Sehr geehrter Professor Snape,
ich muß gestehen, daß ich niemals mit einer schriftlichen Antwort Ihrerseits gerechnet hätte und wie Sie sicher verstehen ist mir ganz und gar nicht danach zumute, auf Ihre beißenden Worte erneut zu antworten, aber angesichts dessen, was Sie geschrieben haben, bleibt mir wohl nur der Weg, Ihnen ein weiteres "Bitt-Pamphlet" zu senden.
Obwohl ich sicher bin, daß Sie längst wissen, was in diesem Buch alles zu finden ist (sonst hätten Sie das Wort "Wichtiges" wohl kaum in die fühlbar ironischen Anführungszeichen gesetzt), bleibt mir, in der Gewissheit, daß Sie sich nun sehr viel genauer mit den Eintragungen beschäftigen werden als mir lieb sein kann, ganz gryffindormäßig, nur die Flucht nach vorne.
Sie werden diverse Kommentare finden, in denen es um Sie persönlich geht.
Das, was ich davon halte, wie Sie Ihren Unterricht führen, dürfte kaum Neues für Sie bereithalten, aber sicher wird es Sie verwundern, was ich über Ihre Arbeit schreibe. So wie Sie niemals öffentlich zugeben würden, daß ich eine intelligente Schülerin bin, so würde ich niemals öffentlich verkünden, daß Sie in meinen Augen nicht nur dem Titel nach ein Meister der Zaubertränke sind. Ich bringe Ihrer Arbeit tiefen Respekt entgegen und zolle Ihrem Wissen auf diesem Gebiet die größte Bewunderung.
Ich bitte Sie höflichst und eindringlich: ersparen Sie es Ihnen und mir, irgendetwas anderes aus den Kommentaren herauszulesen als diese beiden Punkte. Es ist definitiv nichts anderes in den Kommentaren enthalten.
Meine "Schwärmereien", wie Sie es sicherlich hämisch lachend nennen werden, gelten Ihrer Intelligenz und Ihrem Wissen – nicht dem Mann...
Wieviel peinlicher kann eine Offenbarung werden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich mich selbst in diese Situation hineinmanövriert habe und es deshalb offenbar nicht besser verdient habe. Angesichts der Tatsache, daß ich eigentlich wirklich nichts verbrochen habe, widert es mich an, Sie in dieser Situation so dermaßen auf der triumphierenden Sieger-Seite zu sehen. Aber da es meine Ungeschicktheit und Dummeheit ermöglicht hat, daß Sie was mich betrifft nun dort stehen, wo Sie stehen, will ich Ihnen die Genugtuung gönnen und mich im Unterricht ab sofort Ihren neuen Bedingungen entsprechend verhalten in der Hoffnung, daß Sie mir das Buch nicht erst nach Ablauf meiner Schulzeit zurückgeben. Ich werde mich in Ihrem Unterricht nicht mehr melden, sondern nur noch auf konkrete Fragen das Wort erheben.
Der einzige, magere Triumph der mir bleibt, ist die Tatsache, daß es beinahe sieben Jahre, eines dummen Zufalls und einer Erpressung Ihrerseits bedurfte, um Sie erreichen zu lassen, daß ich mich so verhalte.
Es mag sein, daß es sich bei dem, was Sie im Unterricht tun um "Ihre" Form des Lehrens handelt und ich bestreite nicht einmal, daß sie erfolgreich ist. Aber ich weiß auch, daß jeder andere Lehrer und jede andere Lehrerin – einschließlich Professor Binns und Professor Trelawney ebenfalls viel Wissen vermittelt haben und daß dazu keine Wutausbrüche und keine Tränen erforderlich waren. Ich bin nicht sicher, daß das Maß, das Ihre Lehrmethode unzweifelhaft mehr an Wissen in die Schüler "hineinprügelt" es wert ist, daß man Angst vor ihnen hat. Ich bin ganz sicher keine der beliebtesten Schülerinnen dieser Schule und ich weiß, daß man mich hinter meinem Rücken als unangenehme Besserwisserin bezeichnet, womit ichleben kann– aber Merlin möge bewahren, daß man jemals Angst vor mir hat. Nichts wäre mir das wert...
Aber bevor ich mich hier in Ausschweifungen verstricke, muß von mir noch erwähnt werden, daß Sie aus meinen Charaktereigenschaften zumindest die Anmaßung streichen können, die Sie mir unterstellen.
Nein, ich habe nicht vor, die Fachwelt mit meinen geistigen Ergüssen zum Thema Zaubertränke zu erfreuen. Mir ist bewußt (und ich behaupte jetzt einfach einmal: mehr als den meisten meiner Mitschüler), daß ich Schülerin bin. Lernende... Und weit davon entfernt, mehr Wissen vermitteln zu können oder zu wollen, als eine Hausaufgabenhilfe oder gemeinsames Üben für eine Prüfung darstellen würde.
Sie werden feststellen, daß es sich in dem Buch im Prinzip nicht um meine Korrekturen des Buchtextes handelt – sondern um Ihre... ich habe sie lediglich niedergeschrieben. Sollte sich darunter "Unfug" befinden, wäre es dementsprechend Ihr Unfug. Aber Sie können versichert sein, daß ich jeden einzelnen Eintrag zum Fachlichen persönlich überprüft habe. Anfangs in der charakterlich sicherlich sehr zweifelhaften und kindischen Absicht, Ihnen aus Rache für Ihr Verhalten mir gegenüber, Fehler nachweisen zu können – später, als klar war, daß es einen solchen Nachweis nicht geben würde, aus rein wissenschaftlicher Neugier.
Ich habe es übrigens nicht nötig gehabt, eine Kopie meines Briefes an meine Hauslehrerin weiterzureichen – noch habe ich ihre Antwort an sie gegeben. Ich bin durchaus in der Lage, mich selbst meiner Haut zu wehren und die Zeit in der ich mich heulend zurückgezogen habe, wenn etwas nicht nach meinem Willen lief, sind Geschichte.
Da Sie allerdings solche Befürchtungen äußerten, kann ich vermutlich davon ausgehen, daß Sie von sich auf andere geschlossen haben und selbst keine Hemmungen hätten, Ihrerseits meine Brief eventuell an Dritte weiterzureichen, für die meinen Worte nicht gedacht waren. Ich habe allerdings kein Interesse daran, meine Eingeständnisse Ihnen gegenüber am Schwarzen Brett wiederzufinden. Daher habe ich diesen Brief nun mit einem einfachen Zauber belegt, der es nur noch Ihnen ermöglicht, diese Zeilen zu lesen. In Ihrer Nähe entwickelt man im Laufe einiger Jahre eine (un?)gesunde Form von Paranoia...
Ich fasse noch einmal zusammen: Ich werde mich bis zum Ende dieses Schuljahres in Ihrem Unterricht so verhalten wie Sie es sich schon immer gewünscht haben - - - verzeihen Sie, ich meinte selbstverständlich: so verhalten, wie Sie wünschen. Ich werde nichts mehr mit in den Unterricht bringen, was von Ihnen nicht explizit gefordert wurde.
Ich gratuliere Ihnen zum Sieg, Professor Snape.
Mit höflichen Grüßen
Hermine Granger
PS. Sie können übrigens davon ausgehen, daß das Ende des siebten Schuljahres für mich mit dem Ende meiner Schulzeit übereinstimmen wird.
PPS. Herzlichen Dank für die Splittung der Hausaufgaben in der heutigen Stunde. Ich habe selten mit soviel Ruhe meine Arbeit erledigen können...
