Rückwärts in die Dunkelheit


Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

- die letzten Worte eines Sterbenden.




8. Kapitel

Zweifel


"Ohne den Staub,
worin er aufleuchtet,
wäre der Sonnenstrahl nicht sichtbar."

- André Gide

Remus hockte mit James, Peter und Sirius im Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Das zweite Schuljahr hatte begonnen und der Oktober war mit seinen Gewitternächten und Herbststürmen über das Land hereingebrochen, wie eh und je.

Die vier Jungs hatten seit ihrem Abenteuer im Verbotenen Wald im ersten Jahr immer etwas zusammen unternommen und man bekam eigentlich so gut wie nie einen ohne die anderen zu Gesicht. Besonders zwischen James und Sirius hatte sich ein Band entwickelt, dass sich später mit Sicherheit zu einer tiefgründigen, echten Freundschaft wandeln würde, dessen war sich Remus sicher.

Die lockere Kameradschaft zwischen ihnen hatte mehr an Bedeutung gewonnen und trotz der Sticheleien und Streitereien unter ihnen waren sie einander verschworen.

Nach ihrem Abenteuer mit dem Vampir hatten sie noch oft versucht, herauszufinden, was es mit der Prophezeiung auf sich hatte - vergeblich. Sie hatten in der Bibliothek alles über Vampire nachgeschlagen, wobei sich Remus' Verdacht, dass sich die Untoten von Werwölfen fern hielten, bestätigt hatte. Doch Gründe, warum sie es taten, hatte er nicht gefunden. Dabei hätte er es gerne gewusst. Hin und wieder hatte er mit Peter zusammen vergeblich darüber gerätselt, wer jener Fremde war, der ihnen geholfen hatte. Der mausgraue Junge war immer noch fest davon überzeugt gewesen, dass er mit Vyperus befreundet war, doch er hatte nur Remus seine Meinung anvertraut. Die anderen beiden, so dachte er, hätten ihn ja eh wieder ausgelacht. Remus nämlich hatte dies nicht getan, sondern aufmerksam Peters Worten gelauscht. Er konnte sich zwar heute noch schwerlich vorstellen, dass ein Vampir Freunde hatte - aber warum nicht? Er war ein Werwolf und er hatte auch Freunde. Gut, das zählt wohl nicht, dachte er sich betrübt. Sie wissen ja nicht, dass ich einer bin.

Das neue Jahr hatte begonnen und mal wieder interessant angefangen. Remus, der die Ferien über regen Briefkontakt zu den Jungen hatte, hatte sie erst am Bahnsteig wieder gesehen. James hatte er als ersten getroffen...

"Remus! Reeemuuus!", rief jemand fröhlich durch das allgemeine Stimmengewirr und schon wurde der dunkelblonde Junge von hinten fast zu Boden geworfen.

Remus kämpfte um sein Gleichgewicht und grinste, als er in James' lachendes Gesicht sah. Dessen haselnussbraune Augen leuchteten ungestüm und seine dunklen Haare standen wie immer chaotisch in alle Himmelsrichtungen ab. "Mensch, Alter, nächste Ferien unternehmen wir aber was zusammen!", fing James an und für die nächsten Minuten redete er wie ein Wasserfall. "Sirius und ich haben uns ja getroffen. Er hat mich besucht, das war echt witzig! Schade, dass du nicht kommen konntest!"

Remus erinnerte sich, dass zu dieser Zeit Vollmond gewesen war und er demnach den Potters natürlich keinen Besuch abgestattet hatte. Die Freundschaft zu den Jungen hätte ja ein jähes Ende gefunden, wenn sie herausfinden würden, dass er ein Werwolf war. Ihm fiel auf, dass James ihren gemeinsamen Freund beim Vornamen nannte - etwas, das er im ersten Schuljahr noch nicht getan hatte.

"Ach, aber ehrlich gesagt habe ich mich auf Hogwarts schon wahnsinnig gefreut", plapperte James weiter. Das glückliche Grinsen wollte nicht aus seinem Gesicht verschwinden.

"Ich habe mich auch gefreut", sagte Remus. Seine Ferien waren recht trist gewesen. Und einsam. Seine Eltern hatten selten Zeit für ihn, da sie arbeiteten, außerdem lebten sie ja getrennt und richtige Freunde hatte er daheim sowieso nicht.

"Hallo!", piepste jemand hinter ihnen.

Remus drehte sich herum und erblickte einen freudestrahlenden kleinen Jungen mit mausgrauem, kurzem Haar. "Peter!", rief er erfreut aus und klopfte ihm auf die Schultern.

"Yooo, Peter, altes Haus!", rief James, riss Peter zu sich, klemmte dessen Kopf unter seinem Arm und gab ihm spaßeshalber eine Kopfnuss.

Der Junge quiekte auf, lachte aber und versuchte sich zu befreien.

James ließ ihn wieder los, richtete sich auf und Remus konnte sehen, wie sein Blick über den sonnendurchfluteten Bahnsteig glitt. "Wo bleibt Sirius?", drängelte er ungeduldig.

"Sein Bruder kommt dieses Jahr nach Hogwarts, stimmt's?", erkundigte Remus sich.

James nickte abwesend und runzelte die Stirn. "Ja", lautete die knappe Antwort.

Remus warf James einen eigentümlichen Blick zu. Er erinnerte sich noch zu gut daran, dass alle dachten, Sirius würde nach Slytherin kommen. Offenbar glaubte James, Regulus würde die Tradition diesmal ´nicht´ brechen und mit Sicherheit ins Haus der Schlange eingewiesen werden. Sirius hatte im Laufe des ersten Schuljahres über seine Einteilung nach Gryffindor noch häufig Probleme mit den Slytherins gehabt. Doch ein paar Gleichaltrige hatten versucht, normalen Kontakt zu ihm zu halten, den Sirius - sehr zum Missfallen James' - sogar erwidert hatte. Aber einige, vor allem Ältere, waren halt nicht so nachsichtig mit dem Jungen umgegangen und er, der keine Geduld kannte, hatte sich des Öfteren mit ihnen geprügelt.

"Ich wäre gerne zu eurem Treffen gekommen, James", drang Peters Stimme an sein Ohr und Remus sah den Jungen an. "Aber der Urlaub war schon längst gebucht worden."

James winkte gelassen ab. "Kein Problem, das holen wir alles in den nächsten Ferien nach." Dann erhellte sich sein Gesicht plötzlich und Remus folgte seinem Blick.

Da kam Sirius mit seinem Gepäckwagen. Sein schwarzer Uhu mit den ungewöhnlich grünen Augen thronte wie immer oben auf und bedachte die anderen Eulen mit anmaßenden Blicken, wie es Remus schien, so, als sei er der Kronprinz unter den Tieren.

Ehe Remus es registrieren konnte, war James schon bei ihm und begrüßte ihn aufgeregt. "Endlich, Mann, dachte schon, du kommst gar nicht mehr!"

Er näherte sich den beiden, gefolgt von Peter. "Sirius!"

Sirius sah auf und begegnete Remus' Blick. Seine Haarsträhnen fielen ihm wie immer lässig in die Augen.

Remus hielt inne, als er Sirius' blutende Lippe sah und die dunklen Schatten, welche unter seinen schwarzen Augen lagen. "Was ist mit dir denn geschehen?"

Sirius' Mund verzog sich zu einem ironischen Grinsen. "Danke, Lupin, ich freue mich auch, dich wiederzusehen."

Remus lachte und reichte Sirius die Hand, die dieser annahm. Dann klopfte Sirius Peter auf die Schultern. "Na, Kleiner? Bereit für ein neues Jahr voller Abenteuer, in dem wir den Slytherins die Hölle heiß machen?", feixte er.

"Das möchte ich sehen!", mischte sich eine kühle, arrogante Stimme ein.

Remus schaute sich um und sah ein schwarzhaariges, hübsches Mädchen, dessen Augen so kalt wie Eis waren. Bellatrix Black, Sirius' Cousine und durch und durch Slytherin, wie er fand. Neben ihr standen zwei weitere Mädchen, ebenfalls Slytherin.
Er, James und Peter wurden von den dreien vollkommen ignoriert.

Sirius schnitt eine Grimasse. "Bellatrix, habe ich etwa mit dir geredet?"

Über Bellatrix' Lippen huschte ein höhnisches Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. "Schlägerei gehabt?", fragte sie voller Genugtuung.

"Geht dich ´nen schei' Dreck an", zischte Sirius kalt.

Remus konnte nie genug über Sirius' verschiedene Persönlichkeiten staunen. Oftmals wirkte er ungestüm, arglos und lebendig, aber von einer Sekunde zur anderen konnte er auch arrogant und kalt werden, umgeben von scheinbarer Dunkelheit und Unerreichbarkeit, so dass er sich von seiner Cousine Bellatrix, was Ausdrucksweise betraf, kaum noch unterschied. Wie jetzt. Der immerzu blasse Junge hatte eine angespannte Haltung angenommen und bedachte das ältere Mädchen mit feindseligen Blicken. Ausdruckslosigkeit beherrschte sein Gesicht wie eine düstere Maske.

Bellatrix senkte inzwischen ihre schweren Lider zu Halbschlitzen und legte den Kopf schief. "Der Weg zurück, lieber Cousin...", fing sie langsam an; ihre Stimme war plötzlich sanft, und hatte trotzdem einen verhüllten, bedrohlichen Ton. "Der Weg zurück wird dir immer offen stehen. Immer." In ihren Augen blitzte es undefinierbar auf. "Für den Fall, falls dir irgendwann einmal wieder einfällt, auf wessen Seite du zu stehen hast."

Remus hörte, wie James schnaubte und sah, wie rot er geworden war. Hasserfüllt starrte er Bellatrix an. "Verpiss' dich endlich!"

Sirius hingegen hielt einen Moment lang den Blick des Mädchens stand, ehe er sich zu Remus' Überraschung einfach abwandte und ein leises "Kommt" zu ihnen raunte.

"So eine beschissene Giftmischerin", fing James an, während sie davon schlenderten, und fing an, für die nächste Zeit Beleidigungen für Bellatrix zu erfinden, bei denen Peter immer wieder kichern musste.

Remus ignorierte James und mustere Sirius von der Seite. Er war auffällig still und sagte gar nichts dazu, ließ er doch sonst keine Chance aus, um über Slytherins abfällig herzuziehen. "Ist etwas passiert, daheim?", fragte er offen.

Im nächsten Moment wünschte er sich, es nicht gesagt zu haben.

Sirius blieb abrupt stehen und starrte Remus aus verengten, bedrohlich funkelnden Augen an. "Was? Nein, nichts, Mann, klar!", stellte er zischend richtig und obwohl er es nicht aussprach, wusste Remus, dass er besser daran täte, dieses Thema nicht noch einmal anzuschneiden.

Innerlich seufzte er. Manchmal wurde er aus Sirius einfach nicht schlau.

"Und, Potter, hast du an die unsichtbare Zaubertinte gedacht?", fragte dieser dann plötzlich, voller Vorfreude.

Und wieder dieser plötzliche Stimmungsumschwung.

"Was denn für ´ne Zaubertinte?", wollte Peter interessiert wissen, während Remus amüsiert feststellte, dass Sirius sich nach vor weigerte, auch nur irgendeinen von ihnen mit Vornamen anzureden.

"Sirius und ich sind auf Zaubertränke gestoßen, die sich ´nur´ jenem zeigt, an den der Absender adressiert hat", antwortete James mit leuchtenden Augen. "Klar habe ich an sie gedacht", fügte er zu Sirius gewandt hinzu. "Und nun", fuhr er fort, Remus und Peter abwechselnd anguckend, "können wir im Unterricht, wenn wir mal wieder auseinander gesetzt werden, uns Papierschwalben zuwerfen, in denen wir uns was schreiben können." James' Begeisterung schien kein Ende zu finden.

Sirius kicherte. "Ja, und wenn McGonagall oder Moody Verdacht schöpfen, werden sie nichts sehen. Da helfen auch Zaubersprüche nicht."

James nickte heftig. "Genau, außer auf dem Papier steht ´An McGonagall, unsere große Liebe´, oder so."

Sirius prustete los und Remus und Peter ließen sich sofort davon anstecken.

"McGonagall ist deine große Liebe, James?", ertönte eine belustigte, aber sanfte Stimme.

Remus sah Andromeda, die sich ihnen genähert hatte und die Jungen aus ihren großen Augen musterte. Neben ihr stand Rick Lee Jordan, ihr Klassenkamerad und bester Freund. Beide grinsten bis über beide Ohren.

"Haha, wie witzig", entgegnete James sarkastisch.

"Tja", meinte Rick lachend, "wer hätte das gedacht. Potter und McGonagall! Potter und McGonagall!" In seinen dunklen Augen leuchtete es schalkhaft.

"Klappe, Mann!", zischte James erzürnt. Er schien es nicht gewohnt zu sein, dass man sich über ´ihn´ lustig machte.

Andromeda kicherte. "Sag' uns Bescheid, wann die Verlobungsfeier stattfindet."

James warf dem Mädchen einen vernichtenden Blick zu.

Remus bemerkte, wie Andromedas Gesicht sich schlagartig verdüsterte. Doch es lag nicht an James, wie er feststellte.

"Da kommt unser neuer Slytherin und Hoffnungsträger der Familie", sagte sie leise und runzelte die Stirn, während sie über die Köpfe der vier Jungen hinweg schaute.

Remus drehte sich halb herum und sah einen schlanken, gut aussehenden Jungen auf sie zukommen, in Begleitung von zwei anderen Erstklässlern. Gewisse Ähnlichkeiten mit Sirius waren nicht zu übersehen. Auch er hatte dunkle Haare, die allerdings sorgfältig aus der Stirn gekämmt waren, und dunkle Augen, in denen es vor Hochmut nur so funkelte. Auf seinen blassen, feinen und noch kindlichen Zügen lag ein Ausdruck, der darauf schließen ließ, dass er es gewohnt war, zu bekommen, was er wollte. Ähnlich, wie bei Sirius, der auch nur allzu oft der Ansicht war, dass die Welt ihm gehörte.

"Regulus, Alter", grinste Sirius.

"Na?", fing Regulus leicht affektiert an, doch ein verschmitztes Lächeln lag um seinen Mund. "Hast ja vorhin noch mal Glück gehabt, dass du nur mit ´ner blutigen Lippe davongekommen bist, was?"

"Das wollt' ich dich vorhin schon fragen, Sirius", mischte Andromeda sich sofort ein. Ihre Augenbrauen waren misstrauisch, aber besorgt zusammengezogen. "Was ist denn passiert? Warum hast du sie nicht heilen lassen?"

Sirius ignorierte sie und warf seinem jüngeren Bruder einen ansatzweise dankbaren Blick zu, der seine Augen kurz aufhellte. "Ja, du hast etwas gut bei mir, Kleiner."

Regulus winkte lässig ab - eine Geste, die von Sirius hätte sein können. "Schon okay. - Und nenn' mich nicht so." Dann fiel sein Blick auf Andromeda und das Lächeln verschwand augenblicklich. "Unsere Cousine ist ganz schön neugierig, hm?", stellte er spöttisch fest, während er seinen Bruder wieder anschaute.

Remus konnte förmlich spüren, wie die Luft zu knistern begann, als Andromeda ihre grünen Augen gefährlich verengte. Ihre anmutige Schönheit verbarg nur allzu oft ihren aufbrausenden Charakter, den sie unter den Mantel der Zierlichkeit trug. Und Remus konnte sich schwerlich vorstellen, dass sie, Viertklässlerin, sich von einem elf Jahre alten Jungen beleidigen ließ. Außer, sie stand da natürlich drüber.

Die Gryffindor setzte jedoch schon zu einer Bemerkung an, die zweifellos einen Streit unter den Blacks ausgelöst hätte, als ihre Schwester Narcissa kam.

"Familientreffen?", fragte James rhetorisch und verdrehte die Augen.

"Es werden schon Wetten abgeschlossen, ob ihr euch noch vor Beginn der Fahrt Duelle liefert", sagte die Slytherin mit ihrer schleppenden Stimme und einem Ausdruck sanften Spottes, während ihr Blick amüsiert über Sirius, Andromeda und Regulus strich. Remus, James, Peter und Rick schien sie überhaupt nicht zu bemerken.

Sirius grinste breit. "Nun, für ein Duell bin ich immer zu haben."

"Mom wird dich killen", feixte Regulus und lachte.

"Nur, wenn ich mich nicht auf deine Seite stelle."

"Und?" Sein jüngerer Bruder hörte auf zu lachen und sah ihn aufmerksam, irgendwie hoffnungsvoll, an. "Würdest du?"

Sirius schien sich plötzlich in die Ecke gedrängt, denn er sah kurz zwischen Andromeda und Regulus hin und her, während er dann mit den Achseln zuckte. "Ich... würde zu dir halten. Du bist immerhin mein kleiner Bruder." Sein Blick war unleserlich geworden.

Regulus' Gesicht erhellte sich.

"Oh, danke, Sirius", meinte Andromeda belustigt, als sie erkannte, dass ihr Cousin sich nicht auf ihrer Seite stellen würde, "aber selbst ihr beide würdet gegen mich nicht gewinnen, von daher..." Sie machte eine lässige Geste mit ihrer linken Hand.

"Das nennt man Slytherinstolz, Schwesterherz", sagte Narcissa inzwischen versonnen, während ihre kühlen graublauen Augen den Blick des Mädchens fixierten. "Blut ist nun mal dicker, als Wasser. Ein Teil unseres Cousins wird immer Slytherin bleiben."

"Ich bin aber in Gryffindor", warf Sirius hastig ein.

Remus wusste, dass es unter den Slytherins und Gryffindors die Runde gemacht hatte, dass der Sprechende Hut Sirius auch in Slytherin hätte einweisen können. Die Clique um Lucius Malfoy hatte es ja mittels des Wahrheitstrankes herausgefunden und wohlweislich verbreitet. Niemand hatte den Zwiespalt des Hutes als verwunderlich empfunden.

James' Miene hatte sich schon längst verdüstert, während Peter interessiert die Unterhaltung der Blacks verfolgte.

"Verdirb' ihn nicht, Narcissa", entgegnete Andromeda ruhig. Nur ihre Augen sprühten wie Blitze aus Jade, wenn sich das leuchtende Sonnenlicht in ihnen fing.

Diese hob ihre Augenbrauen. Remus konnte beobachten, wie Verwirrung unter der Oberfläche von Narcissas Gesicht brodelte, wie kleine Wellen in der äußerlichen, erzwungenen Ruhe. "Wie meinst du das?"

Andromeda zuckte kurz mit den Schultern. Ihr Gesicht war verschlossen, wie eine Blume in der Nacht, und ihre langen, schwarzen Haare fielen in flüssigen Bewegungen sanft auf ihren Rücken herab. "Das weißt du ganz genau."

Ihre Schwester fing ihren Blick auf, hielt ihn stand, dann aber seufzte sie leise. "Du kannst nicht wissen, was richtig ist, und was falsch." Dann wandte sie sich zu Sirius und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, welches ihre Pupillen wie Juwelen aus hellem Grau, umrandet von Silber im eisblauen Licht erstrahlen ließ. In der Sonne schien ihr langes, hellblondes Haar noch mehr zu leuchten, als sonst. "Du bist verletzt", bemerkte sie sanft. Im nächsten Augenblick hatte sie ihren Zauberstab gezückt und hielt ihn auf Sirius' Gesicht. Murmelnd sprach sie einen Heilzauber und der blutige Riss auf den Lippen des Cousins verschwand. "Sag' mir Bescheid, wenn du Ärger mit den Slytherins hast", fügte sie noch leise hinzu und ging dann mit einer anmutigen Umdrehung davon.

Remus schien, als würde sie schweben, so leicht wirkten ihre Schritte. Dann schaute er zu Andromeda, die dem Mädchen gelassen aus halbgeschlossenen Lidern hinterher schaute.

James schüttelte mit düsterer Miene den Kopf, als auch er hinter Narcissa hersah und murmelte irgendetwas, das sich für Remus sehr nach "Slytherinpack" anhörte. Dann erhellte sich sein Gesicht plötzlich, und er holte eine dunkelblaue Kugel mit einer kleinen schwarzen Schnur heraus. Sie blitzte in der Sonne auf. "Sirius?", fragte er und ein angespanntes Grinsen lag auf seinem Gesicht. "Soll'n wir es durchziehen?"

Sirius strahlte. "Klar!"

"Was ist das?", wollten Remus und Regulus gleichzeitig wissen.

Andromeda und Rick hatten sich inzwischen abgewendet und begrüßten lautstark einige ihrer Mitschüler.

"Das", fing Sirius mit leuchtenden Augen an, "ist ein Muggleartefakt, welches wir ein wenig mit Magie verzaubert haben."

"Mugglezeug?", wiederholte Regulus aufmüpfig und verzog das Gesicht, als würde er sich ekeln. "Wie widerlich."

Sirius winkte großzügig ab. "Warte ab, was wir damit gleich machen. Dann wirst auch du es obercool finden."

Sein Bruder hob hochmütig die Augenbrauen. "´Das´ bezweifle ich sehr, Sirius."

"Na, los, komm' jetzt, ehe noch jemand was davon mitbekommt", mischte James sich hastig ein und ging in die Hocke. Sirius tat es ihm gleich und sie steckten ihre Köpfe zusammen, ihre Zauberstäbe in der Hand. Das dunkle Haar der beiden glänzte richtig im Schein der Sonne.

Gespannt beobachtete Remus sie, darauf wartend, dass jeden Augenblick etwas passieren würde. Aus reiner Vorsicht und Erfahrung ging er einen Schritt zurück.

Er hörte, wie sie zusammen einen Spruch murmelten, dann sprangen sie auf und wichen zurück, auf beiden Gesichtern ein aufgeregtes Grinsen und ein ebenso aufgewühltes Glitzern in den Augen, begleitet von einem auffälligen Ausdruck der Unschuld - wie immer, wenn sie dabei waren, einen ihrer Streiche in die Tat umzusetzen.

Remus starrte die Kugel an. Die Zündschnur war bläulich geworden und brannte ab. Und dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, so laut, dass er zusammenzuckte und glaubte, sein Trommelfell würde platzen. Plötzlich spürte er eine kleine, hartnäckige Druckwelle, die ihn zurückstieß und er keuchte überrascht auf.

Um sich herum hörte er Schreie und Kreischen der anderen und die Haustiere begannen ein fürchterliches Gezeter.

Verblüfft beobachtete Remus, wie von der Kugel aus, die von Rauch umwölkt war, das heftigste Feuerwerk entsprang, welches er jemals vor Augen bekommen hatte: in allen kunterbunten Regenbogenfarben schossen lange schlanke Lawinen heraus, die einen hohen Bogen Richtung Horizont machten und dort in tropfenförmigen Funken auseinander fielen, wie ein Regenschirm, der sich aufspannte. Die Luft schien rot, gelb, grün, blau und violett und das Entsetzen der anderen verwandelte sich in helle Begeisterung.

Einige fingen an zu jubeln und zu klatschen.

Remus sah, wie James und Sirius sich bis auf zwanzig Meter von der Kugel entfernt hatten und dachte sich, es besser auch zu tun. Er winkte Peter zu sich und sie gingen schnell zu ihnen, gefolgt von Regulus und seinen beiden Freunden.

Die beiden Unheilstifter warfen sich grienende Blicke zu und kicherten nervös. Passt' auf, gleich", wisperte James.

Als der letzte Funken der Kugel entwichen und diese vor lauter Rauch nicht mehr zu sehen war, konnte man nur noch das Lachen der Zuschauer hören.

Und dann - urplötzlich - zischte aus der Kugel ein helles Pfeifen, es gab vier dicht aufeinander folgende ´Plopp´-Geräusche und etwas schien in die Luft katapultiert worden zu sein. Es zerplatzte - und bunte Farbe regnete vom Himmel herab, direkt auf jene, die der Kugel zu nahe standen.

Das Lachen einiger verwandelte sich wieder in Schreien und empörtes Aufkreischen, gefolgt vom schadenfrohen Gelächter derer, die unberührt geblieben waren.

James und Sirius kugelten sich vor Lachen.

Farbbomben. Das waren einfache Farbbomben gewesen. Remus, der, wie die anderen, ungetroffen geblieben war, grinste. Schlicht, aber effektiv.

Regulus lachte angenehm. Er hatte auch keine Farbe abbekommen, schließlich stand er ja bei ihnen, und genoss offenkundig den Ärger der Opfer des Streiches. "Nette Idee, Sirius."

"WER WAR DAS?", heulte von irgendwoher eine keifende Stimme. Ihr folgten andere Stimmen, die sich wütend nach den Schuldigen umsuchten, aber es hätte ja jeder sein können - auch wenn einige Sirius und James durchaus verdächtigten.

Ein Mädchen erschien plötzlich aus dem fahler werdenden Rauch vor ihnen und blitzte Sirius und James aus ihren unglaublich leuchtendgrünen Augen an. Sie war über und über von blauer und gelber Farbe bedeckt. "IHR!", rief sie erzürnt. Sie hatte eine glockenhelle, sanfte Stimme, die nun vor Wut bebte.

Sirius prustete los, als er sie sah und Remus fürchtete einen Moment lang, er würde vor Lachen ersticken. Der Junge hatte sich bereits mit den Händen auf seine Knie gestützt und schien sich überhaupt nicht mehr einzukriegen. James hingegen hatte sie zunächst überrascht angestarrt, dann grinste auch er.

Remus schätzte sie auf elf, ein Neuling, dessen hübsches Gesicht durchaus von feuerroten Haaren umrahmt gewesen wäre, wenn diese nicht in verklebten, bunten Strähnen herabhängen würden. "Ich hab' genau gesehen, dass ihr das gewesen ward!" Ihre großen Augen hatten sich zu gefährlichen Schlitzen verengt. "Das findet ihr wohl saukomisch, was!"

James grinste selbstgefällig. "Klar. Hahaha! Du müsstest dich mal anschauen!"

Das Mädchen schnaubte. Zornesblässe tat sich auf ihren feinen Zügen auf. Sie hatte auf einmal ein gelbblaues Taschentuch in der Hand. Sie schien damit ihr Gesicht von Farbe abgewischt zu haben. Ein fast unmerkliches Glitzern hellte ihre smaragdfarbenen Augen auf, als sie näher glitt und James das Taschentusch einfach ins Gesicht presste und darüber wischte.

Dieser stieß sie abrupt von sich und hatte aufgehört zu lachen. "Hey!"

Sirius, der gewisse Anzeichen machte, sich von seinem Lachanfall einigermaßen zu erholen, stürzte sich direkt in den nächsten, als er seinen Blick auf James gerichtet hatte.

Remus kicherte, als er sah, wie James' Gesicht nun ebenfalls blau und gelb war.

Die junge Hexe grinste nun leicht, aber ihr Zorn über den Streich war noch immer nicht verraucht. "Und komm' mir nie wieder zu nahe mit euren bescheuerten Streichen!", giftete sie ihn an, ließ ihren Blick kurz über Sirius streifen, ehe sie wieder James fixierte. Das Feuer ihrer Haare schien sich in ihren Augen widerzuspiegeln. "Oder habt ihr euch verlaufen und müsstet eigentlich Richtung Kindergarten? !" Sie wandte sich ab, als auch schon eine leicht erregte Frau auf sie zugelaufen kam.

James hob seinen Zauberstab. In seinen Augen sprühten Funken.

"Lily! Lily!", rief die Frau, stutzte, als sie das Mädchen sah und starrte sie an. "Oh je!", machte sie dann, doch ihre Stimme klang amüsiert. "Na komm', mein Schatz, wir wischen die Farbe von dir ab. Und das ausgerechnet heute! Wo du doch so aufgeregt bist, wegen Hogwarts. Aber ach, das wird deiner Reise sicherlich keinen Abbruch tun." Stolz schwang in ihrer Stimme mit.

"Ja, ja, Mom", sagte Lily, würdigte die Jungen keines Blickes mehr und ging mit ihrer Mutter davon.

Enttäuscht ließ James seinen Zauberstab senken, mit offensichtlichem Bedauern, sie nicht mehr verhexen zu können. "Blöde Gans."

"Schlammblut", kommentierte Regulus verächtlich.

Remus blinzelte. "Wie meinen?"

Ein spöttischer Blick des Jungen traf ihn. "Muggle. So, wie die Mutter sich benahm, kann es sich bei der Göre ja nur um ein Schlammblut handeln."

"Hey, halt deine vorlaute Klappe!", mischte James sich wütend dazwischen. Seinen Zauberstab hatte er wieder erhoben.

Regulus musterte ihn arrogant. "Ooh, hast du dich in die Kleine etwa verliebt?" Er lachte kurz.

"Nein, denn ich bin zu sehr mit meinem Hass beschäftigt, den ich Leuten wie dir zolle, Arschloch!"

"Leute", warf Sirius genervt dazwischen, der sich von seinen Lachanfällen erholt zu haben schien. Seine dunklen Augen leuchteten immer noch. "Gebt Ruhe."

Regulus achtete nicht auf seinen Bruder, sondern sah James eigentümlich an. "Wenn du so denkst, bist du eines Blacks nicht würdig." Hohn beherrschte seine blasierten Züge. "Ich hoffe, Sirius hält sich fern von dir." Ein hochtrabender Blick in die Runde, dann nickte er seinem Bruder noch einmal kurz zu, ehe er mit seinen Freunden davon schlenderte.

"Dein Bruder soll sich sonst wohin ficken", presste James aggressiv hervor.

Sirius grinste arglos. "Ich werde es ihm ausrichten."

Noch ehe jemand etwas sagen konnte, fuhr mit lautem Zischen und Pfeifen der Hogwarts Express ein.

"So, Kinder", erschallte eine sympathische Stimme und Sirius' Vater näherte sich. Regulus, der sich nicht weit entfernt hatte, kam wieder zurück.

Ein warmes Glitzern erfüllte Mr Blacks Augen, und obwohl auch darin Arroganz und Kälte zu lesen war, bildete dieses Leuchten ein untrügerisches Bild, wie schwarze Glanzstücke der finsteren Nacht. "Ihr müsst los. Macht's gut." Er fuhr mit seiner Hand über Regulus' Kopf und klopfte Sirius auf die Schulter. "Stellt keinen Unsinn an. Und pass' ein wenig auf deinen Bruder auf, ja?" Es blieb offen, wer nun eigentlich auf wen achten sollte.

Sirius' Mutter kam und warf ihrem Erstgeborenen einen verärgerten Blick zu. "Mrs Nott hat eine Ladung Farbe abbekommen", zischte sie.

Sirius riss unschuldig seine Augen auf. "Ehrlich?"

"Tu' nicht so arglos, Bengel!" Ihre Nasenflügel flatterten. "Und lass' dich ja nicht von Schlamm- und Halbblütern verderben!"

James' Eltern kamen ebenfalls, gerade rechtzeitig, denn James war so rot vor Zorn geworden, dass es Remus sich nicht gewundert hätte, wenn er Mrs Black einen Fluch aufgehalst hätte.

Sie verabschiedeten sich von ihrem Sohn, und wechselten knappe Worte mit Mr Black.

Peter stand ein wenig abseits und wurde von seiner überbesorgten Mutter umarmt.

Remus war alleine hier. Wieder einmal. Doch er grämte sich nicht, er wusste, dass seine Eltern nun mal keine Zeit hatten, weil sie so viel arbeiten mussten. Sie waren nicht reich und der Biss des Werwolfs hatte sie damals in tiefe Schulden gestürzt, als sie versuchten, eine Heilung oder zumindest Besserung zu finden. So machte der Gryffindor sich daran, sein Gepäck in den Zug zu hieven. Als er sich umdrehte, standen Peter und James schon neben ihm und brachten ihre Koffer ebenfalls hinein.

Regulus wurde von anderen Slytherins in Schlepptau genommen und sie stiegen in den Hogwarts Express ein.

Mrs Black ging zu dem Abteilfenster hin, in dem ihr Zweitgeborener einen Platz gefunden hatte, um ihm zum Abschied noch etwas zu sagen.

Remus sah sich nach Sirius um und erblickte ihn, der gerade mit seinem Gepäckwagen auf sie zusteuerte.

"Sirius, warte kurz", hielt sein Vater ihn auf und Remus beobachtete stirnrunzelnd, wie er den Jungen grob am Oberarm packte und zu sich herumwirbelte.

Er konnte nicht alles verstehen und wollte auch nicht lauschen, aber Wortfetzen wie "Bringe keine Schande über unser Haus!" und "Wage es ja nicht, mir zu widersprechen" drangen zu ihm herüber, wie verworrene Gewitterwolken.

Sirius, dessen Blässe noch bleicher geworden war, so dass einige blaue Venen sichtbar wurden, versuchte sich vergeblich aus dem Griff seines Vaters zu befreien. "Lass' mich los, Dad", presste er wütend hervor.

"Hey, Remus! Sirius!", rief ein blaugelbgesichtiger James ungeduldig aus dem Zug, "Steigt endlich ein!"

Remus kam dem nach, indem er eine Stufe betrat und drehte sich wieder zu Sirius herum. "Kommst du?", fragte er nun ebenfalls.

Dieser sah zu ihm herüber. In seinen schwarzen Augen flackerte es. "Ich muss gehen, Dad."

Sein Vater ließ ihn endlich los, sagte noch etwas, worauf der Junge kurzzeitig erstarrte, dann ging er festen Schrittes auf den Zug zu. Remus half ihm, den Koffer und den Käfig des Uhus hineinzubringen, dann folgten sie James und Peter, die bereits losgezogen waren, um ein leeres Abteil zu finden.

Remus warf Sirius einen schnellen Seitenblick zu, den dieser flüchtig erwiderte.

´Wage es nicht, Fragen zu stellen´, schien Sirius' Ausdruck zu sagen und Remus runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.

Die leeren Schatten, die über dessen Pupillen huschten, entgingen dem dunkelblonden Jungen nicht. Doch als sie in einem der Abteile Platz nahmen und der Zug sich in Bewegung setzte, war Sirius wieder so unbekümmert und lebenslustig, wie eh und je.

Das war jetzt schon wieder weit über einen Monat her, und der Schulalltag hatte sich im Leben der Schüler eingenistet.

Regulus war nach Slytherin gekommen - der Sprechende Hut hatte sich recht schnell entscheiden können - und Bellatrix, Vertrauensschülerin im fünften Schuljahr, hatte Gefallen daran gefunden, bei jeder Begegnung mit Sirius Gryffindor Punkte abzuziehen. Dieser hatte immer noch häufiger Stress mit anderen Slytherins, doch es hatte abgenommen. Remus wusste ja nicht, wie die Ferien bei den Blacks zu Hause waren, aber offenbar waren einige der Slytherins aus ihren und Regulus' Jahrgang zu Besuch gewesen, denn es gab ein paar wenige, allen voran Felice Zabini, zu denen der Dunkelhaarige oberflächlichen Kontakt hatte, sich zumindest mit ihnen verstand - sehr zum Ärger James'. Remus fragte sich sowieso schon, warum James einen solch' heftigen Hass gegen Slytherins trug, ´nur´, weil man ihnen nachsagte, sie seien mit schwarzer Magie äußerst vertraut. Einen blassen, dunkelhaarigen Jungen namens Severus Snape, hatte James besonders auf den Kieker. Remus kannte den Namen, weil James einmal erzählt hatte, dass sich um dessen Vater, der irgendwo untergetaucht und unter dem Pseudonym ´Die Schlange´ bekannt war, die wildesten Gerüchte rankten. Sie waren vielfältig und entstammten aus jedem Genre. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: sie beinhalteten schwarze Magie und Dunkelheit. Da James' Vater im Zaubereiministerium im Aurorenhauptquartier arbeitete, wusste der Junge das. Und damit hatte er, so schien es Remus, allen Grund, um Severus zu hassen. Remus hatte einmal gesagt, dass James' nicht von dem Vater auf den Jungen schließen sollte, aber dieser hatte ihn daraufhin beinahe mit wütenden Blicken erdolcht, so dass er das Thema gemieden hatte.
Ansonsten war alles beim Alten. James und Sirius bekamen wöchentlich Strafarbeiten auf, weil sie den Unterricht störten oder sonstige Regeln brachen und ärgerten sich mit dem Rest der Slytherins herum. Peters Bewunderung für James stieg leicht weiter an und er, Remus, war stets bedacht, dass niemand sein dunkles Geheimnis herausbekam.

Jedes Mal, wenn Vollmond war, log Remus seine Freunde eiskalt an. Er behauptete dann immer, seine Mutter sei krank und er müsste schnell nach Hause. Manchmal behauptete er auch einfach, er fühle sich unwohl und ging zur Krankenstation, von wo er, sobald die Nacht einbrach, von Madam Pomfrey zur Peitschenden Weide gebracht wurde. Damit Sirius, James und Peter nicht auf die Idee kamen, ihn nachts zu besuchen, legte McGonagall, die den Jungs alles zutraute, stets einen Schlummerzauber über den Schlafsaal, wenn Vollmond war. Kommentare, besonders von Sirius, wie krank und grau und fertig er aussähe, wehrte er am nächsten Tag mit einem schwachen Lächeln und der Bemerkung ab, Albträume gehabt zu haben.

Remus seufzte traurig. Ob das auf Dauer gut ging? Noch sechs Jahre lang? Es wäre doch ein Wunder, wenn die anderen Jungen nicht darauf kämen, was für ein Monster er war. Sein Blick glitt über den vollen Gemeinschaftsraum, erwärmt durch die Feuer im Kamin, deren Flammen tanzende Schatten auf die samtroten Sessel und hellen Wände warfen. Aber sein finsteres Geheimnis durfte niemand herausfinden. Nicht nur der Schulrauswurf und eine zerstörte Zukunft wären damit verbunden, wenn herauskäme, dass er ein Werwolf war (denn die Eltern der Kinder würden Dumbledore mit Sicherheit unter Druck setzen, ihn rauszuwerfen), auch ein Verlust der Freundschaft wäre damit besiegelt. Und Remus war doch so glücklich... hier und jetzt, mit Sirius, James und Peter. Sie waren ihm sehr ans Herz gewachsen, wie er bereits in den Ferien festgestellt hatte, und so sehr er auch die schulfreie Zeit genutzt hatte, um Distanz aufkommen zu lassen, war es ihm nicht gelungen. Einmal erfahren zu haben, was Freundschaft im Laufe der Zeit wirklich bedeuten, zu was sich ihre Kinderkameradschaft entwickeln konnte, ließ es sehr, sehr schwer werden, sich dem abzuwenden und die Gefühle zu verschließen.

"...über Werwölfe", drangen Sirius' Worte an sein Ohr.

Remus zuckte zusammen und starrte ihn an. "Was?"

Sirius, der mit James geredet hatte, wie ihm jetzt auffiel, blinzelte verwirrt. "Was?"

"Was?"

"Ehm", mischte sich James grinsend ein, "was?"

Peter kicherte über das Durcheinander.

Remus atmete tief ein. "Schon gut", winkte er dann ab und schalt sich innerlich. Er sollte, verdammt noch mal, nicht so auffällig reagieren, sonst bräuchte er nur bis drei zählen und ganz Hogwarts würde erfahren, wer er war... was er war.

Sirius jedoch schaute ihn weiter an, ja, hielt seinen Blick nahezu gefangen. "Ich habe James erzählt, dass meine Cousine einen Aufsatz über Werwölfe schreiben muss." Seine Augen waren unleserlich.

"Andromeda?", fragte Remus und bemühte sich um einen gelangweilten Ton.

"Nee, Narcissa."

"Aha." Remus blickte wieder über seine Pergamentrolle. Er schrieb gerade ein Essay für McGonagall, Verwandlung, und wollte feststellen, wie viel er noch zu schreiben hatte. Doch er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Sein Herz klopfte laut und sein Puls raste. War das Absicht? Hatte Sirius es extra erwähnt? Sonst interessierte er sich doch herzlich wenig für Hausaufgaben, besonders für die der anderen und erst recht, wenn sie ein Jahr über ihn waren... Bei Merlin, dachte er panisch, Reg' dich wieder ab. Es ist doch nichts passiert.

"Und willst du wissen, was daran so spannend ist?", fragte Sirius kichernd.

Remus schaute, wie im Zeitlupentempo, wieder auf. Der Junge saß ihm gegenüber und hatte sich über den Tisch gebeugt, ein flüchtiges Grinsen lag auf seinen Lippen und ein Leuchten erstrahlte in seinen Augen. "Es wird gesagt, dass sich in der alten Hütte am Rande Hogsmeades ein Monster befindet", fing er mit begeistert klingender Stimme an. "Man nennt diese Bruchbude bereits ´Heulende Hütte´, weil einmal im Monat, nachts, wenn der Mond besonders hell vom Himmel scheint, ein Furcht erregendes Heulen ertönt." Sirius' Gesicht hatte angefangen, vor Aufregung zu glühen und Remus gefiel diese Beobachtung überhaupt nicht. Er war erstarrt, sein Kopf war mit einem Male leer, als hätte ein Windsturm darin alles weggefegt.

"So-ho?", machte er schwach

Sirius nickte eifrig. "Leider ist die Hütte magisch abgesperrt, unsichtbar, man gelangt nicht hinein und im Grunde will es auch niemand. Niemand will herausfinden, wer da in so mancher Nacht grauenvoll heult." Er senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern herab. "Sie alle fangen an, den Ort zu meiden und zu fürchten..."

"Brr", machte Peter und schüttelte sich, als hätte er eine Gänsehaut bekommen.

James grinste derweil arglos bis über beide Ohren. "Wird Zeit, dass wir diese ´Heulende Hütte´ mal abchecken."

Remus fuhr zusammen. Sein Herz setzte kurzzeitig aus und zog sich dann krampfhaft zusammen. Es schien plötzlich, als sei der Raum mit einem Male geschrumpft, sosehr, dass er kaum noch Luft bekam. Das allgemeine Stimmengewirr dröhnte unerträglich laut in seinen Ohren und er merkte, wie Sirius ihn etwas fragte, verstand es aber nicht.

Remus wollte aufstehen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. So klammerte er sich mit seinen Händen an den Stuhllehnen fest, und dann verpasste ihm jemand eine Ohrfeige.

Sie war nicht fest, reichte aber aus, um ihn wieder zurück zu holen.

Nur ein Bruchteil der Sekunde verging und alles war wieder normal. Sofort war er mit besorgten und überraschten Blicken seiner Freunde konfrontiert.

"Was ist mit dir?", erkundigte Peter sich besorgt.

"Na, wieder da?", fragte Sirius mit einem leichten Grinsen, doch in seinem Blick lag ein auffällig nachdenklicher Ausdruck.

"Mann, Remus, Alter, du bist so was von blass... geht's dir nicht gut?" James fuhr sich mit der Hand zerstreut durch sein unzähmbares Haar.

"W-was?" Er atmete wieder tief ein und aus, dann zwang er sich zu einem falschen Lächeln. "Es ist alles in Ordnung... irgendwie wird es der Schlafmangel sein. Mir war für einen Moment, als ob ich kotzen müsste."

"Aber das ist vorbei, ja?", wollte James wissen und brachte sicherheitshalber seine Pergamentrolle in Sicherheit.

Remus lachte kurz. "Ja, es ist vorbei." Dann zog er gespielt finster die Augenbrauen zusammen. "Wer hat mich geschlagen?"

Die anderen kicherten. Der unangenehme Moment war verschwunden und alles war wieder beim Alten.

Nur in Remus' Kopf stieg weiterhin die Panik. Unsichtbar für die anderen. Wie ein kleiner Luftzug, der zu einem Orkan heranwuchs. Er wusste, dass sich Sirius und James noch nie hatten von einer Idee abbringen lassen, doch er musste es tun. Er musste verhindern, dass sie die Hütte besuchten, in der er sich in jeder Vollmondnacht einsam und eingesperrt in einen Werwolf verwandelte.

--

Sirius sprach das Thema nicht mehr an, aber er unterließ es nicht, Remus hin und wieder verstohlene Blicke zuzuwerfen. Er fragte sich, warum sein Freund so panisch reagiert hatte. Fürchtete er sich etwa vor Monstern?

Der dunkelhaarige Junge grinste verwegen. Angst bekämpfte man immer am besten damit, indem man deren Quelle mutig entgegentrat. Er müsste Remus einfach überreden, zur Heulenden Hütte mitzukommen. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl in Sirius zurück. Was war mit dem Jungen eigentlich los? War es normal, dass man immer so kränklich aussah, nachdem man Albträume gehabt hatte? Ihm war durchaus aufgefallen, dass immer einmal im Monat mit dem dunkelblonden Gryffindor etwas los war. Entweder war in seiner Familie eine Katastrophe ausgebrochen und er musste schnell nach Hause - die Mutter war schwer krank oder Beerdigungen waren angesagt - oder er fühlte sich selbst nicht wohl und war so sehr von dunklen Träumen geplagt, dass es sich äußerlich auf seinen Körper auswirkte und er die Nächte auf der Krankenstation verbrachte. Außerdem war ihm aufgefallen, dass immer dann, wenn Remus in der Nacht zu verschwinden schien und den nächsten Morgen in der Krankenstation verbrachte, er - Sirius - einen traumlosen, aber tiefen Schlaf hatte. Das war merkwürdig, denn er träumte sonst jede Nacht.

Sirius war sich zudem bewusst, dass Remus immer noch private Themen mied. Er wusste gar nichts über die Familie des Jungen, und erst recht nicht, warum dieser sich manchmal so merkwürdig verhielt. Doch er hielt die nahezu perfekte, trügerische Maske der Gleichgültigkeit aufrecht, so dass Sirius einfach wusste, dass Remus etwas zu verbergen hatte.

Aber was? Und warum? Freunde log man nicht an und Sirius wettete seinen neuen Feuerblitz 1972 darauf, dass Remus genau dies tat. Es gefiel ihm nicht und manchmal musste er sich regelrecht zurückhalten, den Jungen nicht einfach zu packen und die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln.

Dass er selbst nicht immer offen zu seinen Freunden war, fiel Sirius im Moment natürlich nicht ein.

Am liebsten würde er Remus unverwandt fragen, dann konnte er zusehen, wie diese zerbrechliche Täuschung von Unantastbarkeit in tausend kleine Glasscherben zerfiel, wenngleich auch nur solange, bis Remus sich wieder unter Kontrolle hatte.

"Was will dieser Hurensohn von Zabini eigentlich immer von dir?", drang James' Stimme an sein Ohr und riss Sirius aus seinen Gedanken.

"Hm?", machte er und sah seinen Kumpel an. Dessen schwarzes Haar glänzte im Schein des Kaminfeuers. Dann winkte er lässig ab. "Ah, Potter, ich bin mit ihm aufgewachsen..."

"Und?" James klang gereizt, so dass Sirius grinsten musste.

"Eifersüchtig?"

James schnaubte. "Träum' weiter, Blödmann."

Sirius verdrehte die Augen, während James abrupt das vorherige Thema wieder aufnahm und Peter über die Heulende Hütte zulaberte.

Er wusste, dass es James absolut nicht gefiel, warum er zu Felice oberflächlichen Kontakt hielt, und auch hier fragte er sich, was der Junge zu verbergen hatte. Woher der nahezu krankhafte Hass auf Slytherins? James hat sie ja schon gehasst, bevor er überhaupt eingeschult wurde, also musste mehr dahinter stecken, als eine einfache Konkurrenzfehde, wie sie schon immer zwischen den Häusern Gryffindor und Slytherin geherrscht hatte.

Er kannte Felice schon, bevor er überhaupt sprechen gelernt hatte, denn ihre Väter waren gute Freunde. Sirius wusste, dass er, bevor er James kennen gelernt hatte, er nur Freunde hatte, die ihm in erster Linie Gesellschaft leisteten, weil die jeweiligen Eltern es so wollten. Der Name ´Black´ strotzte nun mal in gewissen Kreisen nur so von Reichtum und dunkler Reinblütigkeit. Aber trotzdem mochte er den einen oder anderen, denn einige zeigten auch ehrliches Interesse, wie zum Beispiel Felice, wenngleich sie dieses auch gut verbergen konnten. Aber so war das nun mal. Felice gehörte wie er selbst zu den Kindern, die nach Werten erzogen wurden, in denen die eigene Persönlichkeit wichtiger war, als alles andere und man immer vorsichtig anderen gegenüber sein musste, wenn man seine Ziele erreichen wollte. Ehrlichkeit war dabei verbotenes Terrain, denn aus Ehrlichkeit resultierte Verletzbarkeit. Und aus Verletzbarkeit Niederlage. Das Gleiche galt für ´wahre Freundschaft´. Diese bedeutete bedingungsloses Vertrauen. Vertrauen führte wiederum zur Ehrlichkeit und somit Verletzbarkeit und deswegen war auch damit der Untergang verbunden. Loyalität trat anstelle von echter Freundschaft. Außerdem gab es immer zwei Seiten. So, wie das Licht ohne Dunkelheit nicht existieren konnte, gab es auch keine Freundschaft ohne Verlust. Warum sollte man sich also Dingen hingeben, von denen man von Anfang an wusste, dass sie der Seele jederzeit und unberechenbar Schmerzen zufügen konnten? Sirius, Rebell, der er war, begann jedoch, dies in Frage zu stellen.

"Mir ist schlecht", hörte er Remus sagen und sah auf, aus seinen Gedanken förmlich herausgerissen, wie ein Stromschlag jemanden zusammenzucken ließ.

Dieser erhob sich bereits. Blass und grau im Gesicht.

"Zu viel gegessen?", fragte Sirius, scheinbar desinteressiert. Er musterte den Jungen allerdings mit konzentrierter Aufmerksamkeit.

Remus wiegte den Kopf hin und her. Ein bedrückter Ausdruck lag in seinen bernsteinfarbenen Augen. "Ich geh' eben zu Pomfrey."

"Sollen wir mitkommen?", fragte James sofort, doch Remus schüttelte den Kopf. "Nein, lass' mal. Bis später dann."

Sirius sah ihm gemächlich nach. "Wetten, Pomfrey behält ihn über Nacht wieder auf der Krankenstation?"

James nickte. "Klar. Sie ist immer sehr besorgt um Remus."

"Heute ist Vollmond", sagte Peter nachdenklich.

Sirius fuhr wie elektrisiert zusammen und stierte Peter, der ihm schräg gegenüber saß, entgeistert an. "Was?"

Peter zog verwirrt die Augenbrauen hoch. "Ich sagte", wiederholte er geduldig, "heute ist Vollmond."

"Wieso sagst du das?" Sirius runzelte misstrauisch die Stirn.

"Weil Remus sich immer dann so merkwürdig verhält, wenn Vollmond ist."

James lachte kurz auf, so, als wisse er nicht, was er davon halten sollte. "Aha."

"Das... das ist mir noch gar nicht aufgefallen...", staunte Sirius. Das war wirklich interessant... Für einen kurzen Augenblick kam ihn ein abenteuerlicher Gedanke, aber es schien ihm so obskur, dass er den Kopf schüttelte, als wollte er diese Vorstellung loswerden.

Wieso, verdammt, war ihm die Sache mit dem Vollmond nicht aufgefallen? Er fixierte Peter missmutig, und konnte kaum glauben, dass dieser aufmerksamer war, als es manchmal den Anschein hatte.

"Und was willst du damit sagen?", erkundigte James sich bei Peter grinsend. "Dass er ein Werwolf ist?" Er prustete los. "Remus und ein Werwolf..... hahahahaha!"

Auch Sirius stimmte in das unbekümmerte Lachen ein. Die Idee war echt zu witzig, auch wenn es genau der Gedanke war, den er eben gehabt hatte. Aber das konnte ja nicht sein. Das konnte einfach nicht sein.

Nein, Remus verbarg irgendetwas anderes und Sirius war gewillt, es herauszufinden.

"Wir müssen Remus einfach nur Zeit geben", meinte Peter. Leise Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit, aber er warf Sirius und James einen beinahe trotzigen Blick zu. "Ich meine... also, es liegt offen auf der Hand, dass er irgendetwas geheim hält, aber wir sollten warten, bis er von sich aus es uns erzählt, anstatt wir ihm hinterher spionieren."

Sirius war in diesem Augenblick fest davon überzeugt, dass Peter Gedankenlesen konnte und nun einen auf Moralpredigt machte. Er verengte seine Augen und warf dem Jungen einen bösen Blick zu. "Blablabla. Spar' dir dein Gesülze, Pettigrew!"

Peter sah leicht verletzt aus, doch dann presste er seine Lippen zu einem kompromisslosen Strich zusammen. "Dann dürftest du ja auch kein Problem damit haben, wenn einer von uns Detektiv spielt und herauszufinden versucht, was in deinen Ferien zu Hause passiert ist, nicht wahr?"

James lachte ungläubig, aber fasziniert auf. "Oho, jetzt wird's interessant."

Sirius war hingegen um mehrere Grade blasser geworden und ließ seine zur Faust geballte Hand auf den Tisch knallen. Noch härter als zuvor, sah er den Jungen an. "Pettigrew, du kleine, listige Ratte, meine Familienverhältnisse gehen dich einen schei' Dreck an!" Er schnaubte zornig. Was hatte es diesem Bastard zu interessieren, wie es bei ihm daheim aussah?

James schaute gedankenvoll von einem zum anderen und tat das, wozu er selten fähig war: aufmerksam zuhören und dabei die Klappe halten.

Auf Peters Gesicht hatte sich derweil ein siegesgewisser Zug geschlichen, der selbst die wässrigen Augen erfüllte und zu beleuchten schien. Vorsicht blitzte zwar immer noch in ihnen auf, aber er ließ sich offenkundig nicht mehr von seinem eingeschlagenen Weg - nämlich Remus in Schutz zu nehmen - abbringen. "Du kannst Remus nicht genau das Recht absprechen, welches du in Anspruch nimmst", rezitierte er jemanden.

Wen, das war Sirius im Moment auch vollkommen gleichgültig, denn in ihm brodelte es so sehr, dass er drauf und dran war, Peter eine reinzuwürgen. "Du glaubst ja gar nicht, was ich noch alles kann!", zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

Peter sah ihn verärgert an und schürzte die Lippen. "Ich werde Remus erzählen, was du vorhast."

Sirius war zunächst sprachlos. Wie schon oft zuvor hatte er den Jungen gänzlich unterschätzt. Auch wenn er nicht direkt zugegeben hatte, dass er Remus hinterher spionieren wollte, so war es jedoch offensichtlich und so stritt er es erst gar nicht ab. Das hatte er nicht nötig. "Tue es und wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, niemals geboren zu sein." Er klang ausdruckslos und erkannte mit Genugtuung das Entsetzen, welches sich auf Peters Gesicht schlich.

"Sirius, du wirst gar nichts mit Peter machen", mischte James sich endlich ein.

Sein Kopf flog zur Seite. "Na, danke, dass du dich auf seine Seite stellst", fuhr er James eisig an.

"Ich finde nur, Remus hat nicht verdient, wie du mit ihm umgehst", verteidigte Peter sich schüchtern, aber ruhig.

"Ach ja?" Sirius vergaß seinen aufkeimenden Ärger gegen James und fixierte sich wieder auf den kleinen Jungen. Er konzentrierte sich einen Augenblick lang auf seine Wut, damit er sie noch zurückhalten konnte. "Wie gehe ich denn mit ihm um?", erkundigte er sich dann ruhig, aber er wusste, dass ihm sein unterdrückter, kochender Zorn anzusehen war.

Peter reckte aufständisch das Kinn. "Du verletzt seine Privatsphäre. Ich finde, wir sollten ihm selbst die Chance geben, es uns zu erzählen, so, wie wir dir schließlich auch die Chance geben."

Sirius schüttelte ungläubig den Kopf. Aus halb geschlossenen Augen beobachtete er den anderen Gryffindor. "Pettigrew... du überraschst mich immer wieder", sagte er gedehnt. Und dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Sein Arm schnellte zu Peter, packte ihn am Kragen und zog ihn brutal über die Tischplatte zu sich herüber.

Peter quiekte auf und James lachte zunächst nur.

"Dann hör' auf, dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen!", presste Sirius dunkel hervor. Sein Gesicht war ganz nah an Peters und er konnte dessen Ärger und Panik in den kleinen Rattenaugen ablesen.

"Lass' mich los!", verlangte Peter aufgebracht und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Er bekam Hilfe von James.

Sirius wurde von diesem von hinten gepackt und samt Stuhl grob nach hinten gerissen, was zur Folge hatte, dass er Peter los ließ.

"Jetzt regt euch wieder ab, Mann", sagte James ungeduldig. Er ließ Sirius los, so dass der Stuhl wieder nach vorne kippte. "Peter geht es sehr wohl etwas an, weil er auch ein Freund von Remus ist." Dann wandte er sich dem anderen zu. "Und du, Peter, hör' auf, Predigten zu halten. Sirius ist nur besorgt und außerdem lügt Remus uns immerhin an. Etwas, was Sirius nicht tut. Er sagt immerhin, dass uns seine Ferienerlebnisse nichts angehen, statt Ausreden zu erfinden."

Nun herrschte Ruhe.

Sirius funkelte Peter immer noch an, während dieser James einen zerknirschten Blick zuwarf. Er war etwas blass, und in seinen Augen lag ein leichter, ungläubiger Ausdruck.

Wahrscheinlich war er selbst von sich überrascht, sich trotz Sirius' unbeherrschter Wut diesem entgegen gestellt zu haben.

"Ja, schon okay", winkte Sirius dann ab und machte deutlich, dass die Sache vergessen war. Denn das war sie für ihn. Er war nicht nachtragend und interessierte sich zudem nicht genug für so etwas, als dass er auf Peter hätte sauer sein können.

Peters Argumente hatten ihn sowieso kein Bisschen zum Nachdenken angeregt. Er würde herausfinden, was mit Remus los war und er hatte auch schon einen Plan. Er würde ihn gleich heute umsetzen, falls Peter seine Drohung, Remus alles zu erzählen, wahr machen sollte.

Letzten Monat war Remus nach Hause gefahren, das würde bedeuten, dass er dieses Mal in Hogwarts bleiben würde. Um dem traumlosen, tiefen Schlaf zu entkommen, würde er zur Krankenstation schleichen und Remus beobachten. Denn wenn er etwas zu verbergen hatte, dann würde es in der Nacht geschehen, denn manchmal war der Junge am nächsten Morgen wieder da - stets vollkommen fertig aussehend. Gut, oft schien Remus erst nach zwei Tagen wieder fit zu sein, aber wie dem auch sei: es war nicht das, was der Junge als Grund vorgab.

Eigentlich wollte er James in den Plan einweihen und fragen, ob er mitmachte. Und Peter. Aber letzteres hatte sich gerade erübrigt. Und was James betraf... irgendetwas hielt ihn zurück. Er wusste nicht, warum, aber es war ein reines intuitives Gefühl, etwas, was selten, aber hin und wieder im Leben auftauchte, wie eine innere Stimme, die alles besser zu wissen schien. Vielleicht sprach sie auch häufiger zu einem, doch man bemerkte sie nicht. Diesmal nahm Sirius das Gefühl aber wahr. Es dauerte eine Weile, bis er eine Entscheidung getroffen hatte. Ein langer, ausdauernder Kampf - James mitnehmen oder nicht?

Aber diesmal hörte er darauf; hörte auf sein inneres Gefühl, welches ihm riet, alleine loszuziehen.

Vielleicht, so kam ihm ein Gedanke, sollte er eigentlich lieber auf seine Vernunft horchen, die ihm nämlich sagte, nicht so neugierig und abenteuerlustig zu sein, denn es gab einige Dinge auf dieser Welt, die hohe Preise verlangten.

Doch wenn Sirius eines aus der Erziehung seiner Eltern gelernt hatte, dann war es das: er war ein Black. Und ein Black hatte es nicht nötig, nach Preisen zu fragen. Er zahlte einfach. Weil er bezahlen konnte.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A/N:
Ja, trotz Prüfungsstress bin ich doch schneller mit dem Schreiben hinterhergekommen, als ich gedacht hatte. ;)
Und, wie fandet ihr das Kapitel? War wieder ruhiger, als die letzen beiden, weil's ein Übergangkapitel ist, glaube ich, und dafür nachdenklicher.
Ich hoffe, es ist nachvollziehbar, wie ich Sirius darstelle. Wie in HP3 erwähnt wurde, war James es, der schwarze Magie regelrecht ´hasste´. Von Sirius war da nicht die Rede gewesen, auch wenn bekannt ist, dass er natürlich gegen Voldemort war. Ich habe selbstverständlich nicht vor, Sirius als einen schwarzmagisch liebenden Jungen darzustellen, denn das war er ja nicht - nein, nein, das geht alleine schon deswegen nicht, weil Sirius sich ja sicher schon allein aus Prinzip gegen schwarze Magie wendet, um seine Eltern zu ärgern. So, wie ich es mir gut vorstellen könnte. Aber, wie es ja, wie ich hoffe, in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, fasst Sirius derartiges nun Mal als alltäglich auf. Zumindest, was Reinblütigkeit und Rassismus betrifft. Er kennt es von daheim aus. Und, außerdem denke ich, dass Erziehungen von Eltern dennoch prägend auf Kinder einwirken. Die Persönlichkeit, die sich daraus entwickelt, ist, mMn oft u.a. Erziehungen zurückzuführen.
So wird es gewisse Dinge geben, die Sirius vielleicht nicht als ´typischen´ Gryffindor darstellen und auch nicht als immer nur ´mutig´ und ´echter, ehrlicher Freund´. Er muss erst lernen, was Vertrauen bedeutet, da er dies nicht kennt und vielleicht auch zunächst nicht kennen lernen will, da ´man´ unverletzlicher ist, ohne sie.
Die ganze arrogante Tour ist in meiner Geschichte ebenfalls auf die Erziehung zurückzuführen. Er ist ja schließlich ein ´Black´ grins und das bedeutet reich, reinblütig, und besser zu sein, als jeder andere in der Zaubererwelt kicher ;)
Dann die Sache, dass Sirius sich mit ein paar wenigen Slytherins ´versteht´ - keine Freunde, aber sie kommen aus: Zum einen bedeutet es nicht, dass ´jeder´ Slytherin schwarzmagisch ist bzw. wird. Zum anderen denke ich schon, dass Sirius mit Kindern gespielt hat, die später also jetzt, in Hogwarts nach Slytherin eingewiesen wurden, und welche dabei sind, mit denen er sich ganz gut versteht.

DANKE für eure Reviews! Ihr seid die Besten! -wuschel-