Kapitel 6: Unerwartetes
Severus ging früher als sonst zum Frühstück. Mal wieder war er nicht zum schlafen gekommen. Die ganze Nacht war er für Voldemort unterwegs gewesen und hatte danach bei Lucius noch den guten Freund spielen müssen.
Selbst für seine Verhältnisse war er schlecht gelaunt und als er Kolleen die Halle betreten sah, wurde es keineswegs besser. Ihre Anwesenheit machte ihn schon die ganze Zeit leicht aggressiv und ihr sehr angespanntes Gesicht zu sehen reizte ihn noch mehr.
Noch bevor sie Zeit fand sich am Lehrertisch neben ihn zu setzten war er schon aufgestanden und an ihr vorbeigerauscht.
Im Hinterkopf wusste er genau, dass es so nicht weiter gehen konnte auf Dauer, aber im Moment, wo er soviel zu tun hatte, fand er einfach nicht die Kraft sich auch noch mit ihr auseinander zu setzten.
Seufzend ließ er sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und stützte den Kopf in die Hände. Warum musste sie auch ausgerechnet hier arbeiten? Warum gerade jetzt? So gerne hätte er gewusst wie es ihr geht, doch er hatte Angst vor näherem Kontakt mit ihr, er hatte Angst wieder verletzt zu werden, das nächste Mal wäre das eine Mal zuviel. So konnte er nur weiter spekulieren und aus ihrem Gesicht raten wie sie sich fühlte.
Auch wenn er glaubte, es nicht mehr lange so aushalten zu können, veränderte sich die nächsten drei Wochen herzlich wenig, bis es eines Nachmittags an seine Bürotür klopfte.
„Ja!"
Die Tür wurde sehr kräftig aufgestoßen und eine aufgebracht aussehende Kolleen betrat das Zimmer, Severus sah zu ihr auf und wunderte sich was sie wohl wollte.
„Was willst du?", fragte er in genervtem Tonfall. Ohne Aufforderung setzte sie sich.
„Mit dir über Draco Malfoy reden!"
Severus ahnte schlimmes, tat aber unwissend. „Ja? Was ist denn? Kommst du mit ihm nicht klar?"
„Was ist?" Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und überschlug die Beine. „Nun abgesehen davon, dass er meinen kompletten Unterricht boykottiert, weder Hausaufgaben macht, noch Aufpasst oder sonst irgendwie sich an den Stunden beteiligt, ich ihm so viele Punkte abziehen und so oft nachsitzen lassen kann wie ich möchte wobei ich noch froh sein kann wenn er erscheint, ja sonst ist alles in Ordnung mit ihm!"
So etwas hatte er befürchtet, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. „Wie kann ich dir da jetzt helfen?"
Deutlich sah er das Funkeln in ihren Augen. „Nun, ich dachte mir bevor ich mit dem Schulleiter spreche, rede ich erst mit seinem Hauslehrer."
„Oh wie Nobel von dir! Nun ich werde mal ein Wörtchen mit ihm reden."
„Vielen Dank!" Ihre Stimme triefte vor Ironie und ohne weitere Worte schlug sie die Tür hinter sich zu.
Nach allem was er gehört hatte machte Kolleen ihren Unterricht sehr gut, die Schüler hatten sie akzeptiert und das traf sogar für einen grossteil der Slytherins zu, doch bei Draco wunderte es ihn nicht, er war eben ein Malfoy und so nicht gut auf Auroren zu sprechen. Auch wenn Severus, wäre es nach ihm gegangen, Draco mächtig den Kopf gewaschen hätte und seinem eigenen Haus, für so eine Unverschämtheit runde 50 Punkte abgezogen hätte, wusste er genau, dass er im Auge behalten musste wer sein Vater war und er selbst den Schein bewahren musste er hasse Kolleen, was allerdings eine Sache war, die er langsam anfing selber zu glauben.
Hätte er gewusst welch fatale Folgen sein Gespräch mit Draco haben würde, in dem er ihn sogar noch etwas unterstützte als zurückrief, hätte er sich anders verhalten.
Die Tür von Kolleens Büro fiel krachend ins Schloss und als sie den Zauberstab hob um einige Kerzen zu entzünden zersplitterte der Blumentopf daneben in tausend Teile. „Verflucht!" Mit einem zweiten und dritten Wink und einem kleinen Zauberspruch waren die Scherben beseitigt und die Kerzen entzündet.
Wütend ging sie auf und ab. Was bildete sich dieser Typ überhaupt ein? Wer glaubte er war er? Mister Oberperfekt? Was hatte er nur gegen sie? Er konnte ihr doch nicht noch immer alles nachtragen! Oder vielleicht doch? Als hätte sie sich das damals ausgesucht!
Seufzend ließ sie sich in ihrem Sessel fallen. Verdammt! Er hatte sie wirklich bloß gestellt, vor der ganzen Klasse und das gerade bei den Fünftklässlern von Slytherin! Mit denen hatte sie von Anfang an Probleme gehabt, was unwesentlich an Malfoy lag, der sich darum bemühte jede Stunde zu einem Desaster werden zu lassen, das Gespräch mit Severus schien nicht geholfen zu haben, aber wie auch, nach dem Auftritt von vorhin wunderte sie es wirklich nicht, er hatte ihnen ja fast noch die schriftliche Erlaubnis zum weitermachen gegeben. Im Moment hatte sie nicht wenig Lust Severus eigenhändig zu erwürgen oder noch besser ihm ein besonders schmerzhaftes und Langsamwirkendes Gift unterzujubeln.
Doch während sie in das prasselnde Feuer des Kamins sah beruhigte sie sich langsam und die Mordpläne verschwanden.
Sie war erschöpft. Seit einer Woche hatte sie wieder Alpträume die sie kaum schlafen ließen. Sie waren intensiver als jemals zuvor und Kolleen hatte die Befürchtung das es ihre unterdrückten Erinnerungen an die Nacht in der sie von den Todessern verletzt wurde waren die wieder nach oben kamen.
Plötzlich ließ sie ein stechender Schmerz in der Brust zusammenzucken. Es war die Narbe, die sie dort seitdem hatte. Er war kurz, aber er blieb wie die Male zuvor in Erinnerung und sie hatte keine Ahnung warum sie plötzlich weh tat und nicht schon von Anfang an.
Doch der Blick auf die Uhr unterbrach, wie so oft in letzter Zeit, ihre Gedanken und schickte sie mehr oder minder zum Abendessen in die Große Halle, auch wenn sie überall lieber gewesen wäre.
Severus saß schon an seinem Platz und als sie neben ihm Platz nahm würdigte sie ihm keines Blickes, er sollte nicht wissen wie sehr er sie verletzt hatte, die Genugtuung würde sie ihm nicht geben, so spielte sie die fröhliche und unterhielt sich angeregt mit Professor Sprout.
Die nicht sehr freundliche Bemerkung die Severus ihr zuzischte bevor er aufstand überhörte sie großzügig und hatte sogar noch ein kleines Lächeln für ihn übrig.
Die Nacht war von Träumen geprägt und wieder von wenig Schlaf. Es waren immer wieder dieselben Bilder: Grünes Licht, ein dumpfer Aufprall von etwas auf dem Boden und dann Dunkelheit und Schmerz, später bevor der Traum vorbei war noch ein großer Schatten.
Kolleen hatte keine Ahnung ob alles ihrer Fantasie entstammte oder es doch die Wahrheit war.
Der Morgen kam und da sie seit dem Mittag von Magenkrämpfen geplagt wurde, stand sie bei sich im Büro über einen Kessel gebeugt und braute einen Krampflösenden Trank. Er wurde gerade eine Minute vor Unterrichtsbeginn fertig. So das sie ihn noch heiß trinken musste.
Schon als die Schüler die Klasse betraten, wurde ihr etwas schummerig. Doch sagte sie sich, dass es einfach daran lag, dass der Trank heiß war und sie ihn so schnell getrunken hatte. Als sie sich die Hausaufgaben vorlesen ließ, verschwamm plötzlich alles und ihr wurde heiß.
Kolleen musste sich am Pult festhalten um nicht umzukippen. Sie hörte wie von weitem einige Stimmen. „Professor Anderson! Ist alles in Ordnung?"
Dann fühlte sie wie ihre Knie nachgeben, sich alles zu drehen begann und plötzlich war alles schwarz.
Severus unterrichtete gerade die Slytherins und Gryffindors aus der Fünften und war wie üblich dabei Neville Longbottom auseinander zu nehmen. Seine Stimmung war immer noch schlecht, nachdem er sich gestern vor einigen Schülern mit Kolleen gestritten hatte, wie hatte sie es wage können so seine Autorität zu untergraben? Das war wirklich genug gewesen, wenn sie glaubte irgendwann noch mal Hilfe von ihm zu bekommen hatte sie sich mächtig geschnitten!
Die Kerkertür flog auf und Professor McGonagall kam herein.
„Was..?", wollte Severus wissen, doch er wurde schon unterbrochen.
„Severus, schnell wir brauchen deine Hilfe! Es geht um Professor Anderson."
Er wusste, dass Minerva ihn nicht aus dem Unterricht holen würde, wenn es nichts Ernstes wäre, so beendete er sofort den Unterricht und folgte ihr zügig bis zu Kolleens Klassenraum.
Als er ihn betrat, blieb er erschrocken in der Tür stehen und hätte Minerva ihn nicht hinein geschoben und die Tür geschlossen wäre er wohl sofort wieder gegangen.
Kolleen lag kreidebleich auf dem Boden und zuckte unkontrolliert. Madame Pomfrey kniete neben ihr und versuchte sie irgendwie ruhig zu halten.
„Was soll ich hier?", fragte er während er langsam näher zu Kolleen ging.
Madame Pomfrey sah auf und schien beruhigt als sie ihn sah. „Ich habe keine Ahnung was sie hat, Professor. Es scheint irgendein Gift zu sein und ich dachte sie könnten da helfen."
Severus erstarrte, sie hatte doch nicht etwa….., nein….. oder doch? Ohne zu zögern ging er hinüber in ihr Büro, dass McGonagall ihm folgte war ihm egal.
Auf einem Tisch neben dem Schreibtisch fand er den Kessel mit dem restlichen Trank, daneben die Flaschen und Gläser mit den Zutaten und auf der anderen Seite ein aufgeschlagenes Buch.
Severus nahm das Buch und las das Rezept es war ein Trank um Krämpfe zu lösen, recht einfach und eigentlich Fehlerlos zu machen. Da der Kessel noch heiß war und auf dem Schreibtisch ein Glas stand war es offensichtlich, dass sie den Trank gerade noch vor dem Unterricht getrunken hatte, aber woher kam dann diese Reaktion? Es war wirklich sehr wahrscheinlich, dass es eine Vergiftung war, aber womit nur?
Er nahm jede Flasche der Zutaten öffnete sie und roch daran, es schien alles in Ordnung zu sein, bis er fast am Schluss die getrocknete Ahornrinde in die Hand nahm, als er daran roch schreckte er zurück. Das war definitiv etwas anderes und das einzige was genauso aussah wie Ahornrinde aber so roch wie das in dem Glas war ein ziemlich giftiger Pilz, der auch noch starke Halluzinationen hervorrief. Das musste es sein, wahrscheinlich hatte sie sich einfach versehen.
Ohne auf Minervas fragendes Gesicht zu achten ging er wieder zu Madame Pomfrey und erzählte ihr das herausgefundene. Die sah ihn erschrocken an.
„Ich habe wohl ein Gegengift, aber gegen die Halluzinationen kann ich nichts machen und ich glaube nicht, dass es dann gut ist wenn sie im Krankenflügel ist, sie sollte in ihr eigenes Bett." Sie erhob sich und wendete sich zum gehen. „Ich hole eben das Gegenmittel, könnte sie sie ins Bett bringen?"
Bevor Severus widersprechen konnte war sie weg und Professor McGonagall stand hinter ihm, also blieb ihm nichts anderes übrig.
Er kniete sich neben Kolleen, sie hatte sich gerade etwas beruhigt und lag ganz still da, sie war bewusstlos und zu sehr erinnerte ihn das an den Moment wo er sie halb tot verlassen hatte ohne zu wissen ob nicht sein letzter Fluch zuviel gewesen war.
So vorsichtig wie möglich hob er sie hoch und trug sie durch ihr Büro, ihr Wohnzimmer bis ins Schlafzimmer, dort legte er sie sanft auf das Bett. Einige Sekunden blieb er bewegungslos daneben stehen und betrachtete Kolleen, sie schien im Moment nur friedlich zu schlafen.
Schon hörte er Madame Pomfrey den Raum betreten die ihn etwas zur Seite schob und sich auf den Bettrand setzte und eine Spritze aufzog, doch kaum war sie damit fertig wurde Kolleen erneut von Krämpfen geschüttelt, schlimmer als zuvor und der Krankenschwester war es unmöglich die Spritze dahin zu bekommen wo sie hin sollte, sie sah auf.
„Jemand muss sie festhalten. Professor würden sie?" Ihr Blick fiel eindeutig auf Severus, dem das überhaupt nicht gefiel. „Aber ich kann doch nicht, nein, also….." Er fand keine guten Grund und als er Professor McGonagalls irritiertes Gesicht sah, fluchte er zwar innerlich, doch setzte er auf Kolleens andere Seite, ergriff ihre Arme und presste sie auf das Bett zurück.
Die Situation war ihm unangenehm, sie war ihm zu nah, so viel Nähe wollte er nicht, er hatte Angst davor, doch was blieb ihm anderes übrig?
Madame Pomfrey gab ihr die Spritze und stand dann auf, im selben Moment ließ Severus Kolleens Arme los als wären sie etwas Giftiges und sprang beinahe zurück auf seine eigenen Füße.
„Jemand sollte bei ihr bleiben, es ist nicht gut wenn sie alleine aufwacht, es könnte sein dass sie verwirrt ist, außerdem kann man nie wissen wie schlimm die Halluzinationen werden."
„Können sie nicht…?", begann Severus, wurde aber unterbrochen.
„Nein, ich habe drei Fälle mit Lungenentzündung, die ich nicht solange alleine lassen kann, vielleicht einer von ihnen?"
Severus Blick fiel auf Professor McGonagall, die allerdings den Kopf schüttelte. „Ich habe Unterricht Severus und du, wie ich meine heute nicht mehr, oder?"
Er fühlte sich in die Enge getrieben und er hasste dieses Gefühl, besonders weil ihm diesmal keine gute Ausrede einfiel.
„Ich, aber ich meine, ich halte das für keine gute Idee!"
„Severus, es ist die einzige Lösung, bitte tu uns den Gefallen."
Auch wenn er nicht ja sagte schienen die beiden Frauen sein Schweigen als Zustimmung gewertet zu haben und Professor McGonagall ging zur Tür. Madame Pomfrey blieb noch kurz stehen. „Es sollte keine Probleme geben, beruhigen sie sie, wenn sie aufwacht und besonders wenn sie noch halluziniert." Dann ging auch sie und Severus war alleine. Alleine mit einer kranken Kolleen in ihrem Schlafzimmer. Sie schlief nun scheinbar ruhig und er sah sich um, es war schön eingerichtet, wie ihm auffiel und er war sicher dass sie noch hier und da etwas verändert hatte. Langsam ging er nach nebenan, das Wohnzimmer war recht klein, aber doch sehr gemütlich.
Als er an den Bücherregalen vorbeischlenderte, sah er viel bekanntes und bei manchem Buch blieb selbst er erstaunt stehen und blätterte sie durch.
Wieder kam der Konflikt in ihm auf, den er schon seit Halloween ausfocht: Auf der einen Seite sehnte er sich mehr als alles andere danach sie wieder zu sehen, zu fühlen, noch mal von neuem kennen zu lernen und auf der anderen Seite war diese Angst da wieder verletzt und zurückgewiesen zu werden. Noch überwog die Angst und deshalb wollte er sie eigentlich so wenig wie möglich sehen und so fühlte er sich absolut fehl am Platz, als er sich schließlich wieder auf einen Stuhl an ihr Bett setzte.
Lange lag Kolleen ruhig da, nach ungefähr einer Stunde schien sie langsam wieder aufzuwachen.
Nervös wälzte sie sich hin und her. Er sah, dass sie wirklich aufgewacht war, aber trotzdem nahm sie ihn nicht wahr, ihr Blick ging glasig an ihm vorbei. Sie schien zu halluzinieren und plötzlich waren ihre Augen panisch aufgerissen.
Als wäre noch jemand hinter ihm, setzte sie sich auf und wich auf dem Bett zurück. Schließlich stand sie und suchte hektisch nach etwas in ihren Taschen, Severus war froh das sie es nicht fand.
Langsam erhob er sich von seinem Stuhl.
„Kolleen!" Keine Reaktion von ihr, sie wich weiter zurück und stieß auf die Wand hinter sich.
„Kolleen! Es ist alles in Ordnung, du bist in Hogwarts, in Sicherheit."
Sie schien ihn nicht zu hören, doch was oder wen immer sie sah kam offensichtlich weiter auf sie zu.
„Nein…. Bitte…." Sie begann zu weinen und sank zu Boden. Mit einigen schnellen Schritten war Severus bei ihr, leider konnte er sich nur zu gut vorstellen was sie gerade halluzinierte.
Vorsichtig legte er seinen Hand auf ihre Schulter. „Kolleen, sieh mich an. Komm schon!"
Sie zuckte zusammen und mit panischem Blick rutschte sie soweit weg wie sie konnte, also bis in die Ecke.
Er ging zu ihr und kniete sich vor sie. Als sie aufsah, schien sie zum ersten Mal wirklich ihn zu sehen.
„Severus…. Hilf mir…. Bitte…." Es war nur noch ein hilfloses Flehen, welches Severus schüttelte, er hatte nicht verdient von ihr um Hilfe gebeten zu werden.
„Komm her. Alles wird gut." Er zog sie in seine Arme. Wie ein kleines Kind lag sie weinend in seinem Arm und er kam sich dabei furchtbar schlecht vor. Das Vertrauen hatte er nicht verdient, er war doch der, der ihr das alles angetan hatte.
Aber im Moment sollte er sein Selbstmitleid einstellen und sich um sie kümmern, vielleicht machte das ein Wenig wieder gut.
Vorsichtig hob er sie hoch und trug sie zum Bett, sanft legte er sie darauf und deckte sie zu. Er wollte aufstehen und sich setzten, doch eine schwache kalte Hand hielt ihn zurück. „Sev….bitte bleib hier. Lass mich nicht alleine."
Severus seufzte und setzte sich dann doch wieder auf das Bett.
