Kapitel 9
Der unglücklichste aller Rachepläne endet
„Hallo."
Nun, das war die intelligenteste Antwort, die ihr so kurzfristig einfiel. Sie war ziemlich von Blaises unordentlicher Erscheinung abgelenkt und hatte Schwierigkeiten, sich auf irgend etwas zu konzentrieren.
Stille senkte sich über die beiden, da keiner von ihnen etwas zu sagen wußte. Blaise fuhr sich mit einer Hand durch die nassen Haare und wrang das Wasser aus seine Robe. Oder jedenfalls unternahm er einen tapferen Versuch, das zu tun. Hermine beobachtete ihn, unfähig, den Blick abzuwenden.
„Was machst du eigentlich hier?" fragte sie und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan.
„Ich wollte schwimmen gehen", sagte Blaise, ohne eine Miene zu verziehen.
„Tatsächlich?" Hermine warf ihm einen skeptischen Blick zu.
„Nein", antwortete er und verwirrte sie damit noch mehr.
„Warum bist du dann hier?" fragte sie. Langsam wurde sie ärgerlich.
„Mir war danach herzukommen." Blaise zuckte mit den Schultern.
Hermine blinzelte. Sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Blaise hatte sich danach gefühlt, über den See zu schwimmen, in eiskaltem Wasser, nur um sich neben sie zu setzen und „hallo" zu sagen. Nicht eine Sekunde der letzten Minute hatte irgendeinen Sinn ergeben. Ach was, nicht eine Sekunde der vergangenen paar Wochen hatte Sinn ergeben.
„Und weshalb war dir bitte schön danach herzukommen? Nur weil du mich ärgern und mich beim Lernen unterbrechen wolltest?" fragte sie und entschied, daß er wahrscheinlich sowieso nur aus hämischer Freude hier war.
„Weißt du, Draco hat mir heute was Interessantes erzählt", erwiderte Blaise, als hätte er sie nicht gehört. „Er hat mir gesagt, daß ich ein störrischer Dummkopf bin. Er hat gemein, daß er die Hoffnung aufgegeben hätte, daß ich jemals mein Hirn wiederfinde."
„Nun, das hab ich auch, mit dem Unterschied, daß ich nicht so dämlich bin wie Malfoy", entgegnete Hermine bissig und kehrte zu ihrem Buch zurück.
„Er hat mir noch was anderes erzählt", fuhr Blaise fort, obwohl sie ihn, so gut sie konnte, ignorierte. „Er hat gesagt, daß er dich etwas noch Interessanteres hat sagen hören. Ich bin allerdings nicht sicher, ob ich ihm glaube. Er ist nicht unbedingt jemand, der die Wahrheit sagt."
Hermine widerstand dem Drang, mit den Augen zu rollen. Wer hätte gedacht, daß Blaise so ein Meister im Schwafeln war. Sie nicht, so viel war sicher. Und über so unbedeutende Dinge wie Draco Malfoys Tun und Lassen.
„Ich meine, was er gesagt hat, kann unmöglich stimmen, oder? Aber dann hat sich endlich mein Verstand eingeschaltet, obwohl er irgendeine Fehlfunktion haben muß, da ich freiwillig quer über den verdammten See geschwommen bin", schwafelte Blaise weiter.
„Wirklich? Wie faszinierend", murmelte Hermine, während sie versuchte, ihn auszublenden, obwohl sie keine große Hoffnung hatte, daß das klappen würde.
War es ihre Schuld, daß Blaise so eine schöne Stimme hatte? Egal wie sehr sie es versuchte, sie konnte ihn unmöglich ignorieren. Sie gab auf und hörte ihm zu.
„Tja, das war es. Besser gesagt, es hat mich geschockt. Ich war noch nie in meinem Leben so überrascht", stimmte er zu.
Gegen ihren Willen begann es, sie zu interessieren. Was konnte bloß so faszinierend sein, daß Blaise deswegen über den See schwimmen mußte, um es ausgerechnet ihr zu erzählen? Nach dem Vorfall in der Bibliothek hatte er sie nicht einmal mehr angesehen.
„Also, wirst du mir jetzt sagen, was es ist und mich weiterarbeiten lassen, oder willst du den ganzen Tag weiterbrabbeln?" fragte sie und hob eine Augenbraue, als sie Buch weglegte.
„Oh, tut mir leid. Er hat gesagt, er hätte gehört, daß du mich liebst. Natürlich ist das unmöglich, du hast mich seit Wochen nicht mal angesehen", sagte Blaise extrem schnell und erhob sich, um zu gehen.
Hermine stand unter Schock. Wie konnte er es wagen? Wie konnte Malfoy so etwas sagen? Blaise war also doch hier, um sich an ihrem Unglück zu erfreuen und sie auszulachen. Sie stand abrupt auf, was Blaise veranlaßte, stehenzubleiben und sich umzudrehen.
„Was fällt dir ein?" fuhr sie ihn an, während sie die Tränen wegblinzelte, die zu fallen drohten. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und dich über mich lustig zu machen? Wie kannst du es wagen, auch nur zu denken, du könntest über mich lachen?"
Blaise sah einen Augenblick verwirrt aus. Anscheinend grübelte er darüber nach, was sie meinte, bevor es ihm schließlich dämmerte. Sein Ausdruck verwandelte sich in Schock. Er machte einen Schritt nach vorn und packte verzweifelt ihre Schultern.
„Ich bin nicht hier, um über dich zu lachen. Wie kannst du das auch nur denken? Draco hat mir gerade erst erzählt, daß du mich liebst, vor zehn Minuten. Weißt du, wie ich reagiert hab? Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht sprechen, und ich konnte nicht atmen", sagte er sofort. „Ich konnte nicht glauben, daß ausgerechnet du mich lieben könntest. Es war einfach nicht möglich. Ich meine, ich hab die letzten paar Wochen damit verbracht, in Selbstmitleid zu ertrinken, weil ich dachte, du haßt mich, und dann stellt sich raus, es ist umgekehrt."
Hermine fühlte sich ziemlich genau so, wie er es beschrieb. Wovon redete er? Warum erzählte er ihr das? Sagte er wirklich, daß er sie mochte, wenn nicht liebte? Passierte das hier überhaupt wirklich?
„Was?" fragte sie dümmlich.
„Ich sage dir, daß ich dich liebe, Hermine. Jetzt sag mir bitte, daß das nicht nur ein Streich von Draco war, und daß ich nicht vor Scham sterben muß", flehte er. „Ich hab nämlich das Gefühl, daß ich mich gerade fürchterlich lächerlich gemacht hab."
„N-nein, du hast dich nicht lächerlich gemacht. Und es war kein Streich von Malfoy. Ich würde eine Menge darum geben zu erfahren, woher er das weiß, aber es stimmt", plapperte sie.
Blaise entspannte sich etwas und lächelte dieses irrsinnig schöne Lächeln. Sie hatte keine Ahnung, wie er es schaffte, sogar dann noch gut auszusehen, wenn er triefnaß war und Seegras in den Haaren hatte, aber irgendwie gelang es ihm.
Hermine war überrascht, als er sich vorbeugte und ihr einen leichten Kuß gab. Und diesmal dachte keiner von beiden daran zurückzuzucken. Keinen von beiden kümmerte es, daß sie durchweicht wurden, oder daß sie später wahrscheinlich in Schwierigkeiten kommen würden.
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Hoch oben in der Luft über dem Quidditchfeld fiel Draco beinahe vor Lachen vom Besen. Goyle, einer der Treiber der Slytherin-Mannschaft, hatte sich gerade mit seinem eigenen Schläger außer Gefecht gesetzt.
Plötzlich, während er seinen Besen fest gepackt hielt, um nicht runterzufallen, sah er Potter auf das Feld kommen, gefolgt von Weasley und Longbottom. Neugierig landete er direkt vor den Gryffindors.
„Was ist der Anlaß dieser Feldinvasion?" fragte er und unterdrückte ein selbstgefälliges Grinsen.
„Es ist nicht so, als wollten wir hier sein, Malfoy, aber wir suchen Hermine", erklärte Potter.
„Und ich sollte wissen, wo sie ist, weil?" fragte Draco, jetzt verwirrt.
„Weil einer von euch verdammten Slytherins in unserem Gemeinschaftsraum war und gefragt hat, wo sie ist! Es ist offensichtlich, daß du dahintersteckst, Malfoy!" explodierte Ron.
„Einer der Sly-", begann Draco, aber er unterbrach sich, als ihm klarwurde, wer das gewesen sein mußte. „Ich kann's nicht fassen! Was hat er gesagt?"
„Er hat gefragt, wo H-Hermine sei, und gesagt, es sei sehr wichtig", schaltete Longbottom sich ein.
„Hat er? Ich kann nicht glauben, daß er sich tatsächlich durchgerungen hat! Endlich! Nun, wenn er euch nicht immer noch auf die Nerven geht, dann müßt ihr wissen, wo sie ist", sagte Draco mit einem Schulterzucken.
„Wr wissen, daß sie auf der Insel im See ist, aber was will dieser Slytherin von ihr?" fragte Potter, ein wenig logisch.
„Nun, dieser Slytherin hat einen Namen, Blaise Zabini, und was er von ihr will, ist seine Sache. Also solltet ihr mich nicht damit belästigen." Draco grinste. „Außerdem werdet ihr das früh genug herausfinden, wenn ich mich nicht irre."
„Was?" fragte Weasley. Er hörte sich dabei so dämlich an, wie er unglücklicherweise aussah.
„Vertrau mir diesmal einfach, Weasley. Granger wird nichts passieren. Blaise weiß, was er tut. Und falls nicht, werd ich ihm den Schädel einschlagen, weil er so ein Feigling ist. Und jetzt einen schönen Tag noch." Draco grinste erneut, bevor er sich wieder vom Boden abstieß.
Potter, Weasley und Longbottom standen da und sahen verwirrter aus, als bevor sie gekommen waren. Draco lachte wieder und war schon wieder gefährlich nah dran, vom Besen zu fallen. Es machte so einen Spaß, Gryffindors durcheinanderzubringen.
Bei Blaise schien der direkte Weg allerdings zu funktionieren. Als keiner seiner anderen Pläne geklappt hatte, hatte er sich entschieden, seinem Klassenkameraden das Ganze einfach an den Kopf zu werfen und Schluß. Und zu seiner Überraschung hatte es sehr gut gewirkt. Wenn Blaise extra im Gryffindor-Gemeinschaftsraum nach Granger suchte, hatte der Schwarzhaarige sich entschlossen, ihm zu glauben.
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Die Riemen knirschten leicht, als Blaise zurück zum Ufer ruderte. Hermine hatte in daran erinnert, daß sie zurückkehren sollten, und er hatte widerwillig zugestimmt. Natürlich wollte er eigentlich nicht zurück, da er wußte, daß er von den Gryffindors ausgefragt werden würde; ihn erwartete die Spanische Inquisition.
Das Boot kam am Ufer auf, und sie stiegen still aus. Sie konnten beide das Lächeln nicht unterdrücken, und häufig unterbrachen sie ihren Weg zurück zum Schloß für einen Kuß oder zwei. Als sie die Eingangstore des Schlosses erreichten, hielt Blaise einen Moment inne.
„Was ist?" fragte Hermine, die ebenfalls stehengeblieben war.
„Ähm, ich bin nicht sicher, ob ich da im Moment reingehen sollte. Deine Gryffindor-Freunde mögen mich nicht gerade besonders", sagte er zögernd.
„Mögen dich nicht besonders?" wunderte sich Hermine. „Blaise, was hast du gemacht?"
„Ich hab sozusagen Longbottom dazu gebracht, mich in euren Gemeinschaftsraum reinzulassen, wobei „reinlassen" ein wenig übertrieben ist. Ich hab mich selbst reingelassen, nachdem er das Portrait geöffnet hat, und dann hab ich Weasley und Potter dazu gekriegt, mir zu sagen, wo du warst", erklärte Blaise mit einem reichlich verlegenen Gesichtsausdruck.
„Harry und Ron", verbesserte Hermine. Blaise sah sie merkwürdig an. „Du bist jetzt mein Freund, und das bedeutet, daß du dich auch an sie gewöhnen mußt. Sie sind meine Freunde, egal wie dämlich sie sein können."
„In Ordnung. Alles zum Wohle der besseren Verständigung zwischen den Häusern, nehm ich an." Blaise grinste. „Außerdem, Pot- entschuldige, Harry ist nicht so dumm wie er aussieht. Und was Weas- Ron betrifft, irgendwas muß er wohl im Kopf haben, wenn er es bis in die siebte Klasse geschafft hat."
Hermine küßte ihn auf die Wange und lächelte aufmunternd, und sie gingen hinein. Keiner von ihnen bemerkte Draco, der sie von seinem Aussichtspunkt auf dem Besen beobachtete. Er hatte größte Mühe, nicht laut loszulachen.
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Nachdem Blaise sie zu ihrem Gemeinschaftsraum begleitet hatte, kletterte Hermine nach drinnen, nur um dort zwei Gryffindors vorzufinden, die es nicht erwarten konnten, sie ins Kreuzverhör zu nehmen. Ron war allem Anschein nach hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, sie anzuschreien und – nach seinen andauernden Blicken zu schließen – Harry umzubringen. Harry selbst sah recht besorgt aus.
„Hey, Hermine, kannst du mal eine Sekunde hier rüberkommen?" rief er.
„Was gibt's?" fragte sie, als sie sich ihnen gegenüber setzte.
„Na ja, während du zum Lernen weg warst, war jemand hier und hat nach dir gefragt", begann Harry.
„Na und? Es fragen dauernd Leute nach mir, oder?" Hermine lächelte. „Ich bin sicher, es war keine einzigartige Erfahrung für dich."
„Es war ein Slytherin", unterbrach Ron. „Und er war in unserem Gemeinschaftsraum."
„Ja, Ron, du sagtest schon, daß er hier war", erwiderte Hermine geduldig.
„Ja, aber warum? Warum war er hier und hat nach dir gesucht?" wollte Ron wissen.
Hermine antwortete nicht, sondern lächelte nur verträumt. Sie stand ohne ein Wort auf und stieg die Treppe zu den Mädchenschlafsälen hoch. Die Jungen saßen da mit genauso wenig Informationen wie zuvor.
Ron schloß den Mund, den er irgendwann während der Unterhaltung geöffnet hatte, und wandte sich zu Harry um.
„Harry, hier stimmt definitiv irgendwas nicht."
„Was?"
„Sie kommt mehrere Stunden später als angekündigt wieder, sie redet mit uns auf eine Weise, die unheimlich an Sarkasmus erinnert, und wenn wir fragen, was dieser Slytherin wollte, dann läßt sie uns einfach stehen", zählte Ron an den Fingern ab.
„Ja. Ich frag mich, was passiert ist", sagte Harry und stand ebenfalls auf. „Tja, ich muß los. Ich muß noch Hausaufgaben für Wahrsagen fertig machen."
Ron blieb lange Zeit in dem Sessel am Kamin sitzen und versuchte, die Verbindung zwischen Hermine und diesem Slytherin, dessen Name ihm im Augenblick entfallen war, herzustellen. Was immer es war, er würde es herausfinden. Er wollte nicht, daß irgend so ein Slytherin seine beste Freundin verletzte.
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Millicent blickte von ihrem Buch auf, als Blaise wie ein Idiot grinsend den Slytherin-Gemeinschaftsraum betrat. Sie legte ihr Buch weg und hob eine Augenbraue. Er erwiderte die Geste und grinste nur noch breiter.
„Sieht so aus, als hättest du dich endlich überwunden und dich mit Granger verabredet", sagte sie mit einem Grinsen.
„Ich hab ihr eher endlich gesagt, was ich für sie empfinde, und sie dann um den Verstand geknutscht." Blaise grinste.
„Was?" Millicent lachte. „Du hast gesagt: „Hey, Granger, ich bin bis über beide Ohren in dich verliebt" und hast sie geknutscht?"
„Na ja, nein, eigentlich hat sie mich gefragt, warum ich angezogen über den See geschwommen bin, und von da aus ging's dann weiter", gestand Blaise und wurde rot.
Millicent grinste. Sie konnte geradezu vor sich sehen, wie Blaise über den See schwamm, nur um mit Granger zu reden. Er war der Typ, der für das Mädchen, das er liebte, alles tun würde. Sie wünschte nur, Ron Weasley würde sich ihr gegenüber genauso verhalten.
„Nun, ich muß ein Buch zur Bibliothek zurückbringen", sagte sie und erhob sich.
„Ja, wir sehen uns, Millie. Danke, daß du einem liebeskranken Trottel zugehört hast." Blaise lächelte.
„Du bist allerdings ein Trottel, aber ich bin sicher, Pomfrey kriegt den „kranken" Teil wieder hin." Sie grinste, bevor sie ihn allein ließ.
Der Eingang knallte hinter ihr zu, und sie ging still die Treppen zur Bibliothek hinauf. Es war recht kalt in den Kerkern, aber nach sieben Jahren in Slytherin war sie daran gewöhnt.
Sie nickte Madame Pince zu, als sie die Bibliothek erreichte, und ging zu einem der Regale. Sie mußte eigentlich kein Buch zurückgeben, sie hatte das nur als Ausrede benutzt, um von Blaise loszukommen. Nicht weil er unfreundlich oder nervig war, sondern weil er jetzt jemanden hatte, jemanden, der ihn genauso wollte. Einen Menschen, wie sie selbst sicher nie einen haben würde.
Es wäre nett, jemanden zu haben, auf den sie sich verlassen konnte, mit dem sie an den Wochenenden durch Hogsmeade gehen und über alles reden konnte, was ihr einfiel. Traurigerweise würde sie das nie, da Weasley, trotz ihrer ständigen Versuche, mit ihm zu reden, immer noch nichts bemerkt hatte.
Sie setzte sich an einen Tisch und starrte ins Leere, weil sie offen gesagt nicht besseres zu tun hatte. Sie bemerkte Ron überhaupt nicht, bis er sie ansprach.
„Mi- äh, Bulstrode?" fragte er, ein wenig stotternd, bevor er sich für ihren Nachnamen entschied.
„Ja?" antwortete sie lächelnd.
Sie fand es schwierig, nicht zu lächeln, wenn er in der Nähe war. Er war einfach so süß und linkisch und ungeschickt und wundervoll. So absolut Gryffindor. Aber dabei so attraktiv, wenigstens in ihren Augen. Und die Tatsache, daß er einer der wenigen Jungen in der Schule war, zu denen sie sich nicht hinunterbeugen mußte, wenn sie mit ihnen redete, war ebenfalls ein Plus.
„Ähm, ich hab eine Frage an dich", sagte er zögerlich und setzte sich neben sie.
„Ja?" fragte sie und wollte sich in den Hintern treten.
Du liebe Güte, sie hörte sich an wie ein Kind im Süßwarenladen. Wäre sie noch etwas eifriger gewesen, dann hätte man sie festbinden müssen, um sie ruhigzuhalten. Aber was, wenn er die Frage stellte, die sie hören wollte?
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Ron hatte beschlossen, die einzige Person zu fragen, die wissen mußte, was los war, und ihm nicht gleich den Kopf abbeißen würde: Millicent Bulstrode. Da sie eine Slytherin war, würde sie wissen, warum dieser Zabini-Typ bei ihnen geklopft hatte, und sie würde nett genug sein, mit ihm zu sprechen, obwohl er ein Weasley war und außerdem ein Gryffindor.
Er und Millicent hatten zusammen an einem Projekt für Wahrsagen gearbeitet, und es hatte sich herausgestellt, daß sie ein sehr nettes Mädchen war, was eine Überraschung war angesichts ihrer Hauszugehörigkeit. Abgesehen davon hatte sie sich seit einer Weile seltsam verhalten. Sie lächelte immerzu, wenn er in der Nähe war und starrte ihn an, wenn sie glaubte, daß er nicht hinsah.
Und gerade, als er gesagt hatte, er habe eine Frage an sie, hatte sie ausgesehen, als würde sie ihn jeden Moment anspringen, und ihr Grinsen war so breit, daß sich beinahe ihre Mundwinkel am Hinterkopf berührten.
„Na ja, da ist dieser Slytherin aus unserem Jahrgang, Zabini oder so, und er hat vorhin nach Hermine gesucht, hat gemeint, es wär wichtig. Hermine war draußen zum Lernen, aber sie kam viel später wieder als sie gesagt hatte, und als wir sie danach gefragt haben, hat sie uns einfach stehenlassen. Weißt du darüber vielleicht irgendwas?" fragte er. Er wußte, daß er sich besorgt anhörte.
„Oh. Das", antwortete Millicent enttäuscht. „Nun, Blaise ist seit Wochen schrecklich verliebt in Granger, und mit etwas Hilfe von Draco hat er sich schließlich entschlossen, etwas zu unternehmen. Nach seinem Grinsen und seinem Gerede bei seiner Rückkehr zu schließen, ist es anscheinend gut gelaufen."
Ron blinzelte.
Er blinzelte noch einmal.
Hermine und ein Slytherin? Das war ausgeschlossen! Nicht seine Freundin! Außerdem waren alle Slytherins Idioten. Aber dann schaltete sich sein Verstand wieder ein. Millicent war gar nicht so schlimm, und sie war eine Slytherin. Und Hermine hatte gelächelt, als sie zurückgekommen war.
Aber dieser Zabini hatte sie wochenlang geärgert. Auf der anderen Seite hatte sie es ihm immer sofort heimgezahlt. Urg, es war ihm zu verwirrend.
„Hermine und er?" war alles, was er herausbrachte.
„Ja. Sie scheinen darüber ziemlich glücklich zu sein, und ich würde es nicht wagen, mich zwischen Blaise und etwas, das er will, zu stellen." Millicent zuckte mit den Schultern.
„Ähm." Ihm fiel einfach nichts Eloquenteres ein.
Aber von dem Standpunkt aus ergab es schon Sinn. Hermine hatte sich nie für einen der Jungen aus Gryffindor interessiert, und wenn er sich recht erinnerte, war dieser Zabini ziemlich klug und könnte durchaus am passendsten für Hermine sein. Ja, das sollte er sich sagen.
„Gut. Dann kann ich das von meiner Liste mit noch zu erledigenden Sachen streichen", sagte er und lächelte. „Man muß sich ja um seine Freunde kümmern und all das."
„Mhm. Ist das alles? Sie ist nur eine Freundin? Nichts weiter?" fragte Millicent und grinste leicht, aber er hatte den Eindruck, daß sie die Antwort wirklich interessierte.
„Oh, ja. Hermine und ich passen nicht zusammen. Wir würden uns nach einer Woche in Stücke reißen. Wir sind einfach zu gute Freunde, um jemals mehr zu sein. Es ist irgendwie schwer, sich in jemanden zu verlieben, den man seit seinem elften Lebensjahr gekannt hat, nichts Neues mehr, weißt du?" antwortete Ron, wenngleich er wußte, daß er im letzten Satz etwas zu philosophisch wurde.
Millicent lächelte. Ron schluckte hart. Ihm war irgendwie nie aufgefallen, wie gut sie aussah. In seiner Erinnerung war sie das bullige Mädchen geblieben, daß beim Duellierklub mit Hermine gerungen hatte.
Aber sie war nicht mehr bullig. Sie war recht hübsch geworden und das größte Mädchen der Schule. Es mußte schwer sein, auf all seine Mitschüler herabsehen zu müssen. Er wußte, wie das war, aber für ihn war es einfacher, da er ein Junge war und Jungen meistens größer waren als Mädchen. Aber er fing an zu schwafeln. Er war in der Gegenwart hübscher Mädchen immer nervös gewesen, und Millicent bildete keine Ausnahme.
„Wirklich?" Sie lachte und errötete leicht, und er erkannte, daß er den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.
„O Gott, das hab ich nicht gerade gesagt, oder?" fragte er und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Das hast du", erwiderte sie, während sie versuchte, mit dem Lachen aufzuhören.
„Ich bin ein Idiot", murmelte er.
„Nein, eigentlich nicht." Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bekomme nicht oft Komplimente, und wenn doch, dann sind die vom Stil her eher so wie das, das Blaise mir gemacht hat. ‚Es ist nett, daß du zuhörst, Millicent' oder ‚Danke, daß du so nett bist, Millie.' Nach einer Weile wird es alt."
„Aber wie können sie glauben, daß du nicht hübsch bist?" platzte Ron heraus.
Sie lachte wieder, und er wäre am liebsten im Boden versunken. Warum mußte er so verdammt ungeschickt sein?
„Danke, Ron." Sie lächelte, küßte ihn auf die Wange, stand auf und verließ die Bibliothek.
Er saß eine Weile da, die Hand auf die Wange gepreßt, wo ihre Lippen ihn berührt hatten, und starrte mit einem dämlichen Grinsen ins Leere. Ein hübsches Mädchen, niemand geringeres als Millicent Bulstrode, hatte ihn gerade auf die Wange geküßt. Das war sein Glückstag.
Er stand auf und lief Millicent nach, um sie abzufangen, bevor sie wieder in den Kerkern verschwand. Er mußte etwas sagen, sie fragen, ob sie mit ihm nach Hogsmeade gehen würde, irgendwas. So ein Mädchen war zu gut, um sie einfach so gehen zu lassen.
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Millicent hatte gerade die Treppe erreicht, als sie schnelle Schritte hinter sich hörte und jemanden, der ihren Namen rief. Sie drehte sich um, gerade als Ron um die Ecke bog und beinahe die Treppe herunterfiel.
Er begann, etwas zu sagen, aber sie konnte in dem Durcheinander nur Wörter wie „bitte", „Hogsmeade" und „mir" verstehen. Sie half ihm auf und versuchte, ihn zu beruhigen.
„Ron, verdammt, atme! Mach langsamer!" rief sie schließlich.
Ein Lachen unterbrach sie, gerade als er zum Sprechen ansetzte. Millicent wandte sich um und sah Hermine dort stehen, die an der Wand Halt suchte. Sie zeigte auf Ron, und Freudentränen rannen ihr übers Gesicht. Neben ihr stand Blaise, einen Arm um ihre Schultern, und grinste ebenfalls.
„W- Ron, egal wie klug jemand ist, frag sie nie in Suaheli, ob sie mit dir ausgeht", riet er ihm kichernd.
„Ausgehen?" sagte Millicent. „Du willst mit mir ausgehen? Also Ron, warum hast du das denn nicht gleich gesagt?"
„Na ja, ich hab nicht … ich konnte nicht …", murmelte Ron schwach, bevor er sich unterbrach.
„Männer!" brummelte Millicent und schleppte ihn Richtung Große Halle.
Blaise und Hermine blieben allein zurück, immer noch über Ron lachend. Sie waren noch nicht lange dort gewesen, als Draco vom Quidditchtraining zurückkam und sich über irgend etwas mit Harry stritt, der ihm auf dem Fuße folgte. Was Harry da überhaupt gemacht hatte, war ein Rätsel. Sie stritten sich ziemlich heftig, anscheinend über Taktiken, und bemerkten Blaise und Hermine nicht, bis sie bis auf ein paar Meter herangekommen waren.
„Hey, Blaise. Wie ich sehe hast du dir ein Rückgrat zugelegt", grüßte Draco und grinste Hermine an.
„Hey, Draco, wie ich sehe hast du dir einen Schatten zugelegt", entgegnete Blaise. „Habt ihr Spaß?"
„Nein!" schnappte Draco. „Potter will einfach nicht begreifen, daß der Wronski-Bluff nicht immer der beste Zug für einen Sucher ist."
„Du hast also jemanden gefunden, mit dem du deinen endlosen Vorrat an Quidditchtaktiken diskutieren kannst. Wie schön. Aber Hermine und ich möchten dir für deinen unermüdlichen Kuppelkreuzzug danken. Das war es, was schließlich meinen Verstand wieder eingeschaltet hat." Blaise grinste.
Er und Hermine machten sich auf den Weg zur Großen Halle, hinter Millicent und Ron her. Langsam folgten auch Harry und Draco, immer noch streitend. Harry hatte nicht mitbekommen, was Blaise gesagt hatte, aber schließlich würde er das, und dann würde alles wieder normal sein.
Der Krieg war zu einem unausgesprochenen Ende gekommen und hatte wahre Freundschaft und Liebe nach sich gezogen. Die Rivalität zwischen Slytherin und Gryffindor war noch immer sehr lebendig, aber sie war ein wenig abgekühlt, obwohl sie nie ganz verschwinden würde.
Und so endete einer der unglücklichsten Rachepläne in der Geschichte der Menschheit. Es gab kein „Und sie lebten glücklich, bis an ihr seliges Ende", denn niemand ist ununterbrochen glücklich, aber es gab genug Glück, um zufrieden zu sein und damit zu leben. Was geschah? Das ist eine andere Geschichte und besser geeignet für einen anderen Tag.
Ende
