Papierkram: Harry Potter, das zugehörige Universum und seine Charaktere gehören mir nicht. Die Rechte hat J.K. Rowling, wenn sie sie nicht jemand anderem verkauft hat.
Freut mich, dass euch die „Prewett-Szene" gefallen hat; insbesondere, weil ich sie auch sehr mochte. Ich bin auch beruhigt, dass meine Beschreibung von Sirius gerade richtig anzukommen scheint. War schwierig zu schreiben.
Ich glaube, ich muss euch alle mal für eure Reviews virtuell knuddeln :-). Jedes Mal, wenn mein Mailprogramm „Pling!" macht und es ein Review und kein Spam ist, beginne ich auf gänzlich unwürdevolle Weise zu strahlen ;-). Meint ihr, ihr könnt mal wieder ein paar mehr schreiben? Bitte, bitte?... :große Augen mach:
Das nächste Kapitel ist schon in Arbeit, und ich verrat euch was, ich mag es richtig gerne. Aber jetzt kommt erst mal, unter anderem, Moody...
Mors Ante Infamiam
Eine Geschichte der vergessenen Helden
Dezember 1980. Die Akte „Snape".
„Die Lohnliste der Aurorenzentrale umfasst zurzeit 21 Auroren im aktiven Dienst. Ich wiederhole dringend meine Empfehlung zusätzlicher Zuschüsse." -- Tobin Tinybott, Abteilung für Magische Strafverfolgung, Monatsbericht.
Der Weihnachtsmorgen 1980 fand Alastor Moody im Aurorenbüro in der Nähe des Fluchbrecherkorridors, wo er sich streckte, dass Knochen knackten, und gähnte wie ein Bär, bevor er düster eine Akte in Longbottoms Fach warf und nicht minder übellaunig die Zentrale übersah.
Alastor, der zu seinem großen Ärger heutzutage die Dienstpläne machte, hatte nicht mehr Urlaub als notwendig genehmigt. Wenn der Feind glaubte, dass die Auroren zu Weihnachten unaufmerksam wurden, würde er zuschlagen. Als Konsequenz wurden die Auroren nicht unaufmerksam. Um diese Uhrzeit bewegte sich allerdings alles noch mit einer gewissen Trägheit, und der dichte Nebel, den das Wetterbüro vor den Fenstern wogen ließ, half auch nicht weiter, aber wenigstens arbeiteten sie. Ein bisschen.
„Morgen", grüßte Corday verschlafen, als sie sich an ihm vorbeidrängte, um ihr Fach im Ablageschrank zu erreichen, und er machte aus Prinzip keine Anstalten, aus dem Weg zu gehen. „Schon lange da?"
„Seit gestern Abend.", knurrte Moody grimmig, teilweise einfach aus Prinzip. Da lobte er sich seine wenigen Schüler. Weder Meadowes, noch Black würden es je wagen, ihn ohne Grund anzusprechen. Vor allem am Morgen.
Corday schien sich allerdings entschieden zu haben, ihren gesunden Menschenverstand zu ignorieren, oder vielleicht hatte sie auch einfach keinen. Moody war sich da oft nicht sicher. „Caradoc schon gesehen?"
„Nicht seit gestern." Sein Kopf fuhr zu ihr herum, als die Worte zu ihm durchdrangen. „Er hat Dienst.", grollte er drohend.
„Ich weiß. Er ist aber nicht da.", erwiderte sie unbekümmert. Niemand machte sich Sorgen, am seltensten Lydia Corday. Verlustmeldungen standen schließlich am Schwarzen Brett, damit er und Amelia nicht ständig durch dumme Fragen gestört wurden.
Alastors Augen verengten sich; im Geist rekapitulierte er die Meldungen, die in der Nacht hereingekommen waren, aber sie hatten ihre Ruhe gehabt. Die Todesser schliefen wohl alle friedlich und feierten Weihnachten - ha! Der alte Auror warf einen Blick auf die Uhr. Wenn Dearborn nicht in einer halben Stunde da war, würde er mehr tun, als ihm die Leviten zu lesen. Grummelnd murmelte er ein paar Drohungen in seinen Bart, und Lydia, grinsend, schlüpfte wieder an ihm vorbei und verschwand in Richtung der Unterrichtsräume.
„Moody!" Gerade hatte er sich in Bewegung setzen wollen; als jetzt die Stimme hinter ihm erklang, wandte er sich widerstrebend um. Amelia hatte den Kopf aus dem Eingang zum Korridor vor ihrem Büro gesteckt, und ihre Stimme klang scharf. „In mein Büro. Jetzt."
Alastor seufzte kurz und verdrehte die Augen zur Decke. Irgendwie hatte er ja gehofft, dass er wenigstens eine Mütze Schlaf auf der Couch finden konnte, wenn schon keine Eulen mit Geschenken für ihn eintrafen. Haha. Er hatte einmal diesem Idioten Fudge das Leben gerettet - das wäre ein paar hübsch verpackte Socken wert, oder nicht?
Sich zusammenreißend machte der alte Auror also kehrt und schritt los, um dem Befehl folge zu leisten. Es war definitiv einer gewesen. Er ahnte, worum es hier ging.
Und er behielt recht.
Kaum, dass er die Tür zu Potters ehemaligem Büro hinter sich geschlossen hatte, ließ Amelia krachend eine dicke Akte auf ihren Schreibtisch fallen und starrte ihn an. Alastor musste kaum einen Blick darauf werfen, um sie zu erkennen. Grüner Einband. An einer Ecke verknickt. Mit der Aufschrift Vertraulich. Und Snape, Severus.
„Warum", begann Bones scharf und betont. „wird die Akte eines Mannes geschlossen, den wir auf einem halben Dutzend Todessertreffen beobachtet haben?" Sie hatte noch nicht geblinzelt, wie Alastor beiläufig auffiel. Einen Augenblick wirkte sie, als wolle sie all das aufzählen, was er schon selbst wusste, dass die Beweislage fast ausreichte, um den jungen Snape für immer wegzusperren, dass man nicht einfach grundlos Akten schloss, dass die ganze Maßnahme völlig lächerlich war. Sie tat es allerdings nicht. Ihr Blick wirkte beinahe verletzt zwischen dem Ärger, als wolle sie ihn fragen, was er jetzt schon wieder angestellt hatte.
Alastor schnaubte leicht. Er verschränkte die Hände vor der Brust. „Es gibt Grund anzunehmen, dass wir uns mit Snape geirrt haben", erwiderte er knapp. „Ist auf der letzten Seite erklärt."
„Ja, sicher." Ihr Schnauben wirkte weit empörter als seines. „Ich hab das gelesen. Sprachlicher Murks, Alastor. Damit befriedigst du vielleicht Crouch und den Zauberergamot, aber keinen Auroren. Ich will eine Erklärung. Auf der Stelle."
Der Auror widerstand dem Drang, erneut die Augen zu verdrehen. Er hasste es, wenn sich andere Leute in seine Angelegenheiten einmischten. Verdammte Vorgesetzte. Nicht, dass er damit gerechnet hätte, dass Bones sich von irgendjemandem etwas sagen ließ. Sonst hätte er sie wohl kaum auf diesen Stuhl gesetzt.
„Snape ist kein Todesser", sagte er schließlich ungeduldig. „Albus bürgt für ihn."
„Ja, das habe ich auch gelesen." Sie begann, mit den Fingern auf die Schreibtischoberfläche zu klopfen, während sie ihn nach wie vor über den Tisch hinweg anstarrte. Als sie merkte, dass er nur verkniffen zurücksah und seinen Ausführungen nichts weiter hinzufügen würde, gestikulierte sie genervt. „Also?"
Gott, wie er es hasste, diesen Snape zu verteidigen... Alastor hatte nicht vor Albus verborgen, was er von diesem neusten Mitglied in den Reihen des Ordens hielt, während er sich gemeinsam mit ihm und Lupin (talentierter Lügner, Lupin) entlastende Indizien aus den Fingern sog. Aber selbst er musste eingestehen, dass der Mann wertvolle Informationen lieferte und sich nach zwei Monaten immer noch nicht hatte erwischen lassen. Doch natürlich würde er trotzdem irgendwann sterben. Spione überlebten nie lange. Freilich sagten sie das nicht den Spionen...
„Es gibt dabei kein ‚also'", knurrte er zurück und zügelte sich selbst. „Dumbledore sagt, er ist sauber, also ist er sauber. Ende der Geschichte."
„Verdammt, Alastor!", donnerte Bones und war plötzlich aufgestanden. Sie hieb mit einer Hand auf den Tisch. „Mir reichen diese verfluchten Spiele. Gebürgt, ja? Nun, Dumbledore hat nie begriffen, dass er der Zentrale nicht auf der Nase herumtanzen kann! Wir wissen besser als er, wer da draußen eine Gefahr darstellt, schon weil es unser Job ist und nicht seiner! Wenn er glaubt, einfach herspazieren und Todesser entlasten zu können, dann hat er sich verdammt noch mal geirrt!"
Wütend stieß sie sich von ihrem Tisch ab und begann, unruhig im Raum auf und ab zu schreiten, und Alastor platzte der Kragen. Er wusste, warum Amelia nichts im Orden zu suchen hatte, oh ja, das wusste er.
„Jetzt reiß dich zusammen, Bones!", bellte er und ignorierte, dass die Aurorin wütend zu ihm herumwirbelte. „Glaubst du wirklich, dass Dumbledore so dumm ist? Wenn es sein muss, bürge ich selbst für Severus Snape."
Nichts würde er mehr hassen. Aber wenn Albus ihm vertraute, konnte er das auch.
„Ach so ist das...!" Sie war stehen geblieben, stemmte die Arme auf die Hüften, und ihre Stimme wurde gefährlich leise. Offensichtlich hatte sie gerade etwas verstanden. Misstrauisch musterte sie ihn. „Ist das wieder eine Sache von diesem verflixten Orden, Moody?"
Alastor widersprach nicht. Er atmete tief durch. „Severus Snape ist vertrauenswürdig.", gab er knapp zurück.
„Ich hätte es mir denken können!", rief sie, fühlte sich bestätigt. Sie ließ eine Reihe nur halb artikulierten Geschimpfes folgen. „Verdammt Moody, glaub nicht, dass ich nicht bescheid wüsste. Ich weiß nicht, wer, und ich weiß nicht, wo, aber ich weiß verdammt noch mal bescheid über euren Privatclub, und du kannst dir denken, was ich davon halte." Auch sie atmete ein paar Mal durch, um ruhig zu bleiben, fuchtelte bei ihren nächsten Worten aber dennoch mit einem Finger vor seiner Nase herum. „Wenn Severus Snape ein Spion ist, dann sollte er der Spion des Ministeriums sein, Alastor." Sie rang mit den Händen. „Wie sollen wir Erfolg haben, wenn wir getrennt gegen Du-weißt-schon-wen kämpfen? Wir sind diejenigen mit den Geldern und den Soldaten. Wir sind die, die diesen Krieg entscheiden, nicht eine von Albus Dumbledores verrückten Ideen!"
Der Gedanke, dass ein Spion herumlief, den sie nicht unter Kontrolle hatte, schien an ihr zu nagen, und Alastor konnte das Gefühl sogar nachvollziehen. Sein Ärger ließ ein wenig nach, aber das hieß nicht, dass er mehr preisgeben würde, als er musste. Bones war eine gute Aurorin und dem Ministerium treu, aber sie hatte immer eine Gefahr dargestellt. Sie hasste die Idee einer selbständigen Organisation, die nicht durch Dienstgrade und Verwaltungsarbeit behindert wurde, und sie wusste schon zu viel. Natürlich ahnte sie nicht, dass ihr eigener Bruder für den Orden gekämpft hatte - und für nichts als den Orden gestorben war.
„Die Zentrale erfährt alles, was sie für ihre Arbeit wissen muss, Bones", sagte er kalt. Bei seiner nächsten Frage musterte er sie scharf. „Hast du mit Crouch gesprochen?"
Doch sie schnaubte nur, und er entspannte sich etwas. „Crouch hat keine Ahnung. Bisher." Ihre Augen verengten sich. „Ich nehme nicht an, dass ich dich dazu bringe, mir deinen Spion zu übergeben, was?"
Er sah sie nur an.
„Verdammte Scheiße." Sie schimpfte noch ein paar andere Flüche in ihren Bart. Unter vier Augen wurde Bones zu ebenso farbenfroher Sprache wie jeder alte Seemann fähig. Manchmal gab es einfach nichts anderes mehr zu sagen. „Ich werde euch ohnehin nicht aufhalten können, was?" Er hob wortlos die Augenbrauen. „Und Crouch kann mich zu wenig leiden, als dass er nicht Dumbledore glauben würde." Sie schüttelte den Kopf und verstummte, schwer atmend.
Alastor wartete; es gab nicht viel, was er sonst tun konnte. Wenn Amelia den Orden sabotieren wollte, hätte sie es schon versucht. Wenn sie den Orden sabotieren könnte, hätte er grummelnd selbst ihren Posten angenommen, so sehr ihm der Gedanke aufstieß. Er hatte auch jetzt seine Möglichkeiten. Doch als ein Mann, der keine Risiken einging, beobachtete er sie genau.
Jeder, der ein wenig Einfühlungsvermögen besaß, hätte sich vermutlich schon lange entschieden, Amelia Bones rückhaltlos zu vertrauen; mit Alastor war es nicht zum ersten Mal etwas anders.
Und Amelia hatte in einem völlig recht. Wenn sie versuchte, ihre Kräfte mit Albus Dumbledore zu messen, würde sie verlieren.
„Also?", fragte er schließlich herausfordernd, als ihm das Schweigen zu lang wurde. Die Frau würde mit ihren Bedenken nicht seine Zeit stehlen.
Die Leiterin der Zentrale schwieg unwillig, sah zum Fenster und rieb sich die Stirn, als habe sie Kopfschmerzen, obwohl sie im Gegensatz zu ihm erst seit Stunden Dienst hatte. „Das weißt du so gut wie ich. Behalt deinen verdammten Spion, schließ seine Akte, aber sieh selbst zu, dass er am Leben bleibt", seufzte sie schließlich kopfschüttelnd. Erst bei den nächsten Worten wandte sie sich wieder zu ihm um, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, und ihr Blick war hart. „Ihr spielt ein gefährliches Spiel, Alastor", sagte sie leise. „Seht zu, dass ihr uns nicht in die Quere kommt."
Der alte Auror nickte; nur eine gehobene Augenbraue in dem zerfurchten Gesicht verriet seine Gedanken. Wenn es dem Orden half, Amelia Bones zu amüsieren, würde er den Mund halten. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stapfte aus dem Raum.
„Hallo Alastor! Hast du Dearborn gesehen?", begrüßte ihn Frank, kaum dass er zwei Schritte getan hatte, beiläufig, und Moody seufzte. Ihm stand ein langer Tag bevor.
Auch Alice hatte sich kaum Sorgen gemacht, als Caradoc am Morgen nicht zur Arbeit erschien; es entging selten jemandem, wenn das Dunkle Mal die Morgensonne beschattete. Niemand hatte daran gedacht, dass der Auror seit dem Tod seiner Mutter völlig allein im entlegensten aller verlassenen Bahnwärterhäuschen wohnte; Alice hatte es nicht einmal gewusst. Als sie jetzt das Wohnzimmer der Hütte abschritt und einen prüfenden Blick in die Küche warf, musste sie zugeben, dass sie nach sieben Jahren gemeinsamer Arbeit überhaupt nichts über Caradoc gewusst hatte.
Die Aurorin musste unwillkürlich schlucken, wenn sie sich umsah. Caradoc lebte modern; Portraits hatte sie keine gesehen, aber überall an den Wänden hingen Fotos. Keine Fotos von Familie - er musste sie abgehängt haben. Keine Fotos von Toten. Aber Fotos von Kollegen, und solche von Ordensmitgliedern. Eine Minute zuvor hatte sie unglücklich vor einem innegehalten, das Frank mit Neville zeigte, als er ihn Anfang August mit in die Zentrale brachte.
Langsam den Kopf schüttelnd verschränkte Alice die Arme hinter dem Rücken und kehrte in den Flur zurück, um in den einzigen weiteren Raum im Erdgeschoss zu sehen. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein Arbeitszimmer. Auch hier fand sie Fotos, und sie versuchte sie zu ignorieren, während sie hinter den Schreibtisch trat und systematisch begann, die Schubladen zu öffnen und den Inhalt zu untersuchen; Caradoc hatte in der obersten einen zweiten Zauberstab, vielleicht den seiner Mutter verwahrt.
Alice ärgerte sich, weil sie die neugierigen Blicke des Bewohners der Fotos im Rücken spürte und ihre Instinkte nicht einfach abschalten konnte. Es handelte sich um Ausschnitte aus dem Tagespropheten, meistens mit zugehörigem Artikel, und sie zeigten entweder Caradoc allein in Dienstrobe oder ihn in Begleitung von Auroren - ein paar von ihnen hielten ärgerlich die Hände hoch, als wollten sie sich und die Todesser, die sie abführten, nicht den Kameras zeigen. Caradoc hatte sie trotzdem aufgehoben.
Überall Auroren. Der fröhliche, unsortierte Caradoc Dearborn hatte kein Privatleben gehabt. Und es schien nicht einmal jemanden zu geben, denn sie benachrichtigen mussten...
Gerade hatte sie etwas heftiger, als nötig gewesen wäre, die letzte Schublade zugestoßen (sie dachte besser von Dearborn als zu glauben, dass er Ordensunterlagen ungesichert herumliegen ließ, aber man konnte nie vorsichtig genug sein), als polternde Schritte auf der Treppe von oben erklangen. Sekunden später traten Sturgis Podmore und Dorcas Meadowes ein, und Alice sah ihnen hoffnungsvoll entgegen.
„Ich habe die Papiere vom Orden", meldete Sturgis beiläufig und wedelte mit ein paar Pergamenten. „Caradoc hat mir mal das Versteck gezeigt. Für den Notfall." Knapp deutete er eine Grimasse an, doch der junge Auror war wohl zu beschäftigt damit, den bis auf die Fotos und Topfpflanzen kahlen Raum in sich aufzunehmen, um die Erklärung weiter zu kommentieren.
Meadowes hingegen wirkte, als sehe sie ihre Umgebung gar nicht, obwohl Alice sehr gut wusste, wie sehr dieser Eindruck täuschen konnte. Sie hatte die Hände tief in die Taschen ihrer Roben sinken lassen, wo eine davon unzweifelhaft mit ihrem Zauberstab spielte. „Hast du die Leiche gefunden?", fragte sie sorgenvoll.
Alice schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte, dass ihr oben...?"
„Nein." Dorcas zuckte mit den Schultern. „Nichts. Keine Leiche, keine Anzeichen eines Kampfs, nichts. Aber die Dunklen Künste hängen in der Luft." Sie rümpfte die Nase, als könne sie sie riechen. „Diesmal haben sie sich was ganz Faules ausgedacht."
„Das Urteil überlassen wir den Fluchbrechern", erwiderte Alice geduldig, während sie Sturgis zunickte. „Bring diese Sachen nach Hogwarts, sei so gut." In Angelegenheiten des Ordens konnte sie dem Mann nicht wirklich etwas befehlen; er zog trotzdem kommentarlos ab, als hätte sie es getan. Manche Angewohnheiten ließen sich nicht abschalten; man sah es, wenn Ordensmitglieder in einen Kampf verwickelt wurden und jeder sich selbstverständlich an die Dienstgrade der Auroren hielt. Moody hatte dann das Kommando. Ihm folgte Frank, dann kam sie selbst, dann Meadowes. Und Caradoc ersetzte jetzt schon der junge Black, der Podmore im Rang überholt hatte. Die alten Kämpfer - die neuen alten Kämpfer.
Alice merkte, dass sie gedanklich abgeschweift war, doch ein Blick auf Dorcas verriet ihr, dass es der anderen ebenso ging. Der Anblick der Aurorin, wie sie leer gegen die Wand starrte und jetzt tatsächlich anfing, leise etwas Unverständliches vor sich hinzumurmeln, war so ungewohnt, dass er Alice verblüffte, doch Dorcas schien ihren Blick bemerkt zu haben. Sie verstummte und sah sie fragend an. „Also, was jetzt?"
Jetzt selbst das Gesicht verziehend zuckte sie mit den Schultern. „Nichts", erwiderte sie mit einer Spur von Schärfe, auch wenn ihr Ärger sich nicht gegen ihre Kollegin richtete. „Ich wüsste nichts, was wir tun können. Vielleicht kommt von der Spionage was rein." Mit Frank hatte das damals geklappt, erinnerte sie sich; Frank hatte zwei Tage in Gefangenschaft verbracht und überlebt, auch wenn es ihn für sein Leben gezeichnet hatte. Aber sie wusste auch, wie müde es um den Bereich Spionage stand - wie nützlich der mysteriöse neue Ordensspion sein würde, musste sich noch erweisen, auch wenn Dumbledore ihm vertraute, und was die Zentrale anging... Nun, Bones arbeitete Alice zurzeit ein, aber wenn sie ehrlich mit sich war, würde selbst die Chefin zugeben müssen, dass es nicht viel einzuarbeiten gab.
Meadowes ließ die Antwort natürlich kalt, so wie sie alles kalt ließ. Es wunderte Alice nicht, dass sie kaum reagierte, denn erstens entsprach es dem Üblichen und zweitens hatte Dorcas sich aller Wahrscheinlichkeit nach schon dasselbe gedacht. Stattdessen sah sie aus dem Fenster, ungewöhnlich nachdenklich, wie Alice fand (von Dorcas konnte man zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten einen flotten Spruch erwarten). „Meinst du, er lebt noch?"
Alice schluckte, zum wiederholten Mal jetzt. Sie hasste die Frage, vor allem, weil Dorcas die Antwort lange kannte. „Sehr wahrscheinlich", erwiderte sie entgegen dessen, was sie sich wünschte. „Sie werden ihn foltern, bis er bricht, und er wird ihnen erzählt, was sie wissen wollen."
Bei dem Gedanken daran, was Caradoc ausplaudern könnte, wurde ihr fast noch schwindliger als bei dem daran, was ihn erwartete oder besser, was er gerade durchstand. Draußen ging die Sonne unter; der Angriff lag jetzt beinahe einen Tag zurück. Vielleicht sah Dorcas deshalb aus dem Fenster - weil sie wusste, dass ihr Kollege sich höchstwahrscheinlich irgendwo da draußen die Seele aus dem Leib schrie. Falls er noch schreien konnte. Falls er noch eine Seele besaß. Niemand konnte wirklich sagen, ob und wie viele Dementoren in Voldemorts Diensten standen...
Welche Nachdenklichkeit auch immer in Meadowes gefahren sein mochte, sie verschwand jedenfalls schnell wieder. „Werden ihn ordentlich durchnehmen", bemerkte sie im Plauderton, warf einen letzten prüfenden Blick auf die Bahngleise und drehte sich wieder um. „Hoffentlich reißt er sich zusammen."
Alice versteifte sich unwillkürlich; sie hatte es jedoch schon vor Jahren aufgegeben, Dorcas Taktgefühl beizubringen. „Ruf die Leute von Missbrauch der Magie, damit sie herausfinden, was hier passiert ist. Sag ihnen, sie brauchen wohl Fluchbrecher, frag nach Evan oder James.", ordnete sie an, ohne auf den Kommentar einzugehen. Er war es nicht wert.
Dorcas nickte knapp und verschwand in die Küche zum Kamin. Eine halbe Stunde später trafen die Ermittlungsleute ein, und als Sturgis sie ablöste, kehrte Alice in die Zentrale zurück. Es gab so viel zu tun.
Dank Evan Rosier und seinem Bruder wurde recht schnell aufgeklärt, auf wie hinterhältige Weise die Todesser Caradoc Dearborn in der Weihnachtsnacht überwältigt hatten, doch er tauchte nie wieder auf, nicht einmal Stücke von ihm. Niemand erfuhr je, was wirklich geschehen war, aber als ein paar Tage vergingen, keine Hinweise eintrafen und sein Tod angenommen werden konnte, verlor es schnell an Priorität.
Geschätzte Kollegen und gute Auroren verloren sie jetzt regelmäßig, natürlich - doch es lag nicht im Wesen eines Auroren, sich mit unbeantworteten Fragen zufrieden zu geben. Das Ereignis ließ die Zentrale in düsterer Stimmung zurück.
Tbc...
