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Unvollkommenheit

Von Malina

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Disclaimer

JK Rowling hat sich Harry Potter und Severus Snape und deren ganze Welt ausgedacht und ich will ihr und Warner Bros. keinen Penny streitig machen.

Keine richtige Spoiler-Warnung

Diese Geschichte schließt unmittelbar an den fünften Harry-Potter-Band an, es wird also einiges aus dem „Orden des Phönix" vorausgesetzt und auch verraten. Aber ich denke, das ist für die meisten von euch nicht mehr das Problem. :P

Rating: R

Summary

Eine Geschichte über Trauer, Schuld und die Liebe. Sehr aussagekräftig, nicht? °gg° Naja, der arme Snape wird hier mal wieder kräftig vom Leben durchgeschüttelt, er wird einiges lernen und seine Abneigung gegenüber Remus Lupin überdenken. Und er wird sich der Tatsache stellen müssen, dass die Menschen nicht perfekt sind. Niemand, auch er selbst nicht.

Dank

Ich danke Merlyn für sein erstes Lesen und seine ersten Kommentare. Und mein besonderer Dank gilt Ermione, meiner treuen Beta-Leserin, und der fabulösen Caligo Corvus, die als Beta beim 6. Kapitel dazu gekommen ist.

Und sonst

Meine allererste Fanfic. Ich weiß, es dauert ewig, aber ich hoffe immer noch, dass ich die Geschichte irgendwie zuende schreibe – auch wenn sie nach Erscheinen des „Half Blood Prince" wahrscheinlich reichlich AU sein wird.

Ach und: Ich danke julianna2luv und MalfoysMistress für ihre schöne Story wearing my heart, die für mich seitdem den irgendwie unverrückbaren geschichtlichen Hintergrund für Snapes, nun ja, Verbindung zu Remus Lupin darstellt. Und wie auch immer diese Verbindung aussehen mag – es gibt eine ...

oOoOoOo

Kapitel 1

Stille

Wind. Regen. Gewitter. Die Ferien fangen gut an.

In einem der oberen Gänge des Schlosses schlägt ein Fenster auf und kracht gegen die Wand. Snape hört es vom Erdgeschoss aus und geht die Treppenstufen hinauf, um es zu schließen. Ein schlechter Zeitpunkt, denn Horden aufgeregter Gryffindors kommen ihm entgegen. Zeit für den Aufbruch. Er sieht an ihnen vorbei, es sind zwar sehr viele, aber doch. Es geht. Er tut einfach, als wären sie nicht da, und seine (gelinde ausgedrückt) nicht allzu ausgeprägte Popularität unter den Schülern kommt ihm entgegen, denn vor ihm teilt sich die Menge wie vor Moses das Meer.

Er rauscht nach oben und schließt das Fenster. Er muss ein wenig Kraft aufwenden, denn der Wind hält dagegen. Dann steht Snape bewegungslos vor dem geschlossenen Fenster und sieht zu, wie das Regenwasser über das Glas läuft.

Müde, ich bin so müde.

Ein heftiger Sommerregen zieht über das hügelige Land. Sturmböen zerren an den Dachgiebeln von Hogwarts; von oben sieht er zu, wie Kolonnen von Schülern durch das Unwetter hasten, auf die Kutschen und Boote zu, die sie nach Hogsmeade zum Bahnhof bringen werden. Und nur einige Stunden später ist keiner mehr da, zwischen den Mauern hallen noch die Stimmen der Schüler nach, dann ist es still. Ein verstummtes Hogwarts, totenstill. Die wenigen Personen, die noch anwesend sind, reden kaum ein Wort miteinander – es ist, als sei ganz Hogwarts in eine Art verfrühte Winterstarre gefallen.

Die Lehrer sind wie üblich im Schloss geblieben. In der ersten Ferienwoche finden Lehrergespräche mit dem Schulleiter statt, und die Stundenpläne müssen für das folgende Schuljahr überarbeitet werden. Die Mahlzeiten werden weiterhin gemeinsam eingenommen; soweit ist alles wie sonst, aber es fehlen die Gespräche. Niemand scheint riskieren zu wollen, über die Ereignisse der letzten Monate zu reden: Umbridges Intrigen, die vorübergehende Amtsenthebung Dumbledores, der Kampf in den Räumen des Ministeriums; der Tod von Sirius Black – über all das wird kein Wort verloren, und auch der Krieg selbst wird nicht erwähnt, als habe noch niemand davon gehört oder gelesen.

Die Stille lähmt. Aber, denkt Snape zwischendurch, sie ist angemessen. Es gibt nichts mehr zu sagen. Was geschehen ist, ist geschehen, der Orden hat Pläne geschmiedet und gekämpft, es wurden Fehler gemacht, es gab Streit zwischen alten Widersachern und, wie immer, Opfer auf der falschen Seite.

Und so wird es weiter gehen.

Er fühlt sich seltsam erschöpft. Er gibt es nur ungern zu und dann auch nur vor sich selbst – aber die Ereignisse der vergangenen Zeit haben ihn angestrengt, und sein Ruhebedürfnis ist auffallend gestiegen. Es ist mühselig gewesen, zu unterrichten, sich mit Prüfungsfragen zu befassen, Hausaufgaben und Strafarbeiten zu korrigieren ... Er ist einfach nur noch müde.

Es ist gut, denkt Snape, dass die Ferien begonnen haben. Er war nie sehr anspruchsvoll, was sein Leben betrifft, aber in den vergangenen Wochen haben sich all seine Sehnsüchte in den Wunsch zusammengezogen, dass dieses Schuljahr enden möge. Ja, es ist wirklich geschickt, sich mit aller Leidenschaft etwas zu wünschen, was sowieso eintritt. Aber er neigt ohnehin nicht zu diesen Was wäre-was hätte-was könnte-Sätzen, von denen so viele Menschen besessen sind. Natürlich könnte er sagen, dass es gut wäre, wenn dieses ganze Jahr nie stattgefunden hätte – oder, überlegt er, wenn er schon dabei ist, sinnlose Wünsche zu äußern, wäre es gut, wenn er einfach etwa zwanzig Jahre zurück gehen könnte ...

Obwohl, nein. Lieber nicht. Es bestünde nur die Gefahr, eine unerfreuliche Zeitspanne gegen eine andere einzutauschen. Es mag damals zwar noch nicht die Zeit des Todes und der Schuld und des Jungen der lebt und so weiter gewesen sein, aber es war dennoch alles andere als eine gute Zeit. Soweit er sich erinnern kann. Oder will.

Und er will es gar nicht.

oOoOo

Zwei Tage nach Ferienbeginn spricht Dumbledore Snape vor dem Abendessen im Gang an.

„Severus, ich habe eine Bitte an dich."

Snape erwidert seinen Blick regungslos; er kennt diesen Satz sehr gut und wünscht sich jetzt fort. Irgendwohin. Wenn der Schulleiter mit seinem Anliegen wenigstens rausrücken würde. Er wirft Dumbledore, jedenfalls versuchsweise, so etwas wie einen aufmunternden Blick zu.

„Remus Lupin ist heute Mittag in Hogwarts eingetroffen."

Snape hört sich selbst tiefer einatmen als sonst; bleibt zu hoffen, dass Dumbledore es nicht gehört hat. Immerhin, es ist für ihn kein Problem, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, auch wenn er innerlich schon bei der bloßen Erwähnung von Lupins Namen in die Luft geht.

„Und? Worum geht es?"

Er weiß es, während er noch fragt. Der Trank. Lupin wird länger bleiben, warum auch immer, und Snape wird sich wieder einmal mit der Zubereitung des Wolfsbann-Trankes beschäftigen dürfem. Und ja, so ist es dann auch. Natürlich.

Er nickt Dumbledore zu und dreht sich dann schnell weg, um weiter zur Großen Halle zu gehen.

Lupin hier. Na wunderbar. Fehlt nur noch, dass er gleich am Tisch sitzt. Ein unangenehmes Gefühl steigt in Snape auf, während er seinen Weg zum Abendessen fortsetzt. Es gibt einige wenige Männer, denen die zweifelhafte Ehre zu Teil wird, personifizierte Erinnerungen an die schlechtesten Episoden aus Snapes Schulzeit zu sein. Lupin gehört dazu und ist im Übrigen der Einzige von ihnen, der noch am Leben ist. Snape hat erwartet, den Mann beim nächsten Treffen des Phönixordens sehen zu müssen, aber was hat er jetzt schon hier zu suchen?

Er hat ihn nicht mehr gesehen, seit Lupin und Sirius Black dort in den Räumen des Ministeriums gegen die Todesser kämpften. Seit Black gefallen ist.

Er kennt, so gesehen, Lupin nur mit Black. Natürlich tauchten sie nicht überall zusammen auf – aber spätestens, seit Black aus Askaban geflohen war und seinen Jugendfreund von seiner Unschuld überzeugt hatte, waren die beiden irgendwie nur noch zusammen denkbar. Während der Schulzeit hatte Snape an seine Mitschüler Potter, Black und Lupin eigentlich immer gleichzeitig gedacht, im Dreierpaket sozusagen. Pettigrew war darin nicht enthalten gewesen, seltsam eigentlich. Die vier hingen ja fast ununterbrochen zusammen.

Aber rückblickend macht alles Sinn. Peter Pettigrew war wie ein Schatten neben den anderen drei Jungen gewesen, ein konturloses Anhängsel ohne greifbaren Charakter. Jemand, den man einfach vergaß. Was man von den drei anderen Jungen nicht behaupten konnte, das musste Snape schon damals zugeben, jedenfalls vor sich selbst. Dennoch hat er Potter stets mit Lupin und Black in einen Topf geworfen, die drei waren für ihn dieselbe unerträgliche Gryffindor-Brühe.

Und als James Potter dann ausschied aus dem großen Spiel „Gut gegen Böse", blieben in Snapes Kopf diese beiden anderen Männer als Doppel übrig. Er dachte immer gemeinsam an sie. Wenn überhaupt.

Also höchst selten, natürlich.

Als er die Halle betritt, schießt ein stechender Schmerz durch seine Stirn, und er senkt den Kopf. Zu hell. Das Licht ist wie sonst, nur seine Augen sind derzeit offenbar überempfindlich. Nette Dreingabe zu den permanenten Kopfschmerzen, mit denen er sowieso seit Wochen herumläuft.

Kaum in Sichtweite anderer, straffen sich seine Schultern, und sein Gang beschleunigt sich; während er mit schnellen Schritten auf den Tisch zugeht, zieht wieder dieses unangenehme Gefühl durch seinen Körper. Die Meisten sind schon da, und vor allem... Diese geflickte Robe, diese hellbraun-grauen Haare.

Oh nein. Der Werwolf.

Aber weit von Snapes Platz entfernt, immerhin.

Er setzt sich, ohne die anderen anzusehen. Aber nach einigen Minuten wird es Snape langweilig, nur auf seinen Teller zu starren, auf dem ihn sowieso nichts interessiert. Ein kurzer Blick nach oben und er sieht direkt in die Augen Lupins.

Seltsam, dieses Phänomen. Einmal den Blick schweifen lassen und du siehst garantiert dahin, wo du nun überhaupt nicht hinsehen wolltest.

Und dieser Blick wird erwidert. Nur ganz kurz, aber es reicht. Eine Mischung aus Erschöpfung, Trauer und – vielleicht so etwas wie Wut, das ist ja interessant. Dass dieser weiche Werwolf böse ist. Auf ihn, den schwarzen Mann. Buh.

Snape sieht ihn weiter an, während Lupins Blick sich längst im Nirgendwo verflüchtigt hat. Er sieht schäbig aus. Abgerissen. Eigentlich wie immer, könnte man meinen, aber da ist noch etwas anderes.

Natürlich, die Verzweiflung. Der gute Wolf hat seinen hündischen Gefährten verloren.

Snape verzieht abschätzig das Gesicht, während sein Blick auf den dunklen Schatten unter den Augen Lupins verweilt. Er weiß nicht, was er jetzt lieber täte, einfach abhauen, runter in seine Räume, oder aufspringen und Lupin packen und ihn so zusammenbrüllen, dass von seinem Gehör nichts übrig bliebe.

- Kapierst du das endlich? Menschen sterben. Und nicht immer nur die bösen Jungs und Mädchen. Du müsstest das doch inzwischen wissen. Wir sind im Krieg, verdammt nochmal. Und was tun Menschen im Krieg, sie sterben. Wir werden alle sterben, einige früher, andere später. Überhaupt, du und Potter und Black – ihr wart ja so versessen darauf, einen ganzen Stall von Freunden zu haben. Na bitte. Jetzt hast du sie. Viele tote Freunde. -

Lupins Teller ist nur halb gefüllt, und er isst überhaupt nicht. Snape sieht es aus dem Augenwinkel, aber er kann auch bei den anderen kein wirkliches Interesse am Abendessen erkennen. Er selbst denkt nur an den Trank, der schon unten in seinen Räumen bereit steht. Sein flüssiger Rettungsanker, denkt er und muss fast grinsen.

Snape lässt die Tasse los, die er in den letzten Minuten umklammert hat, wirft Dumbledore einen kurzen Blick zu und steht auf. Seine Kopfschmerzen werden unerträglich, er will nicht mehr warten. Der Schulleiter nickt kaum merklich, Snape wendet den Kopf ab und verlässt die Große Halle mit gleichmäßig schnellen Schritten, ohne die anderen Anwesenden auch nur einmal direkt angesehen zu haben.

Im Flur, außer Sichtweite der anderen, bleibt er abrupt stehen. Zu schnell aufgestanden, ihm dreht sich alles. Mit einer Hand stützt er sich an der Statue neben ihm ab – es ist eine weiß bepinselte Tonfigur, die eine sehr dünne, große Frau darstellt; sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, ihren Zauberstab hält sie aufrecht in der rechten Hand. Ein sanftes, magisches Licht umgibt sie, und sie lächelt. Er berührt sie jetzt nur ungern, das hat sie nicht verdient, denkt er und verliert sich einen Moment in vertrauten Sarkasmen, während der Boden leicht unter ihm schwankt. Ein so reines helles Wesen, eine Lichtgestalt, an der sich ein schwarzer Schattenmann vergreift.

Oder Halt sucht.

Was auch immer.

Diese Statue steht schon lange hier. Er hat sie zum ersten Mal bemerkt, als er gerade als Lehrer nach Hogwarts gekommen war, und damals wie heute umgibt sie dieser weiche Glanz, der niemals in den Augen wehtun könnte, Kopfschmerzen hin oder her. Aber es bleibt dabei, und während Snape wieder sicheren Fußes seinen Weg fortsetzt, beschleicht ihn ein übles Gefühl – er hat sie in all den Jahren niemals berührt, und es hätte auch heute nicht passieren dürfen.

Nicht mit diesen Händen, an denen so viel Blut und Elend kleben.

Es dauert scheinbar Ewigkeiten, bis er an seinem Ziel angelangt ist. Totenstille empfängt ihn, wie passend. Es gibt nichts Lebendiges hier – nicht in seinem Büro, nicht in dem angrenzen Labor und auch nicht in seinen privaten Räumen. Ein ungewohntes Gefühl lässt ihm die Kehle eng werden; er sieht sich wie in einer Zeichnung einsam in dem Kerker dieses riesigen, fast menschleeren Schlosses stehen und spürt, wie die Kopfschmerzen Überhand nehmen.

Seit er in Hogwarts unterrichtet, hat er es immer genossen, wenn die Schüler in die Ferien verschwunden waren, aber dieses Jahr ist irgendwie anders, und das gefällt ihm nicht. Er wird nur sehr ungern aus seinen Gewohnheiten herausgerissen. Dieses Unwohlsein angesichts der Leere, die ihn umgibt, ist mehr als lästig. Fast wie Platzangst.

Lächerlich.

Nein, versucht er sich zu beruhigen, es ist gut, dass niemand mehr hier ist. Selbst die Lehrerinnen und Lehrer werden bald fort sein, um Urlaub zu machen oder Zeit mit ihren Familien zu verbringen, während er wie fast jedes Jahr in Hogwarts bleiben wird. Die nächsten zwei Monate, so hofft er, werden sich durch Ereignislosigkeit auszeichnen; es steht nichts an außer ein paar öden Ordenstreffen und vielleicht ein oder zwei Besuche beim Dunklen Lord, also das Übliche. Er wird schlafen, lesen, Zeit in seinem Tränkelabor verbringen und den Direktor überzeugen, dass er keine Gesellschaft braucht.

Ja, die Aussicht auf die kommenden Wochen könnte perfekt sein – wenn Lupin nicht wäre. Der Gedanke an den Werwolf verursacht bei Snape ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Warum ist er hier? Mit den organisatiorischen Fragen der kommenden Woche kann Lupin doch unmöglich etwas zu tun haben. Er ist hier kein Lehrer – was, wie Snape findet, ein Segen ist und außerdem sein Verdienst, wenn man es genau nimmt –, und er hat auch sonst in Hogwarts keine ihm bekannte Funktion inne. Also ist die Frage nur zu berechtigt, was der dann hier zu suchen hat. Seit wann ist Hogwarts ein Asyl für gestrandete Existenzen?

Snape schnaubt verächtlich, und seine rechte Hand umschließt das Glas mit dem Trank, den er ohne einmal abzusetzen herunterstürzt.

Es dauert nicht einmal eine Minute, bis die Wirkung einsetzt. Er spürt förmlich, wie sein Verstand abgeschaltet wird. Klick. Die Kopfschmerzen sind von einem Augenblick zum anderen verschwunden, und eine bleierne Müdigkeit macht sich im ganzen Körper breit. Es geht ein wenig zu schnell, den Weg zum Schlafzimmer schafft er nur ganz knapp. Er muss den Trank bei Gelegenheit noch einmal überarbeiten. Nicht ganz so einfach, leider. Aber inzwischen ist es schon besser geworden, vor zwei Wochen ist ihm das Glas aus der Hand gefallen und er ging zu Boden, wo er sich am nächsten Morgen wiederfand. So soll das nun doch nicht laufen.

Am nächsten Morgen sind seine Kopfschmerzen schlimmer als am Abend zuvor, und er ist einfach nur müde. Seine Gedanken sind immer noch die gleichen, sie setzen genau da an, wo sie gestern geendet haben. Lupin. Aber dieser Gedanke kommt mehr als ungelegen und führt auch zu nichts.

Immerhin ist der jämmerliche Werwolf während des Frühstücks nicht anwesend. Was allerdings nichts an der Grabesstimmung am Tisch verändert, die Anwesenden wechseln während des Frühstücks kaum ein Wort miteinander und scheinen zu vermeiden, sich in die Augen zu sehen.

Dumbledore ist nicht an seinem Platz. Das ist nichts Besonderes, er ist des Öfteren für einen halben Tag oder auch deutlich länger unterwegs, aber heute verspürt Snape ein unangenehmes Gefühl bei der Abwesenheit des Schulleiters. Ihm kommt – wieder einmal – kurz der Gedanke, dass Dumbledore irgendwann nicht mehr Schulleiter von Hogwarts sein wird. Und wie jedes Mal durchzieht ihn ein leichter Schauer, denn er mag sich gar nicht vorstellen, welche Konsequenzen dies für die Schule haben wird. Und in gewisser Hinsicht ist es, als sei Dumbledore schon irgendwie dabei, Abschied zu nehmen, er wirkt nicht so präsent wie sonst und gelegentlich erscheint ein resignierter Zug auf seinem Gesicht, der Snape gar nicht gefällt.

Vielleicht, denkt er auf dem Rückweg in die Kerker, würde es ihm besser bekommen, die Mahlzeiten fortan in seinen Räumen einzunehmen. Er hat sich in Hogwarts noch nie so unwohl gefühlt. Oder doch, als Schüler schon. Wie auch immer – während seiner gesamten Laufbahn als Hogwarts' Lehrer für Zaubertränke wurde ihm hier nicht halb so viel Schweigen und Abneigung entgegen gebracht wie in den vergangenen Wochen.

Obwohl – vielleicht ist das übertrieben. Dieses Schweigen betrifft nicht nur ihn; es ist insgesamt merklich ruhiger geworden. Und das alles ist kein Wunder, genau genommen. Inzwischen kann niemand mehr die Rückkehr des Dunklen Lords ignorieren – und je stärker dieser wird, desto mehr greift das Misstrauen um sich, gespeist von Angst vor denen, die sich der dunklen Seite zuwenden oder schon dort angekommen sind. Letztlich ist es die Angst vor der Tatsache, dass Menschen sich gegenseitig immer nur in begrenztem Umfang kennen können; dass jederzeit jemand, dem man vertraut hat, sich als Anhänger des Dunklen Lords entpuppen kann. Und bei wem ist es leichter diesen Verdacht zu hegen als bei Snape; sie alle erinnern sich daran, dass die wenigen Freundinnen und Freunde, die Snape als junger Mann hatte, später samt und sonders zu Todessern wurden.

Und dabei, denkt er bitter, haben sie nicht einmal eine Ahnung, wie nahe sie mit ihren halbgaren Verdächtigungen der Wahrheit kommen.

Nein. Sie haben keine Ahnung. Sie können von seiner Existenz als Todesser und Spion für Dumbledore nichts wissen. Die Einzige, die es außer dem Schulleiter und, leider, McGonagall als Mitglied des Ordens weiß, ist Poppy Pomfrey – und die schweigt seit Jahr und Tag zuverlässig über alles, was sie weiß und an Verletzungen bei Snape schon gesehen und kuriert hat.

Aber selbst sie, denkt er, traut ihm nicht. Und warum auch? Das Leben, das er führt, verunmöglicht Vertrauen. Er weiß, dass allein Dumbledore ihm in irgendeiner Weise zugeneigt ist und, mehr noch, als Einziger Vertrauen zu ihm hat. Snape hasst es, seinen Schutz so nötig zu haben, aber es ist so; der Schuldirektor entschuldigt sein mangelndes Interesse an sozialen Gepflogenheiten bei den Kollegen und stellt seine fachlichen Kompetenzen heraus, wo er kann.

Als ob er, Snape, das nötig hätte.

Und zu all dem kommt seine Stellung innerhalb des Ordens des Phönix, die noch problematischer ist.

Es gibt eben für alles eine Steigerung, denkt er schlecht gelaunt. Mit seinen Gedanken ist er kurz beim nächsten offiziellen Treffen des Ordens, bevor er auch diesen Gedanken von sich schiebt. Es hat keinen Sinn, an etwas Unangenehmes zu denken, das in der Zukunft liegt – nur mit diesem Grundsatz übersteht er auch das Wissen um das jeweils nächste Mal, wenn der Dunkle Lord ihn ruft, und ein Treffen am Grimmauldplatz sollte da eigentlich deutlich leichter handhabbar sein.

Es gibt an diesem Tag etwas, das seine Stimmung hebt. Nebel. Der Regen der letzten Tage hat aufgehört, aber dichte Nebelschwaden liegen über dem Land und lassen schon den ganzen Tag kaum Licht durch. Solche Tage liebt Snape, seit er denken kann. Schon als Kind lief er dann hinaus, während er an sonnigen, klaren Tagen zuhause blieb. Und so macht er es heute auch: Gegen Mittag verlässt er das Schloss und schlägt den Weg Richtung See ein.

Die Luft ist so feucht, dass sich schon nach kurzer Zeit auf seiner Kleidung feine Tröpfchen bilden. Er fährt mit der Hand durch seine Haare und spürt auch hier die Feuchtigkeit, aber er macht nicht kehrt, sondern zieht nur den Umhang etwas enger um sich.

Am See ist es still. Der Wind hat sich vollständig gelegt, und die Abwesenheit der Schülerinnen und Schüler tut ihr übriges. Er lehnt gegen einen Baum und taucht ein in das Schweigen der Natur.

Etwas raschelt. Nein, jemand. Snape wendet den Kopf, nichts zu sehen. Aber als er den Blick weiter schweifen lässt, sieht er schemenhaft ein paar Gestalten über den Rasen laufen. Sie entfernen sich von einem riesigen Schatten, der in entgegengesetzter Richtung fort geht. Hagrid. Sie kommen offenbar aus Hogsmeade und gehen relativ geradlinig auf Snape zu.

Er erfasst in einem schnellen Wahrnehmen ihrer Umrisse und Bewegungen, dass er niemanden dieser Leute kennt. Mit einer raschen Bewegung tritt er hinter eine Anpflanzung niedriger Bäume, während die Gestalten sich nähern und nur wenige Meter von dem Fleck stehen bleiben, an dem er eben noch gestanden hat.

Es sind drei. Zwei Frauen und ein Mann, und dann ist da noch... ein Hund. In Snapes Innern zieht sich etwas zusammen, und er muss unwillkürlich an Sirius Black denken.

Aber nur ganz kurz.

Er kann ihre Gesichter nicht richtig erkennen. Eine der Frauen murmelt etwas, Snape kann sie nicht verstehen. Er verspürt nicht den geringsten Wunsch, jetzt mit irgendwem zu reden; also bleibt er stehen, wo er ist, und wartet darauf, dass die Störenfriede verschwinden. Und ja, kurz darauf setzt sich der Mann ohne ein Wort in Bewegung und geht weg, allerdings scheint er wieder Richtung Hogsmeade zu laufen, und eine der Frauen läuft, offenbar ohne Eile, hinter ihm her. Der Hund folgt ihr.

„Connor, hier lang", ruft sie knapp.

Snape denkt, sie meint den Hund, aber nein. Sie meint den Mann. Seltsam, der reagiert überhaupt nicht. Die Frau kommt neben ihm zum Stehen und zieht ihn heftig am Ärmel, und der Mann bleibt ebenfalls stehen, sieht aber weiter in die Richtung, in die er gegangen ist.

„Hier lang", hört Snape die Frau ihre Worte wiederholen. Der Klang ihrer Stimme ist neutral, weder ärgerlich noch bevormundend, und sie zieht den Mann am Arm und geht mit ihm und dem Hund Richtung Schloss.

Die andere Frau dreht sich erst jetzt zu den anderen um und folgt ihnen durch den Nebel zum Schlosseingang.

Snape löst sich aus seiner Starre. Was sollte das? Irritiert lässt er den Blick zum See und wieder zurück zum Schloss schweifen. Aber die seltsamen Figuren sind verschwunden. Sacht schüttelt er den Kopf und schlägt ebenfalls den Rückweg zum Schloss ein.

oOoOoOoOoOo

TBC

Review wär toll. Muss auch kein Jubelgeschrei sein. °g°