Kapitel 7

Für Kagome verging der Monat in der Tat wie im Fluge. Der Umzug in das Haus ihres Meisters, der Abschied von ihrer Familie: ihr Leben hatte wieder eine neue Richtung eingeschlagen, doch dieses Mal war es der natürliche Lauf der Dinge, den alle junge Menschen durchleben, wenn sie das Elternhaus verlassen.

Die Ausbildung war hart und anstrengend, ihr Meister verlangte sehr viel von ihr, aber Kaede hatte ihr schon so vieles beigebracht, dass ihr der Einstieg leicht fiel.

Als das Ende des Monats immer näher rückte, wurde sie immer unruhiger, bis es endlich soweit war und sie für ein Wochenende nach Hause durfte. Den Freitag Abend verbrachte sie mit ihrer Mutter, Souta und ihrem Großvater, doch wanderten ihre Gedanken bereits ständig in das japanische Mittelalter. Am Samstag morgen stand sie sehr früh auf. Ihre Mutter hatte ihr bereits ein paar Sachen für ihre Freunde eingepackt, so dass sie nur ihren vollen Rucksack schnappte und in neuer Rekordzeit zum Brunnen rannte. Bevor sie in den Brunnen sprang, blieb sie an dessen Rand stehen und ließ sich von der Vorfreude überwältigen. Dieser Monat war so aufregend und neu für sie gewesen, dass sie kaum an ihre Freunde gedacht hatte und keine Zeit gefunden hatte, sich auf diesen Moment zu freuen. Kagome wurde durch die unbändige Freude, ihre mittelalterlichen Freunde wieder zu sehen, ganz besonders einen Halbdämon mit goldenen Augen, niedlichen Hundeohren und ein Temperament wie ein brodelnder Vulkan, so aufgeputscht, dass sie leicht zitterte. Schließlich sprang sie in den Brunnen hinein, wurde von dem vertrauten blauen Licht empfangen und sanft in die Vergangenheit getragen. In, für menschliche Verhältnisse, Windeseile kletterte sie aus dem Brunnen und lief Richtung Dorf. Als sie die Hälfte zurückgelegt hatte, kam ihr eine vertraute Gestalt entgegen. „Inu Yasha!", rief sie aufgeregt. Er beschleunigte seine Schritte und Kagome konnte sich auch nicht mehr zurückhalten und rannte, mit dem Blick auf Inuyasha fixiert, los. Ihr kopfloses davon stürmen sollte sich bald rächen. Die junge Frau achtete nicht auf den Weg und blieb prompt mit ihrem Fuß an einer Wurzel hängen. Doch ihr Freund war schon bei ihr und sie fiel direkt in seine Arme, anstatt auf den Boden. „Graziös wie ein Engel, was?", begrüßte er sie. Mit großen, strahlenden Augen sah sie ihn an, lachte über seine Bemerkung. Sie stand mittlerweile wieder sicher auf ihren eigenen Füßen, doch Inu Yasha hielt sie immer noch fest. Er zog sie noch enger an seinen Körper heran und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. „Du bist zurückgekommen!", flüsterte er erleichtert. Kagome entspannte sich in seinen Armen. Sie glaubte einen Moment zu träumen, so hatte sie sich ihre erste Begegnung nur ihrer Fantasie vorgestellt, aber niemals geglaubt, dass er sie wirklich in seine Arme reißen würde und ...aber seine Worte verwirrten sie. „Natürlich bin ich zurückgekommen! Hast du wirklich daran gezweifelt?" Vorwurfsvoll sah sie ihn an. Gleichzeitig hielt sie ihren Atem an. In seinen Augen war so viel Freude zu sehen, sein Gesicht strahlte sie so fröhlich an, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. „Ich habe nicht an dir gezweifelt, aber...als ich mich das letzte Mal mit meiner...mit Kikyo treffen wollte, kam uns ein Dämon dazwischen." Kagome war erleichtert zu hören, dass er nicht an ihr zweifelte. „Keine Horde von Dämonen hätte mich davon abhalten können, zu dir zu kommen!", erklärte sie stolz. Seine Augen weiteten sich ungläubig, bis er plötzlich anfing zu lachen. „Was ist denn daran zu komisch?"

„Du...gegen eine Horde Dämonen...?" Sein Lachen blieb ihm im Halse stecken, als er ihren finsteren Blick bemerkte. Normalerweise wäre jetzt ein ‚Osuwari' gefolgt und er machte sich schon innerlich darauf bereit, bis ihm wieder einfiel: die Kette ist ja weg!

Beleidigt hatte sie ihn von sich geschubst und die Arme verschränkt. „Du glaubst immer noch, dass ich schwach und hilflos bin?"

„Nein! So hab ich das nicht gemeint! Es ist nur...weißt du..."

„Ich werde jetzt zu den anderen gehen." Ohne ihm einen weiteren Blick zuzuwerfen setzte sie ihren Weg zum Dorf fort, fast den Tränen nahe. So war ihre Fantasie doch wieder geplatzt. Es verletzte sie sehr, dass er sie immer noch für schutzbedürftig hielt.

„Verdammt, Kagome! Lauf nicht einfach weg! Hey, du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen!", brüllte er frustriert.

Als sie fast das Dorf erreicht hatten, schreckte ein donnerndes Gebrüll sie auf. Kagome blieb stehen und drehte sich zu Inuyasha herum, der bereits seine Nase in die Luft gestreckt hatte. „Hast du etwa das Juwel mitgebracht?", fragte er. Schuldbewusst griff Kagome an ihren Hals, wo das besagte Juwel hing.

„Er hat das Shikon no Tama gespürt. Schnell, wir müssen weg hier!", knurrte er, hob sie auf seine Arme und sprang hoch in die Bäume hinaus. Auf einem der größeren Bäume blieb er stehen. Sie konnten den Dämon sehen, der sich seinen Weg durch den dichten Wald pflügte und dabei keine Rücksicht auf Bäume nahm. „Bring mich ins Dorf zurück, damit ich meine Pfeile holen kann", sagte Kagome. „Um den Trottel kümmere ich mich, du hältst dich zurück!" Sie landeten wieder auf dem Boden und er setzte sie ab. „Ich habe meine Kräfte wieder, du musst mich nicht beschützen!", fuhr sie ihn an. Der Dämon kam immer näher. „Für diesen Mist habe ich jetzt keine Zeit! Ich werde dich weiterhin beschützen, ob es dir passt oder nicht! Das ist meine Aufgabe!" Er zog Tessaiga und stürmte mit einem wilden Kampfschrei auf den Dämon zu. Kagome war nicht gewillt, tatenlos zuzuschauen. Das Dorf war in der Nähe und sie verlor keine Zeit und machte sich auf den Weg.

Als sie zurückkehrte bot sich ihr ein Anblick, mit dem sie wahrlich nicht gerechnet hätte. Wieso lebte der riesige Bärendämon immer noch?

Warum war Inu Yasha in einer seiner Pranken gefangen und erlitt große Schmerzen?

„Oh nein, es ist genauso wie in meiner Vision! Inu Yasha! Halt durch!", rief sie so laut sie konnte. „Wo ist das Juwel!", brüllte der Dämon und richtete seine Aufmerksamkeit auf Kagome. „Dort, wo du ihn niemals finden wirst!", schrie sie zurück, zog einen Pfeil und legte an. „Gib mir das Juwel, dann werde ich dein kleines Schoßhündchen verschonen." Das böse Lachen des Dämons brachte Kagome zum Schauern, doch sie musste jetzt stark sein. Inu yasha versuchte vergeblich sich aus dem Griff des Monsters zu befreien. „Wage es ja nicht, Hand an sie zu legen! Ich bin dein Gegner!", schrie er wütend.

Der Dämon verstärkte seinen Griff um Inu Yasha und Kagome sah mit Schrecken, dass er vor Schmerzen aufschrie und dann bewusstlos zusammensackte.

Das reichte ihr jetzt. „Lass sofort meinen Gefährten los, oder ich werde dich endgültig vernichten!" Der Dämon nahm ihre Drohung nicht ernst. Wenige Sekunden später bereute er seine Voreingenommenheit. Ihr Pfeil traf seinen Kopf und er löste sich in Nichts auf. Inuyasha fiel zu Boden. Sofort eilte Kagome zu ihm. Er hatte Kratzer im Gesicht, aber sonst waren keine äußerlichen Verletzungen zu erkennen. Sie fühlte seinen Puls und war über das starke, gleichmäßige Pochen, das sie an seinem Hals spürte, froh. Er schlug seine Augen auf. „Was...was ist passiert?" Er wollte sich wieder aufsetzen, doch Kagome hielt ihn sanft zurück. „Ganz ruhig. Ich habe ihn erledigt." Sie kramte in ihrer Tasche nach Verbandszeug. Sein Schweigen machte sie nervös. „Was ist? Er war gar nicht so stark. Es wundert mich, dass du ihn nicht schon längst erledigt hattest." Er mied ihren Blick. „Es tut mir leid", sagte er leise. Kagome hielt inne. „Du hast es mit Absicht getan. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, um mich zu testen!" Sie packte seine linke Haarsträhne und zog kräftig daran, dass er gezwungen war, sie wieder anzusehen. Seine goldenen Augen sahen sie bewundernd an. „Nein, ich habe gewusst, dass du kommen würdest. Ich habe dir vertraut, so wie du mir immer vertraut hast." Seine Worte machten sie sprachlos. Er nahm ihre Hand, die immer noch seine Haare festhielt. „Ich habe vorhin Panik bekommen, dass du mich nicht mehr brauchst. Du hast deine Stärke in der Vergangenheit oft genug bewiesen und ich wusste, eines Tages wirst du stärker als ich sein. Diesen Tag habe ich gefürchtet, weil du mich dann nicht mehr brauchst. Als du deine Kräfte nicht mehr unter Kontrolle hattest, war ein Teil von mir froh, weil es mir einen Grund gab, bei dir bleiben zu können. Aber als ich deine Verzweiflung gesehen habe, wollte ich dir helfen."

„Indem du dich einem Dämon auslieferst? Du bist ein Idiot! Ich brauche dein Mitleid nicht!" Sie schwiegen ein paar Minuten und Kagome hatte sich wieder beruhigt. „Danke, dass du mir vertraust. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Und ich habe dich von Anfang an als Freund betrachtet und nicht als irgendein Beschützer", versicherte sie ihm.

„Dem Dämon hast du etwas anderes gesagt."

„Was meinst du?"

„Du hast mich ‚deinen Gefährten' genannt."

„Wie konntest du das hören? Warst du nicht bewusstlos?"

„Ich habe noch alles hören können. Als Halbdämon bin ich nicht so schwach, wie Menschen." Seine arrogante Antwort verärgerte sie. „Na und? Ist das was besonderes?"

Auf seine Erklärung war sie aber nicht vorbereitet gewesen.

„Bei Hundedämonen hat es einen anderen Sinn." Er machte eine bedeutungsvolle Pause und Kagomes Wangen nahmen einen verräterischen rötlichen Farbton an, als sie es verstand. „Als dein Gefährte, ist es meine Aufgabe, dich zu beschützen, dein Freund zu sein und zu...", er brach ab, unsicher wie sie reagieren würde. „Sag es, Inuyasha. Du brauchst keine Angst zu haben, du solltest wissen, was ich für dich empfinde."

„Du hältst mich für einen idiotischen, arroganten Trottel?"

Der hoffnungsvolle Glanz in ihren Augen erlosch. „Ja, die meiste Zeit über."

Bevor sie sich enttäuscht abwenden konnte, nahm er ihr Gesicht in seine Hände, beugte sich zu ihr herüber und küsste sie sanft.

„Ich liebe dich auch", sagte er und ehe er sich versah, war Kagome ihm um den Hals gefallen und beide fielen lachend zu Boden.

Etwas zersaust kehrten beide kurze Zeit später ins Dorf zurück, wo sie schon von ihren Freunden sehnsüchtig erwartet wurden. Kagome packte ihre Geschenke aus und verteilte sie: Süßigkeiten, Kreide und Papier für Shippo, ein grünes Schultertuch für Sango, ein paar Leckereien für Kirara und für Miroku Gebetsperlen aus gelber Jade. Danach zogen sich die Mädchen zum Baden zurück und Inuyasha schlug dieses Mal ohne zu zögern Miroku nieder, der den beiden natürlich wieder heimlich folgen wollte. Als Miroku ein paar Minuten später mit großen Kopfschmerzen wieder erwachte, sah er ihn beleidigt an. „Was sollte das? Sonst hast du wenigstens gewartet, bis ich ihnen gefolgt war." Inuyasha hob drohend seine Faust. „Wenn du auch nur in die Nähe meiner Gefährtin kommst, während sie badet, dann schlag ich dir deine Birne weich!" Der Mönch lachte nervös. „Ganz ruhig, Inuyasha. Nach deinem ungewöhnlich aggressivem Verhalten zu urteilen, hast du es ihr wohl endlich gesagt."

„Was geht dich das an?", schnauzte der Halbdämon zurück, musste aber grinsen.

„Na, endlich. Hat ja lange genug gedauert." Miroku stand auf.

„Wo willst du hin?", fragte Inuyasha, der dem Mönch nicht traute.

„Zu Sango natürlich." Miroku kam ein paar Schritte weit, als sein Freund ihn am Kragen packte. „Das schließt natürlich auch Mitglieder meiner Familie ein und da Sango und Kagome wie Schwestern sind, zähle ich auch sie dazu."

„Spielverderber", murmelte Miroku beleidigt, verzog sich an einen ruhigen Platz und meditierte.

Die Zeit verging wie im Fluge. Aber zwei Tage waren auch nicht sehr viel und abermals hieß es Abschied nehmen. Doch dieses Mal fiel er weniger Tränenreich aus, da alle wussten, sie würden sich in einem Monat wiedersehen. Inuyasha begleitete Kagome zu dem alten Brunnen, damit sie sich ungestört voneinander verabschieden konnten. Er sagte nichts, hielt die ganze Zeit über ihre Hand und ließ sie nicht los. „Du wirst sehen, der nächste Monat wird genauso schnell vergehen wie der letzte!", rief Kagome unbekümmert. „Ist es so einfach für dich?", fragte Inuyasha dumpf. Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn. „Ich würde dich auch gerne jeden Tag sehen, aber dann wäre ich zu sehr abgelenkt. Diese Ausbildung ist wichtig für mich, ich dachte, du würdest das verstehen." Er legte seine Arme um ihre Taille. „Aber wenn du weg bist, fühle ich mich so allein."

„Sango, Miroku und Shippo sind doch da."

„Sie können dich nicht ersetzen." Als sie sich von ihm löste und ihn ansah, bemerkte sie eine einzelne Träne, die über seine Wange kullerte, die er sofort wegwischte und er versuchte einen grimmigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Kagome durchschaute seine Fassade.

Schmerzt ihn unsere Trennung so sehr? Wenn er sogar weint?

Sie legte eine Hand auf seine Wange. „Du kannst mich Sonntags besuchen kommen." Er blinzelte ein paar Mal, bis er es verstanden hatte. „Wie oft ist das?"

„Alle sieben Tage, von heute an gerechnet. Aber rufe vorher an. Meine Mutter wird dir dabei helfen." Sein Gesicht hellte sich wieder auf. Er zog sie wieder in seine Arme und er küsste sie ein letztes Mal. Dann hob er sie auf seine Arme und brachte sie sicher in ihre Zeit zurück.

E N D E