Kapitel 4
Kagome!
Das Mädchen blinzelte verwirrt. Wer rief da ihren Namen? Und wieso war sie nicht mehr in ihrem Zimmer? Wieso schwebte sie in einem rosafarbenen Raum? „Das ist ein Albtraum. Wieso ist hier alles rosa?" Sie hörte ein leises lachen. „Es ist die Farbe des Juwels!", antwortete eine belustigte Stimme. Die Stimme einer Frau und sie machte sich über sie lustig!
Aber sie klang warm und freundlich. Ihr fehlte der zynische Unterton einer Kagura oder die Emotionslosigkeit Kannas.
Wer kann das nur sein? Und wenn sie sagt: Farbe des Juwels...
„Soll das heißen, ich bin in dem Juwel?", schrie sie entgeistert auf.
Plötzlich erschien eine junge Frau vor ihr. Sie kam ihr irgendwie bekannt vor.
„So ist es. Willkommen in meinem Reich."
Kagome riss ihre Augen auf. „Midoriko? Sind Sie Midoriko?"
„Ja, das ist mein Name. Und du fragst dich, was du hier tust?"
Wie war das nur passiert? „Äh...ja."
„Du hast einen Wunsch geäußert und soll dir erfüllt werden." Midorikos Antwort war simpel, aber unerwartet. „Welcher Wunsch?" Wenn sie jetzt von ihrem Wunsch mit Inu Yasha zusammensein zu können sprach, würde sie vor Scham im Boden versinken. Im Vergleich zu Midorikos Schicksal kam ihr das kindisch vor.
„Dein Wunsch, dass Naraku niemals existiert hätte. Wer immer das auch ist."
„Sie wissen nicht, wer Naraku ist?" Kagome konnte nicht glauben, dass die ‚Seele' des Shikon no Tama nichts von Naraku wusste. „Naraku war ein Halbdämon, der das Juwel benutzt hat, um mächtiger zu werden, wie alle anderen Dämonen. Aber er ging dabei raffinierter vor." Mikoriko überlegte einen Moment. „Ach, der Mensch, der unbedingt ein Youkai werden wollte. Das war doch nur ein kleiner Fisch."
„Kleiner Fisch?" Kagome war empört. „Er hat das Leben zahlreicher Menschen zur Hölle gemacht! Meine besten Freunde mussten wegen ihm schrecklich leiden und du sagst, er war nur ein kleiner Fisch?"
„Hat er das? Aber du hast doch deinen Seelengefährten dadurch gefunden." Midorikos Worte nahmen ihr den Wind aus den Segeln. Musste die sagenumwobene Miko sie unbedingt daran erinnern?
„Was nützt mir das, wenn sein Herz seine alte Liebe nicht los lassen kann."
„Welche ‚alte' Liebe? Die Seele von Kikyou ist in dir und das Schicksal hat euch wieder zusammengeführt. Wo ist das Problem?"
„Dass Kikyou von einer Hexe wieder ins Leben geholt wurde. Ich schätze, damit ist er nie zurecht gekommen. Für eine von uns musste er sich entscheiden, und ich war es nicht."
„Männer! Deshalb habe ich mich nie mit einem von ihnen eingelassen. Aber wir kommen vom Thema ab." Midoriko klatschte in die Hände. „Du hast dir gewünscht, dass Naraku niemals existiert hätte und damit all deine Probleme gelöst wären? Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen." Plötzlich gab es ein helles Licht und sie und Midoriko standen in einem Feld. „Wo sind wir?"
„Warte ab, du wirst schon sehen", antwortete Midoriko geheimnisvoll.
In der Ferne konnte Kagome zwei Stimmen hören.
„Sehr gut, mein Sohn, für das erste Mal war es sehr gut. Mit ein wenig Übung und Geduld wirst du eines Tages genauso gut, wie deine Mutter." Kagome folgte den Stimmen.
„Wirklich, Papa? Und wie lange wird das noch dauern?", hörte sie eine aufgeregte Kinderstimme. Jetzt erkannte sie die Stimme. „Shippo! Shippo, wo bist du?" Kagome rannte los. „Warte, Kagome, er wird dich nicht erkennen!", rief ihr Midoriko hinterher, aber sie ignorierte die Warnung.
So ein Blödsinn, warum sollte Shippo sie nicht erkennen? Außerdem wollte sie Shippos Vater kennenlernen.
Endlich hatte sie die Fuchsdämonen gefunden, die sie mit weit aufgerissenen Augen ansahen. Sofort schob der Vater seinen Sohn hinter sich. „Was willst du, Mensch?" Kagome blieb stehen. „Ich...ich wollte...nur hallo sagen", erwiderte Kagome, verwirrt über die feindselige Begrüßung. „Shippo, erkennst du mich nicht?" Der Kleine versteckte sich ängstlich hinter seinem Vater, der sie nun böse anfunkelte. „Ich warne dich ein letztes Mal, Menschenweib: verschwinde!"
„Aber Shippo, erkennst du mich nicht mehr?" Seit wann hatte Shippo Angst vor Menschen? Angst vor ihr? Verletzt wandte sie sich von ihnen ab und kehrte zu Midoriko zurück. „Ich verstehe das nicht! Wieso erkennt er mich nicht mehr?"
„Denk nach, Kagome. Unter welchen Umständen habt ihr Shippo getroffen?"
Kagome rief die Erinnerung an jene Ereignisse auf, als sie dem kleinen Fuchsdämon das erste Mal begegnet war. „Als wir die Splitter gesucht haben. Es war zu Beginn unserer Reise. Shippos Eltern wurden von den Donnerbrüdern getötet. Was hat das mit Naraku zu tun?"
„Es hat indirekt mit Naraku zu tun. Die Kräfte der Donnerbrüder wurden durch die Splitter verstärkt, dadurch waren sie in der Lage, das Land zu terrorisieren. Aber weil das Juwel nicht mehr existiert, keine Donnerbrüder und somit bleiben Shippos Eltern am Leben. Und du warst natürlich niemals hier, weil das Juwel vor fünfzig Jahren zerstört wurde."
„Aha." Kagome ging das alles zu schnell. Das hörte sich schon fast wie Science fiction an und dafür hatte sie sich noch nie interessiert. „Ich sagte doch, die Welt ist ohne Naraku besser dran. Auch wenn Shippo mich nicht mehr erkennt, freue ich mich für ihn, dass er wieder mit seinen Eltern zusammen ist. Er hat sie so schrecklich vermisst und hat oft im Schlaf geweint." Doch ein kleiner Teil in Kagome trauerte um einen verlorenen Freund. Midoriko drückte aufmunternd ihre Schulter. „Bist du bereit für einen weiteren Besuch?"
„Ja, lass uns gehen."
Midoriko nahm ihre Hand und nach ein paar Schritten standen sie plötzlich im Hof eines alten japanischen Palastes. Die Bediensteten beachteten sie nicht weiter und liefen geschäftig um sie herum. „Diesen Palast kenne ich, hier haben wir einmal Rast gemacht", sagte Kagome und sah sich um. „Aber mir fällt im Moment nicht ein, welcher Herrscher hier wohnt." Midoriko lächelte und drehte ihren Kopf in die entgegengesetzte Richtung. „Sieh dorthin, dann wirst du es wissen." Kagomes Blick fiel auf ein junges Mädchen, das soeben aus einem der Häuser trat. „Das ist die Prinzessin." Verständnislos beobachtete sie die junge Frau, die sehr unglücklich wirkte. „Euer Hoheit, die Dämonenjäger werden jeden Moment hier eintreffen!", rief einer der Soldaten plötzlich. Das Gesicht der Prinzessin begann zu strahlen und ohne auf die Etikette zu achten, raffte sie ihr Kleid auf und lief zum großen Tor, dass sich langsam öffnete. „Dämonenjäger? Da ist doch bestimmt Sango dabei!" Aufgeregt schloss sich Kagome den anderen Menschen an, die zum Tor strömten. Kurze Zeit später betraten die Dämonenjäger den Schlosshof. Kagome suchte die Gruppe eifrig nach ihrer Freundin ab. Kohaku hatte sie sofort entdeckt. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sangos Bruder war wieder am Leben. Aber wo war Sango?
Zu ihrer Verblüffung fiel die Prinzessin dem Anführer der Dämonenjäger um den Hals. Der ältere Mann lachte und erwiderte die Umarmung. „Vorsicht, Sango, du erwürgst mich ja fast!" Kagome starrte die beiden mit offenen Mund an.
„Sango ist die Prinzessin? Wie...wie ist denn das passiert? Warum ist sie nicht mit Miroku zusammen?"
„Sie hat den Prinzen geheiratet", antwortete Midoriko. „Aber wieso denn? Sie sollte doch Miroku heiraten!" Ihr gefiel diese Wendung der Dinge nicht. Wie oft hatte sie sich Sangos und Mirokus Hochzeit vorgestellt und ihren Part dabei und jetzt hatte Sango einfach diesen Prinzen geheiratet?
„So nicht! Ich muss mit ihr nachher ein ernstes Wörtchen reden!"
„Nicht doch, Kagome. Sango und Miroku sind sich niemals begegnet", wandte Midoriko ein. Sie legte abermals eine Hand auf ihre Schulter und dirigierte das verwirrte Mädchen sanft in den Palast. Kagome hatte noch nicht alles gesehen.
Zu Ehren der Dämonenjäger wurde ein kleines Festbanquet abgehalten. Kagome, als eine der Bediensteten, wohnte dem Banquet bei. Die ganze Zeit über beobachtete sie ihre Freundin, die ungewöhnlich demütig und still neben ihrem Gemahl saß, der sich vortrefflich mit ihrem Vater unterhielt. Ab und zu warf Sango ihrem Bruder sehnsüchtige Blicke zu, aber Frauen war es nicht gestattet offen zu sprechen, nur, wenn sie dazu aufgefordert wurden.
Das ist nicht die Sango, die ich kenne. Sie würde sich niemals unterwerfen! Pah, sie hätte diesen Idiot auch niemals geheiratet! - Toll, jetzt klinge ich schon wie Inu Yasha.
„Erzählt mir, ehrenwerter Schwiegervater, seid ihr auf dem Rückweg von einer erfolgreichen Mission?", fragte der Prinz gerade. „Nein, Euer Hoheit, wir befinden uns gerade auf einer Mission. Ein Dorf, etwa einen Tagesmarsch von hier entfernt, hat unsere Hilfe angefordert."
„Wirklich? Warum wurde ich nicht darüber informiert?" Der Prinz wandte sich an Sango. „Hast du davon etwas gewusst, meine Liebe?"
„Ja, sie kamen vor ein paar Tagen zu mir, als du auf der Jagd warst. Sie erzählten mir von einem Dämon, der ihr Leben bedroht, und da schickte ich sofort einen Boten zu meinem Vater und bat ihn stellvertretend für dich um Hilfe." Der Prinz nickte wohlgefällig. „Gut, dass ich Dämonenjäger nun in der Familie habe." Sango lächelte, doch Kagome kannte die junge Frau gut genug, um zu erkennen, wie aufgesetzt und falsch es war.
Oh, Sango, ich sehe, wie unglücklich du bist, warum hast du das nur getan? Miroku würde dich niemals so behandeln, er hat deine starke Seite geschätzt. - Na ja, vielleicht nicht immer. Nach dem Festessen zogen sich die Dämonenjäger zum Schlafen zurück. Sango und ihr Gemahl gingen noch ein wenig im Garten spazieren, mit Kagome und Midoriko als stillen Beobachtern. „Darf ich eine Bitte vortragen, lieber Gemahl?", hörten sie Sango unterwürfig sagen. Der Prinz lächelte wissend. „Du möchtest mich fragen, ob du deine Familie begleiten darfst." Sie blieben stehen. „Es würde mir sehr viel bedeuten."
„Du kennst meine Antwort. Es ist viel zu gefährlich, du könntest verletzt werden."
„Aber es ist nur ein niederer Dämon, ich habe früher schon stärkere als ihn bekämpft. Allein."
Da, da war sie! Die Sango, die sie kannte und wie eine Schwester liebte!
„Aber du bist jetzt meine Gemahlin und die Herrscherin über meine Ländereien! Es ziemt sich nicht für dich in den Kampf zu ziehen, das ist Männersache! Ich habe nie verstanden, warum dein Vater dich ausgebildet hat."
„Wenn nicht, wären wir uns niemals begegnet!", spie sie ihm ins Gesicht.
„Bereust du es etwa?"
Sango hielt betroffen inne. „Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, dich zu heiraten."
„Aber ich bin ein mächtiger Mann! Jede Frau würde dich beneiden!"
„Ich bin aber nicht wie alle Frauen! Mein Vater hat mich dazu erzogen, frei und unabhängig zu sein und jetzt stecke ich hier..." Sie brach ab und wagte es nicht, im in die Augen zu sehen.
„Gute Nacht, Sango", war alles, was ihr Mann sagte, bevor er sich verletzt zurückzog.
Kagome ballte ihre Hände zu Fäuste. „Dieser gemeine Bastard! Wie kann er Sango das antun!"
„Ganz ruhig, Kagome." Midoriko versuchte die Hüterin des Juwels zu beruhigen. „Bei allen Göttern, dieser Halbdämon hat wahrlich keinen guten Einfluss auf deine Sprache. Wie auch immer, du tust dem Herrscher unrecht."
„Was?" Kagome verstand es nicht, wollte es nicht verstehen. Ihre Freundin war in einem goldenen Käfig gefangen und das war in Ordnung? Versuchte Midoriko ihr das zu sagen?
„Sango ist jetzt eine Herrscherin, und als solche hat sie gegenüber ihrem Volk gewisse Pflichten. Sie kann ihr Leben nicht länger aufs Spiel setzen. Das Gesetz verbietet es."
„Dann ist es ein dämliches Gesetz! Er sollte ihr mehr vertrauen, Sango ist eine gute Kämpferin und sie hat selbst gesagt, der Dämon ist nicht sehr stark!" Midoriko lächelte traurig. „Der Dämon ist sehr mächtig, er verstellt sich nur, weil er die Dämonenjäger in eine Falle locken will."
„Naraku!"
„Nein, Naraku existiert nicht in dieser Welt. Trotzdem werden ihr Vater und ihr Bruder sterben." Kagome traten Tränen in die Augen und sie wollte zu Sango, um sie zu warnen. Doch Midoriko hielt sie fest. „Das darfst du nicht. Du bist nur ein Beobachter."
„Aber...aber wir müssen sie doch warnen!"
„Nein, es ist Zeit für uns zu gehen." Ohne ein weiteres Wort führte Midoriko eine verwirrte Kagome abermals fort.
