Drei Wochen später schwebte Sabrina in den Wolken. Sie gab endlich vor sich selbst zu, daß sie hoffnungslos verliebt war, und hing Tag und Nacht Traumphantasien nach. Das hieß natürlich noch lange nicht, daß sie sich irgendjemandem anvertraute. Sie überlegte schon ernsthaft, ob sie nicht auch ein Tagebuch anfangen sollte, wie Marianne und Carina, aber sie war kein guter Schreiberling und viel zu faul, auch noch in ihrer Freizeit seitenweise Wörter aneinanderzureihen. Leider wollte und wollte ihr Angebeteter ihr nicht zeigen, ob er etwas für sie empfand. Sie versuchte, ihn öfter als alle anderen Jungen anzulächeln, besonders nett zu ihm zu sein und in seiner Anwesenheit rot zu werden (vorausgesetzt, sie waren ganz alleine, denn es wäre für sie Tortur gewesen, wenn es irgendjemand sonst bemerkt hätte).
Leider gelang ihr dies ganz und gar nicht. Der Junge, der sie genauso gern hatte wie sie ihn, was sie aber nicht wußte, hatte keine Ahnung, daß sie ihn bevorzugte. Manchmal dachte er ja, manchmal nein. Manchmal hatte er das Gefühl, sie behandle ihn anders als alle anderen, dann war sie wieder der alberne Scherzkeks, der sie bei jedem ihrer Freunde war. Die Wahrheit war, daß Sabrina so schüchtern war, daß sie unbewußt ihr ganzes Leben lang die Neigung perfektioniert hatte, ihre Gefühle nicht an die Oberfläche dringen zu lassen. Problematischerweise vermutete niemand, daß sie so schüchtern war, da sie nicht so wirkte. Nach langem Zaudern mit sich selbst kam sie jedoch anfang Dezember zu einem Entschluß: sie würde ihm einen Brief schreiben, keinen Liebesbrief, weil ihr das sicher nicht gelingen würde, sondern eine einfache Liebeserklärung mit ihrem Namen darunter. Nichts anonymes, nichts geheimes. Sie wollte es wissen.
Also schrieb sie auf ein kleines Stück Papier, das sie unter Protesten derselben aus Mariannes Tagebuch gerissen hatte: Ich wollte Dir schon lange einmal sagen, daß ich Dich sehr liebe. Sabrina. Dann steckte sie den Zettel in ihre Hosentasche, und nahm sich jeden Tag vor, ihn abzuschicken. Doch einmal, als sie gemeinsam in der Bibliothek lernten, hatte sie das Gefühl, daß er sie gerne zum Weihnachtsball einladen würde, und feige wie sie war entschied sie, erstmal abzuwarten. Leider hatte er sie bis jetzt noch nicht gefragt, und nun war es nur noch eine Woche bis zum Ball.
Also ging sie genau sechs Tage vor dem großen Ereignis zitternd zur Eulerei hoch, nur um sich dann doch nicht zu trauen und unverrichteter Dinge wieder zum Hufflepuff-Gemeinschaftsraum an ihre Hausaufgaben zurückzukehren. In der Nacht träumte sie, daß er mit Jane aus Ravenclaw auf den Ball ging und sie innig küßte. Das war zuviel für sie. Am nächsten Morgen steckte sie ihm auf dem Weg zum Frühstück ihren lang gehegten Einzeiler endlich zu und wartete klopfenden Herzens auf die Dinge, die da kommen würden.
Zuerst geschah gar nichts.
Außer daß sie am selben Abend ein Päckchen erhielt, in dem ein wunderschönes mahagonifarbenes Kleid aus Seidensamt, mit gelber Seide gefüttert, und ein Zettel waren: Als ich im Sommer kurz in der Diagon Alley war, habe ich das für Dich in Auftrag gegeben. Egal mit wem Du gehst: Für den Ball! Die Schrift war die ihres heimlichen Briefschreibers!
Am nächsten Tag endlich wurde sie kurz vor dem Abendessen wie aus dem Nichts ergriffen und in eine kleine Nische gezogen. Sie kreischte vor Schreck ein bißchen auf, dann schlug ihr das Herz noch höher, als sie vor ihm stand. Er beugte sich zu ihr herunter und küßte sie so innig, wie sie zwei Tage zuvor geträumt hatte, er würde Jane küssen. Sie machten eine ganze Weile so weiter, bis sie sich wie abgesprochen langsam voneinander lösten und ansahen. Er hatte ihren Kopf zwischen seinen Händen, war zartrosa im Gesicht und lächelte versonnen.
„Hab ich dir eigentlich jemals gesagt, daß ich dir die Briefe geschrieben habe?" Sie schluckte.
„Also ist das Kleid von dir?" Er nickte.
„Ich wollte es dir so und so schicken, und ich hatte vor, dir beim Ball zu sagen, daß ich dich liebe. Schon so lange!" Wieder küßten sie sich.
„Aber ich verstehe nicht ganz, du hast in einem Brief geschrieben, daß wir beim Valentinsball miteinander getanzt haben, aber das stimmt ja gar nicht. Ich hab da gar nicht mit dir getanzt..."
„Wir haben beide gleichzeitig nebeneinander getanzt, das hat mir damals genügt. Außerdem habe ich mir die ganze Zeit vorgestellt, wie es wohl ist, dich im Arm zu halten und mit dir zu tanzen!" Seine Augen leuchteten. Sie küßten sich erneut.
„Woher hast du die Narbe?"
„Als ich acht war wurde unser Schiff von einem alten Feind meines Vaters und seiner Mannschaft angegriffen, sie wollten uns alle niedermetzeln, und Elisabeth war gerade nicht auf dem Schiff, um uns mit Magie zu helfen. Sie ist gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, bevor einer von uns ernsthaft verletzt wurde, aber einer der andern Piraten hatte mich in einen Schwertkampf verwickelt..." Er strich ihr sanft darüber, dann küßten sie sich, bis die Türen der großen Halle sich öffneten, da das Abendessen vorüber war.
Am Weihnachtsball dann platzte die Bombe:
Professor Snape gab seine Verlobung mit Elisabeth Spatz kund, deren Bauch noch runder geworden war. Und Ernie McMillan war mit Jennifer, der Einserschülerin aus Slytherin, zusammengekommen. Sabrinas Freunde, die nach Harry und Neville, mit einem kurzen Abstecher zu Professor Snape, insgeheim Ernie als den anonymen Briefschreiber deklariert hatten, nicht zuletzt weil die beiden ständig zusammensteckten und sich unheimlich gut verstanden, fielen einmal mehr aus allen Wolken. Zum Glück hatten sie diesmal Sabrina damit nicht behelligt, weil sie sonst nur wieder ausgeflippt wäre. Ernie hatte tatsächlich über den Sommer an einem Projekt mit Jennifer gearbeitet, weswegen er an dem Tag, als Sabrina ihm in der Diagon Alley begegnet war, dort zu tun gehabt hatte. Er hatte sie schon lange in seine Gefühle für Jennifer eingeweiht, in die er bis über beide Ohren verliebt war. Zuerst hatte er sich aber nicht getraut, einen Vorstoß zu wagen, da sie aus Slytherin war und er nicht gewußt hatte, auf welcher Seite sie stand. Und dann war er sich nicht sicher gewesen, ob sie seine Gefühle erwiderte, weswegen alles so lange gedauert hatte, um zu einem guten Ende zu kommen.
Während des ganzen Tumults, der um die beiden glücklichen Pärchen entstanden war, bemerkte außer Elisabeth niemand, wie Draco sich zu Sabrina beugte, ihr ein kleines Büchlein in die Hand gab und sie zärtlich küßte.
Ein
Freund ist jemand, der dich gern hat...
Es kann ein Junge
sein...
Es kann ein Mädchen sein...
Oder eine Katze...
(...)
Ein
Bach kann auch dein Freund sein, (...)
Er läßt dich
still an seinem Ufer sitzen,
Wenn du nicht reden magst. (...)
Manchmal
erkennst du deine Freunde nicht,
Auch wenn sie bei dir sind die
ganze Zeit.
Du gehst an ihnen vorbei
Und siehst nicht, wie gern
sie dich haben
Auf ihre Art.
Und
wenn du dann denkst,
Du hast keine Freunde...
Dann mußt
du innehalten
Und dich besinnen...
Ob
dich nicht jemand angelächelt hat
Auf seine Art, (...)
An
einen Bach, der dich still an seinem
Ufer sitzen läßt,
wenn du nicht reden magst.
Freunde mußt du eben manchmal
suchen.
Manche
haben viele, viele Freunde.
Manche haben ein paar Freunde.
Aber
jeder,
Jeder in der ganzen weiten Welt,
Hat bestimmt einen
Freund.
Hast du deinen gefunden?
(Joan Walsh Anglund, Ein Freund ist jemand, der dich gern hat)
