Kapitel 4: Der Anführer der Verurteilten
"Herr Éomer, Théodred erwartet Euch", teilte ein Soldat dem Königsneffen mit.
Leise vor sich hin murmelnd begab Éomer sich in den Thronsaal, wo er bereits von seinem Vetter und den anderen Offizieren erwartet wurde. Er bemerkte Elfhelms beunruhigten Blick nicht.
"Da du mein Vetter bist, kannst du nicht als einfacher Soldat an der Schlacht teilnehmen", begann Théodred. "Du wirst den Trupp anführen, der die Orks anlockt."
Der empörte Elfhelm verlor die Beherrschung: "Ihr wollt ihn also zum Anführer der unschuldigen Soldaten machen, die Ihr zum Tode verurteilt habt!"
Grimbold legte ihm die Hand auf wie Schulter: "Im Krieg muss man Opfer bringen, um den Großteil am Leben zu bewahren."
"Aber es muss doch einen anderen Weg geben!", widersprach Elfhelm.
"Doch es gibt keinen", meldete sich Gríma langsam, vorsichtig und tückisch, wie es seine Art war.
"Behaltet Eure gespaltene Zunge hinter Euren Giftzähnen!", bellte Théodred.
Gríma wollte sich für diesen ziemlich unfreundlich formulierten Befehl rächen, doch er überlegte es sich, denn das wäre gerade in diesem Moment, wo Théodred das Todesurteil über Éomer legte, sehr ungünstig. Stattdessen setzte er eine beleidigte Grimasse auf und setzte sich wieder. Mit der Zeit begann er sogar zufrieden zu grinsen, als er sein Werk näher betrachtete.
"Wie konntest du das nur tun!", rief Éowyn. "Er wird doch zu den ersten gehören, die sterben!"
"Es wird ihm eine Ehre sein, das hat er selbst gesagt", erwiderte Théodred kühl. "Außerdem wird es für ihn eine gerechte Strafe sein, für all die Männer, die wegen ihm umgekommen sind."
"Aber er ist unschuldig!", murmelte Éowyn verzweifelt.
"Das muss erst bewiesen werden."
"Dann wird es aber schon zu spät sein..."
Die Kälte schwand langsam aus Théodreds Gesicht und er strich sanft über den Kopf seiner Cousine.
"Versprich', dass er lebendig zurückkehrt", flehte Éowyn.
Théodred antwortete nicht.
Die "Verurteilten" wurden mit Tränen und Blumen verabschiedet. Stolz und würdevoll ritt Éomer an der Spitze. Bevor sie das Tor passierten, ritt Théodred herbei und wünschte ihnen viel Glück. Éomer antwortete ihm mit einem gezwungenen Lächeln, das eher eine Grimasse war.
Kurz darauf verließ auch das große Heer die Hauptstadt, angeführt vom Thronerben, Grimbold und Elfhelm.
Éowyn blickte ihnen allen traurig und hoffnungslos nach. Wie viele würden zurückkehren? Werden Éomer und Théodred unter ihnen sein? Warum haben Frauen das schwerere Los? Warum müssen sie immer auf ihre Männer, Väter und Brüder warten, ohne zu wissen, ob sie überhaupt zurückkehren? Ohne zu wissen, ob es den nächsten Tag geben wird. Das Herz einer Frau musste stark sein, um so viele Sorgen und Schmerzen ertragen zu können.
Die Reiter der Riddermark waren unterwegs in Richtung Westen, wo die Sonne unterging und ihre Schatten lang werden ließ.
