Der nächste Brief ist schon nachmittags bei Snape. Anbei hängt zusätzlich ein kleines Päckchen...
Sehr geehrter Professor Snape,
nun gut, dann also wieder auf dem schriftlichen Wege, da Sie sich offenbar außerstande sehen, auch nur eine Sekunde der kostbaren Laborzeit für Außerfachliches zu "verschwenden". Entweder dies, oder Sie weichen schlicht einem persönlichen Gespräch mit mir aus. Wie auch immer... angesichts der Leistung die wir während der Laborstunden erbringen, soll mir der Grund gleichgültig sein.
Daß Sie so nicht arbeiten können, wurde in der letzten Woche ja nun wirklich offensichtlich – das hätten Sie mir nicht schreiben brauchen – ich hätte nie gedacht, daß Sie so tollpatschig sein können - aber wenn Sie mir die Gründe dafür genannt hätten, daß Sie so irritiert sind, hätte ichdiese längst abstellen können.
Dann gehen wir Ihre neuen Regelungen doch einmal Punkt für Punkt durch:
1) Ich soll also kein Ingwer-Backwerk mehr mitbringen...
Professor Snape, wenn Sie der Meinung sind, ich hätte nicht bemerkt, daß Sie sich gleich am ersten Nachmittag an den Keksen bedient haben, während ich auf Ihre Anweisung im Lager die fehlenden Zutaten geholt habe, dann haben Sie sich getäuscht... und einmal auf den Gedanken gebracht, ich könne eventuell eine Nascherei entdeckt haben, die Sie mögen, habe ich von da an exakt darauf geachtet, welcher Keks und welche Rolle wie liegt. Sollten es nicht die Hausgeister gewesen sein, die bei Ingwer einfach nicht ‚nein' sagen konnten, dann waren es wohl Sie, der immer mal wieder den einen oder anderen Keks stibitzt hat... das war auch in Ordnung so – ich habe Sie schließlich offen angeboten und hingestellt. Aber so zu tun, als fände man sie schrecklich um dann heimlich dranzugehen, ist eigentlich nicht Ihr Stil. Daher vermute ich, daß das auch der Grund dafür ist, daß Sie in den letzten beiden Tagen nicht mehr dran waren und es mir nun verbieten wollen, sie überhaupt mitzubringen. Sie wollen nicht in Versuchung geführt werden!
2) Ich werde im Labor nichts mehr über Ihr Essverhalten äußern und ich werde auch keinen Hauselfen in die Gefahr bringen, durch sie um Leib und Leben fürchten zu müssen. Aber da unser Briefwechsel ja offenbar dazu gedacht ist, offen sprechen zu können, erwähne ich hier noch ein einziges Mal, daß Sie Ihrem Körper keinen Gefallen tun, wenn Sie weiterhin diesen Cowboy-Kaffee trinken (ein anderer Name fällt mir für diese teerschwarze Brühe nicht ein). Derart intensiver Kaffee MUSS auf Dauer die inneren Organe schädigen. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie längst ein Magengeschwür hätten. Aber das würden Sie dann sicher auf uns Schüler schieben... ich weiß... Und ein erwachsener Mann, der sich zudem so oft über so lange Zeiträume konzentrieren muß wie es bei Ihnen der Fall ist, der kann nicht einfach nur von so überzogen magerem Zeug leben. Sie brauchen die eine oder andere nutzbare Kalorie für ihren Körper und ihren Geist! Und auch wenn ich Ihnen meine Kekse von Herzen gönne, ist das nicht wirklich die beste denkbare Energiequelle für Sie! Es ist absolut kein Wunder, daß Sie stets so übermüdet und grantig sind! Wenn ich meinem Körper so wenig Energie zuführen würde, wäre ich auch nur schlecht gelaunt!
3) Ich habe Ron und Harry zusammengestaucht und mit Professor McGonagall werde ich morgen sprechen. Sie ist heute nicht in der Schule. Sehen Sie diesen Punkt als erledigt an!
4) Warum wissen Sie, seit wann ich meine Haare mit genau diesem Produkt wasche? Nicht einmal ich hätte einen so genauen Zeitraum nennen können... Aber wenn der Duft Sie stört, dann werde ich selbstverständlich zu einem neutralen Produkt wechseln. Ich habe eine Probe beigelegt, vielleicht können Sie selbst es ja einmal ausprobieren, dann wissen Sie genau, ob es Ihren Ansprüchen genügt. Sollte es Ihnen zusagen, kann ich Sie gerne regelmäßig damit versorgen... nur für den Fall, daß Sie keine Zeit haben, selbst etwas derartiges zu besorgen...
Was die offen getragenen Haare betrifft: Ich werde meine Haare ab sofort schon deshalb hochgesteckt tragen, damit sich die losen Strähnen nicht – wie in den letzten Tagen ja ständig geschehen – in den Knöpfen Ihrer Weste verfangen, wenn Sie (aus rein fachlichen Gründen – ich weiß...) so nah hinter mir stehen! Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, Herr Professor? Aber Sie Leiten das Projekt, Sie bestimmen die Regeln und ich werde mich selbstverständlich danach richten.
5) Ich werde meine Schlafphasen anders organisieren, damit etwas Derartiges nicht mehr vorkommt. Der Vorfall war mir unangenehm, wie Sie sicherlich gemerkt haben und ich werde alles daransetzen, etwas Ähnliches nicht mehr geschehen zu lasen. Aber... wenn es Sie so stört, wenn ich an ihrem Schreibtisch einschlafe, während ich die Ergebnisse der letzten Tränke eintrage – warum wecken Sie mich dann nicht? Den Eintragungen nach zu urteilen die ich nur geschafft habe, muß ich fast unmittelbar nach Beginn der Laborzeit eingeschlafen sein – und ich bin davon wach geworden, daß Sie am Ende der Zeit ganz "unauffällig" das Buch haben fallen lassen...
Professor Snape, ich glaube Ihnen Ihren Unwillen nicht und der bissige Ton Ihrer Zeilen erscheint mir seltsam, wenn ich mich gleichzeitig vage daran erinnern kann, daß ich beim Aufwachen in dem kühlen Labor nicht gefroren habe, weil ich zugedeckt war...
Woran liegt es, daß Sie jedes private Wort meiden? Fürchten Sie, daß ich alles weitertratschen könnte und würde, was zwischen uns gesprochen wird? Ich kann Ihnen nur nochmals versichern, daß absolut nichts von dem, was in diesen zwei Stunden geschieht, in irgendeiner Weise nach außen getragen wird. Weder der fachliche, noch der sonstige Bereich.
Vielleicht ist Ihnen nicht klar, wie wertvoll diese zwei Stunden jeden Tag für mich sind. Obwohl Sie Ihr Licht unter den Scheffel gestellt hatten, habe ich bei Ihnen exakt das gefunden, was ich gesucht hatte. Die Stunden mit Ihnen im Labor sind unendlich inspirierend, aufweckend (nun gut – abgesehen von dem einen Tag...), fordernd und zugleich trotzdem irgendwie herrlich entspannend. Mein Geist fühlt sich danach so an, wie mein Körper sich nach dem Schwimmen fühlt – angestrengt – aber gleichzeitig erholt...
Professor, ich erwarte von Ihnen doch gar nicht, daß Sie sich mit mir über private Dinge unterhalten oder gar mit mir Plauderpausen einlegen – ich weiß nur nicht, wieviel Sinn es macht, mir solche Dinge wie die Störung durch den Vanilleduft nicht persönlich zu sagen, sondern per Brief... warum nicht Auge in Auge?
Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen für diese grandiose Möglichkeit bedanken und sende Ihnen ein wenig von dem Nerven-Nahrungs-Vorrat, den meine Mutter mir geschickt hat. Tun Sie damit, was sie wollen, aber wagen Sie nicht, es mir zurückzuschicken...
Mit freundlichen Grüßen
Hermine Granger
Snape liest den Brief einige Male durch, bevor er ihn seufzend auf den Tisch legt. Dann zieht er zögerlich das Päckchen an sich heran, zieht einmal schnuppernd die Luft ein undes taucht der Hauch eines Schmunzelns auf seinem Gesicht auf, während er das Päckchen öffnet.
In dem zigarrenkistengroßen Päckchen ist eine herrliche Auswahl an duftenden Ingwer-Plätzchen... und eine kleine Flasche mit einer Paste – die offenbar ein Waschmittel darstellt.
Er nimmt, nachdem er es sich sehr genau ausgesucht hat, eins der Plätzchen, beißt genüßlich eine kleine Ecke davon ab, nimmt sich noch einmal den Brief, lehnt sich in dem Sessel zurück und liest ihn genüßlich das Plätzchen kauend noch einmal...
Als der Keks gegessen ist, legt er den Brief zur Seite und greift selbst wieder zu Papier und Feder...
