WEISSE MÖWEN

Disclaimer: siehe Kapitel 1

A/N: Viel Spaß beim Lesen!

Teil I: Drei Freunde

3. Im Palast von Minas Tirith

„Gibt es sonst noch Neuigkeiten, Hauptmann?", wollte König Elessar zum Abschluss des Gesprächs über die aktuellen Informationen von der Stadtwache wissen, doch sein oberster Hauptmann schüttelte den Kopf.

„Nein, mein Herr, das war alles."

„Gut, dann sind wir hier fertig."

Der Hauptmann stand auf und verneigte sich vor seinem König, der statt auf seinem Thron mit ihm gemeinsam am Tisch gesessen hatte, und verschwand durch die Tür.

Im selben Moment betrat jemand anderes den Saal durch einen Vorhang an der Rückseite und Aragorn musste sich nicht umdrehen, um seine Frau an ihren fast lautlosen Schritten zu erkennen.

„Arwen", sagte er leise, wohlwissend, dass sie ihn hören würde. „Wie geht es dir?"

Sanft nickend trat sie neben ihn, sah auf ihn hinab und küsste ihn sanft auf die Stirn, während er einen Arm um ihre Körpermitte schlang. Sie war seine Frau. Immer wieder überraschte ihn dieser Gedanke, auch wenn er sich doch langsam daran gewöhnt haben müsste. So lange kannten sie sich schon und so lange hatte er nicht zu hoffen gewagt, dass es tatsächlich einmal so weit sein würde, doch als er sein Schicksal angenommen und König geworden war, hatte auch Elrond nichts mehr gegen diese Verbindung sagen können. Und jetzt stand sie hier, strahlend schön wie eh und je und erlaubte es, dass er sie berührte. Schon als Kind in Bruchtal hatte er gelernt, dass Elben das menschliche Bedürfnis nach Körperkontakt nicht zu teilen schienen, und doch ließ sie es zu, schien es gar zu genießen.

„Kann es sein, dass Legolas in der Stadt ist?", riss sie ihn aus seinen Gedanken.

„Legolas? Nein, nicht dass ich wüsste. Wie kommst du darauf?"

„Ich hörte die Mädchen in der Küche darüber tuscheln, dass ein blonder Elb in die Stadt gekommen sei, den Roheryn erkannt haben soll."

Aragorn lehnte seine Stirn gegen ihren flachen Bauch und fragte, „Hätte er uns sein Kommen oder zumindest seine Ankunft nicht angekündigt?"

Dann sah er zu Arwen hoch und verstand ihren Blick sofort. „Nein, hätte er wahrscheinlich nicht, wenn es kein offizieller Besuch ist, du hast Recht. Warte!", bat er dann und lief zur Tür hinaus, bis vor zum Rand der Mauer. Er beugte sich hinüber und sah den Hauptmann, mit dem er gerade noch gesprochen hatte, zwischen den Menschen im Ring unter sich entlanggehen.

„Hauptmann?!", rief er und rollte die Augen, als er die förmlichen Höflichkeitsbezeugungen sah, die die Menschen ihm zu Ehren ausführten.

„Mein Herr?"

„Sagt, ist heute ein Elb eingetroffen?"

Der Hauptmann nickte. „Ja, mein Herr. Heute Nachmittag. Stimmt etwas nicht?"

„Doch, es ist alles in Ordnung", versicherte Aragorn seinem Hauptmann. „Wisst Ihr, wo ich ihn finden kein?"

„Nein, mein Herr, leider nicht. Soll ich..."

„Nein, nicht nötig", unterbrach Aragorn ungeduldig. „Geht nur."

Er eilte in den Palast zurück, in dessen Empfangshalle Arwen ihn erwartete. „Du gehst ihn suchen?", nahm sie an.

„Ja, das werde ich."

Obwohl er kein weiteres Wort sagte, wusste seine Frau doch, wie sehr er hoffte, dass es tatsächlich Legolas sei. In ihren gemeinsamen Gesprächen ging es mehr um die Ereignisse der heutigen Tage, als um das, was früher gewesen war, doch manchmal, an ruhigen Abenden, schwelgten sie beide in Erinnerungen an alte Zeiten, und dann kam auch die Sprache auf den blonden Elb, denn in ihrer beider Leben hatte Legolas schon lange eine große Rolle als Freund und Vertrauter gespielt.

Arwen hatte das eine oder andere Mal aus seinen Bemerkungen und gedankenverlorenen Blicken ableiten können, wie sehr Aragorn ihn vermisste und so lächelte sie, „Gehe nur. Ich bleibe hier."

Aragorn lief erneut los, kehrte dann aber um und drückte ihr seine Krone in die Hand. „Schlimm genug, dass mich so schon jeder erkennt", grinste er, ehe er erneut verschwand.

Arwen sah ihrem Mann nach, wie er die steile gewundene Straße hinabeilte und wie üblich sein Volk zur Verwunderung brachte, wenn er den ihm entgegengebrachten Verbeugungen so gar keine Beachtung schenkte. Er hatte sich kein bisschen verändert, dachte sie bei sich, als sie in den Palast zurückging. In seinem Herzen war er immer noch ein Waldläufer, der sich lieber in einem schmutzigen Mantel in einer Gaststube in Bree aufgehalten hätte, statt im Palast von Gondor seiner Meinung nach völlig überflüssige Ehrerbietungen entgegenzunehmen, und doch hatte er sein Schicksal angenommen und hatte in seiner kurzen Zeit als König schon vieles verbessert.

Jetzt aber hätte er gerade alles für seinen alten Mantel gegeben, denn auch ohne Krone erkannten ihn die Menschen als ihren König und behinderten dadurch seine Suche. Am oberen Brunnen standen einige Frauen, doch als er fragte, ob sie einen Elben gesehen hatten, knieten sie nur nieder und antworteten nicht.

„Einen Elben?", wiederholte er. „Bitte, steht auf. Ich möchte doch nur wissen, ob ihr einen Elben gesehen habt."

Verwirrt sahen die Frauen auf und erhoben sich wieder zu ihrer vollen Größe, als sie seinen Worten Glauben schenkten.

„Ein Elb? Nein, den haben wir nicht gesehen", sagte schließlich eine und sah ihrem König verwundert nach, als dieser weiterlief und ein „Danke"zurück in ihre Richtung rief.

„Was hat er nur?", hörte Aragorn die Frauen noch tuscheln, als er schon die nächsten fragte.

„Hast du einen Elben gesehen?", rief er einem Mädchen zu, vielleicht zehn Jahre alt, das Lebensmittel nach Hause trug, doch als ihm gewahr wurde, wer es da angesprochen hatte, stolperte es vor Schreck und seine Lebensmittel polterten über die Straße. Der König? Aber wo war die Königin? Und ihre Begleiter? Der König lief doch nie einfach so durch die Straßen. Ja, manchmal, da hatte es ihn über die Ebene reiten sehen, aber doch nie hier alleine in der Stadt.

Aragorn fing einen Kohlkopf und ein paar Kartoffeln wieder ein und tat diese in den Einkaufskorb zurück. „Hast du?", wiederholte er seine Frage, als das Mädchen, Schamesröte im Gesicht, noch versuchte, sich von dem Schock zu erholen.

„Habt Dank, mein Herr", murmelte sie, den Blick auf den Boden gerichtet. „Und verzeiht, ich..."

Lächelnd strich Aragorn ihr mit der Hand übers Haar. „Es ist ja gar nichts passiert", sagte er. „Was hat dich nur so erschreckt?"

„Ich... Majestät... ich..."

„Nun beruhige dich doch"; sagte er leise. „Willst du das für mich tun? Atme ganz ruhig ein und aus."Nach einer Minute fragte er, „Besser?"

Sie nickte. „Ja."

„Wie heißt du?", wollte der König wissen und noch mit zittriger Stimme antwortete sie, „Marissa, mein Herr."

„Gut Marissa. Denkst du, du kannst mir meine Frage beantworten?"

Sie nickte.

„Hast du heute hier in der Stadt einen Elben gesehen?"

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, mein Herr, das habe ich nicht. Ich war doch nur kurz einkaufen und jetzt werden meine Eltern auf mich warten und..."

„Dann lauf schnell nach Hause", entließ Aragorn sie und fügte hinzu, „Und wenn deine Eltern dir die Verspätung nicht verzeihen, dann schicke sie zu mir."

Marissa lachte. „Das wird nicht nötig sein. Aber ich will mich beeilen."

Sie lief los, drehte sich dann aber noch einmal um. „Ihr seid ein richtig netter König", rief sie Aragorn zu, bevor sie weiterlief und zauberte damit ein Lächeln auf dessen Gesicht.

„Ich muss häufiger alleine durch die Stadt laufen", dachte er lachend bei sich, als er weiterging und erst anhielt, als ein Mann sich vor ihm verneigte.

„Mein Herr, wie ich hörte, sucht Ihr einen Elben?"

„Ja, das ist richtig. Habt Ihr ihn gesehen?"

„Ja, mein Herr. Er war im Waffenladen, gerade heute Nachmittag."Der Mann deutete auf den Eingang eines Geschäfts, vor dem ein anderer Mann gerade die Auslagen einräumte.

„Danke!"

Aragorn ging auf den Mann vor dem Geschäft zu und fragte diesen nach einem Elben. Er nickte. „Ja, da war einer da. Hat Pfeile für seinen Bogen gekauft. Aber wo er danach hin ist, weiß ich nicht. Fragt doch mal im Gasthaus neben dem Stall. Vielleicht weiß Lore etwas."

„Das werde ich tun. Habt vielen Dank!"

Wieder ließ er ein paar verdutzte Männer und Frauen stehen, als er weiterlief und schließlich vor dem Gasthaus Gamwich zum Stehen kam. Er öffnete die Tür und trat ein, doch als er die Blicke der Gäste in der Gaststube sah, wäre er am liebsten wieder hinausgelaufen. Auf einen Schlag verstummten alle Gespräche und alle Augen waren auf ihn gerichtet. Seufzend sah Aragorn sich an, wie alle Gäste aufsprangen, winkte dann aber ab und deutete, dass sich alle wieder setzen sollten, was aber die wenigsten direkt befolgten.

Da kam Lore von ihrem Platz hinter dem Tresen hervor, schob sich an den immer noch stehenden Gästen vorbei und fragte, „Darf ich euch weiterhelfen, mein Herr?"

Aber Aragorn schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank."Dann lächelte er, „Ich habe bereits gefunden, wonach ich gesucht habe."

Hochaufgerichtet ging er auf den Tisch in der Ecke zu an dem Legolas gesessen hatte und neben dem er jetzt stand, seine Augen auf Aragorn gerichtet. Für einen Menschen hatte Aragorn sich in all den Jahren kaum verändert. Seine ehemals dunkelbraunen Haare zeigten nur einige graue Strähnen mehr als bei ihrem letzten Treffen und seinen Bart hatte wie früher üblich die Länge von drei oder vier Tagen erreicht. Die Zeiten des gepflegten Bartes wie bei seiner Krönung waren wohl vorbei. Für einen Moment sahen die beiden sich an, bis Legolas leise und etwas erstaunt fragte, „Man carich si?"

Es klang nüchtern, fast kühl, doch seine Augen verrieten die Freude über das Wiedersehen mit dem alten Freund.

„Was ich hier mache? Die Frage ist doch wohl eher, was du hier machst, oder?", entgegnete Aragorn und auch in seinen Augen blitzte es. Dann ging ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht, das auch Legolas ansteckte und so legte Aragorn endlich seinem elbischen Freund die Hand auf die Schulter und drückte sie sacht. Legolas erwiderte diese Geste, die die herzlichste Begrüßung darstellte, die Elben unter Freunden duldeten.

„Legolas, mellon nin, was machst du hier? Warum hast du uns nicht gesagt, dass du in der Stadt bist?"

Der Elbe zuckte nur mit den Achseln und mit dem Ansatz eines Nickens machte er Aragorn darauf aufmerksam, dass alle Gäste ihr Gespräch zu verfolgen schienen.

Der verstand und wandte sich um. „Lore?", rief er und ging auf die Frau zu. „Ihr seid doch Lore, oder?"

„Ja, gewiss, mein Herr", nickte sie. Dass der König ihren Namen kannte, ließ sie vor Aufregung erröten.

„Ihr könnt doch etwas für mich tun. Bringt allen hier etwas zu trinken. Ein Freund ist in der Stadt, wir haben Grund zu feiern."

„Natürlich, natürlich. Was ist mit Euch, mein Herr. Was trinkt ihr? Bier? Wein?"

„Bier", lachte Aragorn, als er die begeisterten Rufe der Gäste hörte, die sich nun endlich wieder hinsetzten. „Bier für alle!"

Lore verschwand sogleich wieder hinter der Theke und half ihrem Mann, der dort bereits mit dem Bierzapfen begonnen hatte. Aragorn aber ging an Legolas' Tisch zurück und setzte sich neben ihn.

„Besser?", fragte er und Legolas nickte. „Ja."

„Ist das bei euch in Eryn Lasgalen auch so schlimm?", fragte Aragorn, doch Legolas sah ihn nur fragend an.

„Diese ständigen Verbeugungen, das fassungslose Staunen... daran werde ich mich nie gewöhnen. In Bruchtal gab es das nicht. Oder vielleicht war es Elrond auch nur nicht so unangenehm."

„Nein", sagte Legolas, „Die Hierarchie ist unter Elben nicht so deutlich." Dann fügte er hinzu, „Doch warum bist du hier, und nicht in deinem Palast, wenn es dich so stört?"

„Weil ein gewisser Freund von mir es nicht einmal für nötig gehalten hat, mir mitzuteilen, dass er in der Stadt ist. Wenn Arwen nicht unsere tratschenden Küchenmädchen belauscht hätte, wüsste ich es wohl immer noch nicht. Warum hast du uns nicht wenigstens bei deiner Ankunft informieren lassen?"

Legolas zuckte mit den Achseln. „Die Wache sagte mir, dass ihr beiden heute den ganzen Tag unabkömmlich wärt und erst morgen zu sprechen."

„Manchmal glaube ich, dass Gimli doch recht hat", grinste Aragorn.

„Gimli?"

„Ja. Du bist doch nur ein dummer Elb."

Legolas' Gesicht verzog sich zu einem kleinen Grinsen. „Ja, vielleicht."

Fortsetzung folgt