Der Sturm

Von dem Sturm, der an Deck herrschte bekamen Elliott und Heather nichts mit. Der Wind war aufgefrischt und es begann stark zu regnen. Schon kurz darauf waren die Crew und ihr Cäptn bis auf die Haut genäßt, doch auch jetzt konnte Luna sie nicht alleine lassen. Der Platz des Kapitäns war direkt unter ihnen. Außerdem liebte Luna dieses Wetter. Es zeigte ihr, wie schwach und abhängig das menschliche Leben war und welche Gewalt an ihm zerrte.

Die starken Böen rissen sie fast um und durch die nassen Haarsträhnen, die ihr immer wieder im Gesicht klebten, konnte sie kaum sehen. Riesige Wellen schlugen gegen die Schaluppe und ließen sie wie eine Nußschale tanzen.

„Zieht die Segel fest!"rief Luna. „Wir wollen sie nicht verlieren!"

Sie war sich nicht sicher, ob die Männer sie gehört hatten, doch ihrer Handlung nach zu urteilen wußten sie ganz genau, was sie machen mußten.

Die nassen Segel wurden hin und her geschleudert, bis die Männer sie endlich befestigt hatten. Das Holz ächzte unter der gewaltigen Kraft des Ozeans und bäumte sich in den Wellen immer wieder auf.

„Cäptn! Wir werden niemals lebend aus diesem Sturm herausfinden!"rief Mr. Miller ihr zu, doch sie machte nur ein aufmunterndes Gesicht und kämpfte sich dann weiter übers Deck. Sie mußte sich überall festhalten, wo es nur möglich war und trotzdem wurden ihr die Beine immer wieder unter dem Körper weggezogen. Sie hing dann schlaff an ihren Armen, bis die Welle über sie hinweggebrandet ist und sie wieder weiterkämpfen konnte.

Als sie endlich, nach einer Ewigkeit am Bug angekommen war, sah sie voraus, doch der Horizont war zurzeit nicht mehr zu sehen.

Niemals werden wir das durchstehen! dachte sie, doch sie wischte ihre Gedanken sofort wieder fort. Auch Morgan, ihr großes Vorbild hatte solche Stürme erlebt und überlebt.

Was mein großes Vorbild kann, dann kann ich das schon lange! sagte sie sich und drehte sich um.

„Wir nehmen Kurs!"sagte sie leise und schrie dann zu ihrem Steuermann: „Wir nehmen Kurs auf den Sturm!"

Die Männer sahen sie kurz erschrocken an, doch Mr. Miller ließ keinen Zweifel aufkommen, daß sie ihre Befehle nicht ernst gemeint hatte. Dennoch sah er sie mit einem prüfenden Blick an. Sie wollte ihm gerade andeuten, daß er zu ihr kommen sollte, doch ein greller Blitz durchzuckte die Nacht und löste die beiden Blicke voneinander.

Die Männer waren nun alle fertig mit den Segeln. Jonny B. war der letzte, der noch oben herumturnte, als plötzlich eine starke Windböe ihn erfaßte und wie ein Blatt mit sich trug.

„Jonny!"schrie Luna, als sie sah was passiert war. Jonny B. hatte keine Zeit zum Schreien, als er aus fünf Metern Höhe auf das Deck aufschlug.

Er lag in seinem eigenen Blut, das von immer neuen Wellen fortgespült wurde. Sofort kämpfte sich Luna durch die Wellen, die Crew und gegen den Wind, bis sich endlich neben ihm war. Er atmete noch ganz schwach, doch eine große Wunde am Kopf ließ nichts gutes hoffen.

Vorsichtig wurde er von einem starken Mann aufgehoben und unter Deck gebracht. Der Sturm war sofort zur Nebensache geworden. Es war, als wäre er plötzlich abgeschwächt, als er sein erstes Opfer gefunden hatte.

„Was ist mit ihm passiert?"rief Heather aufgeregt, als sie plötzlich von einer klitschnassen Luna geweckt wurde und sofort den bewußtlosen Jonny B. sah. Elliott schlief so fest, daß er es nicht einmal merkte, als Heather ihn mit all ihrer Kraft aus dem Bett schob und er auf dem Boden weiterschlief.

Jonny B. wurde vorsichtig auf das weiche Bett gelegt. Er sah furchtbar aus. Sein ganzes Gesicht war blutüberströmt und sein Atem ging nur noch sehr schwach. Sein Gesicht war an den sauberen Stellen furchtbar weiß geworden und aus seiner Wunde am Kopf strömte noch weiteres Blut.

Luna hatte Verbandsmaterial geholt und gemeinsam versuchten sie die fast ausweglose Situation zu meistern und ihr Herr zu werden. Immer wieder mußten sie die Verbände wechseln, weil sie schon nach kurzer Zeit völlig voller Blut waren.

Heather schiente ihm so gut es ging seinen rechten Arm, den er sich bei seinem Sturz schlimm gebrochen hatte. Die einzigen Lebenszeichen waren das kurze Stöhnen, wenn Heather oder Luna ihm wieder die Verbände wechselten. „Geh doch etwas schlafen", sagte Heather vorsichtig, als sie merkte, wie erschöpft Luna war. Sie war am Ende ihrer Kräfte und nur auf ihre Freundin hörte sie. An Deck war bisher alles ruhig geblieben. Als erster Maat hatte Mr. Miller Lunas Platz übernommen und beobachtete alles argwöhnisch an Deck, damit in dieser Nacht nicht noch ein schrecklicher Unfall passierte.

Obwohl das Schiff für mehr als dreißig Besatzungsmitglieder ausgestattet war, mußte Luna lange suchen, bis sie eine freie Kabine mit einem Bett fand. Sie ließ sich auf die harte Matratze gleiten und spürte jeden einzelnen Muskel, doch daran dachte sie nicht mehr, als sie während der frühen Morgenstunden endlich etwas Schlaf fand.

Schon als der Tag graute und Elliott völlig unausgeschlafen und mies gelaunt aufwachte, hing Jonnys Leben am seidenen Faden. Er hatte Fieber bekommen und glühte am gesamten Körper.

Obwohl Heather seine Wunden so gut es ging versorgt hatte, konnte Elliott den Anblick des verletzten Matrosen nicht ertragen und verschwand so schnell es ging an Deck. Heather rutschte mit dem Sessel ganz nah zu dem Bett und holte sich ein Buch, um sich die Zeit zu vertreiben, da sie wußte, daß sie sowieso nicht schlafen konnte, wenn es Jonny nicht in den nächsten Stunden besser gehen würde.

Ab und zu wischte Heather vorsichtig mit einem nassen Lappen über sein erhitztes Gesicht und hoffte immer auf eine Reaktion, doch die blieb immer aus. Sie lehnte sich in dem Sessel zurück und streckte sich. Langsam kroch die Sonne über den Horizont und verdrängte die letzten Gewitterwolken, als wäre in der letzten Nacht nichts passiert. Es schien als eine Art wieder Gutmachung angesehen werden zu können, doch je älter der Tag wurde, desto schöner wurde er.

Luna ließ sich bis zum späten Vormittag nicht sehen und nur Elliott, der Heather etwas zum Frühstücken brachte, erzählte ihr mit besserer Laune, was alles vorgefallen war.

Die Schaluppe hatte zwar den Sturm gut überstanden, doch im Laderaum war ein kleines Loch entdeckt worden. Dies wurde nur beseitigt und schon nach ein paar Stunden verschwendete niemand mehr einen Gedanken daran.

Luna kam kurz vorbei, um zu sehen, wie es Jonny B. ging, doch Heather konnte ihr keine erfreuliche Nachricht mitteilen. Sein Zustand war seit seinem Sturz unverändert. Sein Fieber war noch in den Morgenstunden zurückgegangen, doch er war bisher noch nicht zu Bewußtsein gekommen.

Luna war die erste, die die schreckliche Wahrheit aussprach.

„Er wird also nicht wieder gesund werden?"fragte sie vorsichtig und sah auf den schlafend scheinenden Körper.

„Sieh mal. Ich war an Deck nicht dabei, doch nach seinen Verletzungen zu urteilen - und ich bin weiß Gott kein Arzt – sieht es nicht sehr gut um ihn aus, wenn wir das mal vorsichtig formulieren wollen. Außerdem wissen wir nicht, welche inneren Verletzungen er hat", sagte Heather, als es plötzlich klopfte. Matthew trat kurz danach ein.

„Ich habe von der Mannschaft gehört, was passiert ist. Wenn ich irgendwie helfen kann?"fragte er.

„Nein, danke. Ich denke, wir können selbst nicht viel tun", sagte Luna und zog Elliott und Matthew mit sich, als sie wieder an Deck ging.

Heather nahm erneut den nassen Lappen und wischte vorsichtig über Jonnys Gesicht. Bisher war er ihr nicht groß aufgefallen. Er war ein eher ruhiger Mensch und in sich gekehrt, doch als er so vor ihr lag, mußte sie ihn einfach in ihr Herz schließen.

„Eigentlich hast du es gar nicht so schlecht, Jonny!"sagte sie und setzte sich wieder. Sie langte mit ihrer heilen Hand über den Tisch und ergriff die Weinflasche. Ein, zwei Tropfen kamen noch heraus, doch sie schien enttäuscht und sah ihn grimmig an. „Gib's doch zu, du liegst hier einfach faul rum und trinkst meinen Wein. Warte kurz, ich hole mir eine neue Flasche!"rief sie und war auch schon verschwunden. Außer Atem kam sie kurze Zeit später wieder und warf sich in den Sessel.

„Eigentlich trinke ich nicht", sagte sie „doch auf dein Wohl!"Sie entkorkte die Flasche, nahm einen tiefen Schluck und verschluckte sich.

„Furchtbar", krächzte sie, als sie endlich wieder Luft bekam und stellte die Flasche weit von sich weg.

„Zu Wein kann man mich noch rumkriegen, doch bei Rum hört mein guter Geschmack auf. Ich frage mich immer, wie manche Männer so viel davon trinken können?"fragte sie ihn und rutschte auf den Sessel herum. Sie suchte eine bequemere Position, bis sie endlich eine gefunden hatte: das eine Bein war angewinkelt, das andere hing links über die Lehne und baumelte frei in der Luft. Die Arme verschränkte sie vor ihrem Oberkörper und den Kopf ließ sie einfach hinten auf der Lehne liegen.

„Meine Großmutter hat auch immer sehr viel trinken können, doch dann war sie stundenlang nicht mehr ansprechbar. Ich sag dir, das war furchtbar, denn manchmal wußte man einfach nicht, ob sie betrunken war oder nicht und wenn nicht, dann verstand sie keinen Spaß und legte jedes Wort auf die Goldwaage. Zum Glück hat sie mir nur ihren Säbel vererbt. Jaja", sie rutsche weiter auf dem Sessel herum, da es immer noch nicht sehr bequem war und erzählte weiter. „Ich wäre gern als ganz normales Mädchen aufgewachsen. Obwohl die Piraterie für ein Mädchen sehr interessant war und mich nicht in irgendwelche Traditionen und Zwänge gesteckt hat, doch manchmal wollte ich einfach in einem großen hellen Haus wohnen und nicht in der engen Kajüte auf der Morning Star. Das Schiff war ganz nett, doch tagtäglich ödet es einen an. Ich konnte nie mit anderen Kindern spielen und durch verwinkelte Gassen laufen, obwohl... ich muß gestehen ich bin oft durch dunkle Gassen gelaufen. Meistens an der Hand meiner Mutter, die sich aus irgendwelchem Schlamassel retten mußte und mich an ihrem Rockzipfel hatte. Es ist furchtbar ohne Vater aufzuwachsen, kennst du das? Ach, ich erzähle dir gerade meine ganze Lebensgeschichte und wahrscheinlich interessiert sie dich gar nicht...Meine Mutter war eine miserable Piratin, das muß ich zugeben. Sie wäre ein besseres Dienstmädchen geworden, doch natürlich mußte sie die Morning Star übernehmen, schließlich war sie das einzige Kind von Morgan und William...jaja...deshalb haben sie sie auch irgendwann geschnappt und aufgehängt."

Sie schwieg kurz und sah durch den Raum, ehe sie wieder anfing.

„Aber ich habe sie geliebt! Wer liebt seine eigene Mutter schon nicht? Doch heute habe ich eine ganz andere Beziehung zu ihr. Vielleicht auch weil sie tot ist...nein, auch so. ich sehe sie nicht mehr mit den Augen eines zehnjährigen Mädchens, sondern mit meinen Augen. Damals habe ich ihr bedingungslos vertraut, doch heutzutage sehe ich, daß sie nichts als Probleme hatte, die sie auch als normale Frau, also nicht als Piratin, vielleicht nicht alle gemeistert hätte, aber so. Ich muß sagen, sie tut mir leid. Ich rede zuviel von mir...Ach, wußtest du eigentlich, daß wir Dark Brown verfolgen. Luna ist wirklich verrückt ihn mit dieser Schaluppe zu verfolgen und zur Strecke bringen zu wollen!"sie lachte bis ihr Tränen kamen und durch diesen Schleier merkte sie, wie sich Jonny plötzlich bewegte.

Ihre Fröhlichkeit war sofort verflogen und ihr Mund klappte auf, als er sie klar ansah und sagte: „Es ging ein Gerücht um, aber wir waren uns nicht sicher, ob der Cäptn wirklich so verrückt wäre!"

Heather setzte ein Lächeln auf, doch sie mußte sich erst sammeln.

„Du großer Gott! Wie lange hörst du mir schon zu?"fragte sie panisch.

„Eine Weile!"meinte er nur lächelnd und richtete sich etwas auf.

Heather war sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte, deshalb setzte sie ein unbeteiligtes Gesicht auf und drückte ihn sanft aber bestimmt zurück in die Kissen.

„Du bleibst am besten liegen. Die Wunde an deinem Kopf ist sehr schlimm." Sie nahm der Lappen und begann über sein Gesicht zu wischen, ohne auf sein schelmisches Lächeln zu achten. Sorgsam wusch sie ihm auch den heilen Arm, bis sie von seinem Anstarren ganz wirr wurde.

„Was soll das?"fragte sie und nahm schnell die Schale mit dem Wasser, die sie auf den großen Schreibtisch stellte, nur um etwas zu tun zu haben.

„Ich mache überhaupt nichts!"sagte er, doch er sah sie weiter an, als sie sich wieder umdrehte.

„Du", sie zeigte mit dem Finger auf ihn „sagst niemanden etwas davon, klar?"fragte sie, doch er ging nicht darauf ein. Er sah sich ihre verletzte Hand an und berührte sie behutsam.

„Was hast du gemacht?"fragte er.

„Ich habe mich geschnitten."

„Womit?"

„Mit einer Weinflasche."

„Ich dachte, du trinkst nicht viel?"fragte er sie und von diesem Verhör völlig überrumpelt, blieb ihr der Satz im Hals stecken. Sie konnte ihn nur fassungslos ansehen und nichts sagen.

Sie war ihm nicht böse. Er verwirrte sie durch seine vielen Fragen zutiefst und obwohl sie ihn vielleicht gerade mal ein paar Minuten richtig kannte, fühlte sie sich ihm sehr verbunden.

„Ich gehe am besten Luna...ich meine den Cäptn...also, ich gehe sie holen", stotterte sie verwirrt und verließ schnell die Kajüte. Luna erkannte ihren verwirrten Gesichtsausdruck sofort und kam auf sie zu.

„Was ist passiert?"fragte sie ihre Freundin.

„Er ist aufgewacht", sagte sie. „Er ist wahrscheinlich aufgewacht, als ich ihm in meiner Verwirrtheit meine gesamte Lebensgeschichte erzählt habe!"

„Du hast was? Dieser Kerl ist todkrank und du langweilst ihn mit deiner Lebensgeschichte, ich glaub es nicht!"

„Es geht ihm scheinbar ganz gut. Was kann ich dafür, wenn er davon wach geworden ist!"rechtfertigte Heather sich und stapfte wütend davon. Luna folgte ihr in die Kapitänskajüte und sah sich den Verletzten an. Dieser lag immer noch ruhig in seinen Kissen und lächelte die beiden Mädchen keck an.

„Warum macht ihr soviel Aufsehen um mich?"fragte er sie.

„Weil du aus fünf Metern Höhe mitten auf das Deck geknallt bist! Reicht dir das als Antwort?"zischte Luna und wandte sich dann Heather zu.

„Du hast sowieso nichts zu tun. Bleib am besten bei ihm!"

Sie ging wütend zur Tür und öffnete diese. „Ach, und keine weiteren langweiligen Geschichten!"befahl sie und kehrte an Deck zurück.

„Du meine Güte, wie ist die denn drauf?"fragte Jonny, als Luna die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Hat wenig geschlafen..."nuschelte Heather nur und stellte sich an das große Fenster. Sie hörte, wie Jonny sich im Bett bewegte und die Decke raschelte, doch sie mußte kurz ihre Gedanken ordnen.

Sie kannte Lunas aufbrausende Art. Sie kam und ging wie die Gezeiten, doch wenn Heather sie abbekam, war sie, obwohl sie darauf gefaßt war, immer wieder konfus.

Sie seufzte und drehte sich zu Jonny um. Heather erschrak, als sie sah, was er vorhatte und lief ihm schnell entgegen. Er hatte sich aus dem Bett gequält und stand nun auf wackeligen Beinen im Zimmer.

„Was soll das?"fragte sie und stützte ihn. Mit aller Kraft legte sie ihn wieder in das Bett und deckte ihn vorsichtig zu.

„Mensch, willst du vielleicht heute noch auf das Rahsegel klettern?"fragte sie ihn und löste vorsichtig die Bandage von seinem Kopf.

„Ich wollte nur sehen, ob ich schon wieder fit bin!"meinte er leise. Sie merkte ihm an, daß er sie nicht ärgern wollte.

„Ist schon gut", sagte sie leise und wusch mit sauberem Wasser vorsichtig die Wunde aus. Er zuckte durch die Schmerzen kurz zusammen, biß dann jedoch die Zähne aufeinander und sagte keinen Ton mehr. Anschließend wickelte sie eine neue Bandage um seinen Kopf und schüttete das blutige Wasser aus dem Fenster ins Meer.

Danach setzte sie sich wieder in den Sessel und sah ihn erwartungsvoll an.

„Und?"fragte sie schließlich.

„Was und?"fragte er zurück. Er schien nicht zu wissen, worauf sie hinaus wollte.

„Fragst du dich nicht, warum wir Dark Brown durch die ganze Karibik verfolgen?"fragte sie. „Immerhin ist er einer der gefürchtetsten Piraten hier."

„Es wird wohl Gründe dafür geben. Und wenn dieser Grund nur ein Säbel ist."

„Du hast mir aber sehr gut zugehört", sagte sie und schnappte sich einen Apfel vom Tisch. Sie biß herzhaft hinein, so daß der Saft überall hin spritzte.

„Hast du Kopfschmerzen?"fragte sie ihn nach einiger Zeit.

„Furchtbare!"

„Kannst du gut atmen?"

„Ich bekomme kaum Luft!"

„Und schmerzt dein Arm sehr?"

„Ich spüre ihn fast nicht mehr."

„Also, ich würde mal sagen, daß du dir auch ein paar Rippen gebrochen hast, aber das kann sicher ein Arzt besser sagen. Ich werde Luna sagen, daß wir in einem Hafen anlaufen sollen, um nach einem Arzt zu suchen."

„Wo ist denn das Ziel dieser Reise?"fragte er.

„Wir vermuten Dark Brown auf Saba oder St. Eustatius. Wir werden wahrscheinlich in Martinique oder Dominica anlegen können, ohne viel Aufsehen zu erregen. Immerhin ist dies nicht unser Schiff, aber die beiden Inseln gehören zum Glück den Franzosen und die hassen gwöhnlicherweise die Engländer."

„Bist du aus England gekommen?"fragte er sie.

„Großer Gott, nein. Ich bin zwischen Madagaskar und Mauritius zur Welt gekommen und ich habe England noch nie in meinem Leben betreten, obwohl mein Großvater und auch meine Großmutter von dort kamen. Ich bin ziemlich froh, daß ich nicht in diesem dreckigen Loch namens London leben mußte", sagte sie und biß erneut von dem Apfel ab.

„London kann manchmal ganz schön sein", erwiderte er. „Ich bin in einem Vorort von London geboren und habe dort gelebt, bis ich zwölf war. Uns ging es nicht sehr gut und deshalb haben wir es in der neuen Welt versucht. Du siehst ja, was daraus geworden ist!"

Hatten beide ein Gesprächsthema gefunden, konnten sie sich nicht voneinander losreißen. Nur zweimal verließ Heather die Kajüte. Einmal um etwas zum Essen zu holen und einmal um Elliott zu suchen, den sie nicht vernachlässigen wollte, doch er hatte sich mit Matthew in eine ruhige Ecke gesetzt und sie spielten Karten.

Nachdem Heather Luna von dem Plan erzählt hatte, eine Insel anzulaufen, um einen Arzt zu konsultieren, war es so, als ob nichts zwischen den beiden vorgefallen wäre. Luna änderte sofort den Kurs und die Schaluppe nahm Kurs auf Martinique.

Sie würden die Insel am nächsten Nachmittag erreichen.