Kapitel 3
Am nächsten Tag reiste Kagome zum vorerst letzten mal in die Vergangenheit. Sie wurde dort schon von ihren Freunden erwartet, die sie mit einem Lächeln im Gesicht begrüßten. Ihre Augen schauten sich suchend nach Inu Yasha um, sie wollte sich entschuldigen, mit ihm reden...jedenfalls wollte sie nicht auf diese Weise ihr neues Leben beginnen. Sie wollte ihm sagen, dass er nicht alleine war, nur weil sie von zu Hause auszog und nicht mehr so oft herkommen konnte.
Doch zu ihrer Enttäuschung war Inu Yasha nicht da. Sango bemerkte ihren umherschweifenden Blick. „Wir haben ihn nicht mehr gesehen, seit er dir hintergereist ist. Wir dachten, ihr würdet zusammen kommen", erklärte die Dämonenjägerin. Shippo sprang Kagome in die Arme und sah sie mitfühlend an. „Was hat dieser Idiot dieses Mal wieder getan?"
„Dieses Mal ist es meine Schuld", verteidigte sie ihn und verstummte wieder. „Wie lange wirst du dieses Mal bleiben?" Miroku wollte das Thema wechseln und hieb natürlich unwissend noch mehr in die Wunde ein. Kagome seufzte. „Ich bleibe nicht lange. Und ich werde in Zukunft nicht mehr so häufig kommen."
Wer würde nun das große Jammern eröffnen?
„Wenn ich diesen Inu Yasha in die Finger bekomme, dann..." Shippo war schneller als Sango, die ebenfalls schon den Mund geöffnet hatte, um zu widersprechen.
„Es hat überhaupt nichts mit Inu Yasha zu tun!", schrie Kagome frustriert. Ihre Freunde erstarrten. Sofort tat ihr der Ausbruch leid. „Ich habe mich in letzter Zeit etwas orientierungslos gefühlt und fehl am Platz, ich wusste nicht mehr, wo ich eigentlich hin gehöre. Vor einer Woche habe ich eine Entscheidung getroffen: ich werde bei einem Naturheil...Heiler in die Lehre gehen und deshalb werde ich für euch nicht mehr so viel Zeit haben." Die Gesichter ihrer Freunde waren immer trauriger geworden, aber Sango und Miroku nickten verständnisvoll. Nur Shippo fing an zu heulen. „Aber wieso denn? Du gehörst doch zu Inu Yasha!"
„Dazu gehören immer zwei und Inu Yasha ist noch nicht so weit." Ihr ging sein Gejammer auf die Nerven. Zum ersten Mal verspürte sie den Drang, dem Kleinen eine Kopfnuss zu verpassen. Wo war denn Inu Yasha, wenn man ihn brauchte?
„Er ist noch nicht so weit? Hat er das etwa gesagt? Was für ein Idiot! Wieviel Zeit braucht er denn noch?" Damit hatte er sich wieder gerettet.
„Verstehst du jetzt? Ich muss an meine Zukunft denken und ich weiß im Moment einfach nicht, ob Inu Yasha ein Teil davon ist oder nicht. Ich habe diesen Gedanken viel zu lange vor mich hergeschoben."
„Du wirst uns auch ganz gewiss nicht vergessen?", fragte Sango und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Natürlich nicht. Außerdem ist das doch kein Abschied für immer. Ich werde bloß nicht mehr so häufig kommen, wie früher." Mit Tränen in den Augen trat Sango auf sie zu und umarmte sie. Einige Sekunden später schloss Miroku sich an und legte seine Arme um beide Mädchen. „Wir werden auf dich warten, Kagome und ich werde für dich beten. Ich hoffe, du wirst deinen Platz finden", sagte er leise. Zum großen Erstaunen von Sango und Kagome blieben seine Hände auf ihren Schultern und wanderten nicht tiefer. Ein sicheres Zeichen, wie ernst es ihm war. Sie lösten sich wieder voneinander, Kagome umarmte Shippo noch ein letztes Mal und setzte ihn auf den Boden. Kirara miaute leise und Kagome kraulte sie hinter den Ohren. „Und du passt schön auf sie auf, Kirara." Erneut warf sie einen suchenden Blick in die umstehenden Bäume.
Wo ist er nur? Er wusste doch, dass ich noch einmal komme. Oder ist er so sauer auf mich?
Wie kann ich ihm nur begreiflich machen, dass ich wieder kommen werde?
Sie überlegte einen Moment. Dann griff sie in ihre Tasche und holte eine Feng Shui Münze heraus. „Würdet ihr Inu Yasha diese Münze von mir geben? Sie gehörte meinem Vater. Er soll gut auf sie aufpassen, denn ich werde wiederkommen und sie mir holen." Sango nahm sie an sich und nickte. Sie lächelte wieder.
Dann setzte sie sich auf den Brunnenrand, warf einen letzten traurigen Blick auf ihre Freunde und sprang ihrer Zukunft entgegen.
Wie sehr es ihr zur Gewohnheit geworden war, ständig in die Vergangenheit zu reisen, spürte sie in den folgenden Tagen. Sie vermisste ihre Freunde und stand mehr als nur einmal vor dem Brunnen, aber sie blieb standhaft. Sie würde bald mit ihrer Ausbildung anfangen, sie war von einem Heilpraktiker, der ganz in der Nähe seine Praxis hatte, als Schülerin akzeptiert worden. Sie hatte von ihm schon eine Liste bekommen mit Dingen, die sie besorgen musste, und war vollauf beschäftigt, Bücher und Utensilien für ihre Ausbildung zu besorgen.
Doch eines Nachts konnte sie ihre Trauer nicht mehr unterdrücken und sie weinte bitterlichst in ihr Kissen. Vielleicht würde sie in den nächsten vier Jahren nicht in die Vergangenheit reisen können, weil die Gefahr zu groß war in einen Kampf verwickelt zu werden. Längere Abwesenheit konnte sie nicht länger riskieren.
Aber wenn sie tief in sich hineinhorchte, war der Grund ihrer Trauer etwas anderes.
Warum tut er mir das an? Warum muss ich mich in jemanden verlieben, dessen Herz schon vergeben ist? Es tut so weh!
Warum ist mir das alles passiert?
Diese Frage hatte sie sich schon oft gestellt, aber sich bis jetzt noch nicht wirklich damit auseinandergesetzt. Sie philosophierte über die Ungerechtigkeit, die nur ihr allein widerfahren war und hatte am Ende sogar einen Sündenbock gefunden.
Naraku!.
Er ist der Grund für mein Leid!
Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wären Inu Yasha und Kikyou glücklich miteinander geworden und sie wäre nicht in mir widergeboren worden.
Sangos Familie wäre noch am Leben und Miroku wäre nicht verflucht worden.
Wenn Naraku nicht existiert hätte, wäre ich niemals in die Vergangenheit gereist und Inu Yasha begegnet. Mein Herz würde nicht so weh tun. Jeder von uns wäre glücklicher.
„ICH WÜNSCHE MIR AUS TIEFSTEM HERZEN, DASS ES NARAKU NIEMALS GEGEBEN HÄTTE!", brüllte Kagome in ihr Kissen. Auf ihrem Nachttisch begann auf einmal das Juwel zu glühen. Kagome hob verwundert ihren Kopf. „Was ist denn jetzt los?"
Draußen, auf dem Dach, saß ein besorgter Freund. Inu Yasha war sofort in die Zukunft gereist, nachdem Sango ihm die Münze gegeben hatte. Er wollte sich entschuldigen und ihr versichern, dass es ihm gut ging. Doch nun sah er sie weinen. Er war noch nie gegen ihr Leid gefeit gewesen. Kagome hatte schon oft geweint, sich Sorgen gemacht, war wütend gewesen, aber so verzweifelt war sie noch nie gewesen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, es war ihm egal, ob sie sauer auf ihn sein würde, die Bannkette war weg, also was musste er fürchten? Er schwang sich vom Dach, öffnete vorsichtig ihr Fenster und sprang leise in ihr Zimmer. Doch als sein Blick auf seine Freundin fiel, erstarrte er. Das Juwel auf ihrem Nachttisch glühte und Kagome starrte es bewegungslos an . Das bedeutete nichts gutes. „Kagome? Kagome! Verdammt, komm wieder zu dir!" Er wollte zu ihr und sie schüttlen, doch eine Barriere hinderte ihn daran und er wurde zurückgeschleudert. Bewusstlos blieb er auf dem Boden liegen.
