„Hast du endlich mal wieder was von deinem Liebsten gehört?" fragte Carina Sabrina eines morgens neugierig. Die Angesprochene schüttelte traurig den Kopf.
„Der Brief vorhin war von meinen Eltern." erklärte sie.
„Ach so... schade."
Es war mitte April, und tatsächlich hatte der heimliche Verehrer sich seit der Sache mit dem Kuß nur noch einmal gemeldet, direkt nach ihrem einsam verbrachten Hogsmeade-Wochenende, in dem er ihr schrieb, daß auch er sich fast zu Tode gelangweilt hatte. Und natürlich, daß er sich gewünscht hatte, sie an seiner Seite zu haben, um sich den anderen glücklich anschließen zu können.
Marianne und Carina rätselten immer noch, wer es sein könnte. Seamus und Andrew warfen ihnen regelmäßig vor, alberne Hühner zu sein und Sabrina zur Weißglut zu treiben, die fast schon aufgegeben hatte. Sie kam ja doch nicht dahinter. Sie hatte sich ein bißchen bei Ernie ausgeheult, der an dem Hogsmeade-Samstag krank im Schloß zurückgeblieben war. Sie war extra früh zurückgekommen und hatte ihm tonnenweise Süßigkeiten und Scherzartikel mitgebracht, dann hatten sie es sich im Gemeinschaftsraum gemütlich gemacht und geredet. Er hatte ihr gesagt, sie solle einfach abwarten, vielleicht entschließe sich der Junge doch noch dazu, sich zu erkennen zu geben. Dann hatte er sie gefragt, ob sie nicht wenigstens einen Verdacht habe, wer es sein könne. Sie hatte die gesamte Geschichte des Verdachts vor ihm ausgebreitet, angefangen bei Harry, über Neville, bis hin zu Vincent und Professor Snape (der kam natürlich von Marianne). Ernie hatte herzlich darüber gelacht.
„Deine Freundinnen gehen ja ganz schön ran!" Dann hatte er sie gefragt, ob sie sich denn wünschen würde, daß ein bestimmter Junge der Briefschreiber war. Sie hatte verneint, es gab keinen, in den sie verliebt war. Was zugegebenermaßen nicht so ganz stimmte, aber das mußte sie ihm ja nicht auf die Nase binden.
Einige Tage später hörte man ein Tohuwabohu in den Gängen, dann platzten die Türen zur großen Halle auf. Es war Wochenende, und fast alle Schüler und Lehrer waren dort zum Mittagessen versammelt. Hereingestürmt kamen zwei Gestalten, die mit Schwertern fluchend gegeneinander fochten. Eine der Gestalten war Peeves, der Poltergeist, er kreiste geschickt in der Luft um den anderen Mann herum und bedrängte ihn von allen Seiten. Sie kämpften auf den Tischen, stießen Gläser und Schüsseln um und trampelten in Essen. Die Schüler brachten sich unter den Tischen in Sicherheit.
„Haha!" schrie der Mann, als er den Poltergeist letztendlich an die Wand spießen konnte.
„Sie haben unfair gekämpft!" schrie Peeves und rieb sich den Pfeffer aus den Augen.
„Ein Pirat kämpft immer unfair." Der Mann hatte langes schwarzes Haar, er trug ein rotes Kopftuch, an dem Federn und Schmuck befestigt waren und hatte eine seltsame Art, die Worte in die Länge zu ziehen. Außerdem schien er ein wenig verplant zu sein. Er klopfte sich Essensreste aus den abgetragenen Sachen und ging dann nach vorne zum Lehrertisch. Jetzt erst bemerkten die meisten Zauberer und Hexen, daß eine ganze Gruppe ähnlich gekleideter Menschen ebenfalls eingetreten war. Sie folgten dem ersten Mann, blieben aber hinter ihm stehen.
„Guten Tag", leierte er an Professor Dumbledore gerichtet, „bin ich recht in der Annahme, daß Sie der Direktor dieses hübschen Hauses... Schlosses sind?"
„Ja das sind Sie. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Aus Mariannes Tagebuch:
Wie kann er nur immer so belustigt aussehen? In solchen Situationen wäre ich entweder sauer, weil schon wieder der Frieden in der Schule gestört wird, oder total überfordert, aber nicht amüsiert!
„Ich habe mein Schiff in Ihrem Teich geparkt, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Käpt'n Jacob Spatz ist der Name, das ist meine Crew." Er deutete mit dem Daumen hinter sich. Die Männer und Frauen strafften sich.
„Ihnen zu Diensten, Sir!" rief Käpt'n Jacob Spatz.
„Aye, Sir!" rief die Crew wie eins und legte die rechte Hand zum Gruß an die Stirn.
Aus Mariannes Tagebuch:
Und man möchte es kaum glauben, aber Professor Dumbledore sah ERSTAUNT aus!
„Eine meiner Töchter...", hier drehte er sich einmal um sich selbst und deutete dann vage in Richtung Hufflepufftisch, „... Sie müßten sie eigentlich kennen, Sabrina hat ihre Mutter sie genannt, bevor ich sie davon abhalten konnte...", er klopfte sich an den Kopf, als wolle er ihn zurechtrücken, „Sabrina also hat mir einen Brief geschrieben, in dem sie mir deutlich machte, daß Sie Hilfe brauchen können im Kampf gegen einen Lord Vlo... Vodl... Dolvim..."
„Voldemort", half der Direktor freundlich. Ein Schauer ging durch die Belegschaft.
„Der wars!" Dann herrschte Stille.
Aus Mariannes Tagebuch:
Plötzlich hörte ich hinter mir einen wütenden Schrei, und Draco stürzte an mir vorbei auf Sabrina los. „Du elendes Miststück, du Lügnerin, du falsche Schlange!" schrie er sie an. Sabrina hatte sich in ihrem Sitz nur herumgedreht, doch bevor Draco sie erreichen konnte, waren Professor Snape und Elisabeth dazwischengegangen. Elisabeth stellte sich schützend vor ihre Schwester während mein Hauslehrer Draco festhielt. Ich hab immer noch nicht so ganz kapiert, was da eigentlich los war, aber Draco kreischte wie ein Besessener, bis Professor Dumbledore mit einem lauten Knall seines Zauberstabes für Ruhe sorgte. Er bat Draco freundlich, sich zu erklären, und da hat er wieder losgelegt und eine Schimpftirade auf Sabrina runterregnen lassen! Ich kann es kaum glauben, doch er hatte Tränen in den Augen! „Dieses Biest", er deutete auf Sabrina, „hat ihrem Vater verraten, auf welchen Seerouten die Handelsschiffe meines Vaters verkehren. Seit Anfang des Jahres verlieren wir Schiff um Schiff und alle Güter, die transportiert werden. Unser Import- und Exportgeschäft ist vollständig zum Stillstand gekommen, und meine Familie ist fast ruiniert! Wir haben alles versucht, Begleitschutz, Unsichtbarkeitszauber, andere Routen... jedesmal wurden die Schiffe wieder angegriffen, von einem schwarzen Schiff mit Piratenflagge. Alle Güter wurden gestohlen und die Schiffe kehrten leergeräumt in den Heimathafen zurück. Diese dreckigen Muggeln da sind Verbrecher, gemeine Diebe, und Sabrina steckt mit ihnen unter einer Decke!"
So aufgebracht habe ich Draco noch nie gesehen. Aber wenn es darum geht, das Familienvermögen zu verteidigen, können sogar die Malfoys Gefühle zeigen...
Jedenfalls stand Sabrina ganz ruhig auf, stellte sich zu den Piratenmuggeln und sagte kühl: „Ich habe aus dem Beruf meiner Eltern nie ein Geheimnis gemacht, doch die Leute glauben eben nicht gerne das Unglaubliche. Was kann ich denn dafür, daß du mir so ausführliche Auskunft über die Seewege eurer Handelsschiffe gegeben hast. Und daß ich mit meinen Eltern per Brief Dinge, die in meinem alltäglichen Leben gesagt und getan werden, austausche wie jeder andere auch, das kann mir ja wohl wirklich nicht zum Vorwurf gemacht werden." „Überdies bleibt noch zu beweisen, daß wir tatsächlich die Piraten waren, die Ihre Schiffe überfallen haben." schaltete sich Käpt'n Jacob Spatz wieder ein, der Sabrina über die Schulter lugte. Dann legte er einen Arm um sie, zwickte sie in die Wange und schrie: „Und jetzt werden Planken geputzt bis sie blitzen!" Sabrina straffte sich, hob die Hand zum Seemannsgruß an den Kopf und schrie „Aye, Sir!" wie die anderen vorher. Dann rannte sie wie der Wind aus der großen Halle und kam das ganze Wochenende nicht mehr wieder ins Schloß.
Bei uns in der Schule ist jedenfalls der Teufel los. Draco speiht Feuer, dem kommt erstmal keiner zunahe, Dumbledore hat sich mit Sabrinas Familie eingeschlossen und beratschlagt (wahrscheinlich, wie sie Dracos Gold am besten gegen du-weißt-schon-wen verwenden können), Carina ist stinkwütend, weil Sabrina ihr nie die Wahrheit gesagt hat (was sie ja eigentlich hat, bloß hat sies auf eine Weise getan, daß ihr keiner geglaubt hat) und Ernie schreibt eine Petition an das Ministerium für Schulangelegenheiten, da seiner Meinung nach Sabrina von ihrem Vater ausgebeutet wird. Er hat sich nämlich zu ihr auf das Schiff geschlichen und hat gesehen, wie sie dort von allen angebrüllt und schikaniert wurde (auf Deutsch, also hat er nicht wirklich verstanden, was die eigentlich gesagt haben) und daß sie die ganze Zeit am Plankenschrubben ist. Draco hätte Ernie beinahe zu Staub zermalmt, als dieser ihm die Petition zum Unterschreiben hinhielt. Wäre Jennifer aus der vierten Klasse (sie hat zur Zeit von allen Slytherins den besten Notendurchschnitt, nämlich 0,89 – damit kommt sie ganz knapp an Hermine heran und wir sind alle sehr stolz auf sie!) nicht dazwischengegangen, wäre Ernie heute Schnee von gestern.
Wir haben uns ein bißchen mit Sabrinas Mutter unterhalten können. Sie ist eine Mulattin und hat wunderschöne kakaobraune Haut. Elisabeth kommt in der Beziehung sehr nach ihr, obwohl ich nicht vermutet hätte, daß sie von Afrikanern abstammt, da sie nicht total dunkel ist. Aber das hat sich wohl schon sehr verloren bei Elisabeth und Sabrina, denn Sabrina ist kasweiß. Sie behauptet zwar, im Sommer zumindest rot zu werden, aber das glaube ich ihr nicht. Ihr Vater ist auch sehr hell, obwohl er sicher viel in der Sonne ist. Der Rest der Mannschaft (inklusive ein Papagei, der „Servus" sagen kann) hält sich die meiste Zeit auf dem Schiff auf, zu dem wir nicht gehen dürfen. Anordnung von oben.
Auf jeden Fall ist Sabrinas Mutter Anamaria erster Steuermann auf Käpt'n Jacob Spatz' Schiff, und Elisabeth noch in der Ausbildung. Was bedeutet (wie sie uns selbst versichert hat), daß sie viele viele Planken schrubben muß.
Als Sabrina am Montag in der Früh mit blutenden Händen zurück ins Schloß kam und sich in ihrem Schlafsaal kurz umziehen wollte, fand sie auf dem Bett einen neuen Liebesbrief. Sie steckte ihn freudig in die Tasche und rannte los, um nicht zu spät zu kommen. In der ersten Zwischenstunde verdrückte sie sich aufs Klo und las ihn erregt:
Sabrina,
wie konntest Du das nur tun? Deine Eltern sind Piraten?
Schön und gut, sollen sie doch sein was sie wollen, aber das heißt doch noch lange nicht, daß Du hier herumlaufen und uns alle ausspionieren kannst! Was hast Du Dir denn dabei gedacht? Ja okay, es ist nur Draco Malfoy, der Depp, und jeder klopft Dir auf den Rücken und sagt: „Gut gemacht!"
Ich nicht.
Als ich den kalten, berechnenden Blick in Deinen Augen gesehen habe, wie Du Dich überhaupt gebart hast am Samstag, da ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich hätte Dir so etwas NIE UND NIMMER zugetraut, ich dachte, Du kannst unterscheiden zwischen Worten, die verletzen wollen, es aber nur tun, wenn man es zuläßt, und Taten, die richtig ausgeführt Menschen sehr weh tun können. Ich dachte immer, Du hältst von Malfoy nichts, weil er ein eingebildeter Blödian ist, der alle um sich herum beleidigt, daß Dich seine Worte aber sonst nicht berühren, weil Du viel zu intelligent bist, so einen Schmarrn an Dich herankommen zu lassen. Ich habe mich wohl geirrt, Du hast ihm seine zahlreichen Gemeinheiten doppelt und dreifach heimgezahlt. Aber ich hätte nicht gedacht, daß Du so bist. Du bist nicht besser als er. Ganz und gar nicht!
Ich bin so enttäuscht von Dir!
Einmal war ich kurz davor, Dir zu sagen, wer ich bin, jetzt bin ich SO FROH, daß ich es nicht getan habe! Ich will nichts mehr mit Dir zu tun haben, und werde Dich nie wieder mit Briefen behelligen!
Sag Deinen Freundinnen das, damit sie endlich aufhören, die wildesten Spekulationen über meine Identität anzustellen!
Es geht hier ums Prinzip. Wo ist Dein Gerechtigkeitssinn geblieben? Schaltet der sich aus, wenn es um Deine eigenen Fehler geht? Ist es okay, daß Du andere Leute bestiehlst, wenn sie ein falsches Wort zu Dir sagen? Ich kann Malfoy auch nicht leiden, und er hat mich selbst oft genug beleidigt, trotzdem würde ich ihn nie so ans Messer liefern. Du schon. Leider.
Damit endete der Brief. Sabrina war blaß geworden und saß wie in Trance auf dem Klodeckel.
