Mag ich Elben? (2. Teil) (Hommage à Dairyû)

Es war nicht zu fassen. Der Nazgûl hatte Mühe, das Grinsen zurückzuhalten, das sich auf seinem Gesicht breitzumachen drohte, während er den gebundenen Elben von einigen Orks vor Saurons Thron führen ließ.

"Er hat doch tatsächlich einen unserer Elite-Orks nach dem Weg gefragt, mein Gebieter," tat der Nazgûl kopfschüttelnd kund. Insgeheim fragte er sich, wie der Elb es überhaupt geschafft hatte, aus dem Küchenfenster zu klettern. Ob ein solches Exemplar wirklich geeignet war, dem Dunklen Herrscher zu dienen? Aber er sollte ja nur kochen und daß er das konnte, hatte er bereits bewiesen.

"Nehmt ihm die Fesseln ab," befahl Sauron knapp. Es war nicht zu erwarten, daß dem Elben eine weitere Flucht gelingen würde. Er stand von jetzt an unter ständiger Bewachung.

"D u ..." setzte Sauron an.

Der Elb rieb sich die von den Fesseln befreiten Handgelenke, dabei blickte er weiterhin ganz unbeteiligt vor sich hin. Er schien einen Punkt auf dem hitzebeständig gekachelten Boden des Saales zu studieren.

"Du weißt, wie man Ork zubereitet ..."

Sauron ließ diese Worte in der Luft hängen wie ein Schwert; ihr schwaches Echo rollte zweimal um die Halle, bevor es verklang.

Der Elb hob eine Augenbraue, was den Ausdruck der Arroganz in seinem Gesicht noch verstärkte, und schaute Sauron direkt an.

"Du wirst für mich kochen!"

Der Elb zog eine Schnute, wie um sein Mißfallen anzudeuten.

"... oder du wirst selbst in der Bratpfanne enden!"

Nun brachte der Elb eine Kopfbewegung zustande, die man mit einigem guten Willen als ein Nicken interpretieren konnte. Der Nazgûl war sich nicht so sicher, was gemeint war, aber Sauron schien mit der Reaktion zufrieden zu sein.

"Weist ihm eine Unterkunft im Küchengeschoß an und bewacht ihn Tag und Nacht! Morgen steht 'Ork à la Elb' auf dem Menu!" Mit einer Handbewegung beendete Sauron die Audienz, um sich anderen, nicht minder wichtigen Beschäftigungen zuzuwenden.

Am nächsten Vormittag stand der Nazgûl, dem die Aufsicht über den Gefangenen von Barad-dûr anvertraut war, vor einem Problem. Er ließ sich bei seinem Herrn und Meister anmelden und trat ihm nicht ohne einen Anflug von Besorgnis gegenüber.

"Wie es scheint, sind Elben eigen, was ihre Spezialrezepte angeht, mein Gebieter. Wir haben ihn ins Kellerverlies geführt und ihm die Folterinstrumente gezeigt, aber er besteht immer noch darauf, daß er sich lieber totfoltern lassen will, als irgendjemandem das Rezept für 'Ork à la Elb' zu verraten." (Diese Bezeichnung für das Gericht, eingeführt vom Dunklen Herrscher höchstselbst, war von den Protokoll-Orks bereits ins Standard-Vokabular von Barad-dûr aufgenommen worden.) "Er besteht auch darauf, allein und unbeaufsichtigt zu kochen. Ich dachte schon daran, ihm zur Abschreckung ein paar Finger abzuknipsen oder seine Ohren zu beschneiden, aber wir wissen nicht, inwiefern eine solche Behandlung seine kulinarischen Künste beeinflußt."

Der Nazgûl fühlte sich unbehaglich; fast hätte er ob seines Dilemmas die Hände gerungen, doch wußte er, daß Sauron die übermäßige Zurschaustellung von Gefühlen nicht schätzte. So beschränkte er sich darauf, die Hände unter seinem Umhang zu verschränken und zur eigenen Befriedigung nur ganz leise seine Fingerknöchel knacken zu lassen.

Sauron überlegte.

Der Ringgeist verlagerte sein Gewicht von einem aufs andere Bein und machte sich auf eine längere Wartezeit gefaßt. In letzter Zeit hatten die Entscheidungsfindungsprozesse des Herrschers länger und länger gedauert. Doch nach wenigen Augenblicken verkündete Sauron:

"Ach, egal. Laßt ihn alleine kochen. Sorgt nur dafür, daß alle Ein- und Ausgänge der Küche bewacht werden. Auch der Schornstein und die Abwasserkanäle. Jetzt geh."

Der Nazgûl salutierte und verließ den Saal. Sein Gebieter hörte nie auf, ihn zu überraschen. Ein so leichtes Einlenken hatte er nicht erwartet. Nun gut. Umso besser. Er gab den Wacht-Orks ihre Anweisungen und stellte zu allem Überfluß auch noch Wachen unten vor den Turm, die die – inzwischen vergitterten – Fenster des Küchengeschosses im Auge behalten sollten.

Mittlerweile schritt Sauron im Thronsaal auf und ab, wild entschlossen, dem blasierten Elben sein Geheimnis zu entreißen, koste es, was es wolle. Gewalt war da wohl nicht das beste Mittel und glücklicherweise hatte er für Fälle wie diesen gewissermaßen vorgesorgt, indem er Barad-dûr mit einer Fülle von nur ihm selbst bekannten Geheimgängen versehen hatte, von denen einer auch zur Küche führte. Er verbat sich jede Störung, dann machte er sich daran, seine nicht unbeträchtliche Körperlichkeit an die Größe der Gänge anzupassen und den Weg zur Küche zu finden.

Rechtzeitig zum Beginn der Zubereitung war der Dunkle Herrscher an seinem Beobachtungssitz angelangt, von dem aus er den größten Teil der Küche übersehen konnte. Wirklich sehr vorausblickend von mir, damals all diese Gänge anzulegen.

Für die ersten Zubereitungsstufen nahm der Elb die Hilfe von Küchenorks in Anspruch. Klar. Das ist ja alles noch kein Geheimnis. Der als Braten vorgesehene Ork war noch zu seinen Lebzeiten am ganzen Körper gut rasiert worden (In der Tat hatte er diese Prozedur zum Teil selbst durchgeführt, weil man ihm gesagt hatte, so könne er sich retten). Nun wurde er ausgenommen, die ungenießbaren Teile ausgesondert, der Kopf und einiges andere entfernt. Ganz wichtig war, daß die Haut nicht abgezogen wurde, weil sie offenbar ein wichtiger Geschmacksträger war. Ganz recht. Das macht man bei Huhn, Ente und Elb ja auch so. Schließlich ließ sich der Elb Gewürze bereitstellen und den Ofen anheizen, dann mußten die Gehilfen den Raum verlassen. Hinter ihnen verriegelte der Elb die Tür. Nun begann er, den Ork zu würzen: Salz, Pfeffer, Zwiebeln. Nichts außergewöhnliches und nichts, was nicht schon von anderen Hobbyköchen ausprobiert worden war. Dann rieb er den Ork mit einer Knoblauchzehe ein und gab in wechselnden Mengen Oregano, Majoran und Liebstöckel dazu, dann etwas Thymian, kleine Mengen Basilikum, Estragon und ganz wenig Zitronenmelisse. So weit, so gut, aber immer noch nichts Besonderes.

Nun sprang der Elb mit einem geschmeidigen Satz auf den Tisch. Merkwürdige Kochsitten. Wollte er das Mahl noch einmal von oben begutachten? In der Tat ließ er seine Augen über den Ork schweifen, wie um sich zu vergewissern, daß alles richtig arrangiert sei. Dann langte er mit einer Hand zum Gürtel, öffnete seine Hose – Was sollte denn das? – holte seinen ... – Eru, was hatten die Elben für große ... – – richtete ihn auf die Mahlzeit und – – – Was tat er denn da? WAS – TAT – DER – ELB – DA?

Starr vor Entsetzen mußte der Dunkle Herrscher mitansehen, wie der Ork die letzte Würze erhielt. Als Sauron wieder klare Gedanken fassen konnte, hatte der Elb sein Organ bereits gut geschüttelt und zurück in die Hose gepackt. Das Gericht erstrahlte im Glanze der gelblichen Flüssigkeit. Flink sprang der Elb vom Tisch herunter, schob den Braten in den Ofen und ließ die Ofentür zuschnappen. Ein zufriedenes Lächeln erhellte seinen sonst eher einfältigen Gesichtsausdruck.

Der Dunkle Herrscher zitterte am ganzen Körper. Ihn fröstelte. Seine Migräne war im Anmarsch. Ihm war schlecht. Er, dem noch nie und nirgends schlecht geworden war, hatte das Gefühl, daß sich sein Magen umdrehte. Nicht wegen des Elben-Urins oder wegen des Gedankens an die gestrige Mahlzeit, oh nein, so zimperlich war Sauron nicht. Es war die Demütigung, die ihm zusetzte und an seiner Selbstachtung fraß. Die Demütigung. Die Erniedrigung. Die Schande.

Ohne den Elben etwas merken zu lassen, zog sich Sauron zurück. Er stiftete den heutigen Braten seinen höchstdekorierten Untergebenen und verbrachte den Rest des Tages in übelster Laune in seinen Privatgemächern. Sieben Orks, die seine Befehle nicht schnell oder eifrig genug ausführten oder die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, endeten als Aschehäufchen, bevor sie wußten, was mit ihnen geschah.

Am nächsten Tag wurde in Barad-dûr Blondelb serviert. Ausnahmsweise erlaubte sich der Dunkle Herrscher, einem seiner Lieblings-Hobbies zu frönen und unternahm die Schlachtung und Zubereitung höchstpersönlich. Bei 'Elb à la Sauron' konnte er wenigstens ganz sicher sein, was er aß.

Ende