Rückwärts in die Dunkelheit


Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

- die letzten Worte eines Sterbenden.




6. Kapitel

Gefahr? Was bedeutet schon Gefahr?


"Gefahr?
Ha! Ich hab' keine Angst vor Gefahr!
Hörst du mich, Gefahr,
ich lach' dir ins Gesicht: Ha ha ha ha!"

- Young Simba, KdL.

Die Zeit verging wie im Fluge. Sirius, James, Remus und Peter lebten sich schnell ein und hatten stets einen Berg von Hausaufgaben zu erledigen.

Der Dezember stand bevor und Sirius und James mussten mal wieder nachsitzen. Diesmal bei Professor Moody. So saßen sie im Klassenraum in den Slytherinverliesen, beide auf verschiedenen Seiten, so dass der Gang in der Mitte sie trennte und die Köpfe über ein beschriebenes Blatt Papier gesenkt. Sie mussten einen Aufsatz darüber schreiben, warum man den Unterricht eines Lehrers nicht mit geplatzten Stink- und Wasserbomben störte und zusätzlich ein Essay über die Geschichte der Dunklen Künste verfassen.

Moody saß vorne am Pult, die Füße auf den Tisch gelegt, im Stuhl zurückgelehnt und die Aufsätze von Schülern aus den höheren Jahrgängen korrigierend. Hin und wieder schaute er über den Papierrand zu den beiden Jungen, die auffällig still vor sich hin brüteten.

James kaute auf seinem Federkiel herum und hatte null Bock, hier abzuhängen. Unwillkürlich fiel ihm das erste Wettrennen mit Sirius ein, als sie verspätet zum Nachsitzen bei McGonagall kamen.

Es wäre fast ein Unentschieden geworden, als sie beide, ohne anzuklopfen, in ihr Büro hereingestürmt waren und eine ohnehin längst verärgerte McGonagall zusammenzuckte. Sie rannten über die beiden Stühle hinweg, die vor ihrem Schreibtisch standen, und die polternd zu Boden fielen und schmissen sich regelrecht auf den Tisch. Aber Sirius hatte ihn als erster berührt.

"Gewonnen!", keuchte Sirius triumphierend und stützte seine Hände auf die Knie.

"Pah", machte James atemlos. "Reine Glückssache!"

"Du musst eine Woche lang meine Hausaufgaben machen! Hahahaha!"

"Meine Herren!", rief McGonagall erbost dazwischen. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen. "Was soll das? Haben Sie den Verstand verloren? Erst kommen Sie zu spät, dann poltern Sie einfach so herein, wobei sie mein Büro halb auseinanderreißen und nun..."

"Entschuldigen Sie", sagte James schnell und lächelte arglos. "Ich mache deine Hausaufgaben garantiert nicht", zischte er Sirius zu.

"Hey!", empörte dieser sich. "Ich habe gewonnen!"

"Hast du nicht!"

"Habe ich doch!"

"Hast du - "

"RUHE! Worum geht es eigentlich?" Sie ernteten überaus giftige Blicke ihrer Hauslehrerin.

"Sag' ihr, dass ich gewonnen habe!" Sirius funkelte James angriffslustig an und James gab sich geschlagen. Immerhin hatte er ja wirklich gewonnen... und abgemacht war abgemacht. Er war nicht der Typ von Mensch, der sich nicht an das Wort hielt.

"Oh ja, Black hat gewonnen. Black ist ja soooo stark", grinste er also und kicherte.

Sirius gab ihm einen Rippenstoß und James wollte ihn gerade zurückboxen, als McGonagalls Stimme die Luft durchschnitt.

"SETZEN! SOFORT! ODER WOLLEN SIE VON DER SCHULE FLIEGEN?!"

James und Sirius fuhren leicht panisch auseinander, hoben die umgefallenen Stühle auf und setzten sich schnell hin.

"Sie haben gar keinen Grund, uns fliegen zu lassen", maulte Sirius.

Er fing sich einen vernichtenden Blick der strengen Hexe ein. "Eine halbe Stunde zu spät und unangebrachtes Verhalten in meinem Büro. Das macht zehn Punkte Abzug für jeden! Und wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie Regeln verletzen, werde ich Filch bitten, seine Foltergeräte wieder auszupacken!"

"Boah, was? Das ist ungerecht!" James warf McGonagall einen schnellen Blick zu. Er wusste aber, dass sie das mit Filch nicht ernst gemeint hatte. Wahrscheinlich wollte sie die Jungen nur schocken.

"Und vollkommen altmodisch", fügte Sirius hastig hinzu. "Wir wollen doch immer schön mit der Zeit gehen, nicht wahr?"

"Und Potter", fuhr McGonagall, gänzlich unbeeindruckt von den Kommentaren der beiden Unheilstifter fort, "wagen Sie es nicht, für Black die Hausaufgaben zu machen, mir ist ganz gleich, ob sie gewettet haben, oder nicht! HOGWARTS IST EINE ANGESEHENE SCHULE UND KEIN IRRENHAUS!"

James grinste still, als er daran dachte. Natürlich hatte er für Sirius die Hausaufgaben machen müssen, aber dafür hatte dieser zwei Wochen später für ihn die Hausaufgaben gemacht, als er die Wette verloren hatte, Mrs Norris, die Katze von Filch, knallrot zu zaubern und aus ihrem leisen Miauen ein dröhnendes Grölen zu machen, damit sie immer vorgewarnt würden, wenn sie angeschlichen kam. Sie wurden dabei von Filch erwischt und hatten sich zwei Wochen Nachsitzen, eine Ohrfeige des Hausmeisters und zwanzig Punkte Abzug fürs Haus einkassiert. Aber einen Versuch war es allemal wert gewesen.

Nun konzentrierte James sich wieder auf seinen Aufsatz. Besser, wenn sie schnell fertig würden, denn sie hatten heute noch Großes vor. Keiner von den Jungen hatte diese Prophezeiung vergessen und das, was darüber im Buch stand. Sirius hatte von seinem jüngeren Bruder Regulus den Tipp bekommen, dass sich ein paar dieser Walpurgisritter heute Nacht im Verbotenen Wald treffen würden und sie hatten vor, auch dort zu sein. Regulus war ja noch bei den Eltern zu Hause und kriegte so einiges von den Besuchern mit.

Es würde zwar schwierig werden, sie zu finden, aber James war zuversichtlich. Sirius hatte einen guten Orientierungssinn und war sich sicher, den Weg halbwegs wieder zu finden, den sie gegangen waren, als sie den Zentauren gefunden hatten. In der Nähe musste der Treffpunkt der schwarzen Magier sein.

Bevor James zum Nachsitzen gegangen war, hatte er versucht, Remus zum Mitkommen zu überreden. Peter hatte davon mitbekommen und er hatte auch ihn gefragt. Sirius hatte davon Wind bekommen und war alles andere als begeistert gewesen, doch er hatte nichts gesagt. Seine Blicke hingegen hatten Bände gesprochen. James war guten Mutes, dass die beiden auch mitkommen würden. Das wäre doch bestimmt witziger. Im Grunde war es ihm egal, ob Peter mitkam oder nicht, ein Pluspunkt wäre ja, dass Peters Bewunderung für ihn mit Sicherheit noch steigen würde, wenn er ihn in Action sehen würde. Und Peter hatte nun mal davon erfahren, also konnte er sie im Grunde auch gleich begleiten. Remus hätte er aber gerne dabei. James war der Ansicht, dass Remus ein besonnener Ruhepol zu sein schien, und so einen konnten sie gut gebrauchen. Und was Peter betraf... immerhin sah es so aus, als wüsste er einiges, was man ihm nicht zutraute - so hatte ja auch er von den Walpurgisrittern gehört - und vielleicht konnte er ja tatsächlich nützlich sein.

Er schaute zu Sirius, der nach kurzer Zeit den Kopf wandte und stumm zurückblickte. Ja, heute Nacht würde ein großes Abenteuer auf sie warten, dessen war James sich sicher und er war schon voller Vorfreude.

--

"Ich habe nicht das geringste Bedürfnis mitten in einer arschkalten Dezembernacht durch einen Verbotenen Wald voller Monster zu streifen, um irgendwelchen verrückten, schwarzmagischen, rassistischen Zauberern hinterher zu spionieren, die daran Gefallen finden, Jungs wie uns zu foltern und umzulegen", sagte Remus gerade. Er sprach ruhig, mit einem zynischen Unterton. Langsam ließ er seinen Blick von James zu Sirius und wieder zurück schweifen.

Sie saßen im Gemeinschaftsraum in den roten, gemütlichen Sesseln vor einem Kamin, in dem warmes Feuer prasselte. Peter war auch dabei, und sie unterhielten sich leise, aber rege. James hatte seinen Überredungsversuch von heute Nachmittag fortgesetzt und schien nicht aufgeben zu wollen.

"Ach, komm' schon, Remus, sei kein Schaf! Komm' mit, das wird aufregend!"

"Gefährlich und suizidsüchtig, meinst du wohl", korrigierte Remus ihn trocken.

Sirius grinste. Seine schwarzen Augen leuchteten lebensfroh und auf seinem Gesicht lag der spitzbübische Ausdruck, der immer dann zu lesen war, wenn er etwas Verbotenes ausheckte. "Genial und faszinierend", verbessert er Remus.

"Habt ihr keine Angst?", fragte Peter mit großen Augen.

James winkte großspurig ab. "Wir sind Gryffindors", sagte er in einem Ton, als gäbe es kein Argument auf dieser Welt, welches man seiner Antwort entgegensetzen konnte.

"Und Gryffindors haben keine Angst", fügte Sirius wie selbstverständlich hinzu. Sein Haar glänzte im Feuerschein. "Meinetwegen könnt ihr auch gerne hier bleiben, mir ist es schnuppe."

Remus wusste, dass es dem Jungen gleichgültig war. Aber James war es nicht egal, das konnte er sofort an dem entrüsteten Blick erkennen, den er Sirius zuwarf.

"Jetzt habt euch nicht so. Stellt euch nicht wie kleine Kinder an!" James hatte mittlerweile die Augenbrauen verzogen und sah Remus und Peter halb verärgert, halb verächtlich an. "Feiglinge!"

Und diese Taktik zog, zumindest bei Peter.

"Okay, okay, ich bin dabei", piepste der dicke Junge schnell, doch in seinen Augen flackerte es. "Es wird ja nichts geschehen, oder?"

"Quatsch. Natürlich nicht", versicherte Sirius ihm.

"Außerdem suchen wir ja nicht die Walpurgistypen, sondern die Prophezeiung", meinte James.

"Schon klar", bemerkte Remus spöttisch. "Und um an das euch unbekannte Versteck der lächerlichen Vorhersage zu kommen, müssten wir uns nur an die Fersen dieser Irren haften, habe ich recht?"

James grinste schief und Sirius nickte. "Ja, so kann man es auch sagen."

Remus schnaubte. Er bezweifelte stark, dass bei den beiden das Wort ´Gefahr´ überhaupt im Wortschatz auftauchte.

"Aber es wird nicht gefährlich", fügte James schnell hinzu, als könnte er Gedanken lesen.

Remus warf ihm einen ironischen Blick zu. "Wird ein Spaziergang, natürlich."

"Ja, doch, so ungefähr...", pflichtete Sirius ihm unschuldig bei und erntete von Remus einen leichten Stoß in die Seite. "Also, entscheide dich, Lupin." Er stand auf.

"Wo willst du hin?", fragte James sofort. "Wir wollten doch erst um Mitternacht los."

"Ich habe Hunger."

"Was? Wir waren doch gerade beim Abendessen", sagte Remus perplex.

"Na und?" Sirius schien verwirrt. "Ich befinde mich im Wachstum und habe Hunger. Das liegt möglicherweise auch an der Vorfreude und Aufregung", setzte er dann feixend hinzu.

"Wo willst du denn Essen herkriegen?" Auch Peter schien nicht abgeneigt, noch eine Kleinigkeit zu futtern.

"Na, bei den Hauselfen in der Küche", antwortete Sirius verwirrt.

"Du hast Kontakt zu denen?" Peter machte große Augen und Sirius stieß einen langen Atem aus, den kleinen Jungen höhnisch musternd.

"Natürlich, du Schwachkopf. Zum Küchenpersonal sollte man immer die besten Kontakte haben, merk' dir diese Lebensweisheit."

Sirius zog los, ohne Peter aufzufordern, mitzukommen.

Remus sah ihm hinterher, bis James' Stimme an sein Ohr drang.

"Was ist denn nun, Remus?" Er sah ihn offen aus seinen haselnussbraunen Augen an. Sie glitzerten fröhlich und unbekümmert. "Komm' doch mit, das wird ´n Spaß!"

Remus zweifelte. Es lag nicht daran, dass er Angst hatte - denn die hatte er nicht - aber er hielt die Idee schlichtweg für unvernünftig und sah überhaupt keinen Sinn darin.

Des Weiteren wunderte er sich über James' Hartnäckigkeit. Sie teilten zwar alle vier den Schlafsaal und hatten zusammen Unterricht, doch Freundschaft war es nicht, was sie verband. Dazu vereinigte sie zu wenig.

Sirius schien zudem Peter nicht richtig leiden zu können und zeigte Remus gegenüber Desinteresse.

James schien nur etwas für Peter übrig zu haben, weil der kleine Junge ihn bewunderte, wies gegenüber ihn, Remus, jedoch eine untrügliche Aufrichtigkeit auf.

Peter war zu ihnen allen nett und hoffte penetrant auf so etwas wie Freundschaft. Und was Sirius und James betraf... tja, daraus wurde Remus selbst nicht schlau. Sie waren zusammen um Leben und Tod gerannt und hatten sich gegenseitig geholfen und dabei viel riskiert, dennoch würde Remus nicht gerade behaupten, dass sie von nun an ´Freunde´ waren. Sie hielten hitzige Wortgefechte und stritten sich, wann immer sich Gelegenheit bot - aber sie hatten ein Zweckbündnis geschlossen, dazu da, um ihre gemeinsamen Interessen verfolgen zu können, die darin bestanden mit Peeves um die Wette die Lehrer, Filch und Schüler (allen voran Slytherins) mit Streichen an den Rand der Verzweiflung zu bringen, die Burg nach Geheimgängen und -räumen zu durchforsten und sämtliche Regeln zu brechen.

Und er selbst... er selbst fand James ein wenig zu angeberisch, Sirius ein wenig zu dreist und Peter ein wenig zu anhänglich. Und dennoch ging er ihnen nicht aus dem Weg. Er fand es gut, dass er die drei Jungs nicht auf Anhieb total sympathisch fand, das half ihm, nicht in die Versuchung zu kommen, richtige Freundschaft mit ihnen zu schließen. Denn das durfte er sich nun mal nicht erlauben. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie sein Geheimnis herausfinden würden... Er war nun mal ein Werwolf, diese Tatsache ließ sich nicht leugnen und mehr konnte er sich somit nicht leisten. Das wurde ihm seit Jahren unnachgiebig eingetrichtert. Aber da die Jungs ansonsten ganz okay waren, war es doch perfekt. Eine oberflächliche Kameradschaft, eben.

Der dunkelblonde Junge merkte, wie er immer unentschlossener wurde und wagte wieder einen Blick in James' bittende, vor Aufregung glühende Augen.

"Also, du bist dabei?" James schien zu merken, dass Remus nachzugeben schien. "Komm' schon, du bist dabei, richtig?" Er fing an über das ganze Gesicht zu grinsen.

Remus seufzte und kapitulierte endgültig. Vielleicht würde es ja wirklich lustig werden. Er hatte schon sehr lange keinen nächtlichen Streifzug mit anderen unternommen und er musste sich eingestehen, dass er es vermisst hatte.

"Cool!", strahlte James und trommelte mit den Händen auf die Sessellehnen. "Klasse, das wird genial, sag' ich dir!"

Remus grinste flüchtig. Ja, vielleicht würde es das wirklich...

--

Es war eine mondlose Nacht. Der indigoblaue Himmel erstreckte sich über ihnen und war durchzogen von vielen, kleinen mystischweißen Sternen, die wie kostbare Perlen hinabfunkelten. Sie schienen nah und waren doch so unendlich weit fort.

Es war still, nur vereinzelte Rufe einiger Nachttiere schallten ihnen aus dem Verbotenen Wald entgegen. Sanfte, kleine Schneeflocken fielen lautlos herab und Peter konnte seinen Atem sehen, der wie eine kleine eilige Nebelwolke hinaus stob. Kälte umgab sie und er war froh, dass er, so wie die anderen, seinen langen, dicken Winterumhang mit einer weiten Kapuze umgelegt hatte.

Die anderen Jungen schwiegen und Sirius und James begannen erst aufgeregt miteinander zu flüstern, als sie den Wald erreicht hatten. Ein kleiner, dunkler Pfad schlängelte sich dort hinein und verschwand in der Finsternis. Er führte sie direkt ins Verderben, schoss es Peter durch den Kopf und ihm war nicht wohl bei dem Gedanken. Warum war er nicht so mutig wie die anderen? Sie schienen keine Angst zu haben. Aber er war noch nie furchtlos gewesen. Manchmal fragte er sich, wie der Hut ihn nach Gryffindor hatte schicken können...

Peter hielt sich an James, als sie den düsteren Wald betaten und immer tiefer eindrangen. Es war richtig dunkel, nur das matte Sternenlicht drang von oben herab und ließ die Nebelschwaden, die über den frostigen Waldboden krochen, aufleuchten.

Eine Eule schuhute ganz in ihrer Nähe.

Als sie eine Weile gelaufen waren, stoppte Sirius. "Hier muss das sein." Seine Stimme war vor Aufregung angespannt.

"Bist du dir sicher?", fragte James.

Peter konnte sehen, wie auf deren dunklen Haarschöpfen Schneeflocken aufglitzerten, ehe sie schmolzen.

"Ja." Sirius wies in eine Richtung, die weit entfernt in einer Lichtung mündete. "Schau', von dort sind wir gekommen. Da hinten lag Firenze. Und hier hast du mich hinterhältig überfallen."

"Ich habe dich nicht hinterhältig überfallen", protestierte James mit einem belustigten Grinsen auf seinen Lippen.

"Oh, doch, Potter!", widersprach Sirius nachdrücklich.

"Gut und von wo kamen diese Irren?", fragte Remus leicht genervt dazwischen.

Peter merkte, wie er etwas hektisch klang.

"Von dort." Sirius streckte seinen Arm einfach nach geradeaus.

Die Richtung, in die er zeigte, war besonders dunkel, fand Peter.

"Na, dann lasst uns da hin", schlug James vor.

"Wir müssen aber leise sein", mahnte Remus. "Und uns anpirschen. Wenn sie sich heute treffen, sind bestimmt schon einige da."

"Eben." Sirius sah in die Runde. "Also, sshh."

Sie schwiegen und gingen auf leisen Sohlen weiter.

Peter war nervös. Überall glaubte er, Schatten zu sehen, die sich ihm drohend näherten und er wünschte sich zurück in die sichere Burg. Aber wenn er den anderen gestand, Angst zu haben, würden sie ihn auslachen. Er wurde schon oft ausgelacht und Jungs wie James und Sirius hatten ihn des Öfteren fertig gemacht. Und nun war er mit eben solchen Zauberern, die cool und bei allen beliebt waren, zusammen unterwegs... nein, das würde er sich nicht kaputt machen. Er würde mutig weitergehen und einfach hoffen, dass nichts Schlimmes passieren wird.

Er merkte, wie die anderen stehen blieben und schaute auf. Schräg links von ihnen, etwa hundert Meter weiter, erkannte er mehrere Schatten. Zum Glück standen sie selbst im Schatten, so dass sie sicher nicht wahrgenommen werden konnten. Zumindest betete er darum. Dort drüben war es lichter, weil drei gewaltige Bäume umgeknickt waren, scheinbar einst von einem Blitz getroffen. Sie waren so gefallen, dass sie ein großes Dreieck bildeten, in dem sich nun die Walpurgisritter gesammelt hatten. Sie standen im Kreis und leises Stimmenmurmeln drang zu Peter herüber.

Er starrte mit weit aufgerissenen Augen zu ihnen herüber. Er hatte schon die haarsträubendsten Gerüchte von ihnen gehört und nun begegnete er ihnen. Sie würden tot sein, wenn diese sie bemerken würden. Toter als tot. Hastig sah er sich nach James um.

"Und jetzt?", hörte er diesen wispern.

"Hm... anschleichen?", flüsterte Sirius zurück.

"Sie werden uns bemerken", mischte sich Remus leise ein. "Unterschätzt sie bloß nicht, wie bei eurem letzten Ausflug." Seine bernsteinfarbenen Augen hatten Sirius fixiert, ehe sie zu James huschten, und wieder zurück.

"Aber wie kommen wir dann an sie heran?" Sirius sah Remus an. "´Ne Idee?"

Remus schüttelte den Kopf.

"Also anschleichen", nahm James den Vorschlag von Sirius wieder auf.

"Das ist gefährlich!", flüsterte Peter entsetzt. Von irgendwo her ertönte wieder ein Jagdruf eines Tieres.

"Selbstmord, ich wei", stimmte ihm Remus resignierend zu.

James winkte ab. "Ach was. Wenn wir vorsichtig sind, passiert nichts."

"Wir gehen zu zweit", bestimmte Sirius. "Ich gehe mit Lupin und du, Potter, mit Pettigrow."

James verzog kurz das Gesicht und Peter überlegte, ob es daran lag, dass Sirius seinen Namen mal wieder falsch ausgesprochen hatte (mit voller Absicht, wie er übrigens vermutete) oder ob James nicht mit ihm, Peter, mitgehen wollte.

"Er heißt Pettigrew, Sirius", verbesserte Remus ihn trocken.

"Warum sollen wir uns trennen?", wollte Peter wissen. Er war froh, dass James mit ihm gehen würde. Mit ihm stünden die Chancen besser, dass nichts schief ging.

"Zu viert fallen wir auf jeden Fall auf. Und wenn Potter und ich zusammengehen, sind die Fähigkeiten ungerecht verteilt." Sirius sprach mit übertriebener Geduld, die klar machte, dass er über sie eben nicht länger verfügte.

Peter blinzelte und fragte sich, ob der Junge ihn da gerade beleidigt hatte.

"Also, gut", drängte James, anscheinend nicht länger willens, hier weiter auszuharren. "Wir gehen links herum und ihr rechts, klar?"

"Okay", wisperte Remus. "Mann, das war die schlechteste Idee überhaupt, mit euch mitzugehen. Ihr seid total unorganisiert."

Sirius grinste und seine weißen Zähne blitzten im Dunkeln auf. "Die spontanen Ereignisse sind immer noch die spannendsten."

"Okay, Peter, komm'", sagte James. Er duckte sich und zusammen huschten sie fort.

--

"Alles klar, Lupin, dann lass' uns losgehen", flüsterte Sirius. "Zauberstab bereit?"

"Natürlich."

Sie traten aus dem Schatten, duckten sich und näherten sich im Schutze des Gebüsches von außen dem Dreieck. Auf der anderen Seite mussten James und Peter sein, Sirius konnte sie allerdings nicht sehen.

Als sie nah genug dran waren, versteckten sie sich und lauschten. Die Gestalten waren in sanftes Sternenlicht eingetaucht, doch man konnte nichts erkennen, als ihre schwarzen Gewänder. Sie regten sich kaum und nur der helle Schimmer unter ihren Kapuzen verriet ihre Gesichter.

"England ist noch nicht bereit, hat er gesagt", sagte einer von ihnen.

Sirius erkannte die Stimme sofort wieder: so lauernd und leise - das konnte nur Aryan Lestrange sein. Die Lestranges waren eine alte, reinblütige Zaubererfamilie, die, wie seine eigene, schwarze Magie mehr liebte als alles andere.

"Ich finde, die Zeit ist schon längst gekommen!", erwiderte eine andere Stimme, erfüllt von eisiger Kälte.

"Er hat gesagt, dass wir uns in Geduld üben müssen, wenn unsere Wünsche Früchte tragen sollen", zischte Aryan.

"Geduld, Geduld", äffte der andere verächtlich nach. "Wir haben lange genug gewartet!"

Einige stimmten ihm murmelnd zu.

"Schweigt, ihr Narren!" Aryan klang herrisch und befehlend. "Wir werden warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist."

"Und was ist mit der Prophezeiung?", fragte jemand anderes kühl.

"Sie liegt noch immer im Verborgenen", antwortete Aryan schroff. "Die Zentauren wissen wo, aber sie verraten es uns nicht. Diese Bastarde." Seine Stimme war voller Hass. "Das Versteck muss aber hier im Wald sein. Es heißt, in Richtung Osten, direkt im Herzen des Waldes."

"Na, bei der blutigen Hölle!", rief einer der hitzigeren Zauberer. "Dann lasst uns dorthin!"

Aryan lachte leise und spottend. "Führe uns hin, wenn du weißt, wo das Herz des Waldes pulsiert. Bisher wusste niemand, wo es sich befindet."

"Niemand, außer den verfluchten Zentauren", verbesserte jener, der am Anfang Aryan widersprochen hatte. Seine kalte Stimme wehte unangenehm klar zu Sirius herüber. "Es wird langsam Zeit, dass wir sie finden. Was immer in ihr geschrieben steht, es könnte überaus wichtig sein."

Sirius befand, genug gehört zu haben. Was er wissen wollte, hatte er erfahren. Er warf Remus einen schnellen Seitenblick zu. Dieser hockte neben ihm und starrte zu der Gruppe der dunklen Zauberer. Sein blasses Gesicht schien angespannt und seine Augen waren weit aufgerissen. Sirius fiel die geheimnisvolle Aura des Jungen auf, die ihm bereits beim ersten Treffen nicht entgangen war. Ein Blick in diese goldbraunfarbenen Pupillen genügte, um zu wissen, dass Remus etwas verbarg und Sirius war auch aufgefallen, dass er nie von seiner Familie oder über sich selbst sprach. Immer, wenn sie redeten, zeigte Remus Interesse, blockte aber immer sofort ab, sollte es zu privat werden.

Sirius hatte sich bisher einen Dreck darum geschert, warum der Junge so war, wie er war und was er eventuell zu verbergen hatte. Doch jetzt, mitten im Verbotenen Wald war er drauf und dran, Remus einfach zu fragen. Und das nur, um zu sehen, wie dessen ruhige Maske entzwei glitt und in viele, kleine Scherben zerbarst, ehe dessen übliche Gelassenheit wieder die Herrschaft über die Gefühle errang.

Doch er unterließ es. Dies war weder der geeignete Zeitpunkt, noch der richtige Ort dafür. "Rückzug, Lupin", flüsterte Sirius also. "Wir nehmen den gleichen Weg zurück."

Remus sah ihn an und Sirius konnte sehen, wie das Sternenlicht in seinen außergewöhnlichen Augen reflektierte. "Ist gut."

Sie krochen leise davon und hatten gerade die Hälfte des Weges zurückgelegt, als Sirius ein Niesen hörte.

Es kam direkt von der gegenüberliegenden Seite und hallte zu ihnen herüber. Da von den Walpurgisrittern immer nur einer am Reden und es somit recht still war, war das Niesen nicht zu überhören.

Sirius war erstarrt und spürte, wie Remus ihm einen alarmierten Blick zuwarf. Das konnten nur James oder Peter gewesen sein und wie er es einschätzte, war es mit Sicherheit diese nichtsnutzige, kleine Kröte von Pettigrew. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass die Zauberer nichts gehört hatten.

"Das kam von dort drüben!"", rief einer von ihnen und Sirius sah, wie er in die richtige Richtung deutete.

Jemand - Peter - quiekte auf.

Sirius spürte, wie seine Hoffnung zerfiel, wie Staub, und zu allen Seiten auseinander stob. "Verdammte Scheiße", murmelte er ausdruckslos.

"Was jetzt? !" Remus klang panisch.

"DA! LOS! AUF SIE!" brüllte Ayran.

Mehrere Dinge passierten gleichzeitig.

Walpurgisritter hetzten zu James' und Peters' Versteck.

"LAUF, PETER, LAUF!", hörte Sirius James hektisch schreien.

Er wollte aufspringen, wurde aber von Remus überraschend gewaltsam niedergedrückt. "Sie wissen nichts von uns", wisperte er.

Er starrte den dunkelblonden Jungen an. "Und was ist mit ihnen? Außerdem müssen wir unsere eigene Haut retten, Trottel! Sie werden vermuten, dass noch mehr von uns hier sind! Potter braucht Hilfe!" Wut entbrannte in ihm.

"Hör' mir zu", entgegnete Remus ruhig. Doch das Flackern in seinen Augen verriet seine Panik. "Wenn wir das Überraschungsmoment ausnutzen, können wir sie überrumpeln. Lass' uns erst mal ebenfalls weg."

In Sirius' Kopf spukten eine Menge Alternativideen, doch keine leuchtete ihm so sehr ein wie die von Remus. "Okay", nickte er dann. Peter und James waren ohnehin aufgesprungen und flohen vor ihren Verfolgern. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese auch die andere Seite durchforsteten und auf ihn und Remus stoßen würden, sollten sie hier länger verharren.

Also krochen sie hastig weiter, doch als Sirius einen markerschütternden Schrei hörte, ließ er alle Vorsicht fahren. Er sprang auf und sah, wie nicht unweit von ihm Peter von den Zauberern gefangen genommen wurde und James, der hätte davon kommen können, stoppte, seinen Zauberstab auf die Walpurgisritter richtete und wieder näher kam.

"Nein, nein, nein!", stieß Sirius leise aus. "Verdammt!" Hier ging auch alles schief. Er sah sich nach Remus um. Was sollten sie tun? Wegrennen, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Lauf' weg, solange du noch kannst. Was sind die anderen dir schon wert? Nichts... Lauf' weg. Doch Sirius wusste, dass sie ihn selbst nicht töten würden. Das würden sie einfach nicht wagen. Also ignorierte er die Stimme seiner Vernunft. "Komm', noch haben sie Potter nicht, wir stürmen auf die, die Pettigrew haben, reißen ihn los und rennen weg!" Er wartete nicht auf Remus' Antwort ab, sondern lief einfach los. Schnelles Handeln war gefragt. Er hörte, wie der Junge ihm folgte.

Er legte einen Sprint hin, quer durch das ganze Gebüsch und wie erwartet, waren die Zauberer zunächst zu überrascht, als zwei jungenhafte Blitze aus dem Gestrüpp herauszischten, um angemessen reagieren zu können.

Sirius zauberte nicht, er konzentrierte sich nur auf Peter und die Flucht.

"RENN' WEG, JAMES!", brüllte Remus.

"NOCH MEHR!", kreischte Aryan. "SCHNAPPT SIE EUCH! LOOOS! BLACK, DU VERDAMMTER HURENSOHN, DAS DU ES SCHON WIEDER WAGST...!"

Sirius und Remus waren an Peter herangeprescht, ignorierten Aryans Gezeter, und liefen auf den kleinen Jungen zu, ohne anzuhalten. In Gedanken fing Sirius an, seine Idee zu verfluchen. Warum kümmerte er sich hier um die Haut der anderen? Doch jetzt war es auch zu spät.

"AAAAHHH", machte Peter, der bleich vor Angst war und sein Bestes gab, sich freizukämpfen.

Sirius rammte ihn mit einer Wucht, die den Jungen aus den Griffen der beiden Männer befreite, kämpfte hart um sein Gleichgewicht und Remus packte Peter am Oberarm, um ihn mit sich zu zerren. Dieser stolperte und wurde wortwörtlich mitgezogen. Es ging alles sehr schnell.

Remus ließ Peter los und rannte mit James vorweg.

Die Dunklen Magier nahmen rasch die Verfolgung auf. Sirius hatte das Gefühl, als wiederhole sich bereits Erlebtes erneut. Blitze schossen ihnen hinterher und sie wichen ihnen blind aus, während sie durch den Wald liefen, ohne zu achten, wohin ihre Füße sie trugen.

Diesmal waren dummerweise keine Zentauren da, die ihnen zufällig halfen.

"Ich kann nicht mehr", hörte er Peter keuchen, doch Sirius ignorierte ihn, packte ihn und zerrte ihn mit sich mit. Sie durften nicht aufgeben, denn dann waren sie fällig.

James hatte sein Tempo verlangsamt und griff nach Peters anderem Arm, um Sirius zu helfen, den Jungen mitzuschleppen.

Remus drehte sich im Laufen um und versuchte sich an ein paar Petrificus Totalus-Zauber, die er den Verfolgern entgegenschleuderte.

Sirius interessierte nicht, ob es funktionierte, es war auch egal, Hauptsache, sie kamen weg von hier. Sie rannten lange, kreuz und quer, inmitten durch gewaltiges Dornengebüsch hindurch, welches sie eher durchqueren konnten, als Erwachsene, und irgendwann fiel ihm auf, dass ihnen keine Flüche mehr folgten und auch keine Schritte.

Sie sprinteten aus dem Gestrüpp heraus.

"Haben wir sie abgehängt?", keuchte James, sich fieberhaft umschauend und verlangsamte sein Tempo. Blutige Kratzer verzierten sein Gesicht. Er selbst, Sirius, sah sicherlich nicht besser aus.

"Sieht so aus." Remus' Brust hob und senkte sich hastig, als er die Umgebung nach ihren Verfolgern absuchte.

Sirius ließ Peter los und versuchte, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er fühlte sie wie ausgepumpt und hatte heftige Seitenstiche. Es war hier dunkler als anderorts im Wald, fiel ihm auf, und die Nebelschwaden waren hier dichter.

Er hob seinen Blick und sah plötzlich etwa hundert Meter weiter vor ihnen in einer kleinen Lichtung eine kleine, weiße Kapelle mit einem zeltförmigen Dach und acht Wänden. Vier Steintreppen führten zu ihr hinauf und mündeten in einem Torbogen mit schlangenverzierten Säulen. Das Gebäude war mehr als alles andere von Nebel umringt.

"Schaut", flüsterte er überrascht. Er hätte nicht gedacht, eine von Menschen erbaute Kapelle inmitten des Verbotenen Waldes zu finden.

James staunte nicht schlecht, als er in die Richtung schaute, in die Sirius deutete. "Wow", stieß er aus. "Cool, ´ne Kapelle!" Er machte sich schon auf, darauf zuzugehen und merkte, wie die anderen ihm folgten.

Als sie vor der Treppe stehen blieben, betrachtete er sie genauer. Sie war aus Stein in gespenstisch weißer Farbe und schien im Sternenlicht mysteriös zu leuchten. Die Stufen waren zerfallen, doch man konnte sie noch betreten. Der Torbogen war klein, aber majestätisch und die schwarze Tür sperrangelweit offen. Der Türgriff in der Mitte war ein Klopfer aus Metall, der einen Schlangenkopf bildete. Man konnte direkt hineinschauen. Die Kapelle schien dunkel und hatte nur ein kleines, rundes Fenster ohne Glas an der gegenüberliegenden Wand. Ein kleiner Altar befand sich mitten im Raum und dahinter eine großlöcherige Gitterwand aus Eisen, wo sich sargförmige Abrisse abzeichneten. Hohe Kerzenständer umstellten ihn, doch die schlanken Kerzen waren längst verloschen.

"Brr", machte Peter und es schien, als hätte er eine Gänsehaut bekommen. "Lasst uns fort von hier."

"So´n Quatsch", flüsterte Sirius aufgeregt. "Wenn wir schon mal hier sind, schauen wir uns hier um!" In seinen Augen leuchtete es.

"Finde ich auch", stimmte James ihm sofort zu. "Wenn du nicht mit rein willst, kannst du ja hier draußen bleiben und Schmiere stehen." Er erkannte an Peters erschrockene Miene, dass der Junge das noch viel weniger tun würde - alleine hier draußen zu warten - und dieser schüttelte bereits hastig den Kopf.

"Nein, nein, ich komme mit rein!"

"Was ist, wenn die Kapelle nicht für uns bestimmt ist?", drang Remus' ruhige Stimme an sein Ohr.

James sah ihn erstaunt an.

Der Junge stand dort, der dicke Winterumhang flatterte leicht, und starrte mit verengten Augen direkt in die Kapelle hinein.

"Wie meinst du das?", fragte James atemlos. Er konnte nichts Schlimmes daran finden, das Gebäude zu betreten.

"Das da hinten wird ein Sarg sein", erklärte Remus tonlos. "Was ist, wenn wir die Ruhe der Toten stören?"

"Nach deiner Logik, Lupin, dürfte man Friedhöfe dann ebenfalls nicht betreten", mischte sich Sirius gereizt ein. Er schien ungeduldig. "Und nun kommt." Er betrat die erste Stufe.

James folgte ihm augenblicklich.

"Es wird einen Grund geben, warum sie in einem Wald steht, der verboten ist", hielt Remus' Stimme sie auf.

James wirbelte hektisch herum. "Mensch, Remus. Dann warte eben hier."

Remus machte kurz ein gekränktes Gesicht. Haselnussbraune Augen starrten in bernsteinfarbene und der Augenblick zog sich in die Länge, doch als James glaubte, die Bände würden jeden Moment zerreißen, gab Remus nach.

"Okay", war alles, was er murmelte.

Sie eilten die Treppe hinauf und schritten durch den Torbogen. Ihre Schritte hallten wieder, als sie die Kapelle betraten.

"Lumos", flüsterten sie und helles Licht durchdrang den Raum.

Es roch modrig und als ihnen plötzlich etwas entgegenflatterte, schrie Peter auf.

James wusste nicht, was ihn mehr erschreckt hatte. Diese Fledermaus oder Peters Gequieke. Er lachte nervös. "Reg' dich ab, Peter. Ne Fledermaus."

Das Nachttier war hinausgeflogen und für einen Augenblick hörte James nur ihr Flügelschlagen in der bedrohlichen Stille.

Auch der Altar war achteckig. Ein alter, bronzener Kelch stand darauf, in dem rote, vertrocknete Spuren klebten. Entweder Wein... oder Blut, schoss es James unwillkürlich und geisterhaft durch den Kopf. Er wollte gerade nach dem Becher greifen, um es herauszufinden, als er Sirius anerkennend pfeifen hörte. Er schaute auf und sah den Jungen vor der Gitterwand stehen und das betrachten, was dahinter lag.

James eilte auf ihn zu, um zu schauen, was es zu sehen gab.

Ein schwarzer, glänzender Sarg lag dort in eine Art Gruft, der Deckel geschlossen und eine schwarze Rose lag einsam und verlassen darauf.

James hatte noch nie zuvor eine schwarze Rose gesehen und fragte sich, ob es solche von Natur aus gab, oder ob sie erst von einer dunklen Seele verzaubert werden müssten.

Der halbrunde Griff des Sarges war aus Silber, eine Schlange in derselben Farbe wand sich darum, deren Augen aus zwei kleinen dunkelgrünen Edelsteinen bestanden, die im Sternenlicht, welches durch das Fenster hineinfunkelte, glitzerten.

Als James lange genug auf die Gruft gestarrt hatte, wandte er sich um und betrachtete den Rest der Kapelle. Aber es gab kaum noch etwas zu sehen. Kahle, feuchte Wände mit Spinnenweben, schlanke, bronzefarbene Kerzenständer mit weinroten, schmalen Kerzen, die einst für kurze Zeit gebrannt hatten.

Remus und Peter hatten sich zu Sirius gesellt und begutachteten noch immer die Gruft, als James sich ihnen wieder zuwandte. "Nichts los, hier", maulte er.

"Ja, total langweilig", stimmte Sirius ihm zu. "Was ist, sollen wir den Sarg öffnen?"

"Was?", stieß Remus perplex hervor, gefolgt von einem entschiedenen "Nein!" von Peter.

"Oh, nein, Black, das tust du nicht", fuhr Remus in einem scharfen Tonfall fort. "Man öffnet keine fremden Särge!"

James eilte wieder zur Gitterwand. "Das wäre aber aufregend." Die Idee hatte etwas Verlockendes an sich und er war sofort dafür.

"Wir heben nur kurz den Deckel, lugen rein und schließen den Sarg wieder", versprach Sirius verschmitzt.

Remus schnaubte. "Ihr spinnt! Lasst es!"

"Können wir nicht gehen?", fragte Peter flehend.

Doch James hörte nicht länger auf die Jungen. Er kramte seinen Zauberstab hervor und richtete ihn damit auf die kleine Gittertür des Spaliers. "Alohoroma", sagte er und das Schloss sprang auf, so dass sie freien Zugang hatten.

Ein harter Griff um seinen Oberarm hielt ihn zurück. "James", fing Remus eindringlich an, "Ist das nötig? Has du keinen Respekt vor den Toten! Wir stören ihre Ruhe!"

"Nicht wir, sondern nur ich und Sirius", korrigierte James ihn. "Ihr könnt euch ruhig da raushalten, wenn euer Gewissen zu sehr mitspielt. Ich finde es aufregend."

"Ich auch", gab Sirius mit Nachdruck Auskunft und drängte sich an James vorbei durch die Tür in die Gruft herein.

James eilte ihm nach und ignorierte Peters Wimmern.

"Herrje, ihr seid bekloppt", schimpfte Remus leise. "Irre. Verrückt."

Der Sargdeckel war verschlossen, also zauberte Sirius ihn auf.

James fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, so spannend fand er es. Er hatte noch nie einen Sarg geöffnet. Wie der Leichnam wohl aussehen würde?

"Vorsicht, Potter", grinste Sirius. "Gleich wird es stinken."

James feixte und half Sirius, den Deckel zu heben. Seine Hand umschloss mit der von Sirius zusammen den silbernen Schlangengriff. Er war unnatürlich kalt und James spürte, wie er plötzlich zu frieren begann.

"Nicht, verdammt", startete Remus noch einen letzten Versuch, aber das laute Knarren des Deckels übertönte ihn. Es hallte an den Wänden auffällig laut wider.

Sie öffneten den Sarg - und James machte ein betrübtes Gesicht. Leer. Er war leer. Nur samtroter Bezug blickte ihnen entgegen.

"Schade", machte Sirius maulend und ließ den Deckel los. Laut knallte er zurück und das Schloss schnappte automatisch zu.

Remus seufzte froh.

"Na ja, kann man nichts machen", meinte James achselzuckend. Er fing Sirius' Blick auf, in dem ebenfalls Enttäuschung aufflackerte.

"Ich muss zugeben, spannend war es ja", meinte Remus, "aber toll hätte ich es nicht gefunden. Stellt euch mal vor, eure Särge würden irgendwann von einer Horde Jungs geöffnet werden."

Sirius winkte ab. "Egal. Dann bin ich doch sowieso tot und merke von alldem nichts."

"Lasst uns gehen", sagte James. Hier gab es leider wirklich nichts zu sehen.

"Gehen?", wiederholte jemand enttäuscht und mit mysteriöser, lauernder Stimme, in der falsche Sanftheit lag.

James wirbelte herum und starrte zur offenen Tür.

"Wahh", machte Peter matt.

Eine schlanke, hoch gewachsene Gestalt stand dort, in einem langen, weiten, schwarzen Umhang gehüllt, der eindrucksvoll wehte, wobei seine schwarze Hose, ein altertümliches dunkles Hemd und Stiefel preisgegeben wurden. Sie musterte die vier Jungen aufmerksam. Die Arme hingen gelassen zu beiden Seiten herab.

James richtete seinen Zauberstab, dessen Spitze noch immer leuchtete, auf ihn, notfalls, um irgendeinen Verteidigungszauber auszusprechen. Sein Herz klopfe laut. Er fragte sich, wer diese Person sei und seine Fantasie erfand die wildesten Antworten, von denen er sich nicht entscheiden konnte, ob er sie aufregend oder beunruhigend finden sollte.

Es war ein Mann, James schätzte ihn um die dreißig. Sein Gesicht war spitz und sehr bleich, von einer mondhellen Farbe, und seine fein geschnittenen, edlen Züge verliehen ihm etwas Aristokratisches. Er hatte hohe Wangenknochen, einen schön geschwungenen, aber dünnen, rötlichen Mund und eine Hakennase, die ihn wie ein Adler wirken ließ. Ausdruckslosigkeit lag auf seinem Gesicht, umhaucht von einer Spur von Herablasung. Das schwarze, glänzende Haar hatte er hinten zusammengebunden. Das Auffälligste waren seine Augen. Sie waren groß, schwarz und von einer derartigen Leere erfüllt, so dass sich keinerlei Gefühle in ihnen widerspiegelten.

"Ich habe so selten Besuch, bleibt doch noch ein wenig und leistet mir... Gesellschaft", fuhr er mit seiner sanften, klangvollen, aber bedrohlichen Stimme fort, während in seinem Blick kaltes Feuer aufloderte. Er lächelte listig, doch seine Augen blieben davon unberührt. Seine weißen Zähne entblößten sich dabei.

James hielt geschockt den Atem an, als er dessen Eckzähne sah, die länger waren als die anderen, und sehr, sehr spitz...

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A/N:
Wuah, das ist ein mieser Cliffhänger, nicht wahr? Na, reviewt und ich beeil' mich mit dem Weiterschreiben listig lächele wie der Typ, der die Rumtreiber überrascht hat :)

Ich hoffe, dass ihr es ein klitzekleinwenig unheimlich fand, während der Kapellenszene, zumindest habe ich versucht, eine bisschen gruselige Spannung zu erzeugen. Das ist gar nicht so einfach, weil Sirius und James ja die Chaoten vom Dienst sind ;) Aber sagt es mir ruhig, wenn dem nicht so wahr!

Ein grooooooooßes PiratenDANKEschön an meine lieben, lieben Reviewer, ich freue mich jedes Mal wie ein kleiner Pirat, der sein erstes Goldstück erbeutet hat, wenn ich ein Review erhalte k-icher