So gingen sie alle ihren Beschäftigungen nach, bemühten sich, in der Schule nicht plötzlich das Fliegen anzufangen oder klebrige Netze zu versprühen, und in der Nacht in von Flora geschneiderten Kostümen die Welt zu retten. Sie liebte es, wenn ihre drei Ältesten (Saudi Arabien und Wörthersee ließ sie noch nicht nachts in der Stadt herumstreunern) ausflogen/ -hangelten/ -fuhren, um das Böse zu bekämpfen. Sie sahen so wahnsinnig schick aus, obwohl Seoul sich rundweg geweigert hatte, einen Umhang zu seinem Kostüm anzuziehen. Er sah in dem engen Anzug aber auch so sehr gut aus.
Kentucky, Seoul und Maastricht waren bereits in der Oberschule und Saudi Arabien sollte nach diesem Sommer auf die gleiche Schule gehen, als gegen mitte Juli ein seltsamer Brief per Eule zugestellt wurde. Er war adressiert an
Hr. Saudi Arabien Fauna
Heldenweg 13
zweites Zimmer links im fünften Stock
am Stadtrand von London
Versiegelt war er mit einem roten Wappen aus Wachs, auf dem ein verschnörkeltes H zu erkennen war. Es war die Einladung auf die berühmte (obwohl Floras Familie noch nie etwas davon gehört hatte) Zauberer- und Hexenschule Hogwarts.
Am 1. September wurde Saudi Arabien von seiner Mutter und seinen Geschwistern zum Bahnsteig gebracht. Flora war der Meinung, daß keines ihrer Kinder dieses einmalige Erlebnis verpassen durfte, weswegen sie den betroffenen Schulen geschrieben hatte, daß ihre Kinder allesamt einen schweren Anfall von Faulritis, einer neuen und bisher noch kaum erforschten Krankheit, bekommen hätten und erst am darauffolgenden Tag das Schuljahr beginnen konnten.
Saudi Arabien hatte sich zusammen mit seiner Mutter Gedanken um seinen Namen gemacht. Beide waren sich einig, daß ein zukünftiger Mädchenschwarm und gefürchtetster Schüler einer Magierschule einen wohlklingenderen Namen brauchte als „Saudi Arabien Fauna". Flora war mit dem Nachnamen „Snape" aufgefahren. Sie hatten im Sommer eine Reise mit dem Zug quer durch England gemacht, und auf dem Rückweg nach London hatte sie einen Ort entdeckt, der so hieß. Saudi Arabien war begeistert gewesen, solch ein wütender Name paßte wunderbar zu dem Image, das er sich aufbauen wollte. Maastricht schließlich hatte auf seinem Schüleraustausch nach Augsburg ein Jahr zuvor einen deutschen Jungen mit Namen Severin Rampelshammer kennengelernt, der sie im Sommer zwei Wochen besucht hatte. Da er ein sehr netter Junge war und sein Name allen gefiel, beschloß die Familiensitzung einstimmig, daß Saudi Arabien in Hogwarts als „Severin Snape" bekannt sein sollte. Flora schrieb dem Direktor der Schule einen höflichen Brief mit der Bitte, diese Namensänderung in seinen Unterlagen zu vermerken, was gerne gewährt wurde.
So halfen ihm seine älteren Brüder, den schweren Koffer in den Zug zu heben, was für Kentucky ein leichtes war. Wörthersee gab ihm ein Kätzchen aus dem neuesten Wurf ihrer Lieblingskatze mit, wobei sie sich weinend an ihn klammerte, da sie ihn sehr vermissen würde. Auch Flora rannen Tränen über die Wangen. Damit hatte sie nicht gerechnet, daß eins ihrer Kinder auf ein Internat gehen würde und nur in den Ferien heimkam. Als der Zug abfuhr, liefen alle fünf wie wild neben dem Zug her und winkten, bis er in der Ferne verschwunden war.
Saudi Arabien in der Zwischenzeit hatte sich zu dem netten Jungen gesellt, den er beim Einkaufen eine Woche vorher kennengelernt hatte. Er hatte weißblondes Haar, braune Augen und hieß Henry. Seine Eltern hatten ihnen geholfen, in die Diagon Alley zu kommen, und dann auch beim Einkaufen. Außerdem hatten sie ihnen erklärt, wie man zum Bahnsteig 9¾ kommt. Henry hatte zwei jüngere Schwestern, die beide außerordentlich hübsch waren. Saudi Arabien gefiel die Rothaarige am besten, sie war zwar erst fünf, aber sehr süß, und man konnte jetzt schon ahnen, daß sie einmal eine Schönheit sein würde. Auch die Mutter war perfekt. Sie war Französin und sprach mit einem wundervollen Akzent englisch. Flora und sie hatten sich eine ganze Weile auf französisch über einen Film unterhalten, dessen Hauptakteur sie beide absolut göttlich fanden. Henrys Vater hatte ganz langes Haar und trug in einem Ohr einen Ohrring mit einer Spinne dran, der es besonders Seoul angetan hatte.
„Meine Schwestern haben sich fast die Augen ausgeheult, weil ich jetzt so weit weg wohne. Weiber!" sagte Henry zu Saudi Arabien, den er nur unter dem Namen Severin kannte.
„Meine kleine Schwester auch! Weiber!" bekräftigte Saudi Arabien, der sich ab jetzt nur noch Severin nennen wollte.
Severin hatte viel über Hogwarts gelesen, nachdem er den Brief bekommen hatte. Er wollte vorbereitet sein, um sein Image aufbauen zu können. Er weihte Henry in seinen Plan ein, der ihm versprach, ihm zu helfen.
„Ich wette, ich komme nach Gryffindor, meine ganze Familie war bis jetzt dort gewesen. Außer meiner Mutter natürlich, die war aber gar nicht in Hogwarts. Und mein Onkel Draco, der war in Slytherin, ist aber auch nur angeheiratet."
„Ich muß unbedingt nach Slytherin", sagte Severin, „dort kommen die ganzen Fieslinge her. Ich hab in Hogwarts – A New History zwar gelesen, daß das neuerdings nicht mehr so ist und die Häusergrenzen ziemlich verwischt sind, aber trotzdem muß ich unbedingt in Slytherin landen!"
„Cool, zwischen Slytherin und Gryffindor gibt es immer noch so alte Fehden bzw. Sticheleien. Zwischen den beiden Häusern gibts auch die wenigsten Freundschaften, also wenn wir in den beiden Häusern landen, können wir uns immer anfeinden und so tun, als könnten wir uns nicht leiden. Du kannst fies zu mir sein, und ich nehms dir nicht übel, und das würde deinem Ruf sicher guttun!"
„Okay!" Die beiden schlugen darauf ein.
Bei der Einordnungszeremonie in die vier Häuser wartete Severin ungeduldig, daß er an die Reihe kam. Schließlich wurde sein Name aufgerufen, und einige der Lehrer sahen ihn neugierig an. Besonders ein älterer Mann mit Haar, das schon mehr grau als hellbraun war und extrem schäbigen Roben, stierte ihn förmlich in Grund und Boden. Er setzte sich den Hut auf den Kopf, und dieser begann in seinem Kopf zu sprechen.
„Aha... was haben wir denn da... ich würde dich spontan nach Ravenclaw weisen."
‚Nein nein!' dachte Severin. ‚Ich muß nach Slytherin!'
„Hmmm – aber Slytherin paßt gar nicht zu dir. Früher einmal, ja... aber jetzt? Nein, jetzt bist du anders, ganz anders..."
‚Ich MUSS aber nach Slytherin, verstehst du das nicht, du dummer Hut!'
„Wie wärs mit Gryffindor? Tapferkeit ist eine deiner Stärken, wie ich sehe..."
‚Kruzitürken noch einmal! Wenn du mich nicht nach Slytherin gibst, schreib ich meiner Mama!'
Der sprechende Hut, der in Severins Kopf genau sehen konnte, was seine Mutter mit ihm anstellen würde, wenn er ihren Sohn in ein Haus stecken würde, in das er nicht wollte, entschied unter diesen Umständen lieber „SLYTHERIN!". Severin lief unter tosendem Applaus zu seinem Tisch, wo er schulterklopfend empfangen wurde.
Als Henry dran war, bibberte Severin mit ihm, daß er nach Gryffindor kommen würde, was glücklicherweise auch geschah. Nach dem großen Festessen trafen die beiden wie zufällig aufeinander, als sie aus der großen Halle gingen.
„Na, Wiesel! Heulst du schon nach deiner Mami?"
„Fest steht auf jeden Fall, daß deine nicht nach dir heult, Ape!" (Diese genialen Spitznamen füreinander hatten sie sich im Zug ausgedacht.)
Die Wochen zogen ins Land. Weil Severin und Henry sich in Wirklichkeit sehr gerne mochten, fingen sie an, sich gegenseitig Briefe auf französisch zu schicken und sie mit Mädchennamen zu unterschreiben. Severin nannte sich Nicole, und Henry nannte sich Claire. Per Brief, die Severins Katze Tusnelda vom einen zum anderen brachte, heckten sie die unmöglichsten Streiche aus und kamen immer davon, weil die Lehrer nach einem Lausbubenpaar suchten aber nicht auf die Idee kamen, daß es gerade die beiden „Erzfeinde" waren. Ihre Familien wußten natürlich bescheid, und so verbrachten sie die meisten Ferien zusammen entweder bei der Familie Weasley oder der Familie Fauna.
Severin hatte sich schon bald einen Namen als mysteriöser, undurchsichtiger Bösewicht gemacht, der nichts gutes im Schilde führte. Natürlich hatte er ein paar Freunde gefunden, denen er blind vertrauen konnte, und die wurden natürlich in sein kleines Geheimnis eingeweiht. Ansonsten dachte die ganze Schule, er sei der nächste Lord Voldemort. Lange Zeit blieb er für sein Alter extrem klein und dünn, wohingegen Henry mit 14 schon stattliche 1,80 m groß und mit seinem langen blonden Schopf und dem Totenkopfohrring der Mädchenschwarm schlechthin war. Doch mit etwa siebzehn bekam auch Severin einen Wachstumsschub, und in dem neuen schwarzen Mantelumhang, den Flora ihm über den Sommer gemacht hatte, traf er zu seinem letzten Jahr in Hogwarts ein. Manch einem Mädchen blieb der Atem weg. Er trug seine schulterlangen Haare offen, seine muskulösen Beine steckten in schwarzen Seidenhosen, sein schwarzer Rollkragenpullover aus Cashmir ließ ihn noch größer erscheinen und der ausladende Mantel betonte nicht nur seine breiten Schultern, sondern wehte auch auf eine sehr coole Art und Weise hinter ihm, wenn er durch die Gänge streifte. Sie gafften ihm nach, und er wußte es. Sie verzehrten sich nach ihm, er grinste in sich hinein. Genau das hatte seine Mutter ihm prophezeit, und dank ihres unermüdlichen Trainings und der zahlreichen Tips, wie er sich bewegen, wie er seinen Kopf neigen, wie er seine Gesichtszüge in Form bringen mußte, um die Damenwelt durcheinanderzuwirbeln, gab es aber auch nicht eine, die sich nicht heimlich in ihn verliebte. Nach wie vor galt er als der Schrecken von Hogwarts, doch nun war er ein sehr interessanter Schrecken geworden.
