Kapitel 3
in welchem Blaise über die Farbe Grün nachdenkt
Blaise hatte die Farbe Grün nie besonders gemocht. Das war etwas bedauerlich für ihn, da es nicht nur eine seiner Hausfarben war, sondern auch Teil seines Familienwappens. Jeden Morgen wachte er auf mit der Farbe Grün in seinem Blickfeld: Der Baldachin seines Himmelbettes in diesem Schlafsaal war grün, wie auch die Decke seines Schlafzimmers zu Hause. Er war in seinem ersten Schuljahr zu Weihnachten nach Hause gekommen und hatte festgestellt, daß seine Eltern sein Zimmer in den Slytherin-Farben neu dekoriert hatten. Sie hatten offensichtlich geglaubt, ihm damit eine Art Gefallen zu tun.
Blaise sah das nicht so.
Seines Wissens gab es nur wenige Slytherins, die die Farbe tatsächlich mochten. Aus dem Stand heraus konnte er nur Daphne Greengrass nennen, die diese Farbe trug, als würde sie bald aus der Mode kommen. Als er an die dunkelbraunen Roben bei Gladrags zurückdachte, fiel ihm auf, daß sie das wahrscheinlich auch tat.
Am Ende der ersten Klasse war er zu dem Schluß gekommen, daß es vier Arten von Slytherins gab. Die erste Gruppe bestand aus den archetypischen Slytherins, die der Sprechende Hut jedes Jahr beim Begrüßungsfestmahl beschrieb. Draco Malfoy war so ein Slytherin, voller reinblütiger Ideale und Stolz auf sein Haus.
Die zweite Gruppe war die, zu der Blaise sich zugehörig fühlte, die Slythclaws. Es waren Slytherins mit Ravenclaw-Tendenzen, denen es wichtig war, wie gut sie in der Schule waren, und sie hatten tatsächlich etwas im Kopf, im Gegensatz zu einigen Slythpuffs. Diese Slytherins mit Hufflepuff-Tendenzen hätten einen gerissenen Plan vermutlich nicht einmal dann erkannt, wenn er nackt vor ihnen getanzt hätte. Nein, diese Slytherins hielten sich bedeckt und waren diejenigen, bei denen Freundschaften mit Mitgliedern anderer Häuser am wahrscheinlichsten waren.
Die vierte und letzte Gruppe war natürlich die mit Gryffindor-Tendenz. Das war nicht unbedingt etwas Schlechtes, und Blaise hatte festgestellt, daß das diejenigen waren, die sich einen schlauen Plan ausdachten und ihn dann verwarfen und improvisierten.
Blaise nahm an, daß das auch auf die anderen Häuser zutraf, wenn es in Slytherin so war. Zum Beispiel die unheilige Trinität bestehend aus Potter, Granger und Weasley.
Weasley war, soweit Blaise das erkennen konnte, der typische Gryffindor. Er erinnerte Blaise tatsächlich oft an einen schlechtgelaunten Löwen. Potter auf der anderen Seite war schwieriger einzuordnen als seine Gefährten. Granger hatte offenkundig Ravenclaw-Tendenzen, aber der Junge, der lebte schien sich eher slytherinhaft zu verhalten. Es gab auch Zeiten, da schien er sehr wie ein Hufflepuff zu sein, und wenn die Gerüchte über seine ZAG-Noten stimmten, hatte er auch eine Ravenclaw-Tendenz.
Da er gerade bei Granger war, er würde zu spät zum zweiten ihrer beiden wöchentlichen Treffen kommen. Beim ersten brachte er ihr Italienisch bei, beim zweiten gab sie McGonagalls Wissen über die Animagus-Verwandlung an ihn weiter.
Es war die Woche vor Halloween, und die Flure wurden schon für den besonderen Tag geschmückt. Wenn man einen Blick nach oben riskierte, sah man höchstwahrscheinlich mehrere Kürbisse nahe unter der Decke herumschweben. Auch die Rüstungen, die entlang der Korridore aufgestellt waren, wurden einbezogen und waren verzaubert worden, damit sie Halloweenlieder sangen.
Er tappte fast geräuschlos durch einen geheimen Flur, der parallel zu dem verlief, in dem sich die Räume für Zauberkunst befanden, zu dem Raum, in dem er sich mit Granger traf. Ihre Treffen waren ein wenig verstohlen, besonders dieses. Daß er Hermine Italienisch beibrachte, war einigermaßen nachvollziehbar, aber was Hermine ihn lehrte, mußte streng geheimgehalten werden.
Als er den Raum erreichte, saß Granger mit geschlossenen Augen im Schneidersitz auf dem Fußboden. Er hustete leise, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie riß die Augen auf und stand eilig auf. "Zabini! Du bist schon hier?"
"Sieht so aus."
"Ach ja, richtig." Sie schob sich eine verirrte braune Haarsträhne hinters Ohr. "Bis wo sind wir letzte Woche gekommen?" fragte sie in nüchternem Tonfall.
"Wir waren bei einigen Atemübungen, glaub ich. Ich krieg's allerdings noch nicht ganz hin."
"Es dauert eine Weile", gab sie zu. "Komm, setz dich und zeig mir, wie du es machst." Es gab keine Stühle im Raum, also setzte Blaise sich auf den Boden. Hermine sank auf die Knie und beobachtete ihn eingehend.
'Ein durch den Mund, aus durch die Nase, ein durch den Mund, aus durch die Nase, ein durch den Mund...', wiederholte Blaise sein Mantra vor sich hin. Seine Lippen bewegten sich kaum dabei. Er war erschrocken, als er eine Hand auf seiner Brust fühlte.
"Was machst du?"
"Du mußt dich entspannen", erklärte sie ruhig, wobei sie seinen Blick mied. "Du bist zu angespannt. Außerdem konzentrierst du dich mehr aufs Atmen als auf die Verwandlung."
Blaise seufzte. "Ich werd' das nie verstehen."
"Doch, das wirst du", versicherte Hermine. "Sogar ich kann es jetzt, und ich finde es schwerer, mich zu entspannen, als du dir vorstellen kannst."
"Wie kommst du mit der Verwandlung voran?"
In ihren Augen lag ein merkwürdiges Leuchten. "Ich glaube, ich komme der Sache näher. Ich meine, McGonagall sagt, ich sollte nicht so viel üben, weil ich mich sonst verausgabe, aber ich glaube, ich werde besser."
"Weißt du schon, was deine Gestalt ist?"
Die Gryffindor schüttelte den Kopf. "Nein, aber... es ist, als wüßte ich, daß es da ist und nur auf mich wartet. Ich habe neuerdings Träume, aber ich kann mich an nichts erinnern, wenn ich aufwache. Ich glaube, ich Traum weiß ich, was es ist. Was ist mit dir?"
"Es ist alles verschwommen", gestand er. "Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt eine habe." Hermine schüttelte den Kopf.
"Nein, jeder hat eine Tiergestalt, es kann sie nur nicht jeder erreichen."
"Vielleicht bin ich ja einer von diesen Leuten", meinte Blaise mürrisch.
"Ich meinte eigentlich Muggel. Obwohl...", fuhr sie fort, "es gibt da ein faszinierendes Kapitel in dem Buch, das ich gelesen habe, über Indianer, und..."
"Granger, die verdammten Indianer sind mir egal."
"Alles, was ich sagen will, ist", sprach Hermine weiter, "daß du nicht die Hoffnung aufgeben solltest. Du hast gerade erst angefangen."
ooOOoo
Blaise war positiv überrascht, als er den Entwurf für seine Hausarbeit für Alte Runen von Professor Mayfair zurückbekam. Sie war voll des Lobes für seine Arbeit und hatte diverse Kommentare dazugeschrieben, in denen sie ihm Bücher empfahl, die er für weitergehende Informationen durchsehen konnte. Einen ihrer Vorschläge plante er jedoch zu ignorieren:
Vielleicht sollten Sie und Ms Granger darüber nachdenken, ihre Ideen auszutauschen, da Sie beide dasselbe Thema bearbeiten. Sie haben beide einige sehr interessante Ideen und könnten davon profitieren, sie zu diskutieren.
Auf keinen Fall. Das würde bedeuten, noch mehr Zeit mit Granger zu verbringen, und Blaise war nicht sicher, ob er das verkraften würde. Sie war nicht ganz so unerträglich wie zu Beginn des Jahres, aber sie ging ihm immer noch auf die Nerven. Sie war noch immer eine Besserwisserin, aber sie hatte eine weiche Seite, und Blaise nahm an, daß sie - im richtigen Licht betrachtet - eigentlich ganz hübsch war.
Moment. Stop, sofort. Woher war das gekommen? Granger war nicht das geringste bißchen hübsch. Sogar an einem guten Tag sahen ihre Haare aus, als hätte es eine kleine Explosion gegeben, und sie schien sich für ihr Aussehen nicht im mindesten zu interessieren. Außerdem waren ihre Augen viel zu braun. Zugegeben, das eine Mal beim Weihnachtsball hatte sie sich ganz nett rausgeputzt, aber einmal in etwas mehr als fünf Jahren war gar nichts.
Aber andererseits hatte sie es geschafft, sich Viktor Krum als Ballpartner zu angeln. Dieser Gedanke ärgerte Blaise ein bißchen, waren die Jungen aus Hogwarts nicht gut genug für sie? Er gab sich alle Mühe, sich diesen Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Viktor Krum war ein weltberühmter Quidditchspieler, hätte er Blaise gebeten, ihn zum Ball zu begleiten, hätte er wahrscheinlich "ja" gesagt.
Abgesehen von ihren Treffen zweimal in der Woche und Alte Runen sah Blaise kaum etwas von der Gryffindor-Vertrauensschülerin. Sie hatte die unheimliche Fähigkeit, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, und er war sicher, daß er sie immer seltener am Gryffindor-Tisch in der Großen Halle sah.
Als Blaise seinen Löffel in seine Schale mit Haferbrei tauchte, wurde seine Aufmerksamkeit von einer hartnäckigen Stimme an seiner Seite auf den Syltherin-Tisch zurückgelenkt.
"Blaise? Blaise?"
Oh nein. Nicht Pansy Parkinson. Was wollte sie? "Hallo, Pansy", begrüßte er die Vertrauensschülerin lustlos, ohne jeden Enthusiasmus.
"Kann ich mit dir reden?"
"Nur zu."
"Privat?" Sie hörte sich tatsächlich ziemlich besorgt an. Das dunkelhaarige Mädchen nahm eine Apfelsine aus einer Schale auf dem Tisch und begann, nervös an der Schale herumzufummeln.
Blaise seufzte. "Kann ich erst zu Ende frühstücken?" fragte er.
"Sicher."
So hatte er sie noch nie gesehen. Normalerweise strotzte sie vor Selbstvertrauen und Lip-Gloss, aber heute, stellte Blaise fest, trug sie nicht einmal das geringste bißchen Make-up. Sie sah jünger aus als sonst, fand Blaise. Wenn nicht sogar verängstigt. Irgend etwas machte ihr zu schaffen, sogar er konnte soviel erkennen.
Als er seinen letzten Bissen heruntergeschluckt hatte, ließ er seinen Löffel in seine Schale fallen und stand auf. "Also, komm schon", sagte er leise.
Sie führte ihn in ein nahegelegenes Klassenzimmer. "Danke, Blaise. Ich muß wirklich mit jemandem reden."
"Warum kannst du nicht zu jemandem gehen, der dich besser kennt?"
"Weil die mir nicht zuhören werden. Du bist ein guter Zuhörer, Blaise. Nicht wie Daphne, die alles rumerzählen wird, gleich nachdem ich's ihr erzählt habe, oder Tracey, die mich im Augenblick wahnsinnig macht." Sie sah einen Moment lang nachdenklich aus. "Millicent würde wahrscheinlich lachen", fügte sie hinzu.
"Wahrscheinlich", stimmte Blaise zu. Millicent war etwas zynisch, wenn es um Herzensangelegenheiten ging, und Blaise vermutete, daß es das war, worum es hier ging. "Was ist mit Draco?" Wenn Pansy nicht mit ihrer Mädchenclique zusammen war, hing sie an Malfoys Arm.
Sie wirkte unruhig. "Er ist genaugenommen Teil des Problems."
"Also, worüber wolltest du reden?"
Panik blitzte in ihren dunklen Augen auf. "Wenn ich es dir sage, dann darfst du es niemandem erzählen, Blaise. Versprochen?"
"Ich versprech's." Lag es an ihm, oder wurde Pansy mit jeder Minute melodramatischer?
"Ich will mit Draco Schluß machen."
Nun, das war sicherlich unerwartet. Noch am Abend zuvor hatte Pansy an jedem Wort ihres Freundes gehangen und praktisch den Boden angebetet, auf dem er ging. "Darf ich fragen weshalb?"
Sie nickte leicht. "Ich glaube, ich hab mich in jemand anders verliebt."
"Und empfindet er oder sie genauso?"
"Es ist ein Er." Pansy schien von Blaises Andeutung eher amüsiert als beleidigt zu sein. "Und ich glaube schon."
"Wer ist es?" Röte überzog Pansys Wangen bei dieser Frage, und ihre Antwort kam als ein Quieken heraus.
"Ron Weasley."
ooOOoo
"Blaisilein, du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Was ist los?" Millicent setzte sich neben Blaise auf die Mauer. Sie waren im zentralen Schloßhof, der beinahe verlassen war, da es Mittagszeit war und die Mehrzahl der Schüler zum Essen in der Großen Halle war. Blaise hatte sich entschlossen, das Essen ausfallen zu lassen und saß draußen auf einer Mauer und las.
Millicent, die nie eine Mahlzeit versäumte, reichte ihm ein belegtes Brot. So wie es aussah hatte sie schon gegessen. "Stimmt was nicht?" fragte sie noch einmal, als sie keine Antwort erhielt.
"Millicent", fragte Blaise, sein Tonfall leicht dringlich "bist du geistig gesund?"
"Soweit ich weiß, ja. Aber es gibt wahrscheinlich Leute, die das bestreiten würden. Wieso?"
Blaise waren an diesem Vormittag schon zwei sehr bizarre Dinge wiederfahren. Zuerst hatte er unabsichtlich gedacht, Granger wäre hübsch (Er konnte kaum an das Wort denken, ohne daß ihm ein Schauer über den Rücken lief.), und dann hatte Pansy ihm erzählt, sie würde mit Ron Weasley rumvögeln. Na gut, das Wort "rumvögeln" hatte sie nicht benutzt, aber er war ein Weasley. Woher sonst sollten all die kleinen rothaarigen Babys kommen?
"Jemand hat mir erzählt, daß er jemanden aus einem anderen Haus mag, den er nicht mögen sollte, und ich hab mich gefragt, ob es nur an mir liegt, oder ob die Welt angefangen hat, sich rückwärts zu drehen." Er biß von seinem Brot ab und sah Millicent an, damit sie ihm versicherte, daß die Welt tatsächlich heute Morgen begonnen hatte, sich in die entgegengesetzte Richtung zu drehen.
Sie schien zu verstehen. "Ah, also hat Granger endlich zugegeben, daß sie scharf auf dich ist, ja?"
"Was?" Ein halb gekautes Stück Brot landete mehrere Meter entfernt und Millicent rümpfte angewidert die Nase.
"Hat sie also nicht?"
"Was meinst du mit damit, "Granger ist scharf auf mich"?" fragte Blaise in einem leisen Zischen.
"Ich dachte, es wäre ziemlich offensichtlich, daß sie dich mag."
"Tut sie?" fragte Blaise schwach.
Millicent nickte und sah Blaise abschätzend an. Sie legte den Kopf schief. "Ich kann nur nicht ganz nachvollziehen, was sie in dir sieht. Du bist ein wenig... dünn, würd ich sagen. Du hast hübsche Augen", fügte sie hilfreich hinzu.
"Du meinst das ernst, oder?"
"Na ja, ja."
"Bist du sicher, daß du nicht verrückt bist?"
"Weiß nicht. Wenn ich "ja" sage, hörst du dann auf zu fragen?"
Blaise starrte trübe auf das halbverzehrte Stück Brot, während er daran dachte, was für eine Verschwendung es war. Es war mit Käse und Tomate gewesen, seine Lieblingssorte.
Während ihrer Lektion in Italienisch war Blaise in Gedanken bei allen möglichen Dingen, nur nicht Pronomen, und er bemerkte, daß er Granger anstarrte, während er herauszufinden versuchte, ob Millicents Behauptung wahr war. Mochte Granger ihn? Es konnte es nicht so richtig sagen. Sie schien so sachlich wie immer zu sein, und sie hatte ihn zweimal gefragt, ob sie etwas im Gesicht hatte, weil er sie ständig ansah.
"Bist du sicher, daß ich nichts im Gesicht hab?" fragte sie und biß sich auf die Lippe.
"Hör zu, Granger", erwiderte Blaise in einer Mischung aus Verlegenheit und Ärger, "ich hätte es dir inzwischen gesagt, wenn dem so wäre."
"Es gibt keinen Grund, mich so anzufahren", entgegnete sie barsch. "Geht's dir gut?"
"Ich glaube, ich brauch etwas frische Luft", erklärte er. "Ist es in Ordnung, wenn wir heute früher Schluß machen?" Sie nickte und sah zu, wie Blaise mit aufgebauschter schwarzer Robe aus dem Zimmer stürmte.
'Irgend etwas sehr Seltsames geht mit ihm vor', dachte eine verwirrte Hermine, als sie ihre Bücher zusammensammelte. Gerade als sie die Kerzen löschen wollte, fiel ihr Blick auf etwas Glänzendes. Sie ging darauf zu und erkannte, daß es Blaises Armbanduhr war. Sie hatte bemerkt, daß er die Angewohnheit hatte, seine Uhr abzunehmen, wenn er sich langweilte.
Nicht, daß sie ihn beobachtet hätte, oder so. Natürlich nicht. Sie verfolgte ihn schließlich nicht, um ihn zu bespannern. Er war nur... nun ja, interessant wahrscheinlich. Anders als die übrigen Slytherins, auf eine gute Art.
'Hör auf, an ihn zu denken', rügte Hermine sich. 'Es kommt nichts Gutes dabei raus, wenn man über Slytherins nachdenkt.'
Als sie zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum zurückkehrte, war sie ziemlich niedergeschlagen, da Harry und Ron ihre Abwesenheit nicht bemerkt hatten. Sie hatte beide seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen, und jetzt waren sie in eine Runde Zauberschach vertieft. Sie waren tatsächlich derart vertieft, daß sie nicht einmal aufblickten und sie begrüßten, als sie neben Ginny und Dean Platz nahm. Alles was sie bekam, war ein gemurmeltes "Hallo, Hermine" von Harry und ein Grunzen von Ron.
Kein "Wo bist du gewesen?" oder auch nur ein scherzhaftes "Hat Pince dich aus der Bibliothek rausgeworfen?". Nur ein Grunzen. Wie typisch.
"Ich find's auch nett, euch zu sehen", sagte sie höhnisch, woraufhin Harry wahrhaftig die Augen hob und ihr einen entschuldigenden Blick zuwarf. Ron allerdings schien mehr damit beschäftig zu sein, was seine Schwester und ihr Freund taten.
"Nimm deine Hand von ihrem Bein, Thomas", warnte er, wobei er weiterhin das Schachbrett prüfend betrachtete.
"Ron!" protestierte Ginny, aber er ignorierte sie. Dean bewegte seine Hand widerwillig weg.
Da Dean und Ginny offenkundig mit sich selbst beschäftigt waren und Ron und Harry mit ihrem Spiel, konnte Hermine nicht anders, als sich allein zu fühlen. "Also... Ich hab gehört, Malfoy hat sich vorhin in der Großen Halle geoutet - anscheinend sind er und Crabbe schon eine ganze Weile zusammen."
"Hmhmm", stimmte Harry mit einem Nicken zu. "Ich auch."
"Du hattest was mit Crabbe? Ich wußte gar nicht, daß er sexuell so anziehend ist. In Slytherin muß wohl irgendwas im Wasser sein", fuhr Hermine fort, die nun langsam wütend wurde, "denn jemand hat mir erzählt, daß Pansy Parkinson angefangen hat, sich wie ein Mann zu kleiden und "Paul" genannt werden will."
Zu Hermines Überraschung und Belustigung erlangte sie damit tatsächlich Rons Aufmerksamkeit, und er riß den Kopf hoch. "Was?" fragte er.
"Oh, du hast also doch zugehört."
Er wurde rot. "Entschuldige, Hermine, ich... na ja, ich war etwas abgelenkt." Er zeigte auf das Schachbrett.
"Das seh ich." Hermine schürzte die Lippen. Das wurde langsam lächerlich. "Tja, ich geh ins Bett. Gute Nacht, alle miteinander."
Sobald Hermine die Treppe zu den Mädchenschlafsälen hinauf verschwunden war, blickte Harry auf. "Sie weiß, daß es erst halb acht ist, oder?" fragte er. Ron zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Irgendwas Merkwürdiges geht mit ihr vor."
ooOOoo
Die nächsten drei Wochen verliefen recht ereignislos für Hermine. Harry und Ron mußten während dieser Zeit insgesamt siebenmal nachsitzen, wofür Gryffindor fünfundsiebzig Punkte verlor. Hermine verdiente in dieser Zeit allerdings fünfundneunzig Punkte dazu, so glich es sich im Endeffekt aus.
Was Hermine interessant fand, war die ziemlich spektakuläre Szene, die sich eines Morgens in der Großen Halle abspielte, als Pansy Parkinson mit Draco Malfoy Schluß machte. Er hatte gebrüllt, sie sei eine frigide Schlampe und andere Obszönitäten, und sie hatte daraufhin mit einem Fluch seine Haare verschwinden lassen. Er war in der Tat immer noch kahlköpfig und hatte erst leichten Flaum an den Stellen, wo die Haare bereits nachwuchsen.
Zabini benahm sich in ihrer Gegenwart immer noch seltsam, und Hermine hoffte verzweifelt, daß er nicht angefangen hatte, sie zu mögen oder so was ähnliches. Das wäre... merkwürdig. Er war immerhin ein Slytherin. Er sah wohl nicht zu schlecht aus - ein bißchen dünn und schmächtig vielleicht - aber er war immer noch ein Slytherin. Ein Slytherin und eine Gryffindor, das wäre einfach falsch.
Nicht, daß sie Zeit damit verbracht hätte, sich darüber Gedanken zu machen, natürlich nicht. Nein, nicht im geringsten.
Als an dem Donnerstag vor dem weihnachtlichen Hogsmeadebesuch ein glitzernder Umschlag in leuchtendem Pink auf ihrem Frühstücksteller landete, löste das enormes Interesse am Gryffindor-Tisch aus. Seamus verschluckte sich fast an dem Würstchen, daß er gerade aß. Hermine warf ihm einen befremdeten Blick zu.
"Was ist los?" fragte sie und hob den Brief vorsichtig auf. Auch nach all dieser Zeit hatte sie sich noch nicht an alle Gebräuche in der Zaubererwelt gewöhnt.
"Quaffelschläger", hauchte Andrew Kirk, der links von Seamus saß, ehrfurchtsvoll.
Lag es nur an Hermine, oder hörte sich das unhöflich an? Sie schob einen Fingernagel unter die Lasche des Umschlags und brach ihn auf. Im Innern fand sie einen Brief und ein Foto. Viktor Krum, der eine Robe in grellem Pink trug, blinzelte sie unter buschigen Augenbrauen heraus an.
Ginny grabschte Hermine das Foto aus den Händen, und es kam schnell bei Seamus und Andrew an, die es beinah liebevoll betrachteten. "Jungs", murmelte Hermine und faltete den Brief auseinander.
In seiner seitlich geneigten Handschrift und in fast perfektem Englisch erklärte Viktor, daß er gerade von den Quiberon-Quaffelschlägern in Frankreich unter Vertrag genommen worden war. Er habe sich gefragt, ob Hermine am kommenden Wochenende mit ihm nach Hogsmeade gehen würde, um das zu feiern. Hermine steckte den Brief rasch in die Innentasche ihrer Robe. Es war vermutlich das beste, wenn niemand sonst davon wußte.
"Ist der von Krum?" fragte Harry mit einer Portion Eier und Toast im Mund.
"Sprich nicht mit vollem Mund", schalt Hermine. "Ja, ist er."
"Was sagt er?"
"Er hat einen Vertrag bei den Quaffelschlägern bekommen", antwortete Hermine ausdruckslos und griff nach einer Milchkanne.
"Ist das alles?" fragte Ron, der das Foto gerade von Seamus entgegennahm. "Die Tunte hat das Foto unterschrieben", sagte er und reichte es Hermine zurück.
"Das Gekritzel ist wahrscheinlich mehr wert als dein gesamtes Haus, Weasley. Paß auf, daß er es dir nicht klaut, Granger."
Hermine blickte über ihre Schulter und sah Draco Malfoy dort stehen, flankiert von Crabbe und Goyle.
"Oh, seht nur", kommentierte Harry trocken, "da liegt was Pinkfarbenes, Glänzendes auf unserem Tisch, und Malfoy kommt geradezu angerannt." Mehrere Gryffindors, die in der Nähe saßen, kicherten und seltsamerweise auch Crabbe und Goyle.
Der nahezu haarlose Malfoy sah reichlich nervös aus, brummelte etwas wie "Verpiß dich, Potter" und rauschte davon. Sogar Hermine mußte darüber lächeln. Malfoy war offenbar etwas empfindlich, wenn es um seine sexuelle Orientierung ging. Eine der Geschichten, die in der Gerüchteküche, die sich Hogwarts - Schule für Hexerei und Zauberei nannte, herumgingen, war, daß Pansy Malfoy sitzengelassen hatte, weil er mehr an Blaise Zabini als an Pansy interessiert war.
Hermine hatte dieses Gerücht besonders lachhaft gefunden und Blaise sogar am Ende eines ihrer Treffen darauf angesprochen. Blaise war ausgesprochen rot geworden.
Das war genau das, wovor er sich gefürchtet hatte. Sie hatte einen Weg gefunden, ihn zu fragen, ob er zu haben war. "Sieh mal, Granger, ich ähm, ich wollte schon seit einer Weile mit dir darüber reden. Ich weiß, du findest mich attraktiv und alles, aber ich seh wirklich nicht, daß das mit uns was wird." Er sagte das sehr hastig, und Stille hing zwischen ihnen, während Hermine diese Information verarbeitete.
Blaise wartete unruhig auf ihre Reaktion. Er hoffte, sie würde nicht in Tränen ausbrechen, weil sie hörte, daß sein Herz nicht ihr gehörte. Er hatte keine Ahnung, wie er mit einem weinenden Mädchen umgehen sollte, schon gar nicht einem mit gebrochenem Herzen. Er hatte mal Millicent trösten müssen, nachdem das damalige Objekt ihrer Zuneigung sie beleidigt hatte, aber sie war nicht so sehr am Boden zerstört gewesen als vielmehr mörderisch wütend. Wie auch immer, zu seiner immensen Überraschung tat Hermine die eine Sache, auf die er nicht vorbereitet war.
Sie begann zu lachen.
"Du dachtest, daß ich... daß ich dachte, du wärst... oh, Blaise", stieß sie kichernd hervor. Sie konnte sich augenscheinlich vor Lachen kaum halten angesichts der Idee, sie könnte ihn mögen. Sie versuchte sich zu beruhigen und fragte: "Woher hast du die Idee?"
"Hab ich einfach... gehört." Blaise konnte praktisch fühlen, wie seine Wangen Hitze verströmten.
"Oh." Sie lächelte. "Ich schätze, du bist recht attraktiv... im richtigen Licht. Nehm ich an. Für einige Leute." Sie schien inzwischen ziemlich verlegen zu sein. "Aber danke, daß du versucht hast, es mir schonend beizubringen", fügte sie hinzu und küßte ihn auf die Wange. "Das war süß von dir. Ich seh' dich in Alte Runen." Damit ging sie und ließ einen leicht benommenen Blaise zurück.
'Nur damit ich das richtig verstehe', versuchte Blaise die Unterhaltung, die gerade stattgefunden hatte, nachzuvollziehen. 'Erst sagt sie mir, daß sie mich nicht mag, dann sagt sie, daß ich unattraktiv bin, und dann küßt sie mich.' Blaise schüttelte seufzend den Kopf.
"Mädchen."
ooOOoo
"Also, Hermine..." Ginny Weasley hatte sich bei Hermine untergehakt und lächelte strahlend. "Kommst du Weihnachten mit zum Fuchsbau?"
Die Weasleys hatten den größten Teil des Jahres das Haus am Grimmauldplatz als vorübergehende Wohnstatt genutzt, aber Molly Weasley sehnte sich zunehmend nach ihrem eigenen Heim und hatte daher verkündet, daß der Weasley-Klan Weihnachten zu Hause verbringen würde. Hermine vermutete, daß Percy Weasley, der sich von seiner Familie entfremdet hatte, ausgenommen war.
"Eigentlich hatte ich vor, dieses Weihnachten in der Schule zu bleiben, Ginny."
Ginny sah geknickt aus. "Aber Mum erwartet dich! Sie wird so enttäuscht sein."
"Ich weiß, und es tut mir leid, aber ich hab so viel Arbeit zu erledigen. Ich kann so viel mehr schaffen, wenn ich hier bleibe. Außerdem, wenn die Zwillinge da sind, verbringe ich wahrscheinlich mehr Zeit damit, Federn wieder loszuwerden als zu lernen."
Der Rotschopf war eindeutig enttäuscht. "Bist du sicher?" fragte sie hoffnungsvoll, wenngleich sie ihren Arm zurückzog.
"Ja. Tut mir leid."
"Das ist eine Schande, ich hab irgendwie gehofft, daß..." Ginny beendete den Satz mit einem Murmeln, und Hermine war sicher, daß sie die Worte "lila Klumpen" hörte.
"Wie bitte?"
Mit etwas verlegenem Gesichtsausdruck sagte die jüngste Weasley: "Ich hab irgendwie gehofft, daß du und Ron..."
"Daß wir was?" wollte Hermine wissen, wobei sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
"Ihr habt das ganze Jahr geflirtet, und ich..."
"Geflirtet! Seit wann?" Hermine war gelinde gesagt perplex. Hatte sie mit Ron geflirtet? "Gestritten" schien es besser zu beschreiben. Ginny schien so verwirrt zu sein wie Hermine.
"Aber ich dachte, du magst ihn!"
"Und ich dachte, er würde sich mehr für Schach interessieren als für mich", gab Hermine zu, als sie um eine Ecke bogen und in die Eingangshalle traten. "Ginny, ich mein das nicht böse, aber dein Bruder hat die emotionale Reife eines Eichhörnchens."
"Ich schätze, du hast recht", erwiderte Ginny. Ein listiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Du hast aber nicht jemand anders im Auge, oder? Ich bin bereit, meine Dienste anzubieten, um dir zu einem Freund zu verhelfen."
Hermine war entsetzt über diese Idee. "Was bist du, Ginny? Mein Zuhälter?" Ginny runzelte die Stirn.
"Was ist ein Zuhälter?"
Die Gryffindor-Vertrauensschülerin schüttelte den Kopf. "Vergiß es."
Anmerkungen: Vielen Dank euch allen:) Das Wetter ist zwar umwerfend, aber hier ist trotzdem schon mal das dritte Kapitel. Das nächste könnt ihr voraussichtlich Ende der nächsten Woche erwarten, wenn nichts dazwischenkommt. Am Wochenende werde ich wohl noch keine Zeit haben. Aber ich nehme an, es sitzt bei 30°C sowieso niemand drinnen und wartet vor dem Computer... :)
Silke Riddle: Mal sehen, ob ich jede Woche ein Kapitel schaffe. Im Augenblick ist meine Zeit gerade wieder extrem knapp bemessen, und das obwohl ich noch nicht mal mit meiner 25-Seiten-Hausarbeit angefangen habe. Dafür ist dieses Kapitel aber auch schon etwas früher fertig. ;)
black-eyed-april: Ja, die Fortsetzung übersetze ich anschließend auch. Aber das wird noch eine Weile dauern. ;)
Das mit den Rechtschreibfehlern stimmt leider nicht ganz, die automatische Überprüfung findet dummerweise auch nicht jeden Tippfehler. Aber ich geb mir Mühe, ich kann hier ja als Germanistin nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen... ;)
silver moonstone: Gemach, gemach, in was sich die beiden verwandeln, wird bald aufgeklärt. :)
Auf welche Art und Weise Blaise in Band 6 erscheinen wird, weiß ich leider auch nicht genauer. Ich hab meine Informationen aus einer Interviewsammlung auf "The Sugar Quill", daraus geht nur hervor, daß Blaise häufiger vorkommen wird, aber noch keine Einzelheiten.
smilingduck: Danke für den Link. :)
Herzlichen Dank an: IAmFallen, Maia May, pirat, LadyEvelyn, skateZ, teddy172, ArchAngelAzrael, Riddle2, kirschbluete, lyv, Ninaissaja und blub!
