Kapitel 1 – Der Meister der Schnellkochtöpfe

by Raven


Als der Fünfuhrtee serviert wurde, war die Sonne längst hinter dem Horizont versunken. Indiana Jones saß mit angezogenen Knien auf der Fensterbank, eingemummelt in eine weiche blau und gelb karierte Decke, und starrte hinaus in das Schneegestöber. In der einen Hand hielt er eine Zigarre, mit der anderen strich er gedankenverloren über die Eisblumen, die sich am Fenster gebildet hatten.

Indiana war müde. Sehr müde. Vinya war letzte Nacht wieder äußerst, nun ja, forsch gewesen. Nicht, dass ihm das etwas ausmachte, ganz im Gegenteil. Auch er war über sie hergefallen wie ein hungriges Tier. Sieben Mal. Hintereinander.

Apropos Tier. Vor dem gemütlichen Kaminfeuerchen lagen zwei Gestalten unter einer Decke, ineinander verschlungen und merkwürdig zuckend. Ab und an hörte man ein hungriges Grunzen und ein entzücktes Kichern. Es waren Wolverine und Raven, versunken in eine wilde Knutscherei.

Vinya packte das Buch beiseite, in dem sie eben noch gelesen hatte, und erhob sich. Dabei schoss sie Blicke wie Pfeilspitzen auf Indy, der sich zu ihr umgewandt hatte und entschuldigend grinste. Er bereute es, sie letzte Nacht schließlich mit einem Seil an ihr Bett gefesselt zu haben, damit sie endlich Ruhe gab, bevor er sich völlig ausgelaugt und übermüdet in sein eigenes Schlafzimmer zurückgezogen hatte. Seine Strafe würde verdammt hart werden. Heute morgen hatte der arme Jack Sparrow schon die volle Breitseite abbekommen, als er ihr das Frühstück ans Bett bringen wollte. Gleich, nachdem er Vinya befreit hatte, war sie auf ihn losgegangen wie eine Furie, hatte ihn beschimpft und angeschrieen und sie waren bis Mittag nicht aus der Dusche gekommen.

Jack glänzte ungewöhnlich sauber, als er aufgeregt in den Teesalon stürzte.

In genau dem Moment, in dem Severus Snape mit missmutiger Miene die Teetassen auf die Tafel knallte, so dass die Hälfte überschwappte und die Kerzenständer gefährlich wackelten. "Ich hasse diesen Job", zischte er noch feindselig und rauschte an Jack vorbei.

"LEUTE!", brüllte der Pirat aufgeregt.

Niemand beachtete ihn.

Vinya setzte sich an die Tafel, nahm sich ein Plätzchen und kokelte es gelangweilt über einer Kerzenflamme an, Indy ließ ein andächtiges Seufzen hören, während er den Schneeflocken bei ihrem Tanz zusah, und das unförmige epileptische Häufchen vor dem Kamin schwebte sowieso gerade in fernen Sphären.

Jack riss die Augen auf und er stampfte bockig mit dem Stiefel auf den Parkettboden. "LEUTE! Hört doch mal! Da ist was!"

Vinya hob den Kopf und lächelte ihn hungrig an. "Keks?"

Der Captain schüttelte hastig den Kopf. "D-da... unten... Eingangshalle... Monster...!"

Nun sprang Indy von der Fensterbank. Vor dem Kamin erstarrte ein unförmiges Häufchen, die Decke wurde zurück geworfen und zum Vorschein kam Wolverine, die Haare wie immer perfekt sitzend, und Raven mit einer Haarpracht, die einem Vogelnest ähnelte. Wolverine sprang auf und stieß dabei die selig grinsende Raven zur Seite. "Wolvilein! Komm sofort wieder her!", winselte sie enttäuscht.

Wolverine trat auf Jack zu. Mit einem leisen Kaching schossen seine Klauen heraus. Er rümpfte die Nase und schnupperte. Trat näher zu Jack. Schnupperte ausgiebiger. Trat näher. Schlich um ihn herum. Schnupperte und schnupperte. Und schließlich knurrte er verdattert: "Jack Sparrow – du hast getrunken, das ist ja nichts Neues, aber was ist das?" Er schnupperte erneut und taumelte ein paar Schritte zurück. "Du hast doch nicht etwa geduscht!"

Jack warf sich in die Brust und strahlte. "Gut, nicht? Jasmin und Freesie! Ich dufte wie ein Frühlingsmorgen an der Riviera!"

"Du stinkst wie ne Hafennutte", grummelte Wolverine.

"Sind sie nicht einfach hinreißend?", kicherte Raven vergnügt. Vinya warf einen verkohlten Keks nach ihr. Dann packte sie kurz entschlossen die ganze Schale und warf sie nach Indy.

Die Flügeltür wurde energisch aufgestoßen. Eine große schwarze Gestalt rauschte herein, zauberte Handfeger und Müllschippe unter dem Umhang hervor und kehrte die Überreste der Teeplätzchen, die er zuvor in so mühevoller Arbeit gebacken und vergiftet hatte, zusammen. Ohne die anderen eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte er steifbeinig hinaus und knallte die Tür zu. Ein dumpfes, herzhaftes Fluchen war zu hören, dann war es für einen kurzen Moment still.

"Ähm, Jack?" Indy, noch immer die karierte Decke um die Schultern geschlungen, schlurfte auf den Piraten zu. "Was hast du da gerade gefaselt, von wegen Eingangshalle, Monster und so?"

Jacks Gesichtsausdruck wechselte schlagartig von heiter auf wolkig. "Ach ja! Da ist ein Ding in der Eingangshalle!"

"Könntest du dich vielleicht etwas genauer ausdrücken?"

Jack öffnete den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder, blies die Backen auf, stieß die Luft aus und zuckte mit den Schultern. Nun war es Indiana, der taumelte. Jacks Alkoholfahne brachte seine Zehennägel dazu, sich aufzurollen.

"Okay – vergiss die Frage." Er setzte sich neben Vinya und begann, ihr Zucker in den Tee zu schütten. Sie schlug ihm auf die Finger.

"Aber! Da ist wirklich ein Ding! Da unten!" Jacks Stimme war ein klägliches Wimmern geworden. "Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht unfreundlich aus!"

Nun erhob sich Vinya, stieß ihren Stuhl dabei um und rammte "versehentlich" ihren Ellenbogen in Indianas Gesicht.

"Also gut", sagte sie, "gehen wir nachschauen."

Alle anderen erhoben sich widerspruchslos, und im Gänsemarsch traten sie durch die Flügeltür. Jack und Indiana zückten ihre Waffen, Wolverine polierte noch eben seine Klauen, Raven und Vinya warfen sich verständnislose Blicke zu und Jack bildete das wimmernde Schlusslicht.

Sie blieben oben am Treppengeländer stehen und ließen die Blicke durch die Eingangshalle schweifen. Es war nichts zu sehen.

Was aber nicht bedeutete, dass niemand da war.

Etwas war eindeutig da – sie hörten es. Ein schweres Schlurfen durchbrach die Stille, ein metallenes Quietschen, ein seltsam dumpfes Dröhnen...

Dann schlurfte es hinter dem riesigen Springbrunnen in der Mitte der Halle hervor.

Es war nicht besonders hübsch.

Vinya und Raven hätten geschrieen, hätte nicht Wolverine sie im rechten Moment zurück gedrängt. Mit ausgebreiteten Armen stellte er sich vor sie und drücke sie gegen die Wand. Die erstickten Schreie wurden zu hingebungsvollem Schnurren.

Jack allerdings war ein Schrei entfahren, der die Fenster erzittern ließ.

Indy presste ihm die Hand auf den Mund. "Was zum Teufel ist das für ein Ding?", raunte er den anderen zu.

"Ich, ich sag doch", keuchte Jack. "Es ist ein Monster, ich sag's euch, es wird uns alle umbringen!"

Die Kreatur dort unten bewegte sich langsam, scheinbar orientierungslos schlich es um den Springbrunnen herum. Es war riesig, größer als Indy, Jack und Wolverine. Es trug eine Art Fleischer­schürze und schwere Stiefel. Das Schlurfen und Quietschen kam von einem riesigen Schwert, das er schwerfällig hinter sich her zog. Doch das merkwürdigste war das Ding, das er anstelle eines Kopfes auf den Schultern trug. Es war eine Art lang gezogener, pyramidenförmiger, rötlich schimmernder Helm. Niemand von ihnen hatte je etwas derartiges gesehen.

Wolverine war der erste, der sprach. "Okay... ihr geht zurück in den Salon. Ich kümmere mich um ihn."

Indy schüttelte den Kopf. "Bist du wahnsinnig? Du weißt doch überhaupt nicht, was das für ein Ding ist!"

"Ich sag doch-", begann Jack.

"HALT DEN MUND!", schimpften die anderen im Chor.

Indy hob die Hand. "Wir wissen nicht, wozu es imstande ist. Es sieht in der Tat ziemlich gefährlich aus. Deshalb sollte lieber ich mich darum kümmern."

Wolverine begann zu knurren.

"Ihr könnt doch beide...?", schlug Jack vor.

"Auf keinen Fall", murmelte Wolverine. "Geht zurück in den Salon. Ich werde ihn platt machen."

Indiana sah aus, als wollte er noch etwas erwidern, doch Wolverine zeigte ihm die Mittelklaue. Dagegen konnte Indy nichts mehr sagen.

Schweren Herzens gingen Raven und Vinya, gefolgt von Jack und Indy, zurück in den Salon und schlossen die Tür hinter sich.

"Und jetzt?", fragte Vinya. "Irgendwo habe ich dieses Ding schon mal gesehen..." Sie blickte zu Raven. Die zuckte nur mit den Schultern und seufzte "Wolvi..."

Alle zuckten zusammen, als sie ein schepperndes Geräusch vernahmen. Und noch mal schepperte es. Und quietschte und dröhnte es. Es schepperte und quietschte und dröhnte und dann und wann zerbarsten krachend steinerne Vasen und Skulpturen auf dem Marmorboden.

Nach fünf Minuten Scheppern, Quietschen, Dröhnen und Krachen war Ruhe.

Ein wenig später flog die Tür auf, und Wolverine erschien. Schwitzend, keuchend, das Hemd hing ihm in Fetzen vom Leib. In den Händen hielt er – einen Schnellkochtopf.

Vinya und Raven blickten ihn hungrig an.

"Hast du ihn platt gemacht? Hast du, hast du?", fragte Jack aufgeregt und stieß mit jedem Wort eine so heftige Alkoholfahne aus, das ihnen allen ganz schwummerig wurde.

Wolverine rollte mit den Augen und drückte Jack den Schnellkochtopf in die Hände. "Ich weiß ja nicht, was das für ein Ding war, woher es kam und was es wollte, aber ich habe einen Schnellkochtopf aus ihm gemacht."

Indiana betrachtete argwöhnisch den rot glänzenden Topf, der so schwer war, dass Jack ihn zitternd auf dem Boden abstellen musste. "Wie bitte!"

Wolverine schnappte ihm die karierte Decke weg und hängte sie sich zum Leidwesen der Schlossherrinnen um die nackten Schultern. Er trat zu Vinya und Raven, grinste sie beide vielsagend an und zauberte etwas aus der Tasche seiner sexy eng anliegenden Lederhose hervor.

"Ach ja, und die hier hab ich für euch mitgebracht", raunte er ihnen zu.

Ihrer beider Augen folgten wie gebannt dem Paar silbern glänzender Handschellen, die er wie ein Pendel vor ihren Gesichtern hin und her schwang.

End of Chapter 1 :)