Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

- die letzten Worte eines Sterbenden.




5. Kapitel

Geheimnisse


"Im Dunkeln liegen die
verlockendsten Geheimnisse."

- unbekannt

Sirius erwachte am nächsten Morgen unerwartet früh und fühlte sich erwartungsgemäß wie zerschlagen. Es schmerzte wieder leicht, wenn er atmete und sein Kopf dröhnte, als wollte er jeden Augenblick explodieren. Auf seinem Kopfkissen sah er eingetrocknetes Blut. Er seufzte still und richtete sich langsam auf, wobei er sich auf die Ellenbogen stützte. Dann schloss er die Augen und wartete ab, bis das Schwindelgefühl nachließ.

Die Vorhänge waren geschlossen, doch das Morgenlicht sickerte durch sie hindurch und tauchte den abgedunkelten Schlafsaal in einen matten Schimmer.

Er stand auf und machte sich fertig. Mit seinen Kopfschmerzen, denen er das frühe Aufwachen zu verdanken hatte, konnte er eh nicht mehr einschlafen. Die anderen schliefen noch, doch als er aus dem Badezimmer kam, war auch James schon wach.

"Morgen", murmelte der Junge, dessen Haare nach dem Aufstehen noch wilder als sonst in alle nur erdenklichen Richtungen abstanden.

"Morgen", entgegnete Sirius knapp.

"Wir müssen zu Pomfrey." Er gähnte ausgiebig.

"Ich weiß." Er wollte sich wieder abwenden.

"Wartest du?" James ging in Richtung Badezimmer.

Sirius starrte ihm hinterher und runzelte die Stirn. Erwartete der Junge jetzt allen Ernstes, dass er auf ihn wartete? Doch er tat, worum er gebeten wurde, und als James fertig war, gingen sie zusammen zur Krankenstation.

"Denkst du, McGonagall hat uns geglaubt?", fragte James, nachdem sie eine Weile schweigend nebenher gelaufen waren. Die Flure waren noch leer, nur der Kopflose Nick war ihnen einmal entgegengekommen und hatte sie mit einem kurzen "Guten Morgen" gegrüßt.

"Wenn, dann müsste sie ganz schön blöd sein", meinte Sirius spöttisch. "Es gab sicher schon bessere Lügengeschichten." Er verzog kurz das Gesicht und feixte. Sie hatten echt schlecht gelogen.

James grinste flüchtig. "Ja, allerdings. Na ja, aber sie kann uns ja nichts nachweisen."

"Eben."

"Hör' mal, Black..."

Sirius verdrehte die Augen. Jetzt fing er doch tatsächlich an, ein richtiges Gespräch mit ihm zu führen.

"Ich erhalte immer noch eine Antwort auf meine Frage."

"Und ich meine Rache für dein niederträchtiges Verhalten", erklärte Sirius kurz angebunden.

"Hey, das war nicht niederträchtig", fuhr James erzürnt auf. Streitsucht loderte in seinen braunen Augen auf. "Ich meine, du faselst da in aller Ruhe von diesen Walpurgisrittern, jenen Blödmännern, welche meinen, die Dunkelheit gepachtet zu haben und..."

"Woher hast du eigentlich von ihnen gehört?" Sirius war stehen geblieben und James blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleich zu tun. So standen sie da, direkt vor der Krankenstation, und sich anfunkelnd, so, als hätten sie sich in der Nacht zuvor nicht gegenseitig vor Tod und Folter gerettet.

"Gerüchte gehen viele herum."

"So?" Sirius verengte die Augen. Seine Stimme hatte einen lauernden Ton angenommen. "Du bist wohl nicht der einzige, der hier Antworten fordern kann. Erzähl' du mir erst einmal, woher du von ihnen gewusst hast."

"Schiss, dass dein dunkles Geheimnis rauskommt?" James warf ihm einen aalglatten Blick zu.

Sirius ballte die Hände zu Fäusten. Das musste er sich jetzt nicht mehr bieten lassen. Schon gar nicht von einem idiotischen Bastard wie Potter. "Wiederhol' das noch mal, Arschloch."

"Schön", erwiderte James angriffslustig. "Ich sagte..."

"Wollt ihr endlich reinkommen oder dort draußen Wurzeln schlagen?", ertönte Madam Pomfreys Stimme und die Jungen hielten inne.

Die Tür schwang auf und eine kleine Hexe erschien, die Hände in die Hüften gestützt, sie verärgert musternd. "Und was fällt euch ein, euch vor der Krankenstation zu streiten? Das ist hier eine Ruhezone!"

Sirius und James traten ein, ohne schuldbewusst dreinzuschauen.

"Wie seht ihr nur aus...", schimpfte Pomfrey und führte die beiden in die helle Station. Sie mussten sich hinsetzen und mit einer schwungvollen Bewegung ihres Zauberstabes und einem Heilspruch wurden sämtliche Kratzer geheilt.

"Danke", sagte James und sprang auf.

Sirius wollte es ihm gleichtun, doch er wurde von Pomfrey wieder niedergedrückt.

"Hey!", empörte er sich auch schon, doch sie fiel ihm ruhig ins Wort.

"Einen Augenblick mal." Sie sah ihm in die Augen. "Atme", befahl sie nüchtern.

Sirius zog eine Grimasse und atmete hörbar.

Prompt tastete Pomfrey seine Rippen ab und als sie zu der nicht perfekt geheilten Stelle kam, zuckte Sirius leicht zusammen.

"Beim Barte Merlins... du hast dir versucht, selbst die Rippen zu heilen?" Ungläubig starrte sie ihn an.

"Nein." Das war noch nicht mal gelogen.

"Dann wohl einer deiner Freunde! Ja, bist du denn noch ganz bei Verstand? Los, los, leg' dich hin."

James warf ihm einen alarmierten Blick zu, während er maulte und ins Bett geschubst wurde. Er musste sich auf den Rücken legen, damit Pomfrey seine Rippen heilte.

Dann durfte er sich wieder aufsetzten und sie befühlte seinen Hinterkopf.

Sirius zog scharf die Luft ein, als er den Schmerz verspürte und sah augenblicklich bunte Punkte vor seinen Augen tanzen. Abrupt rückte er von ihr weg.

"Und eine Platzwunde." Pomfrey runzelte missbilligend die Stirn.

"Alles von gestern", sagte Sirius rasch. Das fehlte ihm noch, dass sie von seiner netten, kleinen Begegnung mit den Slytherins erfuhr und zu McGonagall rannte. "Bei der Flucht. Ich bin gestürzt."

"Natürlich", murmelte sie ironisch und heilte die Wunde. Glücklicherweise stellte sie keine weiteren Fragen.

Sirius fühlte sich schon besser, wenngleich auch noch etwas benommen.

"Willst du dich lieber den Vormittag hinlegen?", erkundigte Pomfrey sich.

"Nein, nein, das geht schon", versicherte Sirius ihr und sprang auf. Bloß weg von hier.

--

"Nun ja, Albus...", sagte McGonagall gerade. Sie stand in Dumbledores Büro und schaute aus dem Fenster raus, direkt auf die Ländereien, die sich unter ihr erstreckten und ins sanfte Licht der rötlichen Morgensonne eingetaucht waren, während der Schulleiter an seinem Schreibtisch saß. Die Baumkronen des Verbotenen Waldes im Osten wirkten, als ob sie brennen würden, so sehr trog der Sonnenaufgang die Wirklichkeit. "Eine abenteuerliche Geschichte, die mir die beiden Jungen erzählt haben." Sie tauschte einen schnellen Blick mit dem Zauberer. Ihre Nasenflügel blähten sich. "Ich glaube ihnen kein Wort."

"Hm", machte Dumbledore. "Sie mögen sich nicht und einen sich trotzdem, um die Wahrheit nicht erzählen zu müssen?"

"Sie lügen." McGonagall winkte ab und drehte sich zu dem Zauberer um. "Und das mir auch noch frech ins Gesicht!" Sie schnaubte, als könnte sie kaum glauben, welch' Dreistigkeit sich die beiden Schüler erlaubt hatten.

"Der junge Black war verletzt?", wechselte Dumbledore das Thema.

"Ja." Madam Pomfrey hatte es ihr erzählt. "Eine Platzwunde und zwei gebrochene Rippen, die jemand zuvor schon geheilt hatte. Zwar nicht perfekt, aber immerhin..." Sie fragte sich, wer dem jungen Black wohl geholfen hatte und tippte auf seine Cousine, die bestimmt einen Siebtklässler hinzugezogen hatte. Andromeda war schließlich erst in der dritten Klasse und McGonagall bezweifelte sehr, dass sie einen Rippenbruch heilen konnte.

"Dann hat er sich die Verletzungen also nicht bei ihrem gestrigen Abenteuer im Wald zugezogen...", drang Dumbledores nachdenkliche Stimme an ihr Ohr.

"Auf keinen Fall den Rippenbruch. Ich bezweifle stark, dass Potter Rippen halbwegs heilen kann. Es muss einer der älteren Gryffindors gewesen sein. Vielleicht haben sich Black und Potter ja auch wieder geprügelt." McGonagall zog die Augenbrauen finster zusammen.

Dumbledore hingegen wiegte seinen Kopf hin und her. "Ich glaube, er hatte eher Streit mit... den Slytherins."

McGonagall schnappte nach Luft. "Woher weißt du das? Wenn das stimmen sollte, werde ich Moody aber was erzählen!"

"Nun, Minerva...", fing Dumbledore beschwichtigend an. "Jeder hatte damit gerechnet, dass er nach Slytherin kam.

"Das ist noch lange kein Grund, um..."

"All' seine früheren Spielkameraden sind in Slytherin."

"Wer sagt, dass es seine echten Freunde sind?" McGonagall fühlte, wie sie zornig wurde. Natürlich wusste sie nicht, ob Dumbledores Vermutung stimmte, aber vieles sprach dafür.

"Minerva, wir können kaum wissen, wer für den jungen Black echte Freunde sind und wer nicht. Und egal, wie Sirius Black darüber denkt... die anderen sind enttäuscht, zornig und fühlen sich verraten. Natürlich ist es kein Grund, einen handgreiflichen Streit anzufangen, aber ich fürchte, wir machen alles nur noch schlimmer, wenn wir uns einmischen."

McGonagall starrte ihn ungläubig an. "Ich halte es für meine Pflicht, mich einzumischen!" Sie war mit Sicherheit keine Lehrerin an Hogwarts geworden, um Unrecht und unqualifiziertes Fehlverhalten zu ignorieren. "Außerdem... er ist nur nach Gryffindor gekommen!"

"Du weißt doch, wie stark die Rivalität gerade zwischen diesen beiden Häusern schon immer gewesen ist. Außerdem sind es slytherininterne Angelegenheiten, die besser unter sich geklärt werden. Ja, ich weiß, Black gehört nicht nach Slytherin, aber... du hast doch sicher gemerkt, dass die Zaubererwelt beginnt, sich zu entzweien."

"In dunkle und in weiße Magie." McGonagall nickte bitter. Die Schreie nach Bewahrung der Reinblütigkeit waren in letzter Zeit immer lauter geworden.

"Und das Haus Black gehört zu der Seite, auf der die meisten Familien stehen, deren Kinder in Slytherin sind. Es ist ihre Angelegenheit, in die wir uns erst einmischen sollten, wenn es beginnt, außer Kontrolle zu geraten." Dumbledore hatte seine blauen Augen ruhig auf sie gerichtet.

"Also, ich weiß nicht..." Sie rang mit sich. Es mochte gut sein, dass sie alles noch schlimmer machten, wenn sie sich einmischten und dass sie es die Rivalen besser auf ihre Art erledigen lassen sollten, aber das hieß nicht, dass es ihr gefallen musste. "Ich werde natürlich nichts tun, wenn du es nicht möchtest, werde die Slytherins aber im Auge behalten!" Und bei dem kleinsten Fehltritt würde sie sich sehr wohl einmischen.

Dumbledore lächelte mild. "Die Gryffindors sind auch nicht gerade die Unschuldslämmer, wenn es darum geht, die Slytherins in Schwierigkeiten zu bringen. Und wir wissen nicht, ob Sirius Black seine einstigen Spielkameraden provoziert hat."

McGonagall seufzte. Das stimmte. Ihre Schüler kannten oft genug ebenfalls nicht den Sinn für Gerechtigkeit, wenn sie darauf aus waren, den Slytherins eine reinzuwürgen. Und Sirius' Gemüt hatte sie bereits jetzt schon genug kennen gelernt, um zu wissen, dass, sollte er sich diese Verletzungen wirklich bei einem Streit mit den Slytherins zugezogen haben, er garantiert nicht untätig gewesen war, eben diese herauszufordern.

"Vielleicht ist es jetzt soweit, Minerva...", drang Dumbledores Stimme an ihr Ohr.

Sie schaute ihn überrascht an und wusste sofort, was er meinte. "Die Prophezeiung?" Es hieß, dass es eine Vorhersage gab, welche die zukünftige Zeit beeinflussen könnte, doch niemand wusste, was sie beinhaltete, oder wo sie sich befand.

Er nickte und für einen kurzen Augenblick glaubte sie einen besorgten Ausdruck in seinen Augen aufflackern zu sehen. "Ich bin mir nicht sicher... aber vieles deutet darauf hin."

--

Remus sah auf, als die Tür zum Schlafsaal aufgestoßen wurde und Sirius hereinstürmte. Dicht gefolgt von James.

Er und Peter waren soeben aufgestanden und hatten sich fertig gemacht.

"Beantworte du erst meine Fragen und ich beantworte die deinen, Potter", zischte Sirius soeben. "Woher hast du von den Knights of Walpurgis gehört?"

Remus runzelte verwirrt die Stirn. Worüber redeten sie? Die beiden waren gestern zusammen im Verbotenen Wald gewesen und er war gespannt, zu hören, was sie dort hatten machen müssen. Ihm fiel plötzlich auf, dass Peter erstarrt war und die beiden Jungen mit seinen wässrigen Augen fixierte.

"Ich sagte es doch schon, Black", entgegnete James aggressiv. Um seinen Mund hatte sich ein harter Zug gelegt. "Gerüchte. Soll ich es dir buchstabieren?"

"Die Walpurgisritter?", fragte Peter steinern dazwischen.

Stille erfolgte. So abrupt, dass sie beinahe in Remus' Ohren dröhnte.

Alle Köpfe wandten sich dem kleinen Jungen zu und Remus schien, als ob zumindest Sirius den Jungen zum ersten Mal wahrnehmen würde.

"Ja...", fing Sirius langsam an. Ein Lauern lag in seiner Stimme und nahezu gefährliche Tücke blitzte in seinen Augen auf. "Was weißt du darüber?" Er fing Peters Blick auf, hielt ihn unnachgiebig fest und erlaubte ihm nicht, wegzuschauen.

"I-ich... ich habe auch Gerüchte gehört", stotterte der Junge, offensichtlich etwas unsicher über die plötzliche Aufmerksamkeit, die ihm gezollt wurde.

"Und welche?", erkundigte sich Sirius augenscheinlich gemächlich.

"N-nun..." Peter fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. "Es soll... es soll sich dabei um eine schwarzmagische Gruppe handeln, welche die Reinblütigkeit zu Ehren Salazar Slytherin bewahren w-wollen. Sie üben unheimliche Praktiken aus und lassen nirgendwo Lebende zurück, egal, wo sie aufkreuzen."

Remus starrte Peter an, dann schweifte sein Blick zu Sirius und er gewahr ein überhebliches Lächeln, welches dessen Lippen umspielte. Er stand mitten im hellen Raum im fahlen Sonnenlicht, welches durch die Burgfenster hineinschien und warf einen schmalen, dunklen Schatten.

"Keine Lebenden, hm", wiederholte Sirius schalkhaft. "Weißt du, Pettigrow..."

"Pettigrew", wagte Peter hastig zu verbessern, doch Sirius überhörte es.

"...wenn die dunklen Ritter keine Lebenden zurücklassen, woher stammen dann die Gerüchte über sie, frage ich mich?" Sirius setzte ein hinterlistiges Lächeln auf.

Peter öffnete den Mund, doch er wusste keine Antwort darauf.

"Wir haben auch überlebt", warf James trocken ein. "Also, so toll scheinen sie nun auch wieder nicht zu sein."

"Was?" Remus wirbelte zu James herum, während Peter aufquiekte. "Ihr habt sie getroffen?" Er starrte ihn ungläubig an. Dann hatten sie ja einiges erlebt, letzte Nacht... er war neugierig, es zu erfahren.

"Ja. Sind haarscharf davongekommen." Der Junge zwinkerte ihm verschwörerisch zu. "Aber McGonagall haben wir erzählt, uns hätte ein Wolf verfolgt."

"W-was wollten sie hier?" Peter war kalkweiß geworden. "Schwarze Magier, so nah bei uns..."

James lachte. "Keine Sorge, sie werden sich Hogwarts nicht nähern."

"Meinst du?" Peter sah ihn aus großen Augen an. "Weißt du, wenn ihr davongekommen seid, müsst ihr richtig gut sein!" Er warf James einen bewundernswerten Blick zu und Remus sah, wie der Junge sich darin zu sonnen begann.

"Ach, klar, das war super gefährlich, aber..." James grinste schief. "Hätt' ja nicht gedacht, das jemals zu sagen, doch Black und ich sind ein gutes Team."

Remus schmunzelte, als er sah, wie Sirius nun derjenige war, der erstarrte und James einen irritierten Blick zuwarf.

"Ich habe Black das Leben gerettet und denke, dafür ist er mir Antworten schuldig", fügte James genüsslich hinzu.

"Du hast ihm das Leben gerettet?", echote Peter beeindruckt und seine Bewunderung für James schien um mehrere Grade zu steigen.

"Und? Ich habe dir ja wohl erst recht das Leben gerettet", meinte Sirius achselzuckend, während er James aus seinen dunklen Augen mit einem gelangweilten Blick streifte.

Remus sah abwechselnd von James zu Sirius.

"Schade, Black", sagte James und lächelte übertrieben freundlich. "Das würde bedeuten, wir sind quitt."

Sirius nickte kurz. "Sind wir. Also dann... ich gehe frühstücken."

Für einen Augenblick lang hatte Remus geglaubt, die beiden Jungen wären bereit, ihre Feindschaft zu begraben oder zumindest einen Schritt in diese Richtung zu machen. Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht.

Sirius wandte sich hastig ab und ging zur Tür. Er hatte sie gerade geöffnet, als eine sanfte Stimme ihn aufhielt.

"Sirius?"

Remus sah langsam zu James. Dieser stand immer noch mitten im Raum, die Hände in die Taschen vergraben und schaute Sirius offen an. Dann trat er auf ihn zu. Als er noch etwa einen Meter entfernt war, blieb er stehen.

"Danke. Das war ein aufregendes Ereignis." Ernsthafte Aufrichtigkeit lag in seiner Stimme, die nicht nur Remus kurzzeitig verwirrte. Mit diesen Worten streckte James Sirius die Hand entgegen.

Sirius stand dort, und für einen kurzen Moment verwandelte sich seine aufgesetzte Ausdruckslosigkeit in ein leuchtendes Glühen, umspielt mit Unbekümmertheit und Leichtsinn. In diesem Augenblick nahm er James' angebotene Hand und schlug ein. Doch dann war die Maske der Gefühllosigkeit wieder da, so plötzlich, wie sie verschwunden war, und er zog eilends seine Hand zurück, drehte sich um und ging endgültig hinaus.

"Schwieriger Junge, hm", bemerkte Remus leise.

James drehte sich zu ihm herum, langsam, als hätte er alle Zeit der Welt, und maß ihn mit einem eigentümlichen Blick. "Ich denke, nicht schwieriger als du."

Und damit ließ er Remus stehen, nicht jedoch, ohne ihm ein schwaches Lächeln zu schenken, und verließ den Raum.

Der Schatten, den er zuvor im Sonnenlicht auf den Boden geworfen hatte, war verschwunden, und Remus fragte sich, was James damit gemeint haben könnte.

--

"Also?" James war auf Sirius zugetreten, der an einem Tisch in der Bibliothek saß und schaute ihn erwartungsvoll an.

Sirius hob den Kopf. Ein gelangweilter Ausdruck schimmerte in seinen perlschwarzen Augen, doch James erkannte, dass er aufgesetzt war. "Also, was? Sag' mal, bist du in mich verliebt, oder warum rennst du mir andauernd hinterher?"

"Haha", machte James und warf dem Jungen einen ironischen Blick zu. "Ich fresse eher einen Nimbus 1971, ehe ich mich in dich verliebe."

"Guten Appetit, dann", entgegnete Sirius kurz angebunden und vertiefte sich wieder in sein Buch.

"Hast du schon etwas herausgefunden?" James ließ nicht locker.

Sirius sah wieder auf. Er schien sich um einen genervten Ausdruck zu bemühen. "Bitte?"

"Na, etwas über die Prophezeiung." James verkniff sich ein Grinsen, als er Sirius' Blick sah, der alles verriet. Ein Aufleuchten, kurz nur, wie im strahlendem Licht einer Sekunde, aber es war da gewesen, dessen war James sich sicher. Der Junge war also auch erpicht darauf, darüber etwas herauszufinden.

"Nein. Du?" Diesmal lag ehrliches Interesse in Sirius' Augen.

James setzte sich zu ihm hin, ohne seinen Blick von ihm zu lösen. "Nein. Ich dachte, wir können zusammen suchen."

"Hm". Sirius schien zu überlegen.

"Hör' mich nur vorher an, ehe du ablehnst, okay?" James sah Sirius eindringlich an. Er hatte einen Entschluss gefasst und wollte es wenigstens versucht haben, ehe gar nichts daraus wurde. "Es tut mir leid, dass ich dich von Anfang an dumm angemacht habe, nur, weil du ein Black bist. Es sind Vorurteile, die ich habe, und ich habe sie alle gegen dich verwendet, ohne dich zu kennen."

"Potter...", begann Sirius unbehaglich.

"Lass' mich ausreden!" James schätzte es sehr, dass Sirius sein Leben gerettet hatte und wusste ganz genau, dass das nur die Wenigsten getan hätten. Denn schließlich wäre Sirius aus dem Schneider gewesen, da die dunklen Zauberer ihm nichts antun wollten. Doch er hatte sein Leben riskiert, zumindest sein Seelenheil, um ihm, James, zu helfen. Na, zumindest versuchsweise. Ohne die Zentauren, die in diesem Augenblick zufällig herbeikamen, um Rache am Angriff Firenzes zu üben, würden sie hier nicht sitzen.
Aber wie dem auch sei, Freunde fand man nicht an jeder Straßenecke und James hatte das Gefühl, als ob hieraus so etwas wie Freundschaft werden könnte. Er hatte lange darüber nachgedacht und war zuerst strikt dagegen gewesen, aber sein Gewissen war nicht stumm geblieben. Einen Versuch war es allemal wert, und selbst wenn es ja nicht gleich Freundschaft werden müsste, so wäre er mit einem Art Bündnis zufrieden.
"Ich habe dich verachtet, verspottet und gehofft, du würdest innerhalb der ersten Woche entweder nach Slytherin wechseln, wenn es auch nur irgendwie ginge oder am Besten gleich von der Schule fliegen."

Sirius grinste flüchtig. "Danke."

James grinste zurück. "Bitte. Jetzt geht's dir besser, ne?"

"Natürlich."

"Aber... was du im Verbotenen Wald getan hast... und die Sache davor mit den Slytherins hat mich nachdenklich gestimmt und mir ist sehr wohl bewusst, dass ich im Unrecht lag und du Rückgrat bewiesen hast." James hatte so einige Schwierigkeiten, all dies zuzugeben. Er war nicht der Typ, der seine Fehler eingestand, und schon gar nicht jemand anderem gegenüber. Im Grunde war es das erste Mal, dass er so etwas tat. Aber diesmal... diesmal könnte es sich lohnen. Sirius und er ähnelten sich in vielen Dingen. Und wenn er ehrlich war, fand er die anderen Jungen aus Gryffindor bei weitem nicht so interessant wie Sirius. "Ich meine, du... du hast dein Leben riskiert, nur um mir aus der Scheiße zu helfen, und... und mir ist sehr wohl bewusst, dass man solche Menschen im Grunde so gut wie nirgendwo findet."

"Du hast mich doch auch vom Cruciatusfluch befreit, und bist dafür zurückgerannt, obwohl du dich hättest davonmachen können, um deine Haut zu retten", entgegnete Sirius leise. Er rutschte unruhig hin und her, als ob ihm das Thema nicht behagte und James fragte sich, ob Sirius eigentlich jemals offen über solche Dinge geredet hatte. Nicht, dass er wieder in seiner Kiste voller Vorurteile herumkramen wollte, aber er konnte es sich sehr gut vorstellen, dass man in einer Familie wie bei den Blacks eher einen auf egoistisch machte, statt auf aufopfernde Freundschaft.

"Deswegen, finde ich, sollten wir uns nicht immer so anfeinden." Er sah Sirius gespannt an. Was würde er wohl dazu sagen? "Wir sind halt ein gutes Team."

Sirius lachte kurz auf und diesmal war es frei von Hohn. Es war ein sympathisches Lachen. "Ja, allerdings."

James wollte etwas erwidern, als er plötzlich aus den Augenwinkeln jemanden am Nachbartisch bemerkte, der zu ihnen herüberschaute. Er wandte sich ihm zu und sah einen Jungen mit unnatürlich bleicher Haut, kurzen, schwarzen, glänzenden Haaren und einer Hakennase. In seinen dunklen Augen lagen Schatten. Ein Slytherin aus seinem Jahrgang.

"Hey, was glotzt du denn so, Sackgesicht?", fuhr er ihn auch schon an und stand auf. Hatte er etwa gelauscht? "Kümmere dich um deinen eigenen Dreck!"

Der andere Junge, James erinnerte sich vage, dass er Severus Snape hieß, presste seine dünnen Lippen zu einem harten, kompromisslosen Strich zusammen. "Ich weiß gar nicht, warum du mich so blöd anmachst", entgegnete er ölig und mit einer leisen Spur von Zynismus in seiner Stimme. Auf seinem Gesicht lag ein Hauch von Spott, aber diesmal auch Rechtfertigung. "Ich habe nur aufgeschaut, weil du so laut geredet hast... in einer Bibliothek." James zog die Augenbrauen zusammen, machte einen Schritt auf Severus zu und funkelte ihn an. "Ach ja? Dann setze dich woanders hin oder ich haue dir gleich eine aufs Maul!" Scheiß Slytherins, immer waren sie da, wo man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Und wenn dieser schmierige Typ alles mitbekommen hatte, würde er durchdrehen. Das fehlte ihm noch, dass man ihm nachsagte, er würde sich für alles entschuldigen.

Severus verengte seine Augen. "Ich bezweifle stark, dass die Bibliothek dir gehört. Ich setze mich hin, wo immer ich mich hinsetzen möchte und würde es begrüßen, wenn ihr euer Gespräch woanders fortsetzt, wenn es doch so privat ist."

James' Hand flog zu seinem Zauberstab und einen Moment später hatte er ihn auf den Slytherin gerichtet.

Sirius sah interessiert zu, beteiligte sich jedoch nicht im Geringsten.

"Verpiss' dich, Idiot", zischte James durch seine Zähne.

Serverus stand nun auch auf und beäugte James mit brennendem Blick. "Ich habe dir nichts getan, aber wenn du meinst, das Arschloch raushängen zu müssen, bitte." Seine Mundwinkel zuckten höhnisch und im Nu hatte auch er seinen Zauberstab gezogen. "Du glaubst doch wohl nicht, dass du mich einfach so bedrohen kannst?"

James schnaubte. "Und wie ich kann! - Relashio!" Mit Genugtuung sah er, wie sein Zauber funktionierte und sich ein kleiner Schwall heißes Wasser Severus entgegen ergoss.

"Aah!", schrie dieser keuchend auf und taumelte zurück. Die Hände schlug er gegen das Gesicht.

Sirius lachte voller Schadenfreude. "Ja, Potter, zeig' es diesem Slytherinbastard!" Auch er hatte seinen Zauberstab gezückt, blieb aber sitzen.

James grinste, machte einen Satz auf Severus zu und riss ihn zu sich. "Und nun zieh' Leine und wage es nie wieder, dich auf nur drei Meter zu nähern, klar!"

Severus wollte offensichtlich in diesem Moment einen Zauber murmeln, denn seine Lippen bewegten sich, doch James rammte ihm die Faust in den Magen.

Der Slytherin riss die Augen auf, krümmte sich und schnappte mühevoll nach Luft. Seine Knie sackten ein, doch James ließ nicht zu, dass er zu Boden fiel, sondern stieß ihn einfach von sich weg, so dass Severus zwei, drei Meter in die entgegen gesetzte Richtung stolperte. Dann drehte er sich zum Tisch herum, griff nach den beiden Büchern und schmiss sie dem Jungen hinterher. "Hau' endlich ab, du Drecksblag!"

Severus, der sich nach seinen Büchern gebückt hatte, warf James einen lodernden Blick zu. Seine Wangen waren leicht rosa und seine Augen hatten sich verfinstert.

"Wie wäre es mit einem Erstarrungsfluch?", erkundigte Sirius sich gehässig und erhob sich. Er zielte mit dem Zauberstab auf Severus.

James lachte.

Doch ehe er oder der Slytherin reagieren konnten, erschallte eine schneidende Stimme.

"Gibt es ein Problem?", erkundigte sich Madam Pince verärgert.

James wirbelte zu ihr herum. "Nein", log er ohne mit der Wimper zu zucken. "Wir lesen hier nur etwas für den Unterricht." Er sah Severus drohend an. Wenn er es wagte zu petzen, war er fällig, das schwor James sich.

Severus sagte gar nichts, warf ihm und Sirius nur noch einen letzten, unheilvollen Blick zu und machte, dass er davonkam.

Madam Pince war zwar noch misstrauisch, aber sie verschwand dann.

"So ein scheiß Typ", sagte Sirius, als sie weg war und ließ sich wieder am Tisch nieder. "Coole Aktion, Potter."

James drehte sich zu ihm um und setzte sich. "Ja... so ein schmieriger Depp. Der soll sich mal die Haare waschen." Auf die Idee, dass Severus ihm gar nichts angetan hatte, kam er nicht. Auch nicht, dass genau das, was er den Slytherins am Abend zuvor vorgeworfen hatte - nämlich Unfairness bei mehreren gegen einen - auf ihn und Sirius zutraf. "Also, um auf das Thema zurückzukommen, Black... du weißt ja nun, wie ich darüber denke."

Dieser nickte nachdenklich. Doch dann verengten sich seine Augen. "Aber nenne mir einen Grund, warum ich dir vertrauen sollte, Potter." Und im Nu war das Misstrauen wieder da.

"Ich habe mein Leben riskiert, um dich vor Folter zu schonen." James sah ihn aufrichtig an. "Hat dir jemand schon mal gesagt, dass du etwas paranoid zu sein scheinst?", fügte er grinsend hinzu. Offenbar glaubte Sirius, jeder, der sich ihm annäherte, würde ihm einen reinwürgen wollen.

Sirius schnaubte. "Nicht mehr, als du. Du witterst zum Beispiel an jeder Ecke schwarze Magie. Aber um auf das Thema zurückzukommen: Und? Ich habe dir auch geholfen und würde dir dennoch nicht raten, mir zu vertrauen." In seinen Augen las er erzwungene Kälte, die ihn offenbar von James distanzieren sollte.

Aber warum? Fürchtete er sich davor, Freundschaft zu schließen? Aus welchen Gründen? Weil er so etwas nicht kannte? Weil er glaubte, Zauberer und Hexen aus schwarzmagischen Familien seien zu so etwas nicht befähigt? James fand keine Antworten.
"Ach, Black", meinte er also gutgelaunt, fest davon überzeugt, sich nicht von seinem Weg abbringen zu lassen, "manche Dinge kann man nicht erleben, ohne dass man Freundschaft schließt. Ich hasse dich jedenfalls nicht mehr." Und damit stand er auf. "Wenn du Bock hast, was über die Prophezeiung zu finden, sag' Bescheid." Er warf Sirius noch einen letzten, aufrichtigen Blick zu, ehe er mit eiligen Schritten die Bibliothek verließ.

Puh, das war gar nicht so einfach gewesen, dachte James und war froh, dass er es hinter sich hatte. Er war wirklich nicht der Typ, der gerne über seine Fehler sprach und im Grunde war er eigentlich davon überzeugt, keine zu haben.

--

James hockte abends im Gemeinschaftsraum an einem der Tische nähe eines Kamins und hatte nichts gesagt, als Remus und Peter sich dazusetzten. Gegen Remus hatte er sowieso nichts und Peter... na ja, es war eigentlich nicht schlecht, einen Fan um sich zu haben. Der kleine Junge schien ihn zu bewundern und wollte alles über das nächtliche Abenteuer wissen.

James erzählte und gab ordentlich an und genoss, wie Peter abwechselnd die Augen aufriss und sich die Hand vor dem Mund schlug, oder ein Jauchzen ausstieß.

"Und ihr habt ihr einfach so ins Gesicht gelogen?" Peter kicherte kurz, als er bei der Szene mit McGonagall angelangt war.

James nickte lässig. "Klar."

Plötzlich ließ jemand ein schweres, schwarz gebundenes Buch auf den Tisch knallen, so dass James zusammenzuckte. Sein Kopf fuhr in die Höhe und er war sofort mit dunklen, großen Augen konfrontiert, die ihn leuchtend anfunkelten.

"Du hast mich aber erschreckt", hörte er Peter sagen.

"Hier steht etwas Interessantes drin, Potter", ließ Sirius nun in einem überheblichen Ton verlauten und ein siegesgewisses Grinsen umspielte seine Lippen.

"Dann... dann hast du dich entschieden?" James sah ihn erwartungsvoll an.

Doch Sirius ignorierte seine Frage und setzte sich hin. Offensichtlich hatte er sich entschieden, sonst hätte er sich kaum zu ihnen gesellt. "Wie viel weißt du über die Walpurgisritter?", wollte er wissen. Seine Augen streiften James.

Dieser zuckte mit den Achseln. "Das, was Pettigrew schon gesagt hat."

Sirius nickte ungeduldig. "Einst haben sie Slytherin gedient."

"So alt sind sie schon?" James tat, als sei er erstaunt und riss die Augen auf. Sirius grinste. "Du weißt, was ich meine. Früher gab es eine Truppe, sie nannten sich Knights of Walpurgis. Niemand wusste von ihnen und Slytherin hütete sich davor, das Geheimnis zu offenbaren. Es waren alles Ritter, adlige Zauberer, und sie ehrten die Reinblütigkeit und überfielen immer wieder jene, die daran Verrat übten. Sie waren gut, sie fielen nicht auf und ihr Verborgenbleiben war ihre Trumpfkarte. Nun, nach Slytherins Tod verlor sich ihre Spur, aber hin und wieder tauchten immer welche auf, die sich Walpurgisritter nannten."

"Wie, wenn niemand von ihnen wusste?", fragte Remus.

"Na, ich weiß es, weil ich aus einer...erm..." Sirius verlor sich kurzzeitig in seiner Antwort, "...sehr alten, reinblütigen Familie stamme. Uns hat man vertraut, also wussten wir von ihnen."

"Beschönigende Worte für ´meine Familie ist so schwarzmagisch und rassistisch, so wie das Universum unendlich ist´", meinte James spöttisch.

Sirius stieß ihm dafür in die Rippen. Sein kurzes Haar fiel ihm wie immer in lässiger Eleganz in die Augen. "Auf jeden Fall gibt es heute noch Zauberer, und auch Hexen, die zu Ehren der Reinblütigkeit zusammentreffen, sich den Namen Knights of Walpurgis geben und... schwarzmagische Dinge tun. Aber offensichtlich verfügen sie nicht über die Gabe, alles, wirklich alles, geheim zu halten, sonst hättet ihr niemals von ihnen gehört." Er ließ seinen Blick kurz über James und Peter schweifen. "Habt ihr schon mal von Tom Vorlost Riddle gehört?" Erwartungsvoll sah er alle der Reihe nach an, doch er erntete nur Kopfschütteln.

James erkannte, dass Sirius mit nichts anderem gerechnet hatte, denn sein hochmütiges Nicken verriet es. "Das ist so ein Spinner, er muss verrückt sein, aber er soll die Dunklen Künste sehr, sehr gut beherrschen. Das Beste ist..." Sirius fing an, leise zu lachen, "Das Beste ist, er verachtet alle Muggles und Halbblüter, obwohl er selbst einer ist." Er prustete los und steckte James mit seinem Lachen an.

"Hahaha, ist nicht ein Ernst, oder?"

"Doch." Sirius sah ihn an, immer noch spaßend. "Er ist ein Halbblut, und glaubt, er sei von Merlin-weiß-wem geschickt, um die Welt in Dunkelheit zu stoßen, um Reinblütigkeit zu ehren und ihr auf Platz eins des Lebens zu verhelfen. Der will alles ausrotten, was nicht reinblütig ist."

"Dann soll er mal bei sich selber anfangen", grinste James, doch seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen. Er hasste solche Denkweisen. "So ein Arschloch, wieso hockt er nicht in Azkaban?"

"Man kann ihm nichts nachweisen", antwortete Sirius achselzuckend. Er schien diese Denkweise nicht so abartig zu finden, doch James war ja inzwischen eines Besseren belehrt. Sirius war so etwas einfach gewohnt, schätzte er mal. Und was man alltäglich fand, über das regte man sich auch nicht so schnell auf.

"Außerdem...", fuhr Sirius fort, "noch hat er ja nichts getan. Er klopft halt Sprüche und scheint sehr an den Walpurgisrittern interessiert zu sein."

"Woher weißt du das alles?", staunte Peter.

"Ach", winkte Sirius gelassen ab, "was bei uns im Haus so alles aufkreuzt... da schnappt man halt ´ne Menge auf."

"Ob er auch gestern dabei war?", wollte James wissen.

"Nee, glaube ich nicht", erwiderte Sirius im Brustton der Überzeugung. "Sonst hätte er mit uns gesprochen, und nicht Lestrange. Aber es heißt, dass viele Walpurgisritter mit ihm abhängen und sich sehr für seine Sprüche interessieren, die dieser Hohlkopf vom Stapel lässt."

"Tz." James schnaubte. "Was ist das für ein Typ?"

"Keine Ahnung. Hab' gehört, er hat im Waisenhaus gelebt, ist aber von dort ausgerissen, oder so. Die Mutter war ´ne Hexe, die es dem Vater erst erzählt hatte, nachdem sie verheiratet waren, und so." Sirius grinste hämisch. "Tja, da hat er sie sitzen lassen. Schätze mal, sie ist gestorben, sonst wäre er ja nicht im Waisenhaus gelandet."

"Oh, bei Merlin", stöhnte James auf und raufte sich die Haare. "Also, so ein psychisch instabiler Irrer, heh."

"Yo, allerdings."

"Ich finde das nicht witzig", meinte Remus ausdruckslos.

"Was, das er rassistisch ist?", hakte James nach. Ihm war die Ernsthaftigkeit in Remus' Stimme keineswegs entgangen.

"Das finde ich auch nicht witzig, aber ich meine, dass er aus einer zerrütteten Familie stammt", erklärte der dunkelblonde Junge.

James machte eine abwertende Handbewegung. "Ach, wieso, stimmt doch... die, welche verrückt sind, kommen immer aus kaputten Familien." So war das doch andauernd.

"Dann ist deine wohl nicht kaputt?"

James sah Remus an, direkt in dessen ernste hellbraune Augen, die außergewöhnlich golden schimmerten. Eigentlich waren sie bernsteinfarben, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Er hatte noch nie eine solch' ungewöhnlich faszinierende Augenfarbe gesehen. Das Kaminlicht warf flackernde Schatten auf sein Gesicht, machte ihn bleich und ließ seine Züge kantig aussehen. Dann besann er sich wieder auf seine Antwort. "Natürlich nicht. Meine Eltern verstehen sich, lieben mich, haben gute Jobs, sind reich, und weder rassistisch noch schwarzmagisch."

"Oh, Potter", stöhnte Sirius und verdrehte die Augen. "Eine perfekte Familie. Gerade bei solchen kann schon mal nichts stimmen."

"Hey", fing James entrüstet an, "dass bei deiner nichts stimmt, ist ja sowieso allen klar."

Sirius blinzelte und schaute James provozierend an. "Ich habe kein Problem damit, mich gegen meine Familie zu stellen. Du etwa?"

"Ja, weil ich kein Problem mit meiner habe", entgegnete James bissig.

"Schön für dich", tat Sirius gleichgültig ab und James achtete darauf, ob er so etwas wie Neid oder Eifersucht in seinen Reaktionen erkennen konnte, aber nichts deutete darauf hin.

"Was ist das für ein Buch?", drang Remus´ ruhige Stimme zwischen ihre Sticheleien und James und Sirius wandten sich ihm zu.

"Habe ich aus der Bibliothek geklaut."

"Wir dürfen keine Bücher ungefragt daraus entwenden", mokierte Peter sich.

James sah, wie Sirius dem mausgrauen Jungen einen Blick aus halbgeschlossenen Augenlidern zuwarf. Seine Wimpern warfen dabei halbmondförmige Schatten auf seine Wangen und verliehen ihm etwas Unschuldiges, ein Eindruck, welcher im Kontrast zu seiner lauernden Stimme stand: "Kommst du damit nicht klar?", erkundigte er sich beiläufig.

"N-nein. Ich habe dich nur darauf hingewiesen." Peter schien immer zu leicht zu stottern, wenn er unsicher oder ängstlich wurde.

"Fein. Und ich habe es zur Kenntnis genommen."

"Hat Pince nichts gemerkt?", fragte James.

"Sie merkt es bestimmt noch." Sirius winkte ab als Zeichen, dass ihm die Folgen nicht im Geringsten ausmachten. "Na und, das kostet mich höchstens fünf Punkte." Er klappte das schwere Buch auf. Es roch etwas modrig und die Blätter waren vergilbt. Die Buchstaben waren in alter Schrift und mit schwarzer Tinte geschrieben. "Es ist ein Buch über Prophezeiungen."

James und die anderen rückten näher und sie steckten ihre Köpfe zusammen, um gemeinsam im Buch zu blättern.

"Hier...ab hier könnte es interessant werden." Sirius hatte das Kapitel ´1971´ aufgeschlagen. "Es steht aber auch ´ne Menge Scheiße drin."

1971, das Jahr der Feindschaft und das Jahr der Freundschaft´, las James. ´Das Jahr, indem die Zeichen auf bevorstehende Dunkelheit deuten. Finsternis steht bevor, welche sich aufmacht, die Welt zu bezwingen. Doch es gibt eine Prophezeiung, von der so vieles abhängen wird. Aber niemand weiß, zu wessen Gunsten sie sich wendet... sie ist zweischneidig. Eine Medaille mit zwei Seiten. Schwarz und weiß, mit sehr viel Grau. Besser, sie bleibt im Verborgenen und niemand erfährt von ihrem Inhalt. Denn dann handeln jene nach eigenem Willen, unbeeinflusst von jeglichen Vorhersagungen. Es sollte nur immer vor Augen gehalten werden, dass Dunkelheit immer existiert, neben dem Licht weilt, und niemals vernichtet werden kann, da das Licht ohne sie nicht bestehen wird.

"So ein nebulöser Unsinn", stieß James mit einem langen Atem hervor, als er auf die alten Lettern starrte.

"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, ein Zentaur hätte das Buch verfasst", feixte Sirius.

James sah auf und grinste. "Ja. Schaut zu den Sternen hinauf", fing er an, Firenze nachzuahmen. "Der Mars ist hell und weist uns in den Krieg. Aber mehr darf ich euch nicht sagen, da ihr Menschen unwissend bleiben sollt, schließlich wollen wir Zentauren uns diesen Vorteil nicht abringen lassen."

Sirius kicherte und setzte eine stoische Miene mit glasigen Augen auf. "Pootteer", fing er wie ein Wahrsager an, "Potter, ich sehe Unheil auf dich zukoommmmen."

James riss gespielt entsetzt die Augen auf. "Oh nein!", rief er, scheinbar voller Angst. "Was siehst du?"

"Potter... ich sehe Dunkelheit. Überall. Sie wird sich auf dich stürzen. Aarrrggh. Sie wird dich verschliiingeeen!" Sirius verdrehte in perfektem Irrsinn die Augen.

"Neeiinn", rief James und spielte weiter den Geschockten. Er bildete mit seinen Zeigefingern ein Kreuz und hielt es Sirius entgegen. "Dunkelheit, weiche von mir!"

Peter kicherte unkontrolliert und auch Remus lachte.

"Potter, das Ende der Welt steht bevor", fuhr Sirius mit extra schriller Stimme fort. "Das Ende der Welt! Der Mars wird vom Himmel fallen und die Erde aus der Galaxie kicken..."

"So helft uns doch", krächzte James und verbiss sich ein Lachen. "Der Mars greift an!"

Mehrere Gryffindors hatten sich zu ihnen gewandt und schauten dem Schauspiel zu. Ein Grinsen lag auf deren Gesichtern. Manche winkten ab und schienen es offensichtlich einfach nur albern zu finden.

"Aaaahhh!", machte Sirius, als sehe er etwas besonders Schreckliches in seiner illusionären Glaskugel, "Ich sehe schreckliche Zeiten! Der Pöbler Mars wird den Kampf gewinnen!"

"Neeiinn! Was tuun? Erzähl', was siehst du?" James starrte ihn fassungslos an.

"Ich sehe, wie die beiden Planeten miteinander kämpfen!" Sirius hatte immer noch seinen glasigen Blick drauf. "Ja, Mars, nimm' das und das!" Dann sog er entsetzt die Luft ein. "Nein! Wir verlieren! Die Erde....."

"Zerstört?", fragte James atemlos.

"Sie explodiert!"

"Aaaahhhh!" James reagierte schnell und zauberte eine kleine Explosion herbei.

Mehrere Gryffindors schrieen auf, und James und Sirius ließen sich mit den Stühlen nach hinten zu Boden kippen.

James lachte.

"Hahahahaha", prustete Sirius los, als er sich aufrichtete und ein paar verschreckte Gesichter von Gryffindorschülerinnen sah. "Wir sind TOT! Zerfetzt! Hahahaha, eure Gesichter müsstet ihr sehen!"

Andere stimmten in das Gelächter mit ein.

"Ihr seid echt albern", meinte eines der Mädchen leicht verärgert.

James setzte sich wieder hin und Sirius tat es ihm nach. "Also?" Er sah Sirius erwartungsvoll an. Sie hatten abrupt aufgehört, herumzualbern und wandten sich wieder dem ursprünglichen Thema zu.

"Also, was?", fragte dieser unwirsch zurück.

"Ich wette, diese Prophezeiung ist die, welche die Pseudoritter gesucht haben."

"Ja, denk' ich auch."

"Und? Sie ist im Verbotenen Wald und Firenze weiß, wo." James' haselnussbraune Augen fingen an zu leuchten und er fuhr sich mit seiner Hand durch sein strubbliges Haar. "Lasst uns sie suchen!" Er hielt es für die genialste Idee des Jahres.

"Was?", quiekte Peter ängstlich auf.

Sirius hingegen nickte lahm. "Ja... das Ganze ist zu verlockend, als das wir es ignorieren können."

James pflichtete ihm bei. "Finde ich nämlich auch." Was war schon dabei? Nichts, außer ein wenig positive Aufregung.

"Also, gut, Hohlkopf." Sirius warf ihm einen spöttischen Blick zu.

"Deppenhirn." Darauf hatte James nur gewartet.

"Sagt mal", fing Remus an, ehe sich James und Sirius wieder ein Wortgefecht liefern konnten, "euer Drang nach Geheimnissuche in Ehren, aber habt ihr nicht erzählt, ihr müsstet nachsitzen?"

James sah Sirius erschrocken an. "Alter, er hat Recht! Wie spät ist es?"

"Halb sechs. Oh Mann, wann müssen wir bei McGonagall sein?"

"Öhm... seit ´ner HALBEN STUNDE!" James raufte sich wieder die Haare. McGonagall würde ausrasten! Das Nachsitzen hatte er ja völlig vergessen!

Sirius sprang auf und lachte kurz auf. "Na, die wird uns ´ne Szene machen!"

James verdrehte die Augen. "Wie immer. Olle Tussi." Jetzt mussten sie aber sputen. "Los, komm', wir rennen."

"Okay. Wer als Letzter dort ist, muss für den anderen eine Woche lang die Hausaufgaben machen." Sirius grinste schalkhaft und sah James an.

Dieser grinste spitzbübisch. Für so etwas war er immer zu haben. "Wette gilt."

Und dann stürmten sie zeitgleich los, hetzten durch den Raum, dabei sämtliche Schüler aus dem Weg schubsend und sprinteten hinaus zu McGonagalls Büro.


A/N: Das war das fünfte Kapitel. Wie versprochen, schnell geupdatet, oder? Extra zu Heilig Abend, wo zwar sicher eh keine schwarze Seele reinschauen wird, weil Weihnachtsstress, dennoch betrachtet es als kleines Geschenk von mir. Wie fandet ihr es? War diesmal ruhiger... Ruhe vor dem Sturm, quasi ;) Freue mich wie immer über Feedback und werde auch bei Kritik nichts entern und stehlen, was euch gehört :) Piratenehrenwort

Wieder mal ein GROSSES DANKE an euch!
Wah, 5 Kapitel und schon so 120 Reviews insgesamt. Ihr seid echt klasse! :)

So, Sirius und James fangen an, sich nicht wegen jeder Kleinigkeit an die Gurgel zu gehen. smile Aber noch sind sie keine "richtigen" Freunde. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, dies auch so darzustellen, ich hoffe es. Zwischen Kapitel 5 und 6 werde ich eine Monate überbrücken und direkt mit Dezember 1971 anfangen.

Snape ist nur kurz aufgetaucht, ich weiß, noch ist er nicht der personifizierte Sarkasmus pur, so wie wir ihn als Erwachsenenkennen, aber das kommt alles noch. Er ist schließlich 11 und ich will in meiner Story entwickeln lassen.

Was es mit der Prophezeiung auf sich hat? Keine Sorge, das ist keine schlechtgemachte Nachahmung von der aus Band 5, sondern was gaaaanz anderes. Wird auch nur eine nebensächliche Rolle haben. Aber das wird sich noch alles klären, also immer hübsch weiterlesen? Wäre cool lach.

So, frohes Piratenfest und guten Rutsch ins Neue Jahr! Januar 2004 gibt's Kapitel sechs :).