Kapitel 4
Kriegserklärungen

Die Taschen landeten mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden, obwohl nicht viel darinnen war. Hermine streckte die Arme über den Kopf und gähnte leicht. Der Weg nach King's Cross war anstrengend gewesen.

„Mum, Dad, ich bin zu Hause!" rief sie.

Der Zug hatte Hogwarts gleich nach dem Frühstück verlassen, und sie hatte die Stunden, die die Reise dauerte, damit verbracht, ihre Rache an Blaise zu planen. Bislang waren ihr ungefähr zwanzig Möglichkeiten eingefallen, einschließlich der Idee, ihm eine Eule mit einem detaillierten Bericht über ihre Weihnachtsferien zu schicken, und seine Slytherin-Krawatte in die Gryffindor-Farben umzuändern.

Ihre Mutter streckte ihren Kopf aus der Küche und lächelte, als sie ihre Tochter erblickte. Hermine kam ihr die letzten paar Schritte entgegen und umarmte sie fest.

„Hi, Mum. Es ist so schön, wieder zu Hause zu sein." Sie lächelte.

„Es ist schön, dich hier zu haben, Sonnenschein. Geh nur schon hoch in dein Zimmer, ich bring deine Taschen mit", erwiderte ihre Mutter.

„Wo ist Dad?" fragte Hermine, während sie sich in der Küche umsah, wo ihr Vater meistens zu finden war.

„Oh, er muß etwas abholen, bevor er nach Hause kommt", erklärte ihre Mutter.

„In Ordnung." Hermine lächelte und begann, die Treppen hochzusteigen.

Wie sehr sie Hogwarts auch liebte, es war immer wundervoll, wieder nach Hause zu kommen. Und außerdem hatte sie zu Hause wesentlich mehr Privatsphäre, was gut war, wenn sie Blaise ein paar Streiche spielen wollte.

Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, holte ein Blatt Pergament und eine Feder hervor und begann zu schreiben. Wenn der Brief lang und ausführlich werden sollte, mußte sie jetzt gleich anfangen.

Meine Weihnachtsferien, von Hermine Granger

Gewidmet Blaise „Baldrick" Zabini

Sie hielt inne und betrachtete, was sie geschrieben hatte. Ihn „Baldrick" zu nennen, ging vielleicht etwas zu weit, aber das Hauptziel dieser Übung war schließlich, ihn zu Tode zu nerven. Sie grinste hinterhältig und begann mit einer schrecklich langen und übermäßig genauen Beschreibung ihrer Ferien.

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Blaise ließ sich in einen der Sessel in der Familienbibliothek fallen und schloß die Augen. Er war ehrlich erschöpft. Sein Vater war ihm jeden Schritt des Heimweges wegen Hermine auf die Nerven gegangen, und es sah nicht so aus, als würde er ihm in absehbarer Zeit eine Pause gönnen.

Und wenn sein Vater schon schlimm gewesen war, dann würden seine Mutter und seine Schwester unendlich viel schlimmer sein. Er öffnete ein Auge, betrachtete das Buch in seinem Schoß, das Hermine ihm geschenkt hatte, und mußte ein wenig lächeln. Sie hatte sich tatsächlich die Mühe gemacht, den Titel eines Buches, das er gelesen hatte, zu übersetzen und ihm dann ein Geschenk gegeben, mit dem sie sich darüber lustig machte, nur um ihn zu ärgern. Das war fast eines Slytherin würdig.

Seine Gedanken wurden von einem lauten Kreischen unterbrochen, als jemand seine Arme um ihn warf und ihn damit fast erwürgte. Er durchlitt diese rauhe Behandlung ohne ein Wort, aber als dieselbe Person begann, seine Haare zu verwuscheln, entschied er, daß er genug hatte.

„Adèle! Laß das!" jammerte er.

„Aber kleiner Bruder, es ist so amüsant, die so zu sehen." Adèle kicherte. „Und jetzt erzähl mir, hinter welchem Mädchen schmachtest du her?"

„Einer gewissen Schülerin aus Hogwarts, soweit ich es verstanden habe", kommentierte sein Vater von der Tür aus, bevor er zur Treppe weiterging.

„Oooh! Eine Freundin! Warum hast du mir nicht früher was davon gesagt?" fragte Adèle mit funkelnden Augen.

Blaise warf seiner neugierigen Schwester einen finsteren Blick zu und wünschte sich – nicht zum ersten Mal – er wäre ein Einzelkind. Dann hätte er keine widerlichen älteren Schwestern, die nicht wußten, wann sie besser den Mund halten sollten.

„Mach dich nicht lächerlich. Weder ist sie meine Freundin noch war sie je meine Freundin, und die Wahrscheinlichkeit, daß sie jemals meine Freundin sein wird, ist so gering, daß du ein Muggelmikroskop benutzen könntest, und du würdest sie immer noch nicht sehen", sagte er langsam, als würde er mit einem Kind sprechen.

„Also hast du an sie gedacht. Hat dieses Mädchen einen Namen?" Adèle setzte sich grinsend ihm gegenüber.

„Wenn ich es dir sage, verschwindest du dann?" fragte Blaise verzweifelt.

„Ich werde darüber nachdenken", versprach seine Schwester.

„Also gut: Hermine Granger. So, jetzt kannst du mich in Ruhe lassen. Ich muß Rache planen", sagte er und wandte sich dem Buch in seinem Schoß zu.

„Rache? Blaise, was hat das arme Mädchen getan?" fragte sie, immer noch lächelnd.

Blaise ignorierte sie und begann, das Buch durchzublättern. Das würde er Hermine heimzahlen. Er würde das letzte Wort haben, und wenn er dafür das Familienanwesen verkaufen mußte. Auf keinen Fall würde er eine Gryffindor gewinnen lassen. Er würde seine Rache bekommen, das schwor er bei seiner Slytherin-Ehre.

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Die Bibliothek war bei weitem sein Lieblingsraum, aber das Eßzimmer kam gleich danach. Geschichte der Magie war sein Lieblingsfach in der Schule, trotz Binns, und das Eßzimmer war voll von Geschichte.

Seit seiner Kindheit hatte ihn Geschichte fasziniert, hauptsächlich wegen seines Zuhauses. Das Anwesen war vom Boden bis zur Decke und von Wand zu Wand mit nichts als Geschichte angefüllt. Einige der Portraits an den Wänden waren von Zauberern, die vor Merlin gelebt hatten. Viele von ihnen waren Teil seines Stammbaums.

Es war Familientradition, am ersten Tag der Weihnachtsferien gemeinsam zu frühstücken, und heute war keine Ausnahme. Er saß zwischen seiner Schwester und seinem Neffen, seine Mutter gegenüber von ihm. Sein Vater saß neben ihr, während seine Nichte und der Mann seiner Schwester, Bastien, zu Adèles anderer Seite saßen.

Er stocherte gerade in seinem Rührei und weigerte sich, seine Schwester anzusehen, als eine Eule im Sturzflug durch eines der Fenster kam. Blaise blickte gemeinsam mit dem Rest seiner Familie auf und starrte die weiße Eule verwirrt an.

Sie flog zu Blaise herüber und schwebte eine Sekunde vor ihm, bevor sie einen sehr dicken Brief in seinen Schoß fallen ließ. Dann flattere sie davon, landete aber auf einem der ausgestopften Tierköpfe an der Wand.

Blaise starrte den schweren Umschlag in seiner Hand mißtrauisch an und sah dann die Eule an. Sie kam ihm bekannt vor …

„Potters Eule? Was macht Potters Eule hier?" fragte er in den Raum hinein.

Er prüfte den Umschlag auf Zauber und Flüche, bevor er ihn schließlich öffnete. Er enthielt einen Brief, der sich über mehrere Blätter Pergament ausdehnte, geschrieben mit dunkelblauer Tinte in sauberer, ordentlicher Schrift. Er las die Überschrift und knirschte mit den Zähnen.

„Sie wird verlieren", verkündete er, bevor er so abrupt aufstand, daß er dabei beinah seinen Stuhl umkippte.

Seine Schwester nutzte seine Abgelenktheit, schnappte sich den Brief und las die Überschrift. Sie kicherte. Dann grinste sie, nur Sekunden davon entfernt, laut loszulachen. Blaise sah sie finster an und holte sich den Brief zurück.

„Tu's nicht", zischte er.

„Sie schreibt dir? Und nicht nur ein Brief, es ist ein verdammter Roman!" Sie konnte sich nicht helfen, sie lachte.

„Achte auf seine Ausdrucksweise, Adèle", warnte ihre Mutter.

„Es tut mir leid, Mutter, aber es war einfach zu komisch", erwiderte Adèle, während sie sich krampfhaft bemühte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

„Ich gehe", sagte Blaise und verließ das Eßzimmer.

„Aber Blaise, du hast noch nicht zu Ende gefrühstückt!" rief seine Mutter ihm nach.

Er ignorierte sie und ging weiter. Nicht nur, daß sie ihm einen richtigen Aufsatz über ihre Weihnachtsferien geschickt hatte, sie hatte es gewagt, ihn „Baldrick" zu nennen. Er mußte herausfinden, woher sie das hatte, und er würde zurückschreiben. Er würde jeden schmutzigen Trick anwenden, den es gab. Sie würde verlieren.

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Hermine starrte den Brief in ihren Händen an und prustete los. Ihre Eltern warfen ihr überraschte und neugierige Blicke zu, als sie sich fragten, was wohl so witzig sein konnte. Hedwig hatte den Brief gerade überbracht, und Hermine hatte die kurze Nachricht durchgelesen.

Liebe Nervensäge,

Ich danke Dir für den Brief (hust) das Buch (hust). Ich weiß das sehr zu schätzen. Ach, zur Hölle, wen versuch ich damit zu überzeugen? Es war äußerst ärgerlich, und ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir nie wieder schreiben würdest.

Mir ist klar, daß das Teil Deines Plans war, mich zu Tode zu nerven. Bitte gib diesen vergeblichen Versuch auf. Ich werde dieses Spiel gewinnen.

Und nenn mich nie wieder „Baldrick". Niemals.

Blaise

„Hermine, was ist so witzig?" fragte ihr Vater.

„Ach, nichts, nur dieser Brief. Er ist von jemandem, den ich aus der Schule kenne", erklärte sie. „Anscheinend will er mich auf langsame Weise umbringen, mit siedendem Pech und glühenden Eisen, oder so was in der Art."

„Hermine, Liebes, ist das der Junge, von dem du uns erzählt hast? Der Malfoy-Junge?" fragte ihre Mutter.

„Oh nein, nicht Malfoy, es ist einer seiner Hausgenossen. Aber macht euch keine Sorgen, ich glaube nicht, daß er es ernst meint." Sie grinste. „Und selbst wenn, ich werd's ihm heimzahlen. Er wird dieses Spiel auf keinen Fall gewinnen."

Sie stand auf und umarmte ihre Eltern. Sie würde nach draußen gehen, um Pläne zu schmieden. Ein Spaziergang half ihr immer beim Denken, und sie würde eine Menge Hilfe brauchen, wenn sie einen Slytherin mit seinen eigenen Waffen schlagen wollte.

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Sie schickten weiterhin Briefe zwischen England und Frankreich hin und her, die immer beleidigender wurden. Das war alles, was sie tun konnten, bis die Schule wieder begann. Es war nicht einfach, jemanden per Brief zu töten. Nicht daß sie es nicht versuchten.

Diverse Todesdrohungen wurden ausgetauscht, jedoch nie ausgeführt. Hermines Eltern wurden zunehmend besorgt über die zahlreichen Briefe, die ihre Tochter erhielt, und wie sie über die Drohung, sie umzubringen, lachte.

Blaise wurde noch immer von seiner Schwester wegen Hermine geneckt, aber er ignorierte sie so gut er konnte. Hedwig mußte bei den ganzen Flügen hin und zurück über die Weihnachtsferien bestimmt ihre Federn abgenutzt haben, denn die beiden antworteten sich gegenseitig so schnell sie konnten. Schon bald schien sein Tag unvollständig, wenn er nicht wenigstens eine Todesdrohung geschrieben und eine erhalten hatte.

Als die Schule bald wieder beginnen sollte, hatte Blaise immer noch keine Möglichkeit gefunden, sich an Hermine zu rächen, und es hatte nicht den Anschein, als würde er das in nächster Zeit. Das ärgerte ihn, aber er tat es ab. Er wußte, er würde es ihr auf die eine oder andere Weise heimzahlen.

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Hermine stand mit Harry, Ron und Ginny in der Eingangshalle und unterhielt sich über Weihnachten, während sie alle warteten, daß das Festessen begann. Dumbledore hatte verkündet, daß das erste Essen nach den Weihnachtsferien ein Festmahl sein würde, und daß die Große Halle dekoriert werden mußte, bevor sie hereinkommen konnten, daher standen sie draußen herum.

Hermine hörte zu, wie Ron einen Witz über Fred und George erzählte, bemerkte aber, daß er leicht stockte und ihr über die Schulter blickte. Neugierig drehte sie sich ebenfalls um und sah Blaise auf sich zukommen.

Er hatte seine Schuluniform noch nicht angezogen. Er trug ein schwarzes Hemd und Jeans, und der Wind hatte seine Haare zerzaust. Er sah – in einem Wort – umwerfend aus. Sie blinzelte. Das war ganz sicher nicht, was sie denken sollte. Genaugenommen war das so weit von angemessen entfernt wie nur möglich.

„Was willst du?" fragte sie, mit der Betonung auf „du".

„Ich wollte dir nur dafür danken, daß du mir ein Buch geschrieben hast. Es war wie ein Vortrag." Er grinste.

„Ach?"

„Ja." Er nickte. „Lang, langweilig und Zeitverschwendung."

„Wirklich? Nun, ich möchte dir danken für deine entzückenden kleinen Briefe. Ich wußte nicht, daß du jemanden auf so viele verschiedene Arten ermorden kannst." Sie lächelte süßlich, innerlich etwas getroffen von seinen Worten.

Blaises Augen verengten sich gefährlich, und er trat einen Schritt näher. Er beugte sich so weit vor, daß sich ihre Nasen fast berührten, und funkelte sie finster an. Sie erwiderte seinen Blick ebenso düster und hob den Kopf etwas, damit sie ihm direkt in die Augen sehen konnte.

„Das bedeutet Krieg", zischte er.

„Nein, das bedeutet Gemetzel", fauchte sie zurück. „Und du wirst noch vor deinem Schulabschluß nichts als ein blutiger Fleck am Fuß des Astronomieturms sein."

Er grinste, und sie starrte ihn erneut finster an.

„Glaubst du wirklich, du kannst das hier gewinnen? Mach dir nichts vor, Slytherins gewinnen immer. Es wird ein Spaß werden, dich kleinzukriegen." Er hob eine Augenbraue und grinste über ihre zornige Miene.

Unvermittelt wandte er sich ab und ging davon, wobei er sie beinah ins Stolpern brachte. Sie blickte ihm mürrisch nach. Hätte er sich umgedreht, hätte er vielleicht gesehen, daß sie etwas vor sich her sagte, aber da er das nicht tat, entgingen ihm ihre Worte, was sich möglicherweise als der größte Fehler seines Lebens herausstellen würde.

„Wart's nur ab. Wart's nur ab", flüsterte Hermine düster.