„Jack ist wieder da!" sagte Charlie glücklich und deutete auf das Zelt hinter ihm. Er wird gleich kommen." Sawyer richtete sich ein wenig auf und drehte sich um. Ihm war ein wenig mulmig vor der Konfrontation. Schließlich waren sie gestern nicht wirklich im Guten auseinander gegangen.
„Hoffentlich hat er sich wieder eingekriegt!" sagte er zynisch, damit die anderen seine Unsicherheit nicht bemerkten.
„Ganz sicher Sawyer. Lass ihn bitte einfach ein bisschen in Ruhe." Kate besah ihn mit einem warnenden Blick und drehte sich dann wieder Claire zu, die mit ihr über die bevorstehende Geburt sprach.
„Hey Freckles, er hat angefangen nicht ich!", kommentierte er ihren bösen Blick noch kurz und legte sich dann wieder entspannt in den Sand zurück.
Kurze Zeit später war er von dem stetigen Gemurmel um sich herum eingeschlafen.
„Sawyer, wach auf, los komm schon." Die durchdringende Stimme von Hurley ließ ihn erschreckt auffahren. Mit einem verkrampften Gesicht und einem unterdrückten Stöhnen saß er nun aufrecht und sah den anderen wütend, der Störung wegen, an.
„Was soll das Fettsack?", fragte er giftig und blickte Hurley genervt an.
„Jack ist weg!" Die Worte brauchten lange, bis sie zum Gehirn des Verletzten durch drangen.
„Wie er ist weg?", fragte Sawyer und er spürte ein kurzes Verkrampfen seines Herzens.
„Er ist gegangen. Hat seine Sachen genommen und einen Brief da gelassen. Der ist an dich gerichtet."
Die Augen des Blonden waren nun weit aufgerissen. Jack war weg und hinter ließ einen Abschiedsbrief! Das machte doch alles keinen Sinn.
Hurley, der endlich wissen wollte was los war, drückte dem Südstaatler energisch das Stück Papier in die Hand, das Jack an Sawyer adressiert hatte.
„Lies schon. Vielleicht hilft es uns weiter", forderte er schon fast panisch auf.
„Schon gut, ich lese ja schon..." Und somit begann er den Brief zu entfalten und laut vorzulesen...
Lieber Sawyer,
wenn Du diese Zeilen liest, werde ich schon nicht mehr da sein. Ich habe beschlossen mein Leben allein weiterzuführen. Fern ab von der Gruppe und vor allem von Dir.
Ich habe gemerkt, dass ich mir die ganze Zeit etwas vor gemacht habe. Ich habe in jeder freundlichen Geste, die Du mir geschenkt hast, etwas gesehen, was nie existierte.
Ich habe gedacht, Du könntest mich genauso lieben wie ich Dich, doch die Annahme war falsch. Es war einfach nur Zuneigung, die Du mir zurück gabst. Reine und vorbehaltslose Freundschaft.
Es tut mir leid, dass es jetzt so enden muss. Du hast mir sehr viel von Dir preis gegeben, dass ich immer in meinem Herzen bewahren werde. Ich werde es Dir nie vergessen, dass Du mir als ersten Menschen vertraut hast und mich Dir Geborgenheit geben ließt.
Am meisten schmerzt es mich aber, Dich nun allein zurückzulassen. Aber ich bin mir sicher, dass Kate oder Sayid meinen Platz ohne Probleme einnehmen werden. Vorhin sah ich Dich, an Sayid gekuschelt und da wurde mir klar, dass ich an dieser Stelle nicht mehr gebraucht werde.
Es ist immer so im Leben. Der Arzt rettet das Leben, macht einen gesund, aber wenn der Patient dann fit ist, wird der Doc vergessen.
Ich wünsche Dir alles Gute und das Du jetzt ein Leben leben kannst, dass Deiner würdig ist...Du bist ein großartiger Mensch James Sawyer und dafür werde ich Dich immer lieben. Vergiss das nie...
In Liebe
Dein Doc – Jack -
Die letzten Zeilen hatte Sawyer so leise gelesen, dass die anderen nur noch mit Mühe verstanden.
„Er kann mich doch nicht verlassen!", sagte er leise und verzweifelt. „Bitte nicht!" Die Stimme klang flehend und Kate liefen erste Tränen über die Wangen. Sie hatte gehofft, dass ihr Gespräch am Wasserfall etwas gebracht hatte, doch scheinbar...
„Hey, er kriegt sich bestimmt bald wieder ein..." Sayid klang sanft und er berührte Sawyer vorsichtig am Arm um ihm in dem Moment Halt zu geben.
Dieser jedoch stieß diesen weg, wollte die Berührung nicht zulassen.
„Ich habe es gewusst." Sawyer versuchte sich aufzurappeln und aufzustehen. „Warum sollte so jemand wie ich auch einmal glücklich sein..."
Ein Schmerzenslaut und er stand auf den Beinen.
„Lasst mich jetzt ja in Ruhe!" zischte er den anderen zu, die versuchen wollten, ihm aufzuhelfen und ihm Trost zu spenden.
Kate blickte die anderen bittend an. Sie wusste, dass er jetzt Ruhe und vor allem Zeit bräuchte.
Innerlich ärgerte sie sich furchtbar über Jack, der aus reinem Egoismus so gehandelt und zum zweiten Mal die Folgen nicht bedacht hatte.
Sie wusste, dass Sawyer diesen Brief sicher falsch verstehen würde. Er würde wieder die Schuld bei sich suchen.
„Jack ist so ein Idiot!" Sayids dunkele Augen blitzend wütend. „Er, der sonst immer von Feinfühligkeit sprach, hat selbst die eines Elefanten im Porzellanladen!"
Charlie nickte betroffen. „Das hätte ich so gar nicht vermutet, dass er vor einer Situation weg läuft! Er war doch seit Beginn hier unser Anführer!"
„Ja, er war der Anführer, aber scheinbar kommen nun auch bei ihm Seiten ans Licht, die wir am Anfang nicht haben sehen können. Verdammt! Endlich hat sich Sawyer in die Gruppe integriert und jetzt ist wieder alles zu Nichte und ich fürchte, dass der Schaden, den unser Doc dieses Mal verursacht hat, nicht zu reparieren ist." Sayid Stimme klang unnatürlich traurig. Scheinbar hatte er sich wirklich sehr darüber gefreut, mit dem Blonden langsam eine Ebene zu finden, aber das war jetzt sicher vorbei.
„Beruhigt euch mal ein wenig." Kate wischte mit dem Ärmel noch schnell die letzten Tränen aus den Augenwinkeln bevor sie fortsetzte „Was auch immer Jack dazu getrieben hat, wir müssen ihn suchen gehen. Er kann nicht allein im Dschungel überleben. Jagen und Früchte sammeln haben bis her immer die anderen gemacht, da er hauptsächlich mit der Gesamtorganisation und der Betreuung der Kranken und Verletzten beschäftigt war. Er wird sich nicht zurecht finden..."
Locke nickte zustimmend. „Du hast Recht Kate. Ich denke auch nicht, dass er länger als eine Woche allein zu Recht kommen wird. Ich werde morgen früh bei Tagesanbruch aufbrechen. Ich kenne die Insel immer noch am besten von uns allen. Essen habt ihr noch genug für die nächsten drei Tage und bis dahin werde ich zurück sein. Mit oder ohne Jack."
Ein Moment des Schweigens entstand, bis Sayid in die Runde fragte: „Gut, das mit Jack wäre geklärt... aber was machen wir jetzt mit Sawyer? Eigentlich darf er sich in dem Zustand, in dem er sich befindet nicht aufregen." Alle anderen nickten zustimmend. „Ich habe keine Ahnung. Kate steht ihm eigentlich nach Jack am nächsten. Vielleicht wäre es gut wenn sie..." Claire sah die anderen fragend an. „Ja ich werde mich um ihn kümmern. Ich habe gesehen, dass er wieder zu seinem alten Platz zurück gekehrt ist. Ich werde gleich mal schauen, wie es ihm geht." Damit stand die braungelockte Frau auf und schritt auf den Dschungel zu.
„Sawyer?" fragte sie leise und sah ihn auf dem Rücken zwischen dem Farnkraut liegen.
„Was willst du Freckles. Lass mich in Ruhe, ja?" Er klang ruhig und resigniert.
„Hast du was dagegen, wenn ich dir ein wenig Gesellschaft leiste?" Sie dachte die Antwort eigentlich schon zu kennen, doch er nickte nur und deutete auf den Platz neben sich.
„Danke."
Nach einer Weile des Schweigens, in denen beide nur den Geräuschen des Winds in den Blättern und den Vogelschreien lauschten, räusperte sich Sawyer und begann langsam zu sprechen „Warum hab ich nur wieder alles falsch gemacht? Ich war so froh und habe mich so gut gefühlt, seit Jack und ich uns ausgesprochen hatten. Warum nur hatte er Angst das ich ihn nicht lieben würde? Ich weiß zwar, dass ich ihm gesagt habe, ich wüsste nicht was Liebe ist , aber ich habe nie ausgeschlossen, dass das Gefühl für ihn Liebe war."
Kate sah in die blaugrauen Augen, die ein großes Farnblatt fixierten, an dem sich eine dicke Raupe ihren Weg suchte.
„Das ist es denke ich nicht, was ihn zu dem Schritt bewegt hat Sawyer."
Er versuchte sich auf die Seite zu drehen um sie beim Sprechen anschauen zu können, aber nach einem schmerzhaften Versuch gab er das gleich wieder auf.
„Aber was war es dann?" Er hielt kurz inne um dann weiter zu sprechen „Ich für mich habe jetzt auch eine Entscheidung getroffen. Der James Sawyer der letzten Tage, wird heute für immer von der Bildfläche verschwinden. Was hat es mir denn gebracht Gefühle zuzulassen, mich jemanden anzuvertrauen?"
Kate ahnte die nächsten Worte bereits voraus, ehe sie der Blonde aussprechen konnte. „Nichts als noch mehr Schmerz und Verlust. Nein, ich möchte lieber wieder der böse Sawyer werden, denn mit Hass kann ich wesentlich besser umgehen, als mit Liebe und Zuneigung."
Kate schüttelte nur traurig den Kopf. „Bitte Sawyer..." Sie blickte auf den Boden und strich sich unruhig durch die langen dunklen Haare. „Bleib so wie du jetzt bist. Wir würden dich vermissen."
Seine Antwort bestand jedoch nur aus einem kurzen Satz, den er in einem total verbitterten Tonfall sagte „Nein Kate, ich habe meine Entscheidung getroffen."
Der nächste Morgen kam und Kate, die nach dem Gespräch zurück zu den anderen gegangen war, wachte neben Sayid auf, der ihr tröstend zur Seite gestanden hatte.
All das hier, Jacks Verschwinden und Sawyers Worte hatten sie emotional mehr mitgenommen, als sie es vor sich selbst zugeben wollte.
„Guten morgen Kate, du siehst nicht besonders ausgeschlafen aus." Begrüßte sie der Iraker mit einem leichten Lächeln.
„Ich fühl mich auch nicht wirklich gut. Hab schlecht geschlafen." Sie rieb sich die Augen und wollte schon zum Waschen zum Strand runter gehen.
„Warte bitte ein paar Minuten." Hielt sie Sayid auf.
„Warum? Vielleicht bringt mich das wieder auf die Beine."
„Sawyer ist gerade nach unten gegangen. Vielleicht solltest du ihn lieber in Ruhe lassen." Seine warmen dunklen Augen blickten sie durchdringen an.
„Ich soll ihm aus dem Weg gehen? Niemals! Er kann vielleicht wählen, dass er keinen Kontakt will, aber ich werde nicht bereit sein kampflos aufzugeben!" Damit schnappte sie sich ein paar frische Klamotten und ging zum Strand hinunter.
