Leaving
Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen auf die Bettdecke, die über ihn und sie gebreitet war.
Sie,
seine Traumfrau. Seine große Liebe. Der Mensch, den er bisher für
unerreichbar gehalten hatte. Der auch unerreichbar gewesen war...bis
zum gestrigen Abend.
"Hmm..." Sie schmiegte sich enger an ihn, lächelte im Schlaf und schien glücklich zu sein.
Du bist nicht wie ich
Doch das ändert nicht
Dass du bei mir bist
Und ich zuseh´ wie du schläfst
Gott, er könnte sie
stundenlang anschauen. Ihre dunklen Locken, welche ihr Temperament
erahnen ließen, die kristallähnlichen, blauen Augen, die im Moment
geschlossen waren. Ihre weichen, erdbeerroten Lippen, und nicht zuletzt
ihr perfekter Körper. Ihre weiche, samtige Haut.
Wie konnte man diese Frau nicht lieben?
Du bist noch längst nicht wach
Ich war's die ganze Nacht
Und hab mich still gefragt
Was du tust, wenn ich jetzt geh
Er dachte an den gestrigen
Abend zurück; an den Probelauf des Dragonfly Inn, an den Abend mit
Babette, Miss Patty, Taylor und all den anderen. An Jason, der
ungebeten aufgetaucht war und unabsichtlich etwas Neues, Schönes
ausgelöst hatte.
Hätte er sich nicht über diesen Kerl aufgeregt,
wären sie beide vielleicht nie dazu in der Lage gewesen, den
entscheidenden Schritt zu machen.
Bei der Erinnerung an den Kuss vor
dem Hotel musste er unwillkürlich lächeln, denn dies war ohne Frage
einer der besten Augenblicke seines Lebens gewesen.
Und nun, nach einer Nacht voller Leidenschaft, lag er hier mit ihr und konnte nicht aufhören, nachzudenken.
Denn
er wusste, dass sie ihn nicht liebte. Er konnte noch nicht einmal
sagen, warum er es wusste, doch die bittere Gewissheit, dass sie nicht
bei ihm bleiben würde, hatte sich wie ein Pfeil in sein Herz
gebohrt...und er wusste, dass die Wunde wohl nie verheilen würde.
Die
paar Stunden, die sie schlafend an seiner Brust verbracht hatte, hatten
ihm gereicht, um eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, die
ihm schwerer als alles andere auf dieser Welt fallen würde, die jedoch
dennoch die einzig richtige war.
Ein letztes Mal strich er behutsam
eine Haarsträhne aus ihrer Stirn. Ließ seine Augen noch einmal über ihr
schönes Gesicht gleiten, versuchte, sich jedes einzelne Detail
einzuprägen. Dann schließlich gab er ihr einen letzten, zärtlichen
Kuss, sanft, um sie nicht aufzuwecken. Denn sie würde ihn nicht
verstehen. Es kostete ihn mehr als viel Überwindung. Nur langsam, mit
geschlossenen Augen, löste er seine Lippen von ihren.
Und dann verlass ich deine Stadr
Ich seh zurück und fühl mich schwer
Weil grade angefangen hat
Was du nicht willst und ich zu sehr
Ich bin der Regen und du bist das Meer
Leise schlug er die
Bettdecke ein wenig zurück, stand vorsichtig auf und blickte ein
letztes Mal auf, bevor er sich rasch anzog, das Hotel unbemerkt verließ
und zu seiner Wohnung fuhr.
Innerhalb einer Stunde hatte er alles Notwendige erledigt, und es dauerte nicht lange, bis er schließlich in seinem Wagen saß.
Eine
Weile saß er einfach nur da, ohne irgendetwas zu tun. In seiner Hand
hielt er die Autoschlüssel, doch es war, als würde eine unsichtbare,
unerklärbare Macht ihn davon abhalten, die Hand zu heben und den Motor
zu starten. Um das zu tun, was das Schlimmste für ihn und das Beste für
sie war.
Ich hab gedacht ich kann es schaffen
Es zu lassen
Doch es geht nicht
Hab's ´n bisschen übertrieben
Dich zu lieben
Doch es geht nicht
Er wusste nicht, warum sie es getan hatte.
Warum sie seine Küsse erwidert, sich in seiner Umarmung verloren hatte,
warum sie diese Nacht so sehr genossen hatte. Jeder andere würde jetzt
sagen: "Das hat sie getan, weil sie dich liebt"
Aber
er wusste, dass das nicht wahr war. Er war für sie ein guter Freund,
ihr Kaffeedealer, doch nicht mehr. Denn er war nicht das, was sie
wollte. Vielleicht würden sie glücklich sein, für ein paar Tage, oder
auch Wochen...doch sobald diese erste, wunderbare Phase der
Verliebtheit vorbei war, würde es zerbrechen...weil sie dann
letztendlich erkennen würde, dass das, was sie fühlte, keine Liebe war.
Ihm
war klar, dass sie das alles nicht gewollt hatte, auch wenn es so
schien. Und er hätte sich niemals dazu hinreißen lassen dürfen...
Nichts unversucht gelassen
Dich zu hassen
Doch es geht nicht
Es geht nicht
Er schluckte. Holte tief Luft, versuchte, ruhig
ein und aus zu atmen, und schließlich schaffte er es, den Motor zu
starten. Das monotone Brummen erschien ihm lauter als sonst, und einen
Moment lang fürchtete er, sämtliche Nachbarn damit aufzuwecken.
Doch
in der kleinen, idyllischen Stadt war alles friedlich. Denn keiner
ahnte, dass es bald eine nicht mehr zu füllende Lücke geben würde.
Ich bin nicht wie du
Ich mach die Augen zu
Und lauf blindlings durch die Straßen
Hier bin ich, doch wo bist du?
Er warf einen letzten Blick auf sein Diner. Seinen Laden, das einzige, was ihm von seinem Vater noch geblieben war. Doch selbst das Diner erinnerte ihn an sie. Nicht zum ersten Mal dachte er zurück an den Augenblick, in dem sie durch seine Tür getreten war und sein Leben aufgewirbelt hatte. Sein ruhiges, problemloses, einsames Leben...
Soll das alles sein?
Ich war so lang allein
Es war alles ganz in Ordnung
Ganz okay und dann kamst du
Es tat weh, an sie zu denken, so weh, dass er halb erwartete, früher oder später einen Unfall zu bauen. Es fiel ihm schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Denn in seinem Kopf war nur Platz für sie. Seit acht Jahren.
Und jetzt verlass ich deine Stadt
Ich seh zurück und fühl mich schwer
Weil grade angefangen hat
Was du nicht willst und ich zu sehr
Ich bin der Regen und du bist das Meer
Mittlerweile war die
Sonne komplett aufgegangen, und das Schild, welches verkündete, dass
man nun die Stadt verließ, war in ein warmes, weiches Licht getaucht.
Er wagte es nicht, das Schild anzuschauen. Sie wirbelte durch seine
Gedanken wie einst durch sein Leben...er konnte es kaum ertragen, die
Gewissheit, dass er sie nie wieder sehen würde, ließ ihn verzweifeln,
ließ ihn leiden, und er wusste nicht, wie er je wieder dazu fähig sein
sollte, sein Leben normal zu leben.
Gott,
er hasste diese Straße. Alles war menschenleer, es ging stumpf
geradeaus, und nirgends war ein Zeichen, ein Wegweiser oder wenigstens
irgendetwas, um sich abzulenken.
Ob sie wusste, wie schwer es für
ihn war? Ob sie wusste, dass er es nur für sie tat? Weil er sie mit
jeder Faser seines Körpers liebte?
Es würde ihm dann zumindest ein
bisschen besser gehen...denn er wusste auch, dass er ihr weh tat...dass
sie nicht verstehen würde, warum er gegangen war...warum er gehen
musste...
Ich bin der Regen, du das Meer
Sanfter Regen regnet leise
Ich bin der Regen, du das Meer
Sanfter Regen zieht im Wasser große Kreise
Sie erwachte und fühlte sich glücklich. Einfach nur glücklich, denn ein wundervoller Mann lag an ihrer Seite.
Mit
noch immer geschlossenen Augen streckte sie die Hand aus, um ihn zu
erfühlen, sich an ihn schmiegen zu können, ihm zärtlich einen guten
Morgen zu wünschen.
Sie öffnete die Augen abrupt, als sie realisierte, dass er nicht da war.
Einen Moment lang runzelte sie die Stirn, doch dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen.
Bestimmt holte er gerade Frühstück...
Ich hab gedacht ich kann es schaffen
Es zu lassen
Doch es geht nicht
Er war immer so furchtbar lieb gewesen, auch wenn ihr das nicht oft aufgefallen war. Er war da, wenn sie ihn brauchte, stand immer hinter ihr, half ihr, egal was für Probleme sie hatte. Er war einfach für sie da, wie es sonst niemand war.
Hab's ´n bisschen übertrieben
Dich zu lieben
Doch es geht nicht
Sie wartete nun schon seit einer halben Stunde, und allmählich wurde ihr etwas klar. Etwas, das schon seit der letzten Nacht in ihrem Hinterkopf herumspukte, von ihr jedoch erfolgreich verdrängt worden war. Etwas endgültiges. Sie stand am Fenster und betrachtete den blauen Himmel.
Nichts unversucht gelassen
Dich zu hassen
Doch es geht nicht
Es geht nicht
Tränen bahnten sich ihren Weg, flossen über
ihre Wangen, tropften leise auf den Boden und zeigten die
Verletzlichkeit dieser sonst so starken Frau. Zeigten, wie sehr sie die
Wahrheit hasste.
Sie warf einen Blick auf das leere Bett.
Genau
in diesem Augenblick wurde ihre Ahnung zu grausamer Gewissheit, an
diesem sonnigen, friedvollen Tag. Ihr wurde klar, dass er weg war. Dass
er nicht mehr wiederkommen würde.
Doch das Schlimmste war, dass sie wusste, dass es richtig war.
Ich hab gedacht ich kann es schaffen
Es zu lassen
