drehte sich abrupt um.
„Wer…?" Er hielt inne, seine Augen weiteten sich. Sein Gegenüber grinste nur leicht, seine Augen glitzerten. Die schneeweiße Eule, die Yosh schon bekannt war, thronte nicht weit von ihnen, auf einem Holzzaun.
