Severin war sehr zufrieden. Die ersten fünf Jahre seiner Karriere als Lehrer waren herausstechend gut verlaufen. Er war verschrien unter den Schülern, sodaß alle neuen Erstkläßler sofort wußten, mit wem sie es zu tun hatten, sein bester Freund hatte seine Schwester geheiratet (ein Plan, den die beiden seit Henrys 15. Geburtstag verfolgt hatten, als sie beschlossen hatten, sich gegenseitig Trauzeugen zu sein) und das erste Kind war unterwegs. Maastricht hatte sich mit der hübschen Rumänin verlobt, auf die Wörthersee so eifersüchtig gewesen war, und Catherine, Henrys jüngste Schwester, hatte ein Auge auf Seoul geworfen. Kentucky war zwar immer noch unglücklich verliebt in seine Partnerin, eine Fotografin, die die Bilder zu seinen Artikeln lieferte (er arbeitete bei einer unabhängigen Zeitung in London), aber mit Floras Know-how würde sich dieser Zustand bald in Wohlgefälligkeit auflösen. Er steckte schon mitten in hartem Training.
Für sich selbst hatte Severin die beste Zukünftige gefunden, die sich ein Mann wünschen konnte. Natalie Potter war die auserwählte, und er würde sie heiraten, sobald sie mit der Schule fertig war. Natürlich wußte das Mädchen noch nichts davon, aber das war ja auch nicht wichtig. Er hatte herausgefunden, daß sie wunderbar kochte (ähnlich wie seine Mutter), daß sie fleißig und ordentlich war, aber nicht zu ordentlich, daß sie liebevoll und anhänglich war, daß sie sich gern fürchtete und dann schutzsuchend an ihre Freunde schmiegte oder sich hinter ihnen versteckte, was er sehr süß fand, und daß sie aus tiefstem Herzen vor ihm Angst hatte. Er dachte sich, mit so einer Frau würde er ein wunderbares Leben führen. Sie würde irgendwann lernen, ihn zu lieben, da es in ihrer Natur lag, aber er würde ihr niemals erlauben, die Barriere der Angst vor ihm zu brechen, sodaß sie bei allen Streitigkeiten kuschen würde, ach was! es gäbe überhaupt keine Streitigkeiten!
Als er Henry von seinem Plan erzählte, schien dieser komischerweise nicht begeistert.
„Es wird dir langweilig werden, wenn du eine Frau hast, die dir immer nur nach dem Mund redet..." Sein Freund hatte eben keine Ahnung.
Als Natalie in ihrem siebten Schuljahr war, beobachtete Severin einen ihrer Klassenkameraden dabei, wie er ihr einen Kuß auf die Wange gab. Eifersüchtig zog er dem Jungen fünfhundert Hauspunkte ab, obwohl es sich um einen Slytherin handelte, und brummte Natalie für impertinentes und moralisch nicht vertretbares Verhalten eine Strafarbeit für die nächsten zwei Monate auf. Sie mußte in seinem Büro (welch Zufall, daß er gerade jetzt sehr viel zu tun hatte) Ordnung schaffen. Er beobachtete ihre kleine, zierliche Figur, wie sie mit dem Staubtuch über die leergeräumten Regale fuhr, wie sie Schubladen aus- oder wieder einräumte, wie sie vorsichtig um ihn herumschlich, um ihm ja nicht einen Mykrometer näher zu kommen, als unbedingt erforderlich, und wie sie Döschen, Flaschen und Gläser von den vergilbten Etiketten befreite und blendendweiße draufklebte, die in ihrer sauberen Handschrift erstrahlten. Manchmal hatte er wirklich das Bedürfnis, seine Arme um ihre schmale Taille zu wickeln (das ging sicher drei- bis viermal), sie fest an sich zu ziehen und ihr den Schutz zu geben, den sie brauchte. Er wollte gerne nett zu ihr sein, aber das hätte seinem Image als Bösewicht geschadet, und dann wäre die Weiberwelt lang nicht so interessiert an ihm gewesen...
Am ersten Tag der Sommerferien sprach er bei Harry Potter vor. Er wollte um Natalies Hand anhalten, doch Mr. Potter erklärte ihm bedauernd, daß seine Tochter heute Morgen nach Mexico gereist sei, wo sie eine Ausbildung zur Krankenschwester (Muggelversion) machte.
Zum Teufel auch mit diesen Weibern! Wütend kehrte er zu seiner Familie zurück und schmollte mindestens zehn Tage lang. Er schrieb seiner Angebeteten Briefe (keine Liebesbriefe, ein Antagonist wie er hatte keine zarten Gefühle für rehäugige, elfengleiche Ex-Schülerinnen), in denen er ihr sagte, daß wenn sie nicht einwilligte, ihn zu heiraten, er ihr die Haare vom Kopf rasieren würde, während sie schlief. Leider blieben diese seine Ergüsse effektlos. Als er versuchte, sie zu besuchen, um seine Sache in gesprochenem Worte vorzutragen, konnte er sie absolut nirgends finden. Ihr Vater mußte ihm wohl eine falsche Adresse gegeben haben, doch dann erinnerte er sich, daß er einfach einen Brief von ihr an ihre Familie geklaut hatte, der bei seinem letzten Besuch auf dem Küchentisch gelegen hatte, und auf dem deutlich lesbar der Absender stand. Hm... sie mußte sich wohl mit einem Abwehr- und Versteckzauber gegen ihren heißblütigen Liebhaber gesichert haben. Frustriert warf er Gegenstände aus seinem Büro an die Wand (nicht die, die sie bei ihrer Aufräumaktion berührt hatte, die standen mittlerweile hinter gesichertem Panzerglas, damit keiner seiner idiotischen Schüler ihre wertvolle Arbeit zerstörte). Schlechtgelaunt trottete er durch die Gänge, fauchte jeden an, der nicht sofort in Deckung ging und benahm sich überhaupt schlimmer als je zuvor. Zum ersten Mal in seinem Leben spielte er die Rolle des fiesen Mannes nicht, zum ersten Mal meinte er es, wenn er jemanden zur Schnecke machte. Für eine kurze Weile war es ein befriedigendes Gefühl, sobald ein Schüler in Tränen ausbrach, doch bald schon brachte ihm auch das keine Erleichterung mehr.
Er vermißte seine Natalie!
Er erinnerte sich genau an die Nacht, als er beschlossen hatte, sie später einmal zu heiraten. Sie war in ihrem fünften Schuljahr gewesen und hatte von ihm (wie so oft) eine gemeine Strafarbeit aufgetragen bekommen. Sie mußte mit ihm in den Verbotenen Wald gehen und Korkblüten sammeln. Er wußte, daß sie sich vor diesem dunklen, bedrohlichen Wald fast genauso fürchtete wie vor ihm selbst, aber er und der Wald im Doppelpack hatten ihr den Rest gegeben. Bei dem ersten Knacken eines trockenen Zweiges, das sie selbst verursacht hatte, hatte sie sich mit einem Aufschrei in seine Seite gerammt, den Kopf in seinem schwarzen Umhangmantel vergraben und zu weinen angefangen. Zum Glück waren sie gerade drei Schritte entfernt vom Waldrand gewesen, doch er mußte das aufgebrachte Mädchen zum Schloß ZURÜCKTRAGEN, während ihr die heißen Tränen hinunterliefen. Damals hatte er sich ernsthaft gefragt, warum er eigentlich einen Ruf als Bösewicht haben wollte. Es war doch so viel schöner, der stützende Lichtblick in den Augen eines seidenhaarigen Mädchens zu sein.
Zwei Jahre zogen ins Land. Severin hörte und sah nichts von Natalie Potter, der Name der Weasleys war Hase und sie wußten von nichts (inklusive seiner Schwester, die er ständig bearbeitete), Nats Familie war immer freundlich zu ihm, wenn er sie besuchte und drohte, die ganze Bude in die Luft zu sprengen, wenn sie sie nicht endlich herausrückten, außerdem waren Mrs. Potters Apfelküchlein die besten, die er jemals gegessen hatte, und seine Briefe, die von kühl über drohend bis vorschlagend nach innig bittend zu flehend übergegangen waren, blieben unbeantwortet.
Kurz vor Anfang des neunten Schuljahrs, das Severin als Lehrkraft beging, während die Großfamilien Fauna, Weasley und Potter inklusiv Severin Rampelshammer im Garten der Faunas grillten, klingelte es an der Tür. Wörthersee ging mit ihrer Tochter im Arm durch das große Haus zur Eingangstür und machte Natalie auf. Sie trat nervös ein und folgte Wörthersee in den Garten. Severin erhob sich aus seinem Regiestuhl, als er sie sah. Sie lächelte ihn schüchtern an, doch er war schon auf dem Weg zu ihr, wickelte seine Arme um sie (wenn sie aus Gummi wären, ginge es tatsächlich dreimal), hob sie hoch und wirbelte sie umher. Seine Augen leuchteten, wie sie es nie zuvor gesehen hatte, und plötzlich sah er gar nicht mehr so furchterregend aus.
„Wo bist du nur gewesen? Wo warst du nur?" stammelte er plötzlich und vergrub seinen Kopf schluchzend in ihrer Halsbeuge. „Ich habe dich so vermißt!"
Natalie legte ihre Arme vorsichtig um seine breiten Schultern. Heute trug er ganz leger ein dunkelblaues Hemd ohne Krawatte und eine schwarze Jeans. Sie strich ihm sanft über das schwarze lange Haar, dann setzte er sie auf den Boden ab.
„Kann ich mit dir alleine sprechen?" fragte er sie. Sie nickte und gab ihm ihre Hand. Er zog sie ins Haus hinein, während im Garten das muntere Geschnatter fröhlicher Personen wieder losging.
Harry Potter und seine Frau kamen auf Flora zu.
„Ich hätte ehrlich nicht gedacht, daß sie sich so stürmisch von ihm umarmen läßt." sagte Natalies Vater.
„Nach all den wundervollen Liebesbriefen, die er ihr im Laufe der zwei Jahre geschrieben hat, muß sie doch ihre Angst vor ihm verloren haben." sagte Natalies Mutter.
„Und ich habe euch ja gesagt, daß er es endlich kapieren wird, daß er sie liebt, wenn er sie eine Weile nicht sieht. Das hat bei einem anderen meiner Kinder auch funktioniert, aber ich will ja keine Namen nennen." Flora stierte auffällig in Richtung ihrer ältesten Tochter.
Tatsächlich brach mit Severins Verlobung und Heirat mit Natalie seine Schreckensherrschaft auf Hogwarts ab. Er gab öffentlich bekannt, daß er und Henry schon seit dem ersten Tag die besten Freunde gewesen waren (nun ging so manch einem ihrer ehemaligen Lehrer und Mitschüler ein Licht auf, wer da wohl hinter all den Streichen gesteckt hatte), und er wurde ein devoter Ehemann und liebevoller Vater, der seine Frau auf Händen trug, ihr jeden Wunsch von den weichen Lippen las und sich bei jeder Argumentation von ihr um den Finger wickeln ließ. Um den kleinen.
