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Dead to the world

(Aragorns POV by Idril)

Die Sonne scheint nur trüb durch die Wolken auf die Felder Rohans. Es wird bald Abend werden und das graue Wetter sowie das gleichmäßige Trotten der Pferde ermüden mich und lassen meine Gedanken schweifen.
Die Bewohner Rohans ziehen nach Helms Klamm, wo sie Rettung zu finden glauben. Aber wenn Isengart entfesselt wird, wird auch Helms Klamm die Rohirrim nicht retten können.
Doch nun wenden sich meine Gedanken selbst von solchen düsteren Gängen ab und ich gedenke glücklicherer Tage.
Ein schwaches Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich dich sehe, am frühen Morgen im blühenden Garten deines Vaters, an einem Morgen vor langer Zeit...
Ein einsamer Vogel sang in der alten Weide, auf den Blättern der Büsche und Bäume glitzerten Tautropfen.
Du trugst ein einfaches blaues Kleid, doch die Morgensonne verlieh deinem dunklen Haar und der hellen Haut einen goldenen Schimmer. Und als ich dich so erblickte, da erschienst du mir schöner als alles Gold und Silber dieser Welt. Der Abendstern eines untergehenden Volkes.
Dann sehe ich mich selbst in den Hügeln, mein ungeduldig tänzelndes Pferd unter mir, wie ich ein letztes Mal auf meine bisherige Heimat zurückblicke. Der Tag, an dem ich dich das erste Mal verlassen musste, Arwen...

„Herr? Herr Aragorn!"
Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. Es ist Éowyn, die junge Nichte König Theodens von Rohan, die ein fragendes Lächeln auf dem Gesicht trägt.
Als ich ihr aufmunternd zunicke, fangen ihre grauen Augen an zu strahlen. Oh, ich weiß, was sie für mich empfindet.
Doch liebt sie nicht nur einen Schatten, den Gedanken an Ruhm und Kampf, den ich für sie verkörpere?
Oh Himmelskönigin, welche Qual!
Einer ihrer freundlichen Blicke vermag mich schlimmer zu verletzen als jeder Ork Saurons. Es zerstört mich, sie so voll einer Hoffnung zu sehen, von der ich weiß, dass sie aussichtslos ist.
Sie ist wie eine Blume, die versucht dem kalten Frühling zu trotzen, deren Schönheit bereits zu erkennen, die aber noch nicht aufgegangen ist.
So unglaublich zart wirkt sie auf mich, und doch hart und kalt wie der Frost.
Ich bewundere ihren Mut genau wie ihre Entschlossenheit. Schade ist es um sie.
Manchmal sehne ich mich danach, dem klaren Blick ihrer Augen nachgeben zu können, nur um sie zu trösten, selbst wenn ich ihr das, was sie sich wünscht, nicht geben kann.
Doch würde ich sie nicht zerbrechen? Würden wir nicht beide aneinander zerbrechen?
So groß das Leid auch sein mag, das unser beider Liebe hervorrufen wird, Arwen - es wird niemals groß genug werden, um das Band, das wir geknüpft haben, zu zerreißen, um unseren Bund zu zerstören.

Scheinbar erstaunt und ein wenig verwirrt hat Éowyn beobachtet, wie sich der Ausdruck auf meinem Gesicht verhärtet hat.
Ich werfe ihr einen letzten kurzen Blick von der Seite zu, versuche mich an einem vagen Lächeln, dann treibe ich mein Pferd an, um auf Legolas' und Gimlis Höhe zu gelangen. Zerstreut beginne ich ein Gespräch mit den beiden, aber meine Gedanken verweilen bei Éowyn. Wie gerne würde ich ihr helfen, doch ich weiß, ich kann nicht.
Ich bin bereits gebunden und ich weiß, auch nur eine einzige Nacht mit ihr, ein einziger Blick von mir, in dem ich nachgäbe, würde ihr jede Chance auf anderes, aufrichtigeres Glück für immer zerstören.

Doch habe ich sie nicht bereits in jenen Schatten gestürzt, vor dem ich sie so gerne bewahren möchte, allein durch meine Ankunft in Rohan, durch jedes freundliche Wort?
Estel nennen mich manche, Hoffnung.
Hoffung? Welcher Irrsinn das doch ist!
Unglück bringe ich, wohin ich auch gehe! Unglück, wie meine ganze Sippe es zu tun scheint.
„Du bist Isildurs Erbe, nicht Isildur selbst."
Das sprachst du einst beruhigend zu mir. Nein, ich bin nicht Isildur. Doch vermag ich nicht weitaus größeres Leid anzurichten als mein Ahne, nun da das Schicksal der Welt auf der Kippe steht?
Aragorn nennen mich manche, Arathorns Sohn. Isildurs Erbe. Doch was habe ich schon? Ahnen, die die Welt in die Dunkelheit stürzten, ich selbst habe mich mein ganzes Leben in den Wäldern versteckt.
Oh Elbereth, Sternenkönigin, befreie mich von meiner Pein!
Streicher nennen mich andere. Oh, welch passender Name! Denn kein Zuhause habe ich, nicht einmal das. Ich verlor es an jenem Morgen als ich dich und Bruchtal verließ, an jenem Morgen, als ich aus den Hügeln zurückblickte und die Sonne im Osten aufgehen sah.
Nun, man mag sagen, ich habe meine Freiheit und mein Leben. Freiheit? Es mag so scheinen, als hätte ich diese tatsächlich. Doch sieht man genauer hin, erkennt man, dass ich gefangen bin in der Erinnerung an hellere Tage, gefangen von meinem Blut, meinem Erbe, gefangen von meiner Sehnsucht nach dir. Und mein Leben? Hatte ich je ein Leben? Wie kann man leben, wenn es nur so wenige gibt, die überhaupt daran glauben, dass man existiert? Und bin ich nicht nur ein Schatten, ein Gedanke? Wer wäre ich, wäre ich nicht Erbe Isildurs? Hätte ich dann ein Leben? Könnte ich dann einfach Aragorn, Sohn Arathorns sein?
Wäre ich dann frei?

Aufgeregte Schreie zerreißen das eintönige Stapfen der Pferde. Späher! Wargreiter! Nur wenige Meilen fern.
Chaos bricht aus. Von der Seite her sehe ich, dass Éowyn zu Theoden gerannt ist und nun seine Anweisungen entgegennimmt, während ich versuche mein aufgeregtes Pferd zu beruhigen.
Oh, Éowyn, ich sehe dir aus der Entfernung an, wie gerne du mit den Kriegern reiten, für den Tod und die Ehre kämpfen würdest. Noch kälter als der Tod wirkst du nun, eine Blume aus Eis. Theoden scheint es dir zu verbieten und ich sehe, wie die Wut deine Augen hell aufblitzen lässt.

Schließlich jedoch wendet er sich ab und du bleibst bewegungslos stehen, ein Fels in der Brandung aus Reitern, die um dich herumströmen. Wie schön du doch bist in deiner Trauer, mit dem wehenden rotblondem Haar, den blitzenden grauen Augen und der Wut in deinem Gesicht, das nun weiß wie Schnee ist.
Oh, möge die Himmelskönigin dich von deiner Pein erlösen! Etwas Besseres hättest du verdient, Tochter Rohans!
Im Vorbeireiten werfe ich dir einen kurzen Gruß zu. Vielleicht ist dies unsere letzte Begegnung. Doch ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du dein Glück finden wirst und auch deinen Frieden.
Dann presche ich den anderen hinterher und habe sie schon bald eingeholt.
Nun ruft mich die Schlacht! Oh, beinahe schäme ich mich für die wilde Freude, die mich durchströmt.
Ich sporne Hasufel an und er gehorcht willig, setzt in weiten Sprüngen nach vorne und rast in wildem Galopp über die Grasebene.
Reiter von Rohan! Ein weiterer Tag des Kampfes, ein Tag des Blutes. Eure Heimat und die Freiheit gilt es zu verteidigen! Kämpfen wir, bis der Tod uns hole!
Tod!

Nun ist das gekommen, was ich mir wünschte. Ein Kampf, das Gute gegen das Böse, Weiß gegen Schwarz – ohne die Wirren des Krieges und der Liebe.
Ich werfe einen schnellen Blick zur Seite. Neben mir reiten Legolas und Gimli auf Arod, dem weißen Pferd der Rohirrim. Ich sehe die Kampfeslust in den Augen der beiden Freunde. Lange haben sie keine Schlacht mehr geschlagen. Sie freuen sich, hoffnungslosen Räten in düsteren Hallen entkommen zu sein und Orkblut fließen zu sehen.

In der Ferne sehen wir die ersten Warge. Große finstere Wölfe, mit funkelnden Augen und geifernden Mäulern. Auf ihnen haben sich dunkle Orks festgeschnallt, die weiße Hand prangt leuchtend auf den Helmen und Schilden.
Der Wind zerzaust mein Haar und treibt mir Tränen in die Augen, sticht wie mit Nadeln in mein Gesicht, als mich Hasufels gleichmäßige Galoppsprünge über die Ebene tragen, doch ich spüre den Schmerz nicht.
Ich habe kein Leben. Keine Freiheit. Aber ich habe ein Schwert und den Kampf. Die Schlacht gibt mir die Freiheit, nach der ich mich so sehne. Ein Schrei entweicht meiner Kehle, rau, heiser, und doch laut. Und die Rohirrim antworten mir, ein Chor tapferer Krieger.

Die Sonne sinkt am Himmel, der Wind streicht flüsternd über die weiten Ebenen Rohans und wir reiten, um für die Freiheit zu kämpfen.
Ach Éowyn, könntest du doch nun auch unter ihnen sein, könntest auch du wenigstens in diesen kurzen Augenblicken befreit sein aus deinem Käfig.
Bald wird Blut fließen, Feind und Freund werden fallen für Liebe und Freundschaft. Ein Bluttag, ein Tag der Freiheit.
Ja, ich reite wieder in die Schlacht. In den Gedanken der Menschen bin ich tot, geboren nur als ein Schatten, ein Erbe – nichts weiter.
Ich reite tot durch die Welt.

TBC...