Martinique

„Wir werden uns ganz normal benehmen. Am besten nehmen wir Elliott und Matthew mit. Die beiden kennen sich noch am besten mit feinen Manieren aus!"sagte Luna. Sie verließ kurz die Kajüte und kam kurze Zeit später wieder zurück. „Die beiden suchen sich Uniformen der Soldaten aus. Sie werden uns begleiten."

Luna stellte sich hinter Heather und stemmte ihren Fuß gegen Heathers Rücken.

„Willst du mir die Rippen brechen!"rief Heather entsetzt, als Luna ihr endlich das Korsett zuband.

„Sei froh, daß einige Soldaten Kleider für ihre Frauen als Geschenke mitgenommen haben, sonst hätten wir jetzt nichts zum anzuziehen", sagte Luna und setzte sich einen eleganten Strohhut auf ihre schwarzen Haare.

Heather rang immer noch um Luft, doch sie schaffte es schließlich sich das Kleid überzuziehen und ließ Luna es zuknöpfen. Mit einem Fächer begann Heather sich kühle Luft zu zu wedeln, doch schon jetzt spürte sie, wie das unbiegsame Kleidungsstück ihre Knochen aufs äußerste strapazierte.

„Du hast es viel zu eng geschnürt!"beschwerte sie sich bei Luna, als diese vor ihr die beiden Treppen hochging. Sie mußten sich in einer der unteren Kajüten umziehen, da Jonny B. immer noch in der Kapitänskajüte lag.

„Ich bin etwas aus der Übung gewesen!"rechtfertigte sich Luna und trat in die gleißende Sonne an Deck. Die Mannschaft starrte die beiden kurz an und erkannten ihren Cäptn kaum wieder.

„Mr. Miller! Sie haben das Kommando an Bord, solange wir in der Stadt sind", sagte Luna und ging etwas undamenhaft die Brücke hinunter. Unten warteten schon Elliott und Matthew, denen die vornehmen Soldatenuniformen wirklich gut standen.

Elliott hielt Luna die Hand hin, doch sie achtete nicht einmal auf ihn, als sie die Brücke verließ.

Elliott sah ihr etwas unglücklich nach, doch als Heather endlich erschien hellte sich sein Blick wieder auf.

„Du siehst umwerfend aus", sagte er und hielt ihr den Arm hin. Sie ergriff ihn wie ein Ertrinkender sich an einen Holzstamm klammerte.

„Mich bringt diese neue englische Mode noch um!"zischte sie und fächerte sich hektisch Luft zu. „Luna hat es viel zu eng geschnürt! Ich bekomme kaum Luft!"beschwerte sie sich bei Elliott, doch er antwortete nur : „Du siehst umwerfend aus!"

Heather warf ihm einen verächtlichen Blick zu und gemeinsam machten sich die vier auf den Weg in Richtung Innenstadt.

Hier und da wurden den Vieren verächtliche Blicke zugeworfen, denn die Uniformen der englischen Soldaten kannte hier jeder. Doch Heather und Luna wurden von den Frauen mit hochschätzenden Blicken geehrt. Die Mode in dieser französischen Kolonie war ähnlich derer, die zur Zeit in England herrschte und so waren Heather und Luna sehr modern gekleidet.

„Am besten holt ihr beide den Arzt und wir werden uns um etwas frische Obst und Gemüse für die Mannschaft kümmern", entschied Luna und zog Matthew mit sich, der kaum mehr als ein Wort gesagt hatte. Luna hatte ihm bevor sie an Land gegangen waren die Ohren gewaschen, daß er ja nicht versuchen sollte zu fliehen.

„Ich war schon lange nicht mehr so gerne in einer Stadt", sagte Heather, während sie gemeinsam durch die schattigen Gassen schlenderten.

„Ich komme mir vor, wie die Frau des Gouverneurs. Überall beachten dich die Menschen und grüßen dich. Niemand würde wagen ein Wort gegen mich zu erheben, wie es in Port Royal war."

„Heather, das ist aber nicht unsere Welt."

„Ich weiß, aber ich möchte diesen Augenblick so lange wie möglich genießen, Elliott. Also, machen wir uns auf die Suche nach einem Arzt. Wahrscheinlich kann der dann auch gleich meine Rippen reparieren."Sie seufzte und zog etwas an ihrem Kleid. Selbst in den schattigen Gassen stand ihr der Schweiß auf der Stirn und sie konnte nur schlecht atmen. Sie mußte sich immer wieder an Elliott festhalten, um nicht ohnmächtig zu werden.

„Ich halte das kaum mehr länger aus!"sagte sie und wünschte sich, daß sie den Arzt schneller finden würden, bis sie plötzlich vor einem Schild stehen blieben, auf der ein Arzt seine Künste anpries. Elliott war sich nicht sicher, ob sie diesen nehmen sollten oder noch etwas weitersuchen sollten, doch Heather entschied sich sofort für diesen.

Nachdem sie mit dem Arzt kurz über die Bezahlung gesprochen hatten, gingen die drei zurück zum Schiff.

„Wir werden beide nehmen, denke ich", sagte Luna und lud Matthew noch einmal einen ganzen Sack Kartoffeln und einen Sack Mohrrüben auf. Dieser ächzte unter dem Gewicht, doch er sagte nichts.

Luna war gerade dabei zu bezahlen und gab dem Verkäufer sein Geld, als plötzlich jemand ihre Hand packte. Sie drehte sich um und sah eine Gruppe von französischen Soldaten.

„Guten Tag, Miss! Wir haben Grund zu der Annahme, daß sie mit Piraten im Bund stehen", sagte der Soldat, der sie festhielt.

Luna war das Blut aus dem Gesicht gewichen, doch solange dieser Soldat ihren Ärmel nicht hochschob, hatte sie keinen Grund zur Angst.

„Ach, wirklich! Und woher haben sie ihre...Gerüchte?"fragte sie ihn hochnäsig.

„Von einer sicheren Quelle", sagte der Soldat schnell und riß ihr, ohne daß sie sich wehren konnte, ihren Ärmel hoch. Die Brandmarkung als Pirat war deutlich zu erkennen und die umstehenden Bürger zogen erschrocken die Luft ein.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, rammte sie dem Soldaten ihr Knie in den Magen, schnappte sich ihr Geld, das der Verkäufer immer noch in der Hand hatte, zog Matthew mit sich und rannte geduckt, wegen der Schüsse der Musketen, über den Platz. In einer Seitengasse ließen sich Matthew und Luna gegen eine Wand fallen und verschnauften kurze Zeit.

„Ich hätte...nie gedacht...daß mir einmal so etwas...passieren würde", sagte sie außer Atem und stand wieder auf.

„Wir müssen zurück zum Schiff!"Unter dem verblüfften Gesicht von Matthew riß sie ihr Kleid auseinander und ließ die edle Arbeit einfach in den Dreck fallen. Darunter trug sie eine Hose und zwei Pistolen, die sie an ihren Oberschenkeln befestigt hatte. Sie gab Matthew eine, dem immer noch der Mund offen stand.

„Trägst du das immer mit dir herum?"fragte er vorsichtig.

„Ich hatte heute morgen schon so eine Ahnung. Nenn es weibliche Intuition oder so. Wir müssen versuchen an den Soldaten vorbeizukommen und auf das Schiff zu gelangen."

Ohne ein weiteres Wort machte sie sich geduckt auf den Weg in Richtung Hafen.

Immer wieder mußten sie sich den Weg freischießen. Sie lagen oder saßen hinter einer kleinen Mauer, schossen, luden nach, schossen erneut und luden wieder nach. Als Luna irgendwann das Schwarzpulver ausgegangen war, hatten sie keine anderen Wahl.

Luna hatte noch eine Handgranate, die sie zündete und zur Ablenkung benutzte. Sie und Matthew liefen los und gemeinsam erreichten sie die Hafenmauer ohne große weitere Zwischenfälle. Hier und da wurden sie von Soldaten beschossen und mußten sich hinter Fässern und Kisten verstecken, doch die Soldaten waren sehr schlechte Schützen.

Als Luna und Matthew zum letzten Schlußspurt ansetzten kam ihn ein Mann entgegen, der zufrieden sein Geld zählte. Er sah den beiden, die gerade an ihm vorbeigerannt waren, verwundert hinterher. Sie liefen auf eine Schaluppe zu und rannten um ihr Leben, als wäre der Teufel hinter ihnen her.

Luna war der Hut vom Kopf geflogen und segelte langsam in die schleimige Hafenwasserbrühe.

Schon von Weitem sah sie Mr. Miller und rief : „Lichtet den Anker! Setzt die Segel! Lichtet den Anker! Setzt die Segel!"

Matthew und Luna rannten die Brücke hoch und rutschten hinter die Reling. Außer Puste saßen sie dort und verschnauften erst einmal.

Die Crew hatte sofort auf Lunas Befehle reagiert und blitzschnell war die Glourious aus dem Hafen geschippert.

„Das war aber höchste Zeit", meinte Elliott, als Luna und Matthew endlich wieder normal atmen konnten.

„Woher sollte ein Franzose wissen, daß ich ein Pirat bin?"fragte sich Luna, während sie zum Steuerrad ging. Elliott, der ihr gefolgt war, fand auch keine Antwort. Gemeinsam standen sie dort oben und sahen in die untergehende Sonne.

Nun nahmen sie endlich Kurs in Richtung Saba und St. Eustatius. Elliott erzählte Luna beiläufig, daß sie einen Arzt gefunden hätten und daß dieser Jonnys Verletzungen behandelt hätte.

„Wo ist Heather?"fragte Luna.

„Sie ist nach unten gegangen und wollte sich etwas ausruhen. Sie sah wirklich nicht gut aus. Vielleicht hast du das Korsett wirklich etwas zu eng geschnürt!"

„Ach, so etwas kann man doch leicht aushalten. Sie hätte keines anziehen brauchen. Warum hat sie es nicht so wie ich gemacht?"fragte Luna ihn leicht gereizt.

„Du kennst dich auch wirklich nicht mit Kleidern aus!"meinte Elliott. „Manche Kleider sind extra so eng geschnitten, daß man sich einschnüren muß, um sie überhaupt anziehen zu können."

„Aber du kennst dich wirklich gut damit aus", sagte Luna sarkastisch.

„Ja! Und da es nur zwei Kleider an Bord gab, war es von Heather doch wirklich nett, das unbequemere anzuziehen!"sagte Elliott wütend und ging weg.

Matthew trat völlig verschwitzt ins Innere des Schiffes, als er ein lautes Rumpeln hörte. Neugierig wie er war, machte er sich auf die Suche nach der Ursache des Geräusches, obwohl er sich lieber etwas anderes angezogen hätte. Das Rennen in der heißen Mittagssonne hatte ihn erschöpft, doch er wollte unbedingt wissen, woher das Geräusch gekommen war.

Er stieg die Treppe zur zweiten Ebene hinab und horchte, doch alles war ruhig. Die meisten Männer waren an Deck und er wußte von keinem, der sich in seiner Kajüte aufhielt.

Langsam ging Matthew weiter und öffnete eine Tür nach der anderen, doch er fand nichts, was das Geräusch hätte verursachen können. Plötzlich tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Er erschrak, doch es war nur Elliott.

„Was machst du?"fragte Elliott. Beim Kartenspielen am vorigen Nachmittag hatten sich die beiden auf das Du geeinigt, solange sie noch zusammen auf dem Schiff waren.

„Ich habe ein Geräusch gehört. Es hörte sich an, als ob etwas großes umgefallen wäre, aber bisher habe ich nichts gefunden und alle anderen sind noch oben an Deck", erwiderte er.

„Ja, nur Heather hat sich hingelegt. Vielleicht ist sie aus dem Bett gefallen", meinte Elliott. „Ich denke, wir sollten mal nachgucken gehen."

Zusammen stiegen sie noch eine weitere Leiter hinunter und gingen bis zur Kajüte, die sich Luna und Heather zur Zeit teilten.

Leise öffnete Elliott die Tür und spähte in das dunkle Zimmer. Er erkannte nichts, bis er die Tür weiter aufstieß und das Licht der Laternen auf dem Gang in das Zimmer schien.

„Heather!"rief Elliott aufgeregt, als er seine Freundin auf dem Boden liegen sah. „Was hat sie?"er sah Matthew hilflos an. Dieser schob sich an Elliott vorbei und kniete sich neben Heather.

„Sie ist in Ohnmacht gefallen", sagte er und begann ihr Kleid zu öffnen. Er zog es ihr so weit herunter, daß er zu dem Korsett gelangte. Dann verlangte er von Elliott das Messer, das dieser bei sich trug und durchschnitt die Schnüre.

Wie befreit schnappte Heather nach Luft und kam langsam wieder zu sich. Sie setzte sich geschwächt auf und sah die beiden Männer an.

„Was ist passiert?"fragte sie mit krächzender Stimme.

„Das Korsett war zu eng und du bist in Ohnmacht gefallen", sagte Elliott und kniete sich neben sie. Er nahm sie stürmisch in die Arme und ließ sie erst wieder los, als sie erneut um Luft rang.

Gestützt von Elliott stand sie auf. Sie schüttelte ihr Kleid und das Korsett nun ganz ab und stand im Unterkleid vor den beiden.

„Ich danke euch. Ich schwöre, ich werde nie wieder ein Korsett anziehen, solange ich lebe", sagte sie und rieb sich die schmerzenden Rippen.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, dann werde ich mich jetzt hinlegen. Bei mir im Kopf dreht sich alles", sagte sie ging zum Bett. Sie legte sich hinein und Matthew und Elliott ließen sie alleine.