Der folgende Brief wird noch am gleichen Tag – aber mitten in der Nacht – von einer unscheinbaren, recht kleinen Eule an Hermines Fenster abgegeben. Gerade als die kleine Eule das Papier loslassen will, kommt ein Rabe angeflogen, der die Eule angreift, auf sie einhackt und ihr beinahe den Brief entreißt, als solle er verhindern, daß der Brief seinen Adressaten erreicht. Aber Hermine ist schnell genug, greift rettend nach der Eule, schlägt nach dem Raben und verschließt erschrocken das Fenster. Der Brief ist leicht beschädigt, aber ansonsten in Ordnung. Allerdings ist die Schrift "unordentlicher" als bei dem ersten Brief. Irgendwie fahriger... Während die leicht verstörte Eule ihren Keks frißt, liest Hermine...


Sehr geehrte Miss Granger,

Sie sollten unter die Juristen gehen. Während meine Angriffe wenigstens offen formuliert sind, sind Ihre unverschämten Unterstellungen und anmaßenden Definitionen meiner Person in einer derart gekonnten Weise in geradezu schmeichelnd anmutende Phrasen eingebunden, daß man beim ersten Lesen Ihres Briefes glauben könnte, es sei das gemeint, was er oberflächlich auszudrücken scheint. Das Wappentier Ihres Hauses sollte vom Löwen in eine Katze verändert werden, denn nur diese hinterhältigen Tiere sind in der Lage mit ausgefahrenen Krallen so täuschend echt zu schnurren...
Um der Wahrheit die Ehre zu geben – ich hätte an Ihrer Stelle ebenfalls nicht mit einer Antwort meinerseits gerechnet und bin in diesem Moment, so wie Sie es vermutlich auch sein werden, erneut überrascht, daß ich diese Zeilen schreibe.
Warum ich dieses Wortgefecht weiterführe? Nennen Sie es die slytherinsche Variante dessen, was man in Gryffindor vermutlich Sportsgeist nennen würde.
Vielleicht liegt es auch an dem überaus großartigen Wein den unser Schulleiter mir zu meinem letzten Geburtstag hat zukommen lassen, und den ich mir für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte, die nun gekommen war. Eigentlich wollte ich nicht zurückschreiben, aber jedes Glas dieses wunderbaren Rotweins hat mich stärker davon überzeugt, daß es eigentlich eine Verschwendung hochwertiger Agressionsbereitschaft wäre, nicht zu antworten.
Ihr Brief übertrifft in seiner Dreistigkeit alles, was mir in meiner bisherigen Lehrtätigkeit zugekommen ist. Miss Granger, ich ziehe meinen imaginären Hut vor Ihrer inspirierenden Kampfeslust und Ihrer Fähigkeit eine Gratulation zu meinem Sieg auf eine Weise "einzupacken" die mich als Verlierer dastehen ließe, wenn ich nicht erneut reagieren würde.
Vielleicht lasse ich Sie aber auch nur aus purer Neugier darüber, wie weit Sie diesen Weg zu gehen wagen werden, gewähren. Ihnen muß klar sein, daß Sie sich auf Terrain bewegen, das einer Schülerin unter gar keinen Umständen zusteht. Aber um des Spiels willen, will ich Ihnen gestatten, ungestraft noch ein paar Schritte weiterzugehen.
Selbstverständlich wußte ich, was in Ihrem Buch zu finden war. Und wenn Sie darauf bestehen, daß ich in den Kommentaren nicht zwischen den Zeilen lese, werde ich ich dies selbstverständlich unterlassen. Möchten Sie auch, daß ich es unterlasse, Sie im Unterricht mit meinen – warten Sie...wie hatten Sie sie doch gleich genannt... ah ja... "eleganten Händen" abzulenken? Ihr Wunsch, Miss Granger ist mir natürlich Befehl...
Aber nun zurück in die Realität – ich bin in der Lage zu begreifen, daß Sie keine Gefühle pubertärer Art für mich hegen, nur weil von möglicherweise tausenden von Einträgen, die sich zudem auf einen Zeitraum von fast sieben Jahren verteilen, einige wenige Male meine Person in einer – nennen wir es einmal "unangebrachteren" – Weise genannt wird. Schon gar nicht, wenn sich in der gleichen Handschrift, also aus den selben Zeiträumendie sehr viel üblicheren Hass-Tiraden finden.
Ich bin schon deshalb in der Lage dies zu begreifen, weil Sie in Ihrem geradezu unmenschlichen Eifer für das Studium der Magie überhaupt keine Zeit für derlei hätten... weder in Ihrer eigenen Altersgruppe noch in unangebrachten Kreisen. Vielleicht sollten Sie Ihr Studium auch auf dieVerhaltensweisen richten, die die menschliche Rasse ausmachen und zu denen, sofern ich mich recht erinnere, zwangsläufig auch ein gewisses rituelles Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber erforderlich ist. Wenn ihr scharfer Verstand nicht dadurch verloren gehen soll, daß Sie ihn nicht an Nachkommen weiterreichen, sollten Sie das eine oder andere Buch zugungsten der Auslebung pubertärer Notwendigkeiten liegenlassen. Es wäre für Mr. Weasley sicher eine Erlösung, wenn Sie dies endlich erkennen. Der Arme kann einem inzwischen fast leid tun...
Sie wollen wissen, wieviel peinlicher eine Offenbarung werden kann? Vielleicht sollte Albus Dumbledore Ihnen bei Gelegenheit einmal seine Ansammlung von Briefen liebeskranker Schülerinnen zeigen... DAS ist peinlich...
Mir fällt gerade auf, daß Wein-Trinken und Briefeschreiben nicht unbedingt zwei Dinge sind, die zusammengehören – entschuldigen Sie die Handschrift... aber ein paar Dinge müssen noch geschrieben werden.
Sie wollen Sich "meinen Regeln entsprechend" im Unterricht verhalten? Lassen Sie das bleiben. Oder wie wollen Sie dies Ihren Mitschülern erklären? Nun ja, vielleicht wäre eine verlorene Wette ein Argument...
Ich erwarte lediglich keinen Widerspruch und keine Hilfsleistungen mehr an Ihre Mitschüler.
Und hier bin ich dann an der Stelle angelangt, für die Ihr Brief entweder verbrannt gehört, oder für die Sie einen Orden erhalten sollten.
Es bedurfte also eines dummen Zufalls und einer Erpressung meinerseits, damit Sie sich im Unterricht so verhalten "wie ich es wünsche"?
Sie beschuldigen mich der Erpressung. Sie behaupten, ich hätte das Verhalten meiner Schüler nicht im Griff. Sie nennen meine Methode zu Lehren "hineinprügeln" und letztendlich bitten Sie Merlin darum, daß er verhindern möge, daß man Ihnen die gleichen Empfindungen entgegenbringt wie mir...?
Miss Granger... das Glas, das neben diesem Briefbogen steht, trinke ich auf Sie, weil Sie es geschafft haben, meinen persönlichen Rekord in konzentrierten persönlichsten Beleidigungen zu brechen... Sie... eine Gryffindor...
Allein dies geschrieben zu haben, läßt mich diesen Brief jetzt schon einmal vorsorglich auf die gleiche Form magisch versiegeln, die Sie für Ihren genutzt haben.
Sie gratulieren mir zum Sieg, Miss Granger? Ich kann nur sagen "touché"
Sie haben nun ebenfalls eine Schlacht gewonnen. Bleibt herauszufinden, wer diesen Krieg gewinnt, den Sie da entfacht haben.
Oh... was den Krieg, einzelne Schlachten und Niederlagen betrifft, habe ich hier etwas für Sie: Was das Ende Ihrer Schulzeit betrifft, über dessen TerminSie ja so überaus sicher sind,verrate ich Ihnen ein Geheimnis. Und ich vertraue auf Ihre Gryffindor-Ehre, daß Sie mich nicht als Quelle dieser Information verraten. Ich würde es ohnehin leugnen.
Die selbstverständlich hochkompetente Professor Trelawney (der Sie ja in Ihrem Brief ebenfalls sehr gute Lehreigenschaften bescheinigt haben) beabsichtigt, konkret Ihren (und NUR Ihren) praktischen Prüfungsteil aus Gründen die durch die Schulordnung realisierbar sind, auf vier Fünftel anzuheben. Sollten Sie den praktischen Teil in diesem Fach nicht bestehen – wovon laut Professor Trelawney auszugehen ist – wären Sie gezwungen, in diesem Fach eine Nachprüfung abzulegen, die erst nach den Ferien erfolgen würde.
Ich denke nicht, daß es Sie den Abschluß kosten würde, aber selbstverständlich würde dieser "Patzer" im Abschlußzeugnis erwähnt werden...
Damit Sie sich noch weiter auf die Vorbereitung der Prüfungen konzentrieren können, ohne daß Sie nervende Mitschüler zu fürchten haben, werde ich die von Ihnen ja ganz offensichtlich begrüßte Splittung der Hausaufgaben noch konkreter vornehmen, damit Sie sich nicht plötzlich mit Freizeit konfrontiert sähen, die sie vor die erschreckende Aufgabe stellen würden, sich eventuell doch mit zwischenmenschlichen Ritualen beschäftigen zu müssen. Stellen Sie sich doch nur vor, Mr. Weasley bekäme heraus, daß Sie einen ganzen Tag lang ohne Beschäftigung sind...
Oh... aber nun fällt mir wieder ein, daß es ja eigentlich erstrebenswert wäre, wenn Sie sich der Tatsache wieder besinnen würden, daß sie weiblich sind... vielleicht sollte ich Sie stattdessen lieber von den Hausaufgaben entbinden?
Was meinen Sie, Miss Granger?
Oder hält Sie die Angst die man vor mir ja offenbar haben muß, davon ab, mir noch einmal Ihre Meinung zu sagen? Das wäre bedauerlich...

Severus Snape