2. Kapitel
Ihre Mutter war sehr überrascht sie so schnell wieder zu sehen. „Kagome! Schön, dass du wieder hier bist. Ist alles in Ordnung? Du wolltest doch länger in der anderen Zeit bleiben. Oder habt ihr wieder...wird Inu Yasha noch kommen?" Kagome ignorierte ihre Mutter, warf ihren Rucksack frustriert auf den Boden und ging sofort auf ihr Zimmer, wo sie sich einschloss. „Mama, was ist denn mit Kagome los?", fragte Souta, der die Rückkehr seiner Schwester aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. „Ich weiß es nicht, Souta. Wir lassen sie am besten in Ruhe, bis sie sich wieder beruhigt hat."
Kagome lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. „Ich bin so verwirrt. Was soll ich denn jetzt machen, wo die Schule vorbei ist? Warum sind mein Herz und mein Verstand so uneins?" Frustriert warf sie sich auf den Bauch. Ich hatte so sehr gehofft, dass Inu Yasha und ich doch noch zusammen kommen, aber er...verdammter Idiot! Vielleicht sollte ich mein Leben in meiner Zeit führen und nicht in der Vergangenheit. Sango, Miroku, Shippo und Inu Yasha können die Menschen auch ohne mich beschützen. Ich stehe doch nur um Weg herum. Meine Aufgabe ist erfüllt und in meiner Zeit ist das Juwel sicherer als in der Vergangenheit. Endlich kann ich wieder ein normales Leben führen!
Ein Leben ohne Sango, die mehr als nur eine Freundin war...
Ein Leben ohne Miroku und seine unermüdlichen Versuche, Frauen zu bitten, seine Kinder auszutragen und damit Sango regelmäßig zur Weißglut brachte...
Aber wollten sie nicht heiraten? Wieso waren sie eigentlich noch nicht verlobt?
Miroku war durch Narakus Tod von dessen Fluch befreit worden, also was hielt ihn zurück? Und wenn er um ihre Hand anhält, werde ich es nicht mitbekommen!
Ein Leben ohne Shippo, und seine grünen Augen, die jedes Mal strahlten, wenn sie ihm Süßigkeiten mitgebracht hatte. Sie würde nicht mitbekommen, wie er zum Mann heranwuchs.
Und natürlich war da noch ein Halbdämon...
Inu Yasha...
Es schmerzte, an ihn denken zu müssen.
Wenn er ihre Liebe nicht erwiderte, dann musste sie eben jemanden finden, der ihr die gleichen Gefühle entgegenbrachte.
Aber ich will keinen anderen, ich will Inu Yasha!
So zerrissen hatte sie sich noch nie gefühlt. Dass ihr die Wahl einmal so schwer fallen würde, hätte sie vor einem Jahr nicht gedacht.
Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Wenn ich in dieser Zeit bleibe, muss ich einen Beruf erlernen. Ich könnte doch Ärztin werden, immerhin habe ich ja schon einige Erfahrung gesammelt und Kaede hat mir viel über Kräuter beigebracht. Ich könnte Naturheilpraktikerin werden. Ist doch eine super Idee und wenn ich mich eines Tages doch noch entschließe, ins Mittelalter zurückzukehren, kann ich diesen Beruf auch dort ausüben.
Dieser Gedanke gefiel ihr. Seit längerer Zeit lächelte sie wieder. Natürlich würde das Erlernen eines Berufes ihre Besuche im Mittelalter für unbestimmte Zeit ganz beträchtlich einschränken, aber mit der Vernichtung Narakus und dem sicheren Verwahren des Juwels im 21. Jahrhundert, war ihre Anwesenheit in der Vergangenheit nicht mehr zwingend notwendig. Gleich morgen würde sie sich aufmachen und Erkundigungen einziehen.
Es verging eine Woche und Inu Yasha war noch nicht aufgetaucht. Kagome registrierte dies nur am Rande, zu sehr war sie damit beschäftigt sämtliche Naturheilpraktiker Tokyos und Umgebung abzuklappern, um sie zu bitten, sie als Schülerin anzunehmen. Von den meisten hatte sie eine Absage bekommen, aber drei wollten es sich noch einmal überlegen. Gut gelaunt machte sie sich nach einem anstrengenden Tag auf den Weg nach hause, als ihr ein altbekannter Freund über den Weg lief: „Higurashi! Wie geht's dir denn? Man, wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!" Verwundert blieb Kagome stehen und drehte sich um. „Hojo?" Ihr ehemaliger Bewunderer blieb mit seinem Fahrrad neben ihr stehen und lächelte sie strahlend an. „Äh, danke mir geht's gut. Was...machst du...denn so?", stotterte sie, völlig überrumpelt. Wie groß war schon die Wahrscheinlichkeit in einer Millionenstadt wie Tokyo zufällig einem ehemaligen Schulkameraden zu begegnen?
„Ich habe bei einer Bank angefangen. Hättest du Lust mit mir heute abend essen zu gehen? Wir haben uns bestimmt so viel zu erzählen." Sie musste grinsen. Er gab wohl nie auf, was?
Geht denn das auch? Ich muss Inu Yasha...
Wieso musste sie auf einmal an Inu Yasha denken?
Ach, aus reiner Gewohnheit.
Jedes Mal, wenn Hojo sie um eine Verabredung gebeten hatte, war der Hanyou immer ein Hindernis gewesen. Seinetwegen hatte sie Hojo mehr als nur einmal versetzt und das war nicht immer fair gewesen. Hojo hatte ihr immer mit der Schule geholfen, wenn sie weit hinterher hinkte und sie behandelte ihn so schlecht.
Sie war es ihm schuldig, wenigstens einmal mit ihm Essen zu gehen und auch bis zum Ende zu bleiben und nicht kopflos wegzurennen, weil sie sich Sorgen um Inu Yasha machte.
A prospos, wo war Inu Yasha? Hatte er nicht gesagt, er würde in drei Tagen kommen, wenn sie bis dahin nicht wieder zu ihm zurück...nein, wenn sie bis dahin nicht wieder in seine Zeit zurückgekehrt wäre? Und jetzt waren schon sieben Tage vergangen und kein Anzeichen von ihm. Kagome fühlte einen leichten Stich in der Herzgegend.
Hat er mich etwa schon vergessen? Oder ist ihm etwas passiert? - Oh, nein, es passiert schon wieder! Schluss jetzt, Inu Yasha ist alt und kampferprobt genug, ihm geht's gut. Vielleicht war er ebenso beschäftigt wie ich? - Und wenn doch nicht?
Ärgerlich schob sie die Gedanken beiseite. Es gab keinen Naraku mehr und die anderen Dämonen waren doch keine ernsthaften Gegner für Inu Yasha. Sie konnte ganz getrost einen ruhigen Abend mit Hojo verbringen.
Um 20 Uhr holte er sie ab. Sie wollten in ein feines Restaurant essen gehen. Dazu hatte sie ihr Kleid, dass sie bei der Abschlussfeier getragen hatte, angezogen. Es war ein weißes, langes Kleid, dass ihre Figur ein wenig betonte. Hojo hatte sie schon damals minutenlang mit offenem Mund angestarrt, wofür er von Inu Yasha verprügelt worden wäre, hätte er es gesehen. Aber natürlich war Inu Yasha an diesem Abend nicht bei ihr gewesen, es waren nur die Schüler und ihre Familien bei der Abschlussfeier erlaubt.
Sie ließ ihre Haare offen und trug als einzigen Schmuck das Juwel um ihren Hals. Hojos Augen begannen zu leuchten, als er sie sah und bot ihr galant seinen Arm und führte sie zu seinem Auto, einem BMW - Isetta.
Zu ihrer Überraschung verlief der Abend recht angenehm. Hojo war nicht der Langweiler, wie sie befürchtet hatte und sie amüsierte sich prächtig.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so gut mit ihm unterhalten kann. Und ich muss auch kein einziges Mal an Inu Yasha denken! Wie er wohl reagieren würde, wenn er uns jetzt sehen... Kagome hatte gerade ein paar Schluck Wasser getrunken, als ihr Blick zufällig auf eines der Fenster fiel und sie dort einen weißhaarigen, jungen Mann sah, der seine Nase an der Fensterscheibe platt drückte. Als er ihren Blick bemerkte, wich er erschrocken zurück. Kagome verschluckte sich und begann zu husten. „Kagome, alles in Ordnung?", erkundigte Hojo sich besorgt und klopfte vorsichtig auf ihren Rücken. Sie nickte. „Ja, entschuldige mich, ich hab da draußen...meinen Bruder gesehen, der schon längst im Bett sein müsste! Bin gleich wieder da." Sie sprang auf und lief nach draußen. Von Inu Yasha war natürlich nichts zu sehen. Hatte ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt? Sie schaute sich um. Nichts. Sie ging wieder ins Restaurant zu Hojo zurück.
„Es war ein sehr schöner Abend, Kagome. Vielleicht können wir das irgendwann wiederholen?", sagte Hojo, als er sie wieder nach Hause gebracht hatte. Sie standen am Fuße der endlosen Treppe, die zum Hause ihrer Eltern führte. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich in Zukunft haben werde und ich werde in einen ganz anderen Teil der Stadt ziehen müssen. Die Ausbildung zum Naturheilpraktiker ist lang und hart."
„Ich werde auf dich warten, egal wie lange es dauern wird", erwiderte Hojo, nahm ihre Hand und küsste sie. Kagome lächelte nervös. Auch wenn sie den Abend genossen hatte, war es ihr peinlich.
Hegte der Junge etwa immer noch Gefühle für sie? Man, war der hartnäckig.
Ja, sie mochte ihn, aber als Freund. Es gab nur einen Mann, von dem sie geküsst werden wollte und es war definitiv nicht Hojo.
Sie entzog ihm ihre Hand. Hatte sie eben ein leises Knurren gehört? War Inu Yasha doch hier und beobachtete sie?
„Gute Nacht, Hojo."
„Gute Nacht, Kagome." Er lächelte sie glücklich an, stieg in sein Auto und fuhr weg.
Langsam stieg Kagome die Treppe hoch. Die Schuhe und das Kleid zwangen sie zu einem langsameren Tempo. Es raubte nicht nur ihr die Geduld. Wie aus dem Nichts stand plötzlich Inu Yasha vor ihr. Kagome schrie erschrocken auf und wich automatisch zurück. Sie wäre gestürzt, wenn Inu Yasha nicht seine Hand ausgestreckt und sie festgehalten hätte. Kagome funkelte ihn wütend an. „Dann war es doch keine Einbildung, du hast uns die ganze Zeit beobachtet!" Ihr finsterer Blick stand dem seinen in Nichts nach. „Allerdings", knurrte er und hob sie plötzlich auf seine Arme. Mit einem Satz sprang er bis zum oberen Ende der Treppe und lief zielstrebig zum Heiligen Baum. „Wo läufst du hin? Das Haus steht dort drüben und lass mich runter, ich kann selbst laufen!" Zur Antwort bekam sie nur ein Knurren und er drückte sie fester an sich.
Was ist denn in den gefahren? Erst ignoriert er mich eine Woche lang und jetzt ist er wütend auf mich? Und wieso hält er mich so fest?
Gegen letzteres hatte sie nicht wirklich etwas einzuwenden, musste sie sich eingestehen. Sie versuchte erfolglos in der Dunkelheit sein Gesicht zu erkennen. Ohne nachzudenken schlang sie ihre Arme um seinen Hals.
Ich habe dich auch vermisst, Inu Yasha.
Ihr Blick war wieder freundlicher geworden. Sie waren bei dem Baum angekommen. Er blieb stehen, unschlüssig, ob er mit ihr hoch in die Äste springen sollte oder lieber auf dem Boden blieb. Kagome, die seinen hin und herwandernden Blick bemerkt hatte, nahm ihm die Entscheidung ab. „Oh nein, du wirst mich mit diesem Kleid nicht auf den Baum schleppen. Warum sind wir überhaupt hier?" Ziemlich unsanft stellte er sie wieder auf den Boden. Doch als sie in seine Augen blickte, sah sie nicht Zorn, sondern eine verletzte Seele. „Du kommst nicht wieder zurück, oder?", fragte er leise. „Wie...wie kommst du...darauf?" Sie hatte mit seinem Zorn gerechnet, aber nicht mit dieser Traurigkeit.
„Ich habe euch gesehen. Du hast die ganze Zeit mit so einem dämlichen Grinsen im Gesicht seinen stinklangweiligen Geschichten zugehört!", fuhr er sie ungehalten an. Aber seine nächsten Worte klangen wieder so, als hätte er etwas wertvolles verloren. „So glücklich habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt."
Kagome spürte Tränen in ihren Augen aufsteigen. „Das lag doch nicht an Hojo!", erwiderte sie heftig.
„An was denn sonst?" Hoffnungsvoll sah er sie an.
„Das ist etwas komplizierter", wehrte sie ab.
„Erklär es mir."
„Du würdest es nicht verstehen." Zu ihrem Erstaunen brachte diese Bemerkung seine Eifersucht wieder zum Vorschein.
„Aber Hojo kann es verstehen." In seiner Stimme war ein unterschwelliges Grollen zu hören.
„Es hat nichts mit Hojo zu tun!"
„Warum sagst du es mir dann nicht?" Er wollte es wirklich wissen?
Kagome dachte ein paar Minuten nach. Na gut, sie würde dieses Mal, gegen jede Vernunft, auf sein Verständnis bauen. „Ich habe mich in letzter Zeit so nutzlos gefühlt."
„Ich habe dir doch schon gesagt, wie idiotisch das ist."
Soviel zu seinem Verständnis!
„Ich habe gewusst, dass du es nicht verstehen wirst! Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass es mir im Moment nicht gut geht?" Wunderbar, für ein paar Stunden waren alle Ängste und Sorgen vergessen gewesen und Inu Yasha hatte wieder alles zunichte gemacht. „Du musst dir keine Gedanken über deine Zukunft machen, für dich ist alles viel einfacher! Aber für mich ist es nicht so einfach! Ich weiß schon gar nicht mehr, in welche Zeit ich gehöre, wie meine Zukunft aussieht! Und der Grund, warum ich heute so glücklich war, lag daran, dass ich eine Entscheidung getroffen habe." Sie wollte nicht so aggressiv klingen und Inu Yasha war nun etwas eingeschüchtert. Betroffen sah er zu Boden. „Ich werde die nächsten Jahre nicht so häufig kommen, weil ich in die Lehre bei einem Naturheilpraktiker gehe. Und du kannst mich nicht mehr so oft besuchen, weil ich in das Haus meines Meisters ziehen werde. Das ist sehr wichtig für mich, also vermassele es mir nicht."
„Nein!", schrie er. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber er brachte es nicht fertig.
Kannst du mir nicht einmal sagen, dass du mich brauchst? Dass ich dir etwas bedeute? Sag es, Inu Yasha, sag es! Vielleicht bleibe ich dann für immer bei dir.
„Es ist dieser Bastard Hojo, der dir diesen Unsinn in den Kopf gesetzt hat."
„Nein, mein Lieber. Der einzige, der zwischen uns steht, bist du." Der Satz hing in der Luft. Inu Yasha blinzelte sie verwirrt an. „Wie kann ich denn zwischen uns stehen?"
„Es sind deine Gefühle für Kikyou. Und solange du nicht los lassen kannst, wird in deinem Herzen kein Platz für eine neue Liebe sein." Ihre Stimme brach fast bei diesen Worten. Inu Yasha nahm ihre Hand und legte sie auf sein Herz. „Für dich wird immer ein Platz da sein." Kagome fühlte seinen starken Herzschlag unter ihrer Hand. „Kann es für uns eine Zukunft geben?" Sie hatte die Worte so leise gesprochen, dass selbst Inu Yasha Probleme hatte, sie richtig verstehen zu können. „Gib mir noch etwas Zeit", bat er. Enttäuscht entzog sie ihm ihre Hand. „Du hattest drei Jahre Zeit. Gute Nacht, Inu Yasha. Ich komme morgen noch einmal vorbei um den anderen meine Entscheidung mitzuteilen."
„Was für eine Entscheidung?"
„Hast du mir nicht zugehört? Ich gehe in die Lehre bei einem Naturheilpraktiker und lebe mein Leben weiter, so wie es war, bevor das hier in die Quere kam!" Sie deute auf das Juwel um ihren Hals. Inu Yasha schloss seine Augen. „Und ich bin wieder allein", murmelte er leise. Kagome, die schon auf dem Weg ins Haus war, blieb bei diesen Worten stehen und wollte ihm versichern, dass er nicht alleine war, aber der Hundedämon war schon weg. Und Kagome hatte ein schlechtes Gewissen.
