Dieses Kapitel ist jemandem gewidmet, der diese Worte hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie lesen wird (jetzt einmal abgesehen davon, dass etwaige Zusammenhänge irgendwie sowieso nur in meinem teilbeschädigten Hirn einen Sinn ergeben): Quentin Tarantino. Und wenn ihr es lest und beginnt, euch bei der einen oder anderen Szene zu fadisieren, dann denkt bitte an die Sinnhaftigkeit von detailverliebten Dialogen über triviale Themen wie Fußmassagen und Fastfood. Ich liebe Details :-D…
Auch hier wieder: vielen vielen Dank an Persephone Lupin für Beta und Unterstützung!
Herbststimmung 2
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Citrus bergamia, dachte Snape abwesend, während ihm die Medihexe mit professioneller Routine bei der Erledigung seiner körperlichen Bedürfnisse zur Hand ging. Diese Eingriffe in seine Intimsphäre machten ihm weiterhin schwer zu schaffen, und er versuchte sich damit abzulenken, dass er im Geiste Möglichkeiten durchstudierte, wie er den Geschmack seiner Tränke verbessern könnte, ohne deren Wirkungsweise zu verändern. Natürlich war er sich dessen bewusst, dass er zurzeit kaum eine Bewegung ohne die Hilfe Madam Pomfreys durchführen konnte, aber gewisse notwendige Tätigkeiten der Heilerin und das damit einhergehende Gefühl des ihr Ausgeliefertseins verursachte eine ausgeprägte nervöse Unruhe in ihm. Das Öl von Citrus Bergamia, der Bergamotte, war ein Ansatz, dem nachzugehen es sich möglicherweise lohnen würde. Nicht nur, dass diese Fruchtessenz den Geschmack seiner Tränke verbessern dürfte, sie könnte eventuell auch deren Wirkung und Verträglichkeit steigern. Während ihn Madam Pomfrey wieder fest in eine frische Bettdecke einwickelte, machte er sich eine Gedankennotiz, bei nächster Gelegenheit Professor Sprout auf etwaige Bergamottebestände der Schule anzusprechen.
„Wann soll denn eurer Meinung nach dieses …Spaziergangtheater stattfinden?" fragte Snape ein wenig argwöhnisch. Nachdem er die vorangegangene emotionelle Tortur hinter sich gelassen hatte und auch die Schmerzmittel endlich begannen ihre Wirkung zu entfalten, registrierte er nämlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Mit einem Anflug von Erleichterung stellte er fest, dass er das erste Mal seit langem tatsächlich wieder Hunger hatte. Aber wenn diese beiden hyperaktiven Gluckhühner ihn stattdessen an die frische Luft zerren wollten – wie auch immer sie sich das nun vorstellten… Just in dem Moment stimmte sein Magen diesen Bedenken mit einem leisen Grollen zu.
Die Medihexe, die offensichtlich mit einem feinen Gehör gesegnet war, lachte. „Am Nachmittag, Severus", lächelte sie auf ihren Patienten hinunter, während sie seinen verletzten Arm vorsichtig auf ein frisch bezogenes Kissen bettete. „Was möchtest du denn zum Mittagessen? Suppe?"
Der Tränkemeister verzog den Mund. „Poppy", sagte er. „Warum in Merlins Namen bekommt man in medizinischen Etablissements kaum einmal etwas anderes als Suppe zu essen?"
„Jetzt übertreibst du aber, Severus. Erstens ist Suppe einfach leichtverdaulich und somit gut geeignet, wenn man bettlägerig ist und zweitens… Bis jetzt hast du dich an der Suppe doch auch nicht gestoßen."
„In letzter Zeit war ich auch kaum bei klarem Bewusstsein", knurrte Snape. „Wie auch immer, zu einer anderen Speisenvariante würde ich nicht nein sagen."
„Hm", lächelte die Medihexe. „Was möchtest du denn?"
Ein saftiges Filetsteak zog an seinem inneren Auge, oder besser, an seinen Geschmacksnerven vorbei. Doch ebenso schnell wie ihm das Wasser im Mund zusammengelaufen war, genauso schnell verbannte er die Idee auch wieder aus seinem Bewusstsein. Einarmig, wie er zurzeit war, konnte er wohl kaum darauf hoffen, sein Mittagsmahl ohne Hilfe zu sich nehmen zu können. Es war schon erniedrigend genug, wie ein kleines Kind gefüttert zu werden, aber der Gedanke, der Heilerin beim Zerkleinern seines Steaks zuschauen zu müssen - nein. Also doch irgendein Essen für Zahnlose.
„Wenigstens irgendeinen Eintopf", sagte er resignierend. „Alles, nur keine Suppe."
„Ich glaube gehört zu haben, dass die Küchenelfen heute Vormittag mit einer Ladung Linsen beschäftigt waren. Magst du Linseneintopf?"
„Mein leibliches Wohl liegt in deinen Händen, Poppy", seufzte er, jegliche Bilder von nicht-flüssigen Nahrungsmitteln vorerst wieder aus seinem Gedächtnis streichend.
„Ich werde der Küche auftragen, ordentlich Speck hineinzuschneiden", zwinkerte Madam Pomfrey dem kranken Zauberer zu und machte sich auf den Weg zum Kamin.
Das Essen ließ nicht lange auf sich warten und schon bald verkündete ein würziger Duft von der Tür her, dass sich die Hauselfen sogar bei einer so einfachen Speise wie Linseneintopf selbst zu übertreffen vermochten. Die Heilerin half Snape, sich aufzusetzen und platzierte zuerst ein dickes Polster hinter seinem Rücken und dann ein kleines Tischchen vor ihm, worauf sie das Mittagsmahl stellte. Sie setzte sich an das Bett, nahm den Löffel zur Hand und tauchte ihn in den dickflüssigen Tellerinhalt.
„Poppy", sagte der Slytherin zögernd. „Ich… ich möchte selbst essen."
Madam Pomfrey warf ihm einen ernsten Blick zu. „Also gut…" Sie legte den Löffel wieder hin und erhob sich. „Aber bitte melde dich, wenn du Hilfe brauchst. Du bist noch immer sehr schwach und dies hier ist sicherlich kein Platz für falschen Stolz. Ich werde mich in der Zwischenzeit um einige liegengebliebene Arbeiten kümmern." Mit einem ermutigenden Lächeln auf den Lippen entfernte sie sich und ließ Snape allein.
„Hm", brummte dieser in sich hinein. In Momenten wie diesen schätzte er die taktvolle Art der erfahrenen Heilerin besonders. Er wusste nicht einmal selbst genau, aus welchem Grund er sich das nun selbst beweisen wollte, aber ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass ein großer Teil seiner Selbstachtung allein daran hing, ob er es schaffen würde, sich zumindest halbwegs eigenständig zu ernähren. Und wenn es nur ein paar Bissen waren. Mühsam hob er den Arm, um den Löffel zu ergreifen. Sein Blick fiel auf seinen zitternden Unterarm, um den das ein wenig zurückgerutschte Nachthemd schlotterte und die Sicht auf ein ausgemergeltes Handgelenk preisgab. Nachdenklich betrachtete er die kränklich blasse Haut, unter der feine blaue Äderchen und die Knochen des Gelenks scharf hervortraten. Snape überlegte, ob er Madam Pomfrey nachher um einen Spiegel bitten sollte. Sein äußerliches Erscheinungsbild stand zwar seit jeher nicht besonders weit oben auf seiner persönlichen Prioritätenliste, aber dennoch – wenn schon seine Hand dermaßen erbarmenswert aussah… Die Gänsehaut, die ihm begann über den Rücken zu schleichen wurde dankenswerterweise von dem würzigen Duft verdrängt, der ihm in die Nase stieg. Snape holte tief Luft und tauchte den Löffel langsam in das dampfende Essen. Linsen, nungut, man sollte sich an den einfachen Dingen des Lebens erfreuen, dachte er, den ersten Bissen mit zitternder Hand in Richtung seines Mundes balancierend.
Das Brennen in den steifen Gelenken beharrlich ignorierend brachte er es zuwege, zumindest die halbe Portion zu sich zu nehmen. Als seine Bewegungen schließlich immer langsamer und mühsamer vonstatten gingen, kam ihm Madam Pomfrey zu Hilfe. Die Heilerin hatte ihn die ganze Zeit hindurch immer wieder diskret beobachtet und löffelte dem erschöpften Zauberer schließlich ohne großen Aufhebens den Rest des Tellerinhalts ein.
Snape lehnte sich seufzend zurück und schloss die Augen, während Madam Pomfrey die Überreste des Mittagessens entfernte.
„Es ist schon in Ordnung, Severus", sagte sie, als sie das Tischchen zum Verschwinden brachte. „Du musst es langsam angehen."
Der Tränkemeister brummte und runzelte die Stirn. Einmal mehr spürte er jeden Knochen in seinem Körper. Knochen… „Poppy…" begann er zögernd. „Hast du einen Spiegel?"
„Wofür willst du…" Die Heilerin brach ab als sie den finsteren Ausdruck auf Snapes Gesicht sah. „Moment", sagte sie kurz und verschwand aus dem Zimmer, um einen Augenblick später mit einem kleinen Handspiegel zurückzukommen, den sie dem Slytherin hinhielt.
Snape griff langsam nach dem Spiegel und hob ihn vor sein Gesicht. Das Spiegelbild, das ihm daraus entgegenblickte, ließ ihn erstarren. Die Augen lagen tief in den Höhlen, von Ringen umrandet, die fast so dunkel wie seine Iris erschienen. Er war schon immer hager gewesen und mit markanten Gesichtszügen gesegnet, aber noch nie zuvor hatte sein Gesicht dermaßen einem Totenschädel geglichen. Grünlich-fahle Haut spannte sich über hervortretende Kinn- und Wangenknochen und quer über seine Stirn zog sich eine blauviolette …Narbe.
Er fühlte das Verlangen, sich an die Stirn zu fassen – die Narbe zu befühlen, über die kantigen Wangenknochen, die fahle Haut zu streichen. Tief atmend legte er den Spiegel nieder und senkte den Blick.
„Zeit, Severus…" vernahm er die leise Stimme Madam Pomfreys neben sich. „Gib dir ein wenig Zeit."
Snape seufzte leise. Als ob Zeit tatsächlich alle Wunden heilen könnte...
Die Heilerin nahm den Spiegel wieder an sich und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Heute Abend werden wir damit anfangen, deinen Körper wieder zu kräftigen", sagte sie. „Durch das lange Stilliegen sind deine Gelenke steif und die Muskeln geschwächt. Und dem müssen wir Abhilfe schaffen."
„Und dafür qualifiziert ein Spaziergang nicht?"
„Nein", antwortete die Medihexe, auf den Sarkasmus in der Bemerkung nicht eingehend. „Bis jetzt konnte ich aufgrund der hohen Konzentration an Heiltränken in deinem Organismus keine Zauberstabmagie anwenden, aber nun geht es dir besser und wir können langsam die Dosis verringern. Heute Abend beim Verbandwechseln fangen wir mit der Kräftigung an."
Ein lautes Gepolter ließ die beiden aufschrecken. Von außen wurde die Tür zum Krankenzimmer aufgestoßen und ein seltsames Gebilde aus verchromten Metallteilen wurde über die Schwelle geschoben, gefolgt von einem etwas außer Atem geratenen Kingsley.
„Habe die Ehre, die Herrschaften", grinste dieser, während er mit einer Hand den Rollstuhl in den Raum schob und in der anderen ein dickes, in Leder gebundenes Buch balancierte.
„Severus", sagte er. „Ich habe dir etwas mitgebracht – eine kleine Abendlektüre, die dir wohl gefallen dürfte." Er verstaute den Rollstuhl in einer Ecke und hielt dem noch immer finster dreinblickenden Tränkemeister das Buch hin. Snape strecke langsam den Arm aus und nahm den Lederband an sich, und nach einem Blick auf den Einband hellte sich sein Gesicht in freudiger Überraschung auf.
„Suci Insoliti! Die vergriffene Originalausgabe! Wo hast du das her, Kingsley?" Er legte das Buch in seinen Schoß, öffnete es und begann vorsichtig darin herumzublättern. Die Illustrationen der Pflanzen und Kräuter waren kunstvoll ausgeführt und verströmten einen authentischen Duft. Manche der Pflänzchen wogten leicht in einer imaginären Brise. „Alle späteren Auflagen waren von minderer Qualität – der Geruchszauber ließ mit der Zeit nach", erklärte er, während seine Fingerspitzen fast liebevoll über die bereits vergilbten Seiten strichen.
Kingsley lächelte. „Ich weiß. Du hast mir mehr als einmal von diesem Kompendium erzählt. Schön, dass ich dir damit eine Freude machen konnte. Dennoch musst du deine Neugierde noch ein wenig im Zaum halten", fügte er hinzu.
Snape stieß einen brummenden Laut aus. Offensichtlich ging dieser Kelch tatsächlich nicht an ihm vorüber, er konnte diesen beiden einfach nicht entkommen. Er beobachtete Kingsley, wie dieser ein schwarzes Bündel aus der Tasche des Rollstuhls holte und Madam Pomfrey in die Hand drückte.
„Ah... Danke, Kingsley. Was denn, Severus..." reagierte sie auf einen fragenden Blick seitens des Tränkemeisters. „Glaubst du, ich lasse dich im Nachthemd in die Kälte hinaus?"
„Möchtest du damit andeuten, dass ich mich umkleiden soll?" fragte Snape unschuldig, während sein Herz heimlich einen kleinen Deut schneller zu schlagen begann. Er hatte endlich die Gelegenheit – wenn auch wohl nur für einen begrenzten Zeitraum – dieser scheußlich-weißen Krankengarnitur entfliehen zu können. Man wird wohl tatsächlich demütig, dachte er, seine Gedankengänge realisierend. Ein Set schwarzer Roben und die Welt ist wieder in Ordnung. Wie jämmerlich.
„Genau das soll es heißen", antwortete Madam Pomfrey kurz. „Kingsley, wir werden hier noch ein wenig Zeit brauchen..."
„In Ordnung", sagte der Auror, der den offensichtlichen Wink wohl verstanden hatte und sich wieder in Richtung Tür begab. „Ich wollte sowieso noch bei Filch vorbeischauen. In meiner Wohnung zieht es nämlich und das ist zu dieser Jahreszeit besonders ungünstig."
Als sie wieder allein waren, wandte sich Madam Pomfrey dem Tränkemeister zu, der sie nicht gerade mit einem Ausdruck freudiger Erwartung anblickte.
„Mach nicht so ein Gesicht, Severus", sagte sie. „Du wirst sehen, es wird dir gut tun."
Vorsichtig begann sie, Snape zu umfassen und ihn unter Zuhilfenahme eines einfachen Schwebezaubers in eine sitzende Position zu bringen. Einige routinierte Handgriffe später saß er schwer atmend an der Bettkante, und versuchte so gut als möglich, die Schmerzen in den Gelenken und das Schwindelgefühl zu verdrängen.
„Der Schwindel vergeht gleich wieder", beruhigte ihn die Heilerin, während sie ihn mit einer Hand stützte und mit der anderen den Zauberstab schwenkte, um die einfache schwarze Robe herbeischweben zu lassen. Während sie ihm vorsichtig den Kittel auszog, starrte Snape beharrlich an die gegenüberliegende Wand, die Stirn in verkrampfte Falten gelegt. Er bemerkte, dass es die Medihexe bewusst zu vermeiden versuchte, die nackte Haut seines Oberkörpers zu berühren – ein Faktum, welches er durchaus zu schätzen wusste. Behutsam zog sie ihm ein warmes Unterhemd über und half ihm, mit dem gesundenrechten Arm durch den Ärmel zu schlüpfen. Ein Anflug von wohliger Befriedigung durchflutete ihn, als schließlich das vertraute Schwarz der Robe an seinen Augen vorbeiglitt. Er blickte an seinem Körper hinab – abgesehen von der Tatsache, dass derlinke Ärmel der Robe schlaff herabhing, machte er durchaus wieder einen normalen und gewohnt unauffälligen Eindruck, wie er fast ein wenig zufrieden feststellte. Unwillkürlich bewegte sich sein Mundwinkel nach oben.
„Kannst du dich kurz allein aufrecht halten, Severus?" fragte Madam Pomfrey. „Ich hole den Rollstuhl ans Bett." Rollstuhl… soviel zu unauffällig, dachte er, und sein Gesicht verfinsterte sich wieder.
„Ja", knurrte er, und mit verengten Augen beobachtete er die Heilerin, wie sie dieses Gerät heranschaffte. Wenigstens waren noch keine Schüler hier, dachte er. Missbilligend presste er die Lippen zusammen, als ihn Madam Pomfrey wieder ohne großes Zeremoniell umfasste und mit dem Schwebezauber von der Bettkante hob. Mit einem gemurmelten „Hopp!" ließ sie seinen Körper in den Rollstuhl gleiten, noch bevor sein Bewusstsein vollständig realisierte, dass er gerade einen Augenblick lang frei in der Luft gehangen hatte. Er tat einen tiefen Atemzug und schloss die Augen, während die Heilerin seine Robe ordnete.
In diesem Moment ging die Tür auf und ein kopfschüttelnder Kingsley trat über die Schwelle. „Ich dachte nicht, dass dies möglich wäre, aber Filch wird tatsächlich immer schlimmer mit den Jahren. Ich war eigentlich der Ansicht, du wirfst ihm mehr als genügend Schüler zum Fraß vor – oder Severus? Da sollte er sich doch über das Schuljahr abreagieren können..."
Der großgewachsene Auror trug eine dicke dunkelblaue Kapuzenrobe als Überbekleidung, deren Farbe seinen goldenen Ohrring noch stärker zur Geltung brachte. „Na Poppy... Severus...", lachte er die beiden an. „Seid ihr fertig?"
„So diese Hexe irgendwann in der nächsten Zeit von mir ablassen sollte, ja", antwortete Snape mit einem giftigen Blick auf Madam Pomfrey, die noch damit beschäftigt war, ihn in eine dicke Decke einzupacken.
„Falls dir kalt werden sollte, kann Kingsley die Decke ganz einfach wärmen", sagte die Heilerin. „Und ich würde dir raten, es auch tatsächlich zu sagen, wenn dich friert, Severus. Eine Erkältung ist nun nämlich das letzte, was du noch brauchen kannst." Sie stopfte den letzten Zipfel Decke fest. „So, und jetzt raus mit euch. Genießt das schöne Wetter, solange ihr noch könnt."
Kingsley ergriff die Handgriffe des Rollstuhls. „Machen wir. Bis später, Poppy!" Snape stieß nur einen skeptischen Ton aus, während sie das Krankenzimmer verließen.
Dass der Rollstuhl magisch modifiziert worden war, merkten sie schon an der ersten Stiege, an die sie stießen. Das Gerät glitt sanft über die Stufen wie über eine unsichtbare Rampe und während Kingsley im Plauderton über sein Mittagessen mit dem Schulleiter berichtete, kämpfte der Tränkemeister gegen die erneut aufsteigenden Dämonen seiner Unsicherheit an. Er fühlte sich hilflos, ausgeliefert, und ein jeder abschätzende Blick seitens der Portraits bohrte sich durch sein Selbstbewusstsein. Er wusste, wenn ihre... wenn Kingsleys Schritte verhallt waren, würden sie anfangen zu tuscheln und sein erbärmlicher Auftritt würde sich wie ein Lauffeuer durch die gesamte Schule verbreiten. Merlin sei Dank, dass ihm wenigstens die Schüler vorerst noch erspart blieben, dachte er und versuchte, sein Mienenspiel wieder in den Griff zu bekommen. Als er wieder aufblickte, fiel sein Blick auf eine grellorangefarbene Fliege...
„Peeves..." knurrten Snape und Kingsley fast unisono. Der Poltergeist schwebte direkt vor ihnen, die boshaften kleinen Äuglein weit aufgerissen und abwechselnd von einem zum anderen starrend. Er öffnete den Mund und der Tränkemeister zuckte innerlich zusammen, sich gegen die zu erwartenden Frechheiten wappnend. Dennoch zwang er sich, den Poltergeist in gewohnter Manier anzufunkeln, als dieser den Mund wieder zuklappte und sich ohne einen weiteren Kommentar aus dem Staub machte. Völlig perplex drehte sich Snape zu Kingsley um und erblickte sogleich die Ursache für Peeves' fluchtartigen Abgang. Der Blutige Baron in all seiner schaurigen Pracht schwebte hinter ihnen und nickte zum Gruß mit dem Kopf.
„Professor Snape, Professor Shacklebolt", sagte er höflich und schwebte ein Stück weiter, um vor den beiden in der Luft stehenzubleiben.
„Baron", grüßte Snape zurück und neigte den Kopf zum Zeichen der Hochachtung. Als Hauslehrer von Slytherin pflegte er ein gutes und gegenseitig respektvolles Verhältnis mit dem Geist seines Hauses.
„Es erfreut mich, Sie auf zu sehen, Professor", sagte der Blutige Baron. „Wie ist das werte Befinden? Die wildesten Gerüchte über Ihren Zustand sind schon im Schloss kursiert. Aber Sie wissen ja..." Er machte eine abfällige Bewegung mit seiner durchscheinenden Hand. „...die Geister und diese tratschhaften Portraits."
„Es geht... den Umständen entsprechend, Baron", antwortete Snape. „Danke der Nachfrage." Und danke, dass Sie stets ein Auge auf Peeves haben, dachte er.
„Wir sind auf dem Weg in den Garten, Baron", mischte sich Kingsley ein. „Möchten Sie uns nicht ein Stück begleiten?"
„Danke für die Einladung, Professor Shacklebolt. Ich werde Ihnen gerne bis zu den Toren des Schlosses Gesellschaft leisten."
Mit diesen Worten setzte sich der seltsame Zug wieder in Bewegung, wobei Kingsley eher ein Gesicht machte, als hätte er auf Ablehnung seines höflichen Vorschlags seitens des schaurigen Geists gehofft. Als Ravenclaw hatte er keinen besonderen Bezug zum Hausgeist von Slytherin und es war allgemein bekannt, dass die Schüler und Absolventen der anderen Häuser dem Blutigen Baron eher aus dem Weg gingen. Vermutlich hatten sie Angst vor ihm und seiner grausigen Erscheinung.
Der Tränkemeister führte leichte Konversation mit dem neben ihnen herschwebenden Baron und ließ sich die neuesten Neuigkeiten rund um die Schule berichten. Dennoch… alles was der Geist erzählte, erschien ihm so peripher… so unwichtig. Er machte ein paar höfliche Kommentare, nickte ein paar Mal an den passenden Stellen mit dem Kopf oder schüttelte denselben, aber das meiste Gehörte prallte an ihm ab. Wenigstens hatte der Baron das nötige Taktgefühl, ihn nicht näher nach seinem gesundheitlichen Zustand zu befragen – und sein Beisein garantierte, dass sie vor Peeves verschont blieben. Schließlich erreichten sie das Hauptportal und der Blutige Baron empfahl sich.
„Professor Snape, Professor Shacklebolt, es war mir ein Vergnügen", sagte er mit erhobenem Haupt. „Ich denke, ich spreche im Namen aller Geister Hogwarts', wenn ich Ihnen hiermit baldige Besserung wünsche, Professor Snape."
„Danke, Baron", antwortete der Slytherin und der Geist schwebte davon.
„Also an das ‚Professor' muss ich mich wohl erst noch gewöhnen", sagte Kingsley grinsend, während er den Rollstuhl über die Schwelle ins Freie schob.
„Damit wärst du wohl in zweifelhafter Gesellschaft, Kingsley", antwortete der Tränkmeister säuerlich. „Manch ein Schüler gewöhnt sich seine gesamte Schulzeit hindurch nicht an diesen Titel. Oder den nötigen Respekt, der sich dahinter verbergen sollte."
Kingsley lachte. „Ach ja, du wolltest mich doch auf die zu erwartenden Widrigkeiten des Lehrberufs vorbereiten."
„Hm… Behalte einfach immer im Hinterkopf, dass du die Kompetenz bist, die gezwungen ist, einen Haufen Dummköpfe auf das Überleben in der realen Welt vorzubereiten. Damit solltest du gut fahren."
„Und mir dann eine Reputation wie ein gewisser uns allen bekannter Professor für Zaubertränke zulegen?" scherzte Kingsley.
„Meine Reputation ist eine ausgezeichnete", antwortete Snape mit gekräuseltem Mundwinkel. „Natürlich in Kreisen, deren Meinung diesbezüglich ich für relevant erachte."
„Nun, deine Methoden in allen Ehren", lächelte sein Freund. „Ich schätze mich allerdings doch eher als integrativen Typen ein."
Der Kies des Weges knirschte unter den Schritten des Ravenclaw und die Sonne des klaren Oktobernachmittags schien gerade so warm, dass sich ihr Atem nicht in kleine Kondenswölkchen verwandelte. Dennoch war die Temperatur frisch, und Snape schätze nach dem Stand der Sonne, dass ihnen wohl noch eine gute Stunde bis zum Sonnenuntergang blieb. Es duftete nach Herbstlaub und die Nadelbäume des in einiger Entfernung sichtbaren Verbotenen Waldes waren in fast unwirkliche Nebelschleier gehüllt. In die Sonne blinzelnd nahm der kranke Tränkemeister einen tiefen Atemzug. Die kühle, klare Luft tat gut, er fühlte sich ausgeglichen und seltsam befreit. Unter einem großen Ahornbaum machten sie Halt und Kingsley zauberte kurzerhand einen Sessel herbei, um neben Snape Platz zu nehmen. Die herbstliche Stimmung war atemberaubend, das Gras der Heide und die Bäume leuchteten in allen Farben, und über dem See lag ein zarter Dunst. Kingsley nestelte eine kleine Pfeife aus seiner Robe hervor und begann diese liebevoll zu stopfen. Snape beobachtete ihn leicht amüsiert, wie er sein kleines Kunstwerk aus Holz und Tabak in Brand steckte und damit begann, genüsslich Rauchringe in die Luft zu blasen. Als hätte er Snapes Blick auf sich ruhen gespürt, drehte er sich zu dem Tränkemeister um und zwinkerte ihn an.
„Möchtest du einmal, Severus?" Er hielt ihm die Pfeife hin.
Snape schauderte. „Nein danke."
„Du weißt ja gar nicht, was dir entgeht."
„Ich bevorzuge den würzigen Duft von Wermut-Aufguss in einem Trank über diesen Glimmbrand in Taschenformat."
Fast fiel Kingsley die Pfeife aus dem Mund vor Lachen, und sogar Snape musste ein wenig lächeln. Sie spielten dieses Spiel schon so lange, dachte er. Dass es tatsächlich jemanden auf dieser Welt geben konnte, den seine schwarzen Bemerkungen dermaßen amüsierten, hatte er sich nicht im Traum vorgestellt – bis er Kingsley kennengelernt hatte. Und mittlerweile schmunzelte er sogar schon beizeiten mit, wenn der Auror in sein herzliches, volltönendes Gelächter ausbrach. Kingsley hatte ihn verändert – mehr als er sich selbst eingestehen wollte. Wie auch immer, mit seinen seltsamen Ideen bezüglich „Lebensqualität" würde er keinen Erfolg verzeichnen können. Snape runzelte die Stirn und beobachtete ein Eichhörnchen, das zuerst über das Gras und dann den nächsten Baum hinauflief. Da wollte ihm Kingsley doch vor einiger Zeit allen Ernstes einreden, er solle in den ersten Stock umziehen! Wegen des Lichts… und der Aussicht!
Durch eine Wolke Pfeifenrauch hindurch blickte er hinunter auf die vereinsamte Hütte des Wildhüters am Rand des Verbotenen Walds, aus deren Kamin kein Rauch aufstieg und deren Fenster leer und dunkel wirkten. Er hatte zwar zu Hagrid nie besonders intensiven Kontakt gepflegt, aber dennoch fehlte ihm seltsamerweise etwas. Fast erwartete er, dass die Tür der Hütte aufging und der Halbriese herausgepoltert kam, gefolgt von diesem Monster von einem Hund. Er seufzte leise. Zu viele Verluste…
„Albus hat eine kleine Gedenkfeier angesetzt in den nächsten Wochen", hörte er Kingsley leise neben sich sagen. „Für die Opfer, die Hogwarts erbringen musste."
Snape schwieg. Nun, es würde wohl noch einiges an Zeit benötigen, bis wieder Alltag einkehren würde in der Schule, dachte er. Er senkte den Kopf und fröstelte. Die Sonne stand mittlerweile schon tief über dem Horizont und es war kalt geworden. Kingsley schwenkte seinen Zauberstab und murmelte einen Zauberspruch, um Snapes Decke aufzuwärmen.
„Wollen wir wieder reingehen, Severus?" fragte Kingsley. „Poppy erwürgt mich, wenn ich dir eine Erkältung anhänge."
Der Tränkemeister nickte und versuchte, mit derrechten Hand die warme Decke ein wenig näher an sein Kinn zu manövrieren, während sein Freund seine Pfeife ausklopfte. Nachdem er den Sessel hatte verschwinden lassen, griff Kingsley nach den Griffen des Rollstuhls und die beiden machten sich wieder auf den Weg zurück ins Schloss.
Der Retourweg verlief relativ schweigsam und ohne größere Vorkommnisse. Peeves hatte offensichtlich vom Blutigen Baron eine effektive Abreibung erhalten, denn als er die beiden im Gang näherkommen sah, bog er kommentarlos um die nächste Ecke und ward nicht mehr gesehen. Als sie schließlich den Krankenflügel erreichten, erwartete sie dort nicht nur Madam Pomfrey, sondern auch der Schulleiter.
„Guten Abend, ihr beiden", grüßte dieser freundlich lächelnd. „Severus, du hast rote Wangen!" Sein Lächeln weitete sich zu einem Grinsen.
„Das kommt von der Kälte, Albus", antwortete Snape.
Der Schulleiter gluckste und Kingsley lachte. „Er würde es wohl nie zugeben, dass es ihm gefallen hat. Nicht wahr, Severus?"
Der Tränkemeister funkelte ihn an und wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als Madam Pomfrey dazwischentrat.
„Schluss jetzt", sagte sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete, und nahm Snape die warme Decke ab. „Severus", wandte sie sich dem Slytherin zu, ihre Stimme plötzlich warmherzig. „Wir haben gute Neuigkeiten."
Snape hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich höre…?"
„Poppy hat Nachricht aus St. Mungos erhalten betreffend des Fluchs…" sagte Albus.
Die Heilerin lächelte. „Es wurde endlich ein Gegenfluch gefunden. Wir werden deine Schulter heilen können."
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Anmerkungen:
sucus, -i: (Pflanzen-)saft u.a. im Sinne von Arznei etc.; insolitus: ungewöhnlich, seltsam. Vielen Dank an Ginnyvere für die spontane Lateinhilfe (mein Latein ist leider jenseits von gut und böse, hehe)…
Das Eichhörnchen in diesem Kapitel ist Ermione gewidmet…:-)
Wieder vielen vielen Dank für eure lieben Reviews, ihr macht mich jedes Mal auf neue glücklich. Fühlt euch alle virtuell gedrückt! :-)
Honigdrache: Oh, es hat doch ein bisserl gedauert mit dem Kapitel, sorry! Hmm, krieg ich die Schoki trotzdem? Liebschau…:-)
leynia: Vielen Dank! Freut mich sehr, dass es dir gefällt. Ich mag Kingsley auch, hehe :-)
Morla- SyalNaomi FaryTale: Danke auch dir!
Mina Harker Wilhelmina Murray: Freut mich, dass du wieder hergefunden hast, dankeschön! Ja, Sev hat's nicht leicht, aber er hat ja auch ganz viele liebe Leute um sich, hehe…
Arifilia: Schön, dass dir Kingsley gefällt und danke, dass der „Ausrutscher" verziehen ist, hehe. Bitte immer gleich melden, falls mir mein Sevvie wieder ein bisserl zuviel out of character rutscht. Ich bemühe mich zwar inständig, aber manchmal passiert's halt.. in gewissen Situationen…
Maria(mit der Zahlenkombi, hihi): Wow, vielen Dank für deine Reviews, die haben mich total beglückt! Das freut mich besonders, dass dir Poppy gefällt. Nachdem das ja hurt/comfort ist, ist Poppy natürlich so quasi eine der Hauptpersonen ;-) und ich versuche sie so in einer Art Mischung zwischen resolut (wie in den Büchern) und verständnisvoll-professionell (wie sie es als Heilerin sicherlich ist) darzustellen. Hoffentlich kommt das auch so rüber.
Linadell: Schön, dass du zu dieser Geschichte gefunden hast und vielen Dank für dein Review :-). Ja, ich denke auch, dass sich hinter Sevs harter Fassade so einiges mehr verbirgt (oder zumindest hoffe ich das, hehe). Ich weiß ja nicht, ob du weitergelesen hast, aber falls nicht, dann wünsch ich dir noch viel „Spaß" dabei ;-)…
Persephone Lupin: Ach das macht doch nix wegen der „Verspätung"… knuddel.. Du kennst die Geschichte ja sowieso, aber dennoch danke für dein Kommentar hier :-)…
Ich wünsche allen Leserinnen (und Lesern ;-)) besinnliche und geruhsame Weihnachtsfeiertage und einen erfolgreichen Start ins neue Jahr mit hoffentlich wenig Katerchen am 1.1… hihi.. Das nächste Kapitel kommt dann 2005. Servus! :-)
