Herbert und Alfred schossen immer noch fleißig um die Wette. „Sag mal" Alfred nahm die Wange vom Gewehr, das er gerade abfeuern hatte wollen „hast du Sarah heute schon gesehen?" Herbert hielt beim Laden inne. „Stimmt... sie ist gar nicht hier... Wollte sie nicht auch schießen?" „Eigentlich schon" Alfred legte wieder an „Vielleicht hat sie was besseres vor" (Mit Garantie ) Er drückte ab und traf ins Schwarze. „Jawoll!" jubelte der angehende Wissenschaftler. Er griff schnell nach Herberts Gewehr und feuerte dessen Ladung ab. Nachdem auch diese Kugel ihr Ziel getroffen hatte, drehte er sich stolz zu Herbert um. „Und jetzt lass uns zu den Pferden gehen." „Trag dein Gewehr gefälligst selber!" rief Herbert empört und stiefelte hinter Alfred her.

Während Alfred sich mit dem Findelpony, das Sarah hinter des Grafen Rücken auf Breda getauft hatte, beschäftigte Herbert sich damit, Heu und Möhren zu verteilen. Nur Breda gab er keine Möhren. Er nah es dem Pony immer noch übel, dass er es reiten musste. „Herbert... Findest du das nicht etwas unfair?" „Nö!" „Aber das Pony kann da doch nichts für..." „Pech.. Kommst du jetzt?" Er machte sich mit den übriggebliebenen Möhren auf den Weg in Richtung Küche. Alfred gab dem Pony noch etwas mehr Heu in seine Box, ehe Herber erneut nach ihm rief und er dem Grafensohn nacheilte.

Das Findelpony, das Herbert für so doof hielt, stupste interessiert an seiner Boxentür. Alfred hatte anscheinend vergessen, sie richtig zu verschließen. Breda lief den Gang entlang, bis er an Brantanos Box angekommen war, wo er sich von außen am Heu bediente. Anschließend schlenderte er auf die andere Seite zu den Stuten. Geschickt zog der Norweger den ersten Riegel auf. Unter Brantanos Protestgeschrei ließ er sämtliche Stuten laufen, danach marschierte er in Richtung Hades. Auch diesen ließ er frei, der sich sofort eine der Stuten angelte. Brantano schlug derweil beinahe die Box kurz und klein. Als Breda ihn schließlich hinausließ, wurde er beinahe von der auffliegenden Tür erschlagen. Gemächlich trottete er hinter den anderen Pferden her, die sich auf dem Schlosshof vergnügten bzw. sich im Falle von Hades und Brantano heftigst kloppten. Das Findelpony stellte derweil fest, dass das Schlosstor offen war. Neugierig spähte es in die dunkle Halle und schnupperte. Der Geruch der von Herbert ins Schloss gebrachten Möhren stieg ihm in die Nüstern. Etwas umständlich hoppelte es die Treppe nach oben. Dort angekommen ließ sich der Geruch jedoch nicht mehr finden, und nach unten schaffte es überhaupt nicht mehr. Also beschloss es, statt zu fressen, diese Etage des Schlosses zu erkunden.

Noch etwas zerzaust und an seinem Ärmel herumzupfend schritt der Graf die Gänge des Schlosses hinab, Sarah eng an seiner Seite. Von unten herab hörte er plötzlich Herbert panisch schreien. „Hades! Papas Mistvieh bringt ihn um!" Kaum dass der Schrei verklungen war, spürte von Krolock einen Luftzug an seiner Seite. Sarah war an eins der Fenster gesprungen und wurde noch bleicher. „Er erschlägt ihn!" quiekte sie und eilte den Gang hinunter. Etwas würdevoller trat der Graf ans Fenster. Als er sich das Schauspiel jedoch genauer ansah, rannte auch er im Schweinsgalopp in Richtung Innenhof. Als er auf der Höhe der Bibliothek angekommen war, stutzte er. Hatte er da nicht ein Geräusch gehört? „Professor?" Er lugte kurz um die Ecke und seine würdevolle Miene fiel ihm auf den Boden.

Das Findelpony war gerade dabei, eins seiner Bücher zu fressen. In diesem Moment vergaß er Hades und Brantano vollkommen. „AHHH!" schrie er entsetzt auf. Das Pony blickte erschreckt auf und sprang zu Seite, wobei es ein Regal umstieß. Der Graf schlug die Hände überm Kopf zusammen. Dieses dumme Pony demolierte seine Bibliothek! Mit einem Satz stand er bei dem Pferd, was jedoch sofort davon lief. Schnell nahm der Graf die Verfolgung auf.

Auf dem Innenhof hatte Koukol es mittlerweile geschafft die Hengste auseinander zu bringen. Auch die restlichen Bewohner des Schlosses hatten sich auf dem Hof versammelt und brachten die Pferde wieder in Ihre Stallungen. Mit entsetztem Blick begutachtete Herbert einen Trittwunde an Hades Brust. Er funkelte wütend in Richtung Brantano. „Du Scheißgaul! Wenn ich dich in die Finger bekomme..." „... solltest du hoffen dass dich dein Vater danach nicht in die Finger bekommt..." mahnte Sarah ihn. Sie war plötzlich vor der Box ihres kleinen Ponys angekommen. „Wo ist denn der kleine Norweger?" fragte sie ängstlich. „Keine Ahnung... ist auch egal!" „NEIN! Das ist nicht egal! Wir müssen ihn suchen gehen!" protestierte Sarah. Nach dem sie mehrere Minuten weiter gequengelt hatte, gaben sich die beiden Herren geschlagen. Gemeinsam gingen sie mit Sarah los um nach Breda zu suchen.

Als sie den Schlosshof überquerten, stutzte Herbert. Er hatte einen kurzen Blick in Richtung Bibliotheksfenster geworfen. Sein Vater schien irgendetwas zu jagen...

„Lasst uns mal bitte kurz nachsehen, was da los ist..." wandte er sich an seinen beiden Begleiter. Diese nickte zustimmend und liefen schnell hinter ihm her.

Herbert dachte sterben zu müssen. Er krümmte sich vor Lachen auf dem Boden vor der Bibliothek. Sein Vater jagte das kleine Findelpony! Auch Alfred lag nach einer Weile neben ihm auf dem Boden.

Seine Exzellenz Graf Breda von Krolock sprang über die umgestürzten Regale, Tische und Stühle. Den Umhang hatte er abgelegt. Mehrere Strähnen seiner schwarzen Haarpracht hingen ihm im Gesicht, der Rest flatterte im Wind.

Die jungen Vampire dachten gar nicht daran in das Geschehen einzugreifen. Das Spektakel, welches sich ihnen bot, war einfach zu einmalig. Erst nach geraumer Zeit erbarmte sich Sarah ihres Geliebten. Sie holte eine Möhre und betrat die Bibliothek.

„Breda! Komm doch mal her! Leckerchen für dich!" Beide Bredas sahen sie an. Das Pony spitzte interessiert die Ohren. Der Graf hingegen zog die Augenbrauen zusammen. „Was bitte hast du für mich? Leckerchen!" fragte er aufgebracht über diese Unverschämtheit. Sarah konnte sich mit Sicherheit viel erlauben und ihr waren auch nur wenige Grenzen gesteckt. Aber das war zu viel.

„Nun komm schon her Breda! Ich hab hier eine ganz tolle Möhre für dich! Na komm schon!" lockte Sarah das Pony weiter. Langsam und mit weit nach vorne gestreckten Hals kam das Fjordpferd auf sie zu gewackelt. „Ja so ist es fein Breda! Schau hier! Die Möhre!" Die junge Frau klopfte den Hals des Ponys, während das seine Belohnung schmatzte.

Der andere Breda war fassungslos. Dieses dicke Pony war nach ihm benannt worden! „Wer hat dem Tier den Namen gegeben?" raunze er. „Ich. Ich fand ihn angebracht." Sarah verschränkte die Arme vor der Brust. „Angebracht? Das Pony ist klein und dick und hat überhaupt gar keine Würde!" protestierte der Graf. „Ja, aber es hat einen messerscharfen Verstand und viel Geschick! Oder wie glaubst du ist es ausgerochen und hat nebenbei noch alle anderen Pferde freigelassen?" Unter diesen Komplimenten verflog die schlechte Laune des Grafen wie im Flug.

Herbert hatte derweil ein Halfter für das Fjordi besorgt und führte es nun langsam wieder in seine Box zurück. Die zu bewältigende Treppen stellten sich als äußerst kompliziert heraus. Hoch war kein Problem gewesen... Aber wieder hinunter? Es kostete die jungen Männer vielen Möhren und Kraft, ehe sie das Pferd wieder in seiner Box hatten.

„Hast du die Box dieses Mal auch richtig zu gemacht?" hakte Herbert noch einmal nach. „Ja! Guck doch!" „Schön." Er sah in Richtung Osten. Ein heller Streifen war bereits am Horizont zu erkennen. „Komm. Wir sollten jetzt besser in unsere Särge gehen. Es ist schon früh"

Herbert gähnte herzhaft. Er ritt neben Alfred hinter Sarah und seinem Vater her. Sie waren sofort nach Sonnenuntergang aufgebrochen, mit Gewehren bewaffnet. Koukol folgte ihnen in einigem Abstand mit einer Kutsche, womit er die erlegte Beute zurück ins Schloss transportieren würde.

Nachdem sie bereits einige Wildschweine und anderes Kleinwild geschossen hatten – und Sarah sich dabei schon beträchtlich mit ihrem Mitleid zurückgehalten hatte – stieß man auf einer Lichtung auf eine Gruppe Hirsche. Die Herren legten sofort an, wobei Herbert und Breda beide auf den Platzhirsch zielten. Als der Graf das bemerkte, schickte er einen mahnenden Blick an seinen Sohn, worauf dieser sich schmollend ein anderes Ziel suchte.

Das war der Punkt, an dem Sarah beschloss, sich für die Tiere einzusetzen. So unauffällig wie möglich fasste sie ihr Gewehr, um dann ganz aus Versehen einen Schuss auszulösen. Natürlich sprang das Wild sofort ab. Drei wütende Gesichter wandten sich ihr zu. Doch sie ließen sich keine Zeit für irgendeine Bemerkung, sondern setzten den Tieren nach. Somit schafften sie es dann doch noch drei der Hirsche zur Strecke zu bringen. Als sie diese Beute auch noch bei Koukol abgeliefert hatten, deutete Herbert auf etwas am Boden, das das Herz des Grafen höher schlagen ließ. Die frische Fährte eines ausgewachsenen Bären.

„Koukol? Die Hunde bitte" Acht große schwarze Hunde sprangen vom Schlitten und wuselten kläffend durcheinander. Herbert setzte den Leithund auf die Spur und die Meute stob beinahe augenblicklich davon. Die Reiter folgten mit ein wenig Abstand. Es ging querfeldein, teilweise durch dichtes Gestrüpp, was Herbert frisurentechnisch gar nicht zusagte. Ständig bat er Alfred, die Zweige, die sich auf dem wilden Ritt in seinen Haaren verfingen, zu entfernen.

Nach gut einer Stunde, mitten im Gebirge, schlugen die Hunde schließlich anders an, ein Zeichen dafür, dass sie gefunden hatte, wonach sie suchten. Einer kam ihnen gleich entgegen geflogen, als sie die Meute einholten. Man hörte das tiefe Brummen des Bärs ganz in der Nähe. Sie stiegen ab, banden die Pferde an und luden die Gewehre neu. Sarah wollte mitkommen, doch der Graf hielt sie auf.

„Bleib du hier. Setz dich auf Brantano, und wenn der Bär bis hierher kommt... dann gib dem Gaul die Sporen und reite, was du kannst." Alfred sah so aus, als würde er auch gerne bei den Pferden bleiben. Er riss sich jedoch zusammen und folgte Herbert und seinem Vater.

Der Bär stand aufrecht und mit dem Rücken zum Felshang, die Hunde versuchten, ihn außerhalb der Reichweite seiner Pranken im Schach zu halten. Zwei waren nicht so schlau gewesen und lagen tot in einiger Entfernung. Routiniert legten die adligen Vampire an und warteten auf den richtigen Moment.

Plötzlich ging alles ganz schnell: Ein Schuss löste sich. Der Bär zuckte getroffen zusammen. Herbert schluckte schwer.

„Papa?"

„Ja?"

„Alfred hat den Bären angeschossen"

„Ja?"

„Papa? Der Bär sieht ganz schön böse aus"

„Ich sehs."

„Papa? Der kommt auf uns zu"

„LAUF!" Die beiden Vampire schossen übernatürlich schnell die Bergwand hoch. Das verletzte Tier scherte sich jedoch nicht mehr um sie. Es hatte Alfred im Auge, der wie versteinert dastand und es anstarrte.

„Schieß, Alfi! Schieß doch!" schrie Herbert, doch Alfred schien ihn gar nicht zu hören. „Papa mach was! Der Bär bringt Alfi sonst um!"

„Nun Herbert, er ist schon tot!"

„Aber gleich ist er toter als tot!" Breda wusste jedoch nicht, wie er Alfred in dieser Situation helfen konnte. Der Bär war einfach schon zu nah an Alfred dran...

Mit einem kräftigen Hieb seiner großen Pranke traf der Bär Alfred im Gesicht. Herbert schrie auf. Dieses Monster hatte Alfred gerade das halbe Gesicht weggeschlagen!

Sarah schrie auf, als zwei der Hunde plötzlich um die Ecke geflogen kamen. Das, was sie als nächstes sah, ließ sie ohnmächtig von Brantano kippen: Alfred, der um die Ecke geflogen kam!

In einer Hals-über-Kopf-Aktion sprang Herbert dem Bären auf die Schulter. Wie ein Besessener stach er mit seinem Messer auf das Tier ein. Der Graf, der Herbert ebenfalls in sein Unheil stürzen sah, ließ sich ebenfalls auf die Schultern des Bären fallen. Mit einem gezielten Schnitt durchtrennte er dem Tier die Kehle. Röchelnd ging das sterbende Tier zu Boden.

„Alfi!" Mit einem Satz war der Grafensohn bei seinem Freund. Alfred bot wirklich keinen schönen Anblick. Die rechte Hälfte seines Gesichtes war nicht mehr da. Zwar hatte der übernatürlich schnelle Heilungsprozess schon begonnen, aber es würde bestimmt noch einen Tag dauern, bis man nichts mehr von dem Angriff sehen würde.

Mittlerweile hatte sich auch sein Vater neben Alfred gehockt. Geschickt und schnell öffnete er die Manschettenknöpfe an seinem Ärmel, ritzte sich mit seinen scharfen Eckzähnen die Pulsader auf und ließ Alfred ein wenig von einem Blut trinken. Der Körper des jungen Vampirs bäumte sich kurz auf, ehe er wieder bewusstlos da lag.

„Reite mit ihm sofort zum Schloss zurück!" befahl Breda seinem Sohn. Herbert nickte und machte sich sofort auf zu Hades. Sein Vater folgt mit Alfred auf den Armen. Er setzte den verletzten Jungen vor seinen Sohen, der mit Alfred sofort davon galoppierte.

Erst jetzt bemerkte von Krolock, dass Sarah nicht mehr auf seinem Pferd saß.

„Sarah...? SARAH?" Hatte der Bär sie gefressen ohne dass er es mitbekommen hatte?

Zu seiner großen Erleichterung fand er sie neben Brantano am Boden liegen. Fürsorglich legte er ihren Kopf in seinen Schoß und deckte sie vorsichtig mit seinem Mantel zu. „Sarah? Sternkind komm wieder bei!" flüsterte er, wobei er sie leicht ohrfeigte.

„Ist der Bär weg? Was mit Alfi?" fragte die junge Frau noch ein wenig matt.

„Der Bär ist tot und Alfred geht es... den Umständen entsprechend gut." Vorsichtig setzte er Sarah wieder auf Brantanos Rücken, band den Bären mit Seilen hinter Sarahs Pferd fest und schwang sich den selber hinter Sarah aufs Pferd.

„Das sieht eigentlich schon ziemlich gut aus... wenn man bedenkt, dass diese Wunde erst wenige Stunden alt ist" Der Professor beugte sich über seinen Assistenten, zückte dann eine kleine Dose und verteilte großzügig Jod auf der zerstörten Gesichtshälfte.

Draußen auf dem Gang hörten die Wartenden Alfred schmerzgepeinigte Schreie.

„Er stirbt! Er stirbt!" beharrte Herbert und rüttelte an der verschlossenen Tür.

„Unsinn" urteilte der Graf gelassen „Das war nur das Jod" Würdevoll wandte er sich ab. Sarah zögerte kurz, folgte ihm dann aber. Der adlige Vampir stelzte Richtung Sarg. Herbert folgte nur etwas später mit Alfred.