Kapitel 3: Die gebrochene Freundschaft

Éowyn konnte tun, was sie wollte, es brachte alles nichts. Die Freundschaft zwischen ihrem Bruder und Théodred schien erloschen zu sein. Einst waren sie unzertrennlich. Ein Herz und eine Seele. Doch jetzt brannten sie in der Wut auf einander und das war eindeutig das Werk des Teufels. Oder Grímas?
Éowyn hasste ihn vom ganzen Herzen. Und auch Éomer und Théodred. In dieser Sache waren sie sich ausnahmsweise mal einig. Doch das milderte ihren Zorn nicht.
Sie hatte es schon längst aufgegeben, die beiden zu versöhnen. Da konnte sie nichts tun, davon war sie fest überzeugt. Théodred brauchte Beweise für Éomers Treue. Beweise, die es nicht gab.

Théodred sann seit der letzten Schlacht auf Rache für seine toten Soldaten und wollte den Orks, die nach Edoras marschierten, die Hölle heiß machen. Er schloss sich oft mit Elfhelm und Grimbold in seinen Gemächern ein und beriet sich leise mit ihnen, damit auch niemand von ihren Plänen hörte, denn überall waren Sarumans Spione.

Éomer hatte deutlich mehr Schaden von diesem Streit davongetragen. Nicht nur, weil er nicht mehr Dritter Marschall war, sondern auch weil er bei Théodreds Soldaten ziemlich unbeliebt wurde. Die Mitglieder von Éomers Éored suchten ihn oft auf, um ihm beizustehen, doch ihr ehemaliger Offizier bevorzugte es, allein zu sein und dunkle Pläne gegen Théodred zu schmieden. Nur noch die Gesellschaft seiner Schwester duldete er.

"Die Orks kommen von hier...", murmelte Grimbold nachdenklich und fuhr mit dem Finger über die Karte.
"Ein kleiner Teil von uns versperrt ihnen den Weg, der Rest greift dann überraschend von den Bergen aus an", überlegte Théodred.
"Wozu soll der Weg versperrt werden?", fragte Elfhelm, der Théodreds Rache gegen Éomer witterte.
"Wenn die Orks auf keinen von uns treffen, verden sie verdächtigen, dass wir einen Überraschungsangriff planen", erklärte der Thronerbe. "Sie können im Dunkeln zwar besser sehen als wir, jedoch nicht gut genug, um die Männer zählen zu können. Wenn wir Glück haben, werden sie denken, vor ihnen würde das ganze Heer stehen und mit voller Kraft angreifen. So geraten mehr von ihnen in unsere Falle."
"Aber Ihr schickt die Männer dann in den sicheren Tod!", rief Elfhelm empört.
"Ohne dieser Falle werden noch mehr sterben", widersprach Théodred.
'Und ich weiß schon, wer unter den vielen Unglücklichen, die die Straße blockieren werden, sein wird', dachte Elfhelm besorgt.

"Éomer, er will Euch umbringen!", warnte Elfhelm Théodens Neffen.
"Überbringt ihm meinen größten Dank und meine besten Grüße", sagte Éomer spöttisch. "Ein wirklich guter Verwandter. Zuerst erzählt er Lügen über mich, dann will er mich auch noch töten!"
Éomer hielt inne und merkte erst jetzt, welchen Unsinn er geredet hatte. Théodred war schließlich einst sein Freund gewesen. Selbst jetzt würde er Éomers Tod nicht wollen. Oder doch?
"Sagt ihm, dass es mir eine Ehre ist, für mein Vaterland zu sterben", sagte der ehemalige Marschall nach längerem Überlegen.
Elfhelm verbeugte sich und ging hinaus.
Kurz darauf stürmte Éowyn in Éomers Gemach.
"Was hast du dir nur dabei gedacht!", rief sie mit Tränen in den Augen.
"Ich erfülle nur meine Pflicht als Krieger", antwortete Éomer mit bemüht ruhiger Stimme.
"Dieser dumme Streit hat euch blind gemacht! Alle beide!", schluchzte Éowyn. "Hast du an mich gedacht?"
"Falls ich sterbe, hast du noch immer Théodred", versuchte Éomer sie zu beruhigen.
"Ich will weder meinen Bruder, noch meinen Vetter verlieren", hauchte sie.
Sie dachte wieder an ihren Traum. Einem der beiden würde in der Schlacht etwas zustoßen. Eine der beiden Burgen würde zu Staub zerfallen. Éomer hatte die eindeutig gefährlichere Position. Würden die Orks ihn schwer verletzen oder sogar töten?
Ein Schatten kam über Rohan. Doch war es nicht schon länger da? Er lastete in Gestalt des verhassten Gríma Schlangenzunge schon lange Zeit über ihnen und verdarb ihre Herzen ganz langsam und unauffällig. Zuerst das des Königs, dann die Herzen von Éomer und Théodred. Die Welt kam ihr auf einmal ganz kalt vor. Ihr Kopf begann zu schmerzen, doch noch schlimmer schmerzte ihr Herz. Wenn Éomer und Théodred umkommen würden, wäre sie ganz allein in dieser Schattenwelt, diesem Verließ des Grauens. Sie wollte auch mitkämpfen, statt in diesem eisigen Haus zu erfrieren.
Doch sie wusste ganz genau, dass weder Éomer, noch Théodred dies zulassen würden.
"Ich werde zurückkehren", versprach Éomer, der ihre Gedanken gelesen zu haben schien, und umarmte sie.