Verräter
Die junge Tochter von Adrahil, Finduilas, soll Denethor, den Sohn des Statthalters Ecthelion heiraten, doch ihr Herz gehört Moradan, einem Mann aus den ärmeren Schichten. Aber dann geschieht etwas Unvorhergesehenes...
Finduilas
stand am Meeresufer und dachte nach. Stumme Tränen rannen über
ihr schönes Gesicht. Ihr Vater Adrahil, der Fürst von Dol
Amroth, verlangte von ihr, dass sie Denethor, den Sohn des
Truchsessen heiratete, der sie bereits mehrere Jahre lang liebte. Sie
hatte ihn jedoch nur ein paar Mal gesehen und dachte nichtmal im
Traum daran, seine Gemahlin zu werden. "Er ist ein edler Mensch und
wird dir ein guter Ehemann sein.", hatte ihr Bruder Imrahil gesagt,
der Denethor sehr gut kannte. Doch das war Finduilas egal, denn sie
liebte Moradan, einen jungen Mann aus ärmeren Schichten.
"Ich
will Euch zu nichts zwingen", flüsterte Denethor, der neben
ihr stand. "Ich will nicht, dass Ihr leidet. Es war nur eine
Bitte."
In
seiner Stimme klang Schmerz.
"Lügt
mich nicht an!", zischte Finduilas hasserfüllt. "Ihr habt
mir schon genug Unheil angetan!"
"Bitte
vergebt mir...", flehte Denethor.
Er
verbeugte sich und wandte sich zum Gehen. Er wirkte nicht mehr so
stolz wie immer, denn er ging leicht gebückt, als würde
etwas Schweres auf seinen Schultern lasten.
Er
lügte sie nicht an, das wusste sie. Und dennoch wollte sie ihm
so viel Schmerz zufügen, wie sie nur konnte. Rache. Nur, weil er
sich in sie verliebt hatte, musste sie ihn heiraten, doch niemand
hatte nach ihrer Meinung gefragt. Denethor aber wollte nicht, dass
sie ihn gegen ihren Willen heiratete. Finduilas verjagte schnell
diesen letzten Gedanken.
Sie
beschloss, nach Moradan zu suchen. Als sie ihn fand, erzählte
sie ihm von ihrem Unglück.
Er
umarmte sie und sagte: "Schade, meine Liebe... Aber ich denke, ich
finde mir eine neue Geliebte."
Finduilas
riss sich los und starrte Moradan ungläubig an. Er lächelte
und umarmte sie wieder.
"Das
war doch nur ein Scherz", beruhigte er sie mit sanfter Stimme.
Finduilas
lächelte zurück. Moradan hatte einen recht merkwürdigen
Sinn für Humor. Doch gerade deshalb war er bei den Mädchen
auch so beliebt. Und sie war glücklich, dass sein Herz ihr
gehörte.
Denethor sattelte sein Pferd. Er wollte so schnell wie möglich zurück nach Minas Tirith reiten und seine Liebe zu Finduilas vergessen. Sie liebte ihn nicht und das musste er akzeptieren. Er hatte bereits mit Adrahil darüber gesprochen. Dieser war sehr enttäuscht, doch an Finduilas' Hass gegen Denethor konnte er nichts ändern.
Finduilas
ging gut gelaunt nach Hause und redete mit Moradan. An einer Kreuzung
trennten sie sich und sie ging alleine weiter.
"Denethor
ist vor einigen Stunden abgereist", teilte ihr Imrahil mit, als sie
die Halle betrat. "Du hättest da sein sollen."
"Was
schulde ich ihm?", fragte Finduilas verächtlich.
Ihr
Bruder schüttelte hoffnungslos den Kopf und wollte weggehen,
doch er blieb noch kurz stehen.
"Ich
soll dir ausrichten, dass es ihm unheimlich Leid tut. Er hat dir
außerdem einen Brief hinterlassen", warf er über die
Schulter und bog um die Ecke.
Finduilas
blickte ihm mit zornfunkelnden Augen nach und gegab sich schließlich
in ihr Gemach. Auf dem Bett lag eine keine Notitz.
"Liebe
Finduilas, ich möchte mich bei Euch nochmals für alles
entschuldigen", hieß es da. "Ich liebe Euch schon lange,
deshalb bin ich hierher gekommen, um Euren Vater um Eure Hand zu
bitten. Doch ich habe Euch nicht gefragt, ob Ihr mich heiraten wollt.
Ich bin auf Euren Hass gestoßen und kann es auch verstehen. Ich
will Euch nicht quälen. Ihr liebt einen anderen, das weiß
ich. Deshalb will ich nach Minas Tirith zurückkehren und Euch
nicht mehr länger stören. Doch ich möchte Euch um
etwas bitten: Seid glücklich mit Eurem Geliebten. Denethor,
Ecthelions Sohn"
Finduilas
war ein wenig gerührt, fasste sich jedoch schnell und knüllte
die Notitz zusammen.
Sie
lächelte zufrieden. Er war fort und sie würde nie wieder
etwas von ihm hören.
Den
nächsten Tag verbrache sie mit Moradan, der sie am Abend wie
immer nach Hause begleitete. Plötzlich stand ein gefährlich
aussehender Mann vor ihnen. Sein Gesicht konnten sie in der
Dunkelheit nicht erkennen, doch sein Messer schimmerte eiskalt und
gnadenlos im Mondlicht.
Finduilas
erschrak und griff nach Moradans Arm, doch er war nicht mehr da. Sie
hörte gerade noch, wie jemand weglief. Sie wollte seinem
Beispiel folgen, doch als sie sich umdrehte, sah sie einen zweiten
Mann, der noch gefährlicher aussah als der erste. Es waren zwei
und sie war ganz allein. Und Moradan hatte sie im Stich gelassen.
Sie
nahm das Messer, das sie zur Sicherheit mit sich trug, und stieß
es einem der beiden Männer, die bedrohlich auf sie zu kamen, in
die Schulter.
"Du
kleine...!", kreischte dieser und wollte sie packen, doch Finduilas
entkam einem Arm und rannte los.
Sie
rannte, wie noch nie in ihrem Leben. Hinter sich hörte sie das
Getrappel zweier Männer, die ihr Schimpfwörter und
Drohungen hinterherriefen. Sie stolperte über ihr Kleid und
fiel. Das war das Ende. Niemand würde ihre Hilferufe hören.
Die
beiden Männer gingen mit einem irren Grinsen auf sie zu. Sie
rappelte sich auf, doch der eine ergriff ihren Arm so fest, dass es
wehtat.
Plötzlich
stieß ihn jemand zur Seite und stellte sich vor sie, ein
Schwert vor sich ausgestreckt.
"Wenn
ihr Finduilas noch ein Mal anrührt, wird es eure letzte Tat
sein!", rief Denethor.
Sie wusste nicht, wie sie Denethor danken sollte. Seit dem schicksalhaften Vorfall wollte sie mit Moradan nichts mehr zu tun haben, denn sie wusste jetzt, dass er sie nur ausgenutzt hatte, um in seinem Stand wichtig zu wirken. Sie hatte nun ihr Vertrauen zu ihm und allen anderen verloren. Nur nicht zu Denethor. Sie liebte ihn nicht, doch sie wurde seine Gemahlin.
