WEISSE MÖWEN

Disclaimer: siehe Kapitel 1

A/N: Ja, ich lebe noch. Nach langer Zeit geht es hier doch mal weiter. Lasst mich wissen, ob es die Mühe wert ist. ;-)

Teil I: Drei Freunde

5. Auf dem Weg zum Palast

Auf Aragorns Zügen lag immer noch ein Lächeln, das in erster Linie Lore galt, die das Geld, das er ihr für den Abend und Legolas' nun doch nicht genutztes Zimmer gegeben hatte, nicht hatte annehmen wollen und in zweiter Linie dem ganzen Abend, denn er fühlte sich wohl wie schon lange nicht mehr, auch wenn dunkle Gedanken an ihm nagten.

„Du bist glücklich, doch Schatten ziehen herauf", sagte Legolas neben ihm. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Ja", nickte sein Freund und dann verschwand sein Lächeln. „Ich komme viel zu selten aus meinem Palast heraus. Kein Wunder, dass die Menschen so seltsam auf mich reagieren, wenn ich für sie derart unerreichbar geworden bin, ein König, der immer nur regiert und sich nie für die einfachen Freuden und das wirkliche Leben der Menschen interessiert."

„Du wirst deine Gründe gehabt haben", sagte Legolas. „Du hast eine große Aufgabe und diese zu erfüllen bedarf es deiner vollen Aufmerksamkeit. Doch wenn es dies ist, was du möchtest, wenn du mit den Menschen hier reden willst, dann hast du noch genug Zeit es zu tun."

Aragorn zuckte mit den Achseln. „Du hast wahrscheinlich Recht. Es ist alles nur eine Frage dessen, was man als wichtiger erachtet. Doch sag mir, mein Freund, warum ist das Ansehen des Obersten bei den Menschen und den Elben so unterschiedlich?"

Legolas sah ihn an, und obwohl nur der Mond und die Sterne über der Stadt schienen, konnte Aragorn doch in seinen Augen sehen, dass er die Antwort auch nicht kannte.

„Manchmal denke ich, dass ich zu lange bei den Elben gelebt habe, um den Menschen ein guter König zu sein." Die Worte waren nur ein Flüstern, für menschliche Ohren kaum zu hören, doch Legolas' Elbenohren verstanden jedes Wort.

Was war nur geschehen, dass Elessar so an sich zweifelte? Ja, er hatte immer Zweifel gehabt, hatte sich jahrzehntelang vor seinem Schicksal versteckt und auch, als er sich längst als der Führer bewiesen hatte, hatte es Elronds Überzeugung gebraucht, dass er das neu geschmiedete Schwert genommen und unter dem Banner des Königs von Gondor in die Schlacht gezogen war. Elrond. Ja, vielleicht war es mehr als die Sehnsucht eines Sohnes nach seinem Vater, die vorhin schon über Aragorns Gesicht gezogen war. Vielleicht war es vielmehr das Verlangen, mit jemandem zu sprechen, der ihm bei seiner Aufgabe als König helfen konnte. Aber all die Alten und Weisen waren über das Meer gesegelt. Elrond, Galadriel und Celeborn. Selbst Gandalf hatte Mittelerde verlassen.

Und er selbst hatte sich seit Jahren nicht blicken lassen, obwohl er gewusste hatte, wie beschäftigt Aragorn sein musste und dass es ihm unmöglich war, zu kommen. Doch er war in den Düsterwald, der dann bereits Eryn Lasgalen genannt wurde, zurückgekehrt, als in Minas Tirith und Ithilien alles zum Besten bestellt war und er die Verantwortung in fähige Hände hatte abgeben können. Doch nicht für alle war es so einfach. Aragorn war geblieben und alle außer Arwen hatten ihn allein gelassen.

„Die Zeit der Elben ist vorüber", sagte Legolas schließlich langsam und bedächtig, „und die Zeit der Menschen ist gekommen. So haben Elrond und Galadriel es vorhergesehen und so ist es eingetreten. Es gibt nicht mehr viele Elben, doch die Zahl der Menschen nimmt ständig zu. Das ist dein Verdienst, denn sie fürchten weder Hunger noch Armut, weder Seuchen noch Verbrechen. Du bist das Bindeglied zwischen der alten und der neuen Welt, Elessar. Sei stolz darauf, dass du in beiden Welten zu Hause bist und zweifele deswegen nicht an dir, denn es macht dich nicht schwach, sondern stark."

Verwundert blieb Aragorn stehen und beobachtete seinen Freund, der es ihm gleichtat. Er sah wahrhaftig aus wie immer. Die einfache braune Tunika, sein Bogen und sein gefüllter Köcher sowie seine beiden Dolche zusammen mit seinem Gepäck auf dem Rücken. Und doch schien ihm hier, in der Dunkelheit auf den Straßen von Minas Tirith, dass er sich verändert hätte. Die ihm eigene Aura, die Elben immer viel deutlicher zu umgeben schien als Menschen, schien geradezu zu leuchten, als er die mit Bedacht gewählten Worte sprach. Für einen Moment ließ er dies alles einfach auf sich wirken. Legolas', dessen silberblonde Haare im Mondlicht zu schimmern schienen, diese Würde, die ihn plötzlich umgab und die Worte, die er gesprochen hatte. Worte, die er, wie er sich eingestand, zu hören nötig gehabt hatte, denn noch während Legolas sprach, rückte alles wieder an seinen Platz. Alles hatte seine Ordnung im Universum, seine Ordnung und seinen Platz. Genau diese Ordnung hatte Legolas gerade wieder hergestellt und ihm seinen Platz gezeigt. So, wie Elrond es früher getan hatte, wenn er an sich gezweifelt hatte. Wenn er damit zu kämpfen hatte, dass die Elben ihn immer als Mensch und die Menschen immer als Elben zu sehen schienen.

„Hannon le", bedankte er sich leise und sah dabei fest in die dunkelblauen Augen seines Freundes, in denen sich die Sterne widerspiegelten, doch Legolas lächelte nur sanft und als er den Blick erwiderte, gab er im Stillen ein Versprechen ab. Wenn niemand sonst Aragorn helfen konnte, die Bürde zu tragen, damit er ein guter König sein konnte, dann würde er es tun. Dann würde er kommen und nach seinem Freund sehen, damit dieser wieder die Hoffnung in sich tragen würde, die ihm einst seinen Namen gegeben hatte.

Aragorn schien zu verstehen, denn auch er lächelte und als Legolas ihn sanft am Arm fasste und seinen alten elbischen Namen wisperte, fühlte er sich wieder frei von dunklen Schatten.

„Estel."

Schweigend gingen sie weiter, bis sie die höchste Ebene der Stadt erreichten. Der weiße Baum stand in voller Pracht vor dem Palast, das war in der Dunkelheit selbst von Menschenaugen auszumachen. Legolas wollte schon auf den Eingang des Palastes zumarschieren, als Aragorn ihn aufhielt.

„Nein, bitte, lass uns noch einen Moment hier draußen bleiben."

Legolas nickte und folgte seinem Freund bis an die Mauer, auf die sie sich beide setzten. Aragorn ließ die Tasche, die er für seinen Freund getragen hatte, von der Schulter gleiten und setzte sich seitlich auf die Mauer, die Füße auf dem Boden, doch Legolas schwang seine Beine über die Mauer und ließ sie auf der tief abfallenden Seite hinunterbaumeln. Sein Gepäck hatte er ebenfalls auf den Boden gestellt, nur seine Waffen trug er noch. Er sah zur Seite und musterte seinen Freund, der gedankenverloren über den Platz sah, auf dem einst seine Krönung zelebriert worden war.

„Denkst du oft an die Zeit?", fragte er.

„Ja", gab Aragorn zu. „Eigentlich schon. Es scheint mir heute schon so lange her, und doch erinnert mich dieser Ort immer daran. Die Felder von Pellenor erinnern an die Schlacht und der Platz hier oben an die Feierlichkeiten und das Wiedersehen mit Arwen."

„Hörst du manchmal von den anderen?"

„Sam schreibt manchmal. Die Dinge scheinen wieder gut um das Auenland bestellt zu sein. Er kümmert sich sehr, seit er Bürgermeister geworden ist."

„Du hast erlassen, dass kein Mensch das Auenland betreten darf", grinste Legolas. „Dann darf ich hinein und du nicht?"

Auch Aragorn grinste. „Ja, Elben schließt das aus. Aber ich denke, dass sie mich trotzdem hineinlassen, wenn ich einmal vorbeischauen möchte. Sag, hast du gehört, dass Pippin geheiratet hat?"

„Pip? Sollte es tatsächlich ein weibliches Geschöpf in Mittelerde geben, das es mit ihm aushält? Nein, das hatte ich noch nicht gehört. Ich werde ihm meine Glückwünsche überbringen lassen."

„Ihr Name ist Juweline und sie scheint das Juwel zu sein, das er braucht. Hast du von Gimli gehört?"

Legolas' heiterer Blick verdunkelte sich ein wenig. „Nein, schon seit Monaten nicht. Ist er noch immer Herr über die glitzernden Grotten?"

„Ja, das ist er. Hat er dir nicht von Anfang an erklärt, wie langsam der Prozess sein würde, der diese Grotten noch schöner machen würde? Stur wie er ist, denke ich nicht, dass er sie jemals freiwillig verlassen wird. Und ich denke nicht, dass Éomer ihn und seine Mannen aus Helms Klamm vertreiben wird."

Der Elb schüttelte den Kopf. „Nein, das wird er nicht. Ebenso wenig wie Faramir oder du die Elben aus Ithilien vertreiben werdet. Und doch gehören sie nicht zu deinem Volk."

Aragorn, der hinunter auf die Stadt gesehen hatte, hob seinen Blick und sah Legolas einen Moment prüfend an.

„Bist du deswegen nach Minas Tirith gekommen? Weil du nach den Elben in Ithilien sehen willst?"

Er sah den blonden Haarschopf nicken, doch Legolas' Augen erwiderten seinen Blick nicht. Jeder andere hätte dies als ein belangloses Ausweichen aufgefasst, doch nicht Aragorn. Er kannte seinen Freund lange genug, um zu wissen, dass er nie einen Blick unbeantwortet ließ, wenn er nicht etwas zu verbergen hatte. Die Elben in Ithilien waren offensichtlich nicht der einzige Grund für den überraschenden Besuch.

Doch wenn Legolas nicht darüber sprechen wollte, dann würde er keine Fragen stellen.

„Reite doch auf dem Rückweg über Helms Klamm und sieh nach Gimli. Du könntest außerdem den Fangorn Wald besuchen", schlug er stattdessen vor, um das Thema zu wechseln.

„Ja, das könnte ich."

Plötzlich wurde Legolas ganz still und konzentrierte Spannung erfasste seinen Körper. Seine Augen wanderten hin und her und er schien auf etwas zu lauschen. Dann aber löste sich die Spannung und ein Lächeln ging über sein Gesicht, und noch während er sich umdrehte und in Richtung des Palastes nickte, sagte er, „Arwen."

Aragorn rutschte von der Mauer und ging auf seine Frau zu, während Legolas noch sein Gepäck zusammenraffte, um es ihm gleichzutun. Und so kam es, dass selbst Legolas' scharfen Elbenaugen das kleine Bündel entging, das Arwen unter dem Umhang trug, den sie über ihr Kleid geworfen hatte. Daher begrüßte er sie erfreut und sprang vor Schreck fast zurück, als sich das Bündel bewegte.

Aragorn aber lachte nur und griff danach. „Willst du nicht guten Tag sagen, Legolas? Darf ich dir Amrún vorstellen?"

Er zog ein wenig die Decke, die seine kleine Tochter wärmte, aus ihrem Gesicht und hielt seinen ganzen Stolz Legolas hin. Der hatte sich schnell von seinem Schrecken erholt, ließ sein Gepäck fallen und nahm das Bündel vorsichtig auf den Arm.

„Bei Iluvatar, sie ist wunderschön", flüsterte er verzückt. Sanft fuhr er ihr mit einem Finger über die Wange und lächelte, als sie ihn mit großen blauen Augen müde lächelnd ansah. Unter dem dunklen, weichen, flaumigen Haar lugten zwei winzige blattförmige Ohren hervor und beinahe fassungslos küsste er sie sanft auf die Stirn. „Mae gowannen, tariena tithen. Du bist die bezauberndste Halbelbin, die mir je zu Gesicht gekommen ist, Amrún Elessariell. Du strahlst wahrhaftig wie ein Sonnenaufgang."

Dann sah er von Arwen zu Aragorn, die beide verliebt auf ihr kleines Töchterchen blickten, die kaum mehr als zwei Wochen alt sein konnte. „Ich hatte keine Ahnung...", stammelte Legolas, bis er sich schließlich seiner Manieren entsann. „Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich sehr für euch."

Aragorn lachte leise, „Das konntest du ja auch nicht. Ich habe am Tag nach ihrer Geburt einen Boten nach Eryn Lasgalen geschickt, um es dir zu berichten, doch der wird wohl nicht vor nächster Woche dort eintreffen. Aber glaube mir, wir freuen uns auch. Und dass du hergefunden hast, freut mich fast ebenso." Dann nickte er in Richtung Palast. „Komm, lass uns hinein gehen, die Kleine sollte längst schlafen."

Er nahm wieder die Tasche, während Legolas noch Amrún vorsichtig an Arwen zurückgab, bevor er den Teil des Gepäckes nahm, den Aragorn für ihn hatte stehen lassen.

Als er nach der kleinen Familie vor ihm den Palast betrat, stutzte er. Vieles hatte sich hier verändert, seit er das letzte Mal, kurz nach Aragorns Krönung hier gewesen war. Die kalten steinernen Wände waren mit Stoffen behangen und Bildern bemalt, so dass aus der einst beängstigend wirkenden Halle ein freundlicher Saal geworden war. Kopfschüttelnd folgte er dem Königspaar durch einen Vorhang in die Privaträume und blieb erneut erstaunt stehen. Noch viel deutlicher war der Unterschied hier zu sehen und spüren und als er seine Freunde im Gang vor sich anhalten und nach ihm umdrehen sah, wusste er, warum. Zur Zeit, als Denethor mit seinen Söhnen hier gelebt hatte, hatte etwas ganz Wesentliches gefehlt: Die Liebe, die die drei, die jetzt hier lebten, füreinander und für das Land und die Menschen empfanden, schien auf das Gebäude übergegangen zu sein und hatte aus dem Palast ein Heim gemacht.

Arwen sagte in der ihr typischen leisen Art, „Ich habe dir das Gästezimmer oben richten lassen. Es ist auf demselben Flur wie unseres."

„Ich denke, es wir dir gefallen", fügte Aragorn hinzu und ging als erster die Treppe hinauf. Oben angekommen öffnete er die erste Tür auf der linken Seite und ließ Legolas eintreten. In dem Raum brannten Lampen und erhellten ihn mit ihrem flackernden Licht, das sich in der großen Fensterscheibe an der Nordseite des Zimmers spiegelte. Aber nicht nur dort, auch in der Decke war ein Fenster eingelassen, wie der Elbe erstaunt feststellte. Auf der Fensterbank standen einige Töpfe mit Blumen und in der Ecke ein Baum, der schon fast bis an die Zimmerdecke ragte. Diese Pflanzen verliehen dem Raum den Geruch, der Legolas an Ithilien erinnerte, doch die Bilder an den innenliegenden Wänden erinnerten ihn an etwas anderes. Lothlorien.

„Und?", fragte Aragorn, doch das wissende Lächeln spielte bereits um seine Mundwinkel.

„Es ist wunderschön", sagte Legolas leise. „Es scheint, als sei man zugleich drinnen und draußen. Als sei dieser Raum für..."

„...Elben gemacht", ergänzte Arwen. „Das ist er auch."

Aragorn erklärte, „Wir haben zu Beginn beide hier keinen Schlaf finden können. So viel Stein, so wenig Licht und so wenig Grün. Da haben wir unser Schlafzimmer umgebaut und in dem Zuge auch dieses Zimmer erneuert. Unseren Gästen soll es schließlich nicht so gehen, wie einst uns."

„Das wird es nicht", sagte Legolas. „Der Raum ist wundervoll. Und obwohl ich wahrlich gerne in den Bäumen schlafe, freue ich mich doch auf eine Nacht in einem Bett."

„Sie sei dir gegönnt. Wir sehen uns morgen."

„Gute Nacht."

Arwen nickte, doch Aragorn seufzte laut, „So Amrún will." Dann schloss er die Tür und ließ seinen Freund alleine, der nur noch seine Sachen abstellte und aus seiner Tunika schlüpfte, ehe er sich müde auf das Bett legte und sogleich einschlief.