Rückwärts in die Dunkelheit
Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?
- die letzten Worte eines Sterbenden.
14. Kapitel
Toujours pur - Stets rein
Teil 4
"Komm', bitterer Regen,
und wasche aus meinem Herzen
das traurigste aller Worte:
Zuhause."
- unbekannt
James eilte zum Bett und setzte sich auf die Kante. "Sirius! Du bist wach!", stellte er überflüssigerweise fest und betrachtete seinen Freund eingehend.
Dieser lächelte schief. "Ich bin immer noch schrecklich müde." Dunkle Ränder lagen unter seinen schwarzen Augen und hoben sich von der Blässe ab.
"Müsste der Trank nicht noch wirken?", fragte James in Richtung Regulus, der ebenfalls herangetreten war.
"Die Wirkungszeit ist immer unterschiedlich", antwortete er kalt und knapp, ohne James anzuschauen. Sein Blick war fest auf seinen Bruder gerichtet. "Wie geht es dir?" Die Kälte war gewichen und hatte Besorgnis Platz gemacht.
"Gut, gut", murmelte Sirius. Er sah Regulus fragend an.
"Ich habe Potter von unserem Streit erzählt", log dieser.
James runzelte die Stirn. Was ging denn jetzt ab...
"Tut mir leid, dass ich diesen hinterhältigen Zauber auf dich angewendet habe." Der Jüngere sprach aalglatt und lächelte dabei scheinbar aufrichtig.
Sirius warf ihm einen finsteren Blick zu. "Du hattest nur Glück", murrte er.
Und James begriff. Sirius wusste ja nicht, dass er die hässliche Szene mit Mr Black mitbekommen hatte. Und Sirius wollte wohl nicht, dass James jemals davon erfuhr. Regulus wusste es und so taten sie so, als hätten sie sich duelliert und ein Zauber des Slytherin habe Sirius fertig gemacht.
James sagte nichts. Er klärte Sirius nicht auf, dass er sehr wohl Bescheid wusste. Er erwähnte nicht, dass er alles mitbekommen hatte, selbst die Drohung mit Durmstrang, sondern ignorierte dieses Spiel einfach. Zu vieles war in der letzten Stunde geschehen, als dass er sich jetzt noch abmühen wollte, das Lügennetz mitzuspinnen. Oder es zu vernichten. Ihm gefiel es nicht, dass Sirius ihm nicht erzählen wollte, was geschehen war. Das bewies, dass er wohl diesbezüglich noch immer kein richtiges Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Aber, so redete er sich ein, vielleicht würde er es tun, wenn Regulus fort war.
"Es wäre besser, wenn du noch ein wenig schlafen würdest", meinte Regulus.
"Ich will aber nicht", sagte Sirius sofort und setzte sich schwerfällig im Bett auf.
- . -
Sirius warf James einen nachdenklichen Blick zu. Irgendetwas stimmte mit diesem nicht. Er hatte leicht gerötete Wangen und wirkte sehr aufgewühlt. Vielleicht hatte er sich mit Regulus gestritten, immerhin waren sie beide im selben Raum gewesen. Ein Wunder, dass dieser noch existierte und nicht völlig zerstört worden war von Flüchen und Vernichtungszaubern, welche die Jungs aufeinander hätten hetzen können.
Er würde ihn nachher fragen, wenn sie alleine waren.
Sirius fühlte sich noch immer ermattet und unendlich müde. Und nun, mit dem Wachsein, kamen auch die Erinnerungen. Durmstrang. Er würde sich wirklich etwas einfallen lassen müssen, um seinen Vater von dieser Idee abzubringen.
Ein scharrendes Geräusch an der Tür ließ alle aufhorchen.
Regulus lächelte unheilvoll. "Kreacher", stellte er finster amüsiert fest. Er warf Sirius einen belustigten Blick zu, ehe er sich umwandte und zur Tür schritt. "Den mache ich fertig."
Sirius sah, wie James unwillkürlich grinste, aber wieder schlagartig ernst wurde, als die Tür hinter dem Slytherin zufiel und sie alleine waren.
Er regte sich unbehaglich und fixierte James wie zufällig. "Was war los?", fragte er.
James hob verwirrt die Augenbrauen. "Auf was beziehst du die Frage?"
Nun war es Sirius, der die Stirn runzelte. "Na, was war los zwischen dir und Regulus?"
Sein Kumpel erwiderte seinen Blick zwar, begann aber immer wieder einen Punkt dicht über dessen Augen zu fixieren, so dass es nur den Anschein hatte, als würde er Sirius angucken. Stattdessen verlor er sich in der Leere. "Wir haben uns... unterhalten."
"Ja?" Sirius wurde aufmerksam. Er war überrascht, dass die beiden in der Lage waren, sich zu unterhalten, ohne das mindestens ein Dutzend Flüche durch die Luft flogen. "Über was denn?"
"Angst, dass Geheimnisse rausgekommen sind, die du mir hättest verheimlichen wollen?", lautete die bissige Gegenfrage.
Sirius starrte James an und pustete einen langen Atem aus. "Was ist denn los mit dir?"
Dieser schaute zurück, die Lippen fest aufeinander gepresst, die Gesichtszüge zu starrer Miene eingefroren; nur die unruhigen Bewegungen seiner braunen Pupillen verrieten seine Unruhe. "Nichts", entgegnete er knapp. "Ich..." Sein Blick verdunkelte sich, so schnell, wie nur Gewitterwolken es schafften, die Sonne zu verbergen, um sich tobend auf der Erde auszulassen.
Sirius wartete auf den Gewitterausbruch.
James war verstummt und schien einen inneren Kampf mit sich auszufechten.
Doch Sirius war nicht dumm.
Angst, dass Geheimnisse rausgekommen sind, die du mir hättest verheimlichen wollen?
Hatte Regulus etwa geplaudert? Das konnte sich der Gryffindor nicht vorstellen. Sein Bruder würde nie etwas an einen anderen verraten, nicht, wenn nichts für ihn rausschlagen würde, und nicht, solange es um ihn, Sirius, ging. Diesbezüglich zeigten sie einander Loyalität, obgleich sie so verschieden waren. Aus welchen Gründen Regulus eigentlich immer zu ihm hielt, vermochte er nicht zu sagen. Er wusste es nicht und er hatte es sich nie gefragt. Denn es war immer selbstverständlich gewesen.
Aber wenn sein Bruder nichts erzählt hatte, blieb ja nur noch eine andere Möglichkeit. Sirius fixierte James mit stechendem Blick voller Aufmerksamkeit und beobachtete ihn prüfend. "Sag' es", befahl er knapp.
James sah ihn mürrisch an, die Augen noch immer finster, die Lippen aufeinander gepresst. Er antwortete nicht. Er starrte nur zurück, reglos, die Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt, was Sirius mit einem Stirnrunzeln quittierte.
Nun gut. Offensichtlich war sein Freund auf passive Verteidigung gegangen. "Warum willst du mir nicht antworten?", fragte er also, und er wusste, dass er nur deswegen so ruhig blieb, weil er noch völlig erschöpft von den Folgen des Cruciatusfluches war.
James schaute ihn noch immer gereizt an - warum auch immer - und biss so heftig seine Zähne zusammen, dass die Kiefermuskeln heraustraten. Seine dunkel gewordenen Augen funkelten im matten Fackellicht auf, was seine Erzürnung noch einmal betonte, und eine Zornesröte strich über seine Wangen.
"Ich weiß echt nicht, was du hast", meinte Sirius kopfschüttelnd, während er selbst den Ärger spürte, der in ihm aufstieg.
James stieß einen langen, zischenden Atem aus, und gab urplötzlich seine passive Zurückhaltung auf. Irgendetwas in seinem Blick zersplitterte, und er griff ohne Vorwarnung nach Sirius' Handgelenk und zog den Jungen zu sich heran. "Ich weiß alles!", hatte er auch schon aufgeregt herausgepresst, noch ehe der andere angemessen reagieren konnte.
Der heiße Atem seines Kumpels strich ihm über das Gesicht, während Sirius sich vergeblich aus dessen Griff loszureißen versuchte.
Mit Entsetzen nahm dieser die Worte wahr, während seine Abwehrversuche einfroren. Er wusste es. Also doch. Er wettete, James hatte alles mitbekommen. Verdammt. Das war nicht gut. Das war überhaupt nicht gut... Panik kroch durch seine Venen. Wenn James mitbekommen hatte, wie schwarzmagisch es hier tatsächlich zuging, dann...
Sirius wagte nicht, den Gedanken zuende zu denken und sah seinen Freund mit aufgerissenen Augen an. "Was weißt du?", flüsterte er.
Ein vernichtender Blick traf ihn. "Alles. ALLES, hörst du? ICH WEISS ALLES!"
Der Griff um Sirius' Handgelenk wurde stärker und schnürte diesem das Blut ab. Längst zerrte er wieder an James' Hand, um sich zu befreien, aber dieser dachte nicht daran, loszulassen. Wahrscheinlich war ihm gar nicht bewusst, dass er Sirius festhielt. Seine Pupillen bewegten sich hektisch, seine Gesichtsfarbe wurde abwechselnd rot und blass und seine Unterlippe bebte ein wenig vor Groll.
"Ich habe alles gesehen", fuhr er fort. "Alles. Wie dein Vater dich gefoltert hat. Mit dem CRUCIATUS-FLUCH! Wie er sich gegen unsere Freundschaft gestellt hat und dich zwingen wollte, sie aufzugeben. ER HAT MIT DURMSTRANG GEDROHT, DIESER WICHSER!" James, dessen Stimme laut geworden war, hatte seine selbst auferlegte Diskretion wohl völlig über Bord geworfen und ließ seine Gedanken in Form von Worten über seine Lippen sprudeln. "UND DAS NUR, WEIL ER EIN KRANKER IRRER IST! WEIL ER GLAUBT, ICH KÖNNTE DICH VERDERBEN! DABEI IST ER ES DOCH, DER DICH VERDERBEN KÖNNTE! ICH FASSE ES NICHT, DASS ER ES WAGT, SICH IN UNSERE FREUNDSCHAFT EINMIZUMISCHEN UND ICH FASSE ES GENAUSO WENIG, DASS DU ALL DAS VOR MIR VERHEIMLICHEN WOLLTEST!"
Sirius verzog sein Gesicht, während er sich nicht entscheiden konnte, ob er nun wütend oder fassungslos sein sollte. Er dachte nicht darüber nach, er wusste noch nicht einmal, ob er wütend auf James oder auf seinen Vater sein sollte. Also war er es kurzerhand auf beide. Was maßte sein Kumpel es sich an, ihm von Dingen zu erzählen, die nicht so einfach zu erklären waren, wenn er ohnehin noch nicht einmal die Gelegenheit dazu gehabt hatte? Schließlich war er gerade eben erst wach geworden. Und James hatte ihm keine Zeit für Begründungen gelassen.
Die Tatsache, dass Sirius ihn dazu gedrängt hatte, zu berichten, was ihm auf dem Herzen lag, ignorierte er gekonnt.
"Wie kommst du darauf, dass ich es dir hätte verheimlichen wollen?", fragte er zischend zurück, als James soeben nach Luft schnappte.
Der andere stierte ihn an. "Das ist doch offensichtlich!"
Sirius hob die Schultern; seine rechte Augenbraue wanderte spöttisch in die Höhe. Woher er die Ruhe nahm, wusste er selbst nicht so genau. "Nun, wann hätte ich es dir erzählen sollen? Wir waren kaum eine Minute allein, da hast du angefangen, rumzubrüllen." Er grinste leichtfertig, obwohl ihm dabei nicht wohl zumute war.
James' Augenbrauen zogen sich in die Tiefe, seine Augen verengten sich. "Spiel' mir doch nichts vor, Sirius. Du hättest es mir niemals erzählt! ... Und hör' mit dem dämlichen Grinsen auf!"
Sirius' Grinsen verblasste, während er ärgerlich zurückstarrte. Er wusste nicht, ob er es James erzählt hätte. Wahrscheinlich erst mal nicht, aber irgendwann wäre er nicht darum herumgekommen. Natürlich vertraute er seinem Freund. Aber würde er auch zu ihm stehen, wenn er ermessen konnte, dass die Blacks so schwarzmagisch waren wie kaum eine andere Familie in England? Es war etwas anderes, davon aus sicherer Entfernung, wie zum Beispiel aus Hogwarts, Wind zu bekommen, als es vor Ort aus nächster Nähe mitzuerleben.
Nun hatte James, dadurch, dass er ihm bereits gesagt hatte, dass er alles mitbekommen hatte, ihm die schwere Entscheidung über sein Handeln diesbezüglich abgenommen und konnte niemals erfahren, ob Sirius es ihm nicht vielleicht doch erzählt hätte.
"Nun, hast du eine Idee?", fragte Sirius also; bemüht um einen lässigen Ton, um die aggressive Stimmung in diesem Raum zu mildern.
James blinzelte verwirrt. "Was?"
"Hast du eine Idee, wie ich um Durmstrang herumkommen kann?"
Der andere Junge schnaubte und wirkte fassungslos. "Tu nicht so, als wäre das hier eine stinknormale Sache, Mann!"
Sirius seufzte. "Was erwartest du?"
James funkelte ihn weiterhin böse an; sein Griff um Sirius' Handgelenk verstärkte sich wieder; das Blut wurde abgeschnürt und vermochte nicht mehr ungehindert durch die Adern zu fließen; die Hand begann unangenehm zu kribbeln.
Sirius startete einen neuen, nur halbherzigen Versuch, sich zu befreien, während James offensichtlich noch immer nicht bewusst war, dass er den anderen festhielt. Zu eingespannt waren beide in das Gespräch, zu sehr spitzte sich die Atmosphäre zu, einem geschliffenen Edelstein gleich, der jeden Moment hart zu Boden fallen und in tausend kleine Splitter zerbersten konnte.
"Das du mir vielleicht mal alles erklärst? !", zischte James, Sirius nicht eine Sekunde lang aus den Augen lassend.
Sirius rutschte ein wenig im Bett zurück, zerrte erneut abwesend an seinem Handgelenk, um im Ganzen ein wenig Abstand zu seinem Kumpel zu bekommen. Ihm blieb nicht viel Bewegungsfreiheit, so nutzte sein Rückzug nur wenig. Er hatte trotzig die Lippen geschürzt. "Was gibt es da noch zu erklären? Du hast doch alles gesehen!"
James atmete laut aus und zog Sirius mit einem Ruck wieder plötzlich zu sich. "Tut mir ja Leid, Sirius, aber ich bin solche Situationen nicht gewohnt, dass Väter sich auf ihre Söhne stürzen, um sie mit verbotenen Flüchen zu foltern!" Bissiger Zynismus beherrschte seine Stimme; seine Augen waren beinahe schwarz vor Aufruhr.
Über Sirius' Gesicht huschte ein bedrohlicher Schatten. "So geht das nun mal in schwarzmagischen Familien zu, James. Was hast du dir vorgestellt? Eine Familienidylle?" Er zog seine Augenbrauen zusammen und ihm wurde endlich richtig bewusst, dass er schmerzhaft von James festgehalten wurde.
"Lass' mich endlich los!" Er spürte wieder die Schwindelanfälle, die ihm als Folgen durch den Curciatusfluch ab und an überfielen.
James lockerte seinen Griff, dachte aber offensichtlich nicht daran, loszulassen. Es schien, als versuchte er, seine ganze Ruhe aufzubringen, um nicht endgültig jähzornig zu werden. "Ich bin dein Kumpel, Sirius! Du kannst mir alles sagen, alles anvertrauen, egal, worum es geht! Warum tust du es also nicht und erzählst mir aus deinem Leben? !" Seine Gesichtszüge waren angespannt. In seinen Augen lag trotz seiner Aufregung Wärme. Wärme, die James immer umgab, Wärme, die verriet, dass der Junge mit Schwarzer Magie nichts anfangen wollte, weil sie keine Faszination für ihn besaß.
Sirius lenkte seinen Blick augenblicklich dicht an James vorbei, um ihn nicht direkt anschauen zu müssen. Dass es eine Art Fluchtversuch war, eine Flucht vor Wahrheiten und Bekenntnissen, war dem jungen Black nicht bewusst. Vielleicht wollte er es sich aber auch einfach nicht eingestehen. Wenn er auf diese Aufforderung nun ehrlich antwortete, würde er seinen letzten Sicherheitswall aufgeben, den er um sich aufgebaut hatte, um sich selbst zu schützen. Schließlich war er stets so erzogen worden, dass niemand wichtiger war, als man selbst. Dass das reine Blut ihm Privilegien zusicherte, die man anderen niemals zugestehen durfte. Dass Freundschaft nur dann wichtig war, wenn sie die eigenen Ziele förderte, aber lästig war, wenn es darum galt, für andere einzustehen. Dass man keine Schwäche zeigen durfte, keine Emotionen, da andere diese auszunutzen versuchten. Und je besser ein Mensch einen anderen kannte, umso mehr Fehler wurden dadurch offenbart, die der andere kalt und gewissenlos gegen einen einzusetzen vermochte.
Auf der anderen Seite handelte es sich hierbei um James. Seinen besten Freund. Den einzigen Menschen, der es bisher, ohne es zu wissen, geschafft hatte, so nah an Sirius heranzukommen, wie kein anderer; der ihm unbewusst gezeigt hatte, dass die Vorteile der Freundschaft alle Schattenseiten, die sie mit sich trug, übertrumpfen konnten; der so sehr an Verbrüderung glaubte, dass er sie kein einziges Mal in Frage stellte.
Auch jetzt nicht, obwohl er gesehen hatte, wozu Mr Black fähig war und er daraus schlussfolgern könnte, dass Sirius dadurch beeinflusst worden war. Denn er stellte Fragen, wollte wissen, was los war, einfach, weil er sich dafür interessierte. Weil er sich um seinen Freund sorgte.
Seine Arglosigkeit verdrängte selbst all' die Dunkelheit, die manchmal in Sirius aufzukeimen drohte.
Was hatte Sirius also noch zu verlieren? James war nicht dumm, er war nun sicherlich auf das, was Sirius ihm antworten könnte, gefasst, da er die hässliche Szene mit seinem Vater mitbekommen hatte. Wenn er geschockt wäre, angewidert und nichts mehr mit Sirius zu tun haben wollte, weil Dunkle Magie eine zu große Rolle in dessen Leben spielte, dann hätte er sich doch schon längst abgewandt.
Nur langsam und schwer ließen sich Sirius' Zweifel und Unsicherheit bekämpfen. Als er es wieder wagte, James anzuschauen, las er Sorge und warme Aufrichtigkeit. Ohne dass er sich dessen richtig bewusst wurde, machte ihm das Mut.
Aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. "Was... was willst du denn genau wissen?", fragte er also und wich sofort wieder seines Freundes Blick aus, starrte dicht an seinen Augen vorbei, um den Eindruck zu erwecken, er würde ihn ansehen, aber in Wahrheit in der Ferne Heil suchte. Abstand. Schützende Distanz.
"Macht dein Vater so was öfter?" James' Frage kam sofort.
Die prüfende Frage, die für Sirius' Geschmack viel zu direkt war, ließ seine Gefühle aufwirbeln, durcheinander geraten, hin und her schwirren, wie rauer Wind es mit trockenem Laub tat. Er biss die Zähne aufeinander und suchte nach Antworten, die im Grunde nur Ausreden sein sollten; Auswege, die ihm aus dieser Situation rausholen sollten, die ihm nicht gefiel, da er sich in die Enge getrieben fühlte. Aber der Schwarzhaarige wusste, dass James die Wahrheit verlangte und er, wenn er log, alles zu verlieren drohte, was ihm wichtig geworden war.
So nickte er leicht mit dem Kopf.
"Und du kannst nichts dagegen machen?"
Sirius kam sich vor wie bei einem Verhör. Er weigerte sich nach wie vor, James direkt anzuschauen. "Da gibt es nichts, was ich dagegen tun könnte", sagte er leise. Er war minderjährig, was konnte er also schon tun, außer es seinen Eltern zurückzuzahlen, indem er gegen sie rebellierte und im Grunde damit alles nur schlimmer machte? Aber das war ihm gleich.
"Hast du dich damit etwa abgefunden?" Zorn schwang in James' Stimme mit, der aber nicht Sirius galt. Wohl eher seinem Vater.
Dieser hob die Schultern. "Ich bin damit groß geworden." Er spürte die Gleichgültigkeit, die langsam in ihn aufkam, wie immer, wenn er sich in einer ungemütlichen Lage befand, aus die er raus wollte, aber nicht konnte. Gleichgültigkeit, die sich wie ein Schutzmantel um ihn legte, wenn jede andere Verteidigungsbastion aufgegeben werden musste.
"Und warum hast du es mir nie gesagt? Warum wolltest du es hier vor mir verheimlichen?" Unruhe war herauszuhören, die bewies, dass auch James angespannt war.
Sirius schloss kurz die schwarzen Augen. Dieser Frage war er vorhin bereits geschickt ausgewichen, aber jetzt sah er keine Möglichkeit mehr, sie zu umgehen, ohne James wütend zu machen. Er senkte den Kopf, öffnete wieder seine Lider und starrte auf die schwarze Bettdecke. Schwarz tauchte in schwarz und floss ineinander über, als gäbe es nichts anderes mehr auf dieser Welt.
Er hörte James' regelmäßige Atemzüge, aber sie waren eine Spur zu schnell. Kurz kam ihm in den Sinn, einfach so zu tun, als würde er plötzlich wieder bewusstlos werden, aber sein ausgefuchster Kumpel würde kaum darauf hereinfallen. Er überlegte, sich anders herauszureden. Aber ihm wurde bewusst, dass James all seine Taktiken durchschauen würde, einfach, weil er ihn bereits jetzt schon gut genug kannte.
Außerdem wollte er doch bei der Wahrheit bleiben. Warum fiel es ihm manchmal nur so schwer, diesen Weg dann auch zu Ende zu gehen?
´Weil man mit Lügen viel mehr erreichen kann´, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf ihm zu. ´Weil du damit auf der sicheren Seite und auf Distanz bist.'
Die Stimme dröhnte schmerzhaft in seinen Ohren und als sie verstummte, hörte er sein eigenes Blut rauschen.
Er sah kurz auf. James sah ihn erwartungsvoll und geduldig an; nur eine leichte Röte auf seinen Wangen verriet dessen innere Unruhe. Aber die beinahe schon naive Erwartung, die in seinen Augen abzulesen war, dass alles wieder gut werden und Sirius ihm die Wahrheit sagen würde, trieb Sirius zur Entscheidung.
Er seufzte still. Er würde James nicht anlügen, denn das hatte sein Freund nicht verdient.
- . -
James saß einfach nur da und wartete. Ihm fiel auf, dass er Sirius' Handgelenk noch immer umklammert hielt, nicht mehr grob, aber immer noch so, dass dieser sich nicht so einfach hätte entwinden können, wenn er es erneut versucht hätte.
Er konnte Sirius' Pulsschlag spüren, schnell, aber im Takt, und dies gab ihm irgendwie Ruhe. Ruhe, die er hier benötigte, um seine Ungeduld zu zügeln. Also ließ er Sirius auch nicht los.
Dieser hatte ihn endlich wieder angeschaut, doch nun wandte er seinen Blick wieder ab. Nur leicht starrte er kurz oberhalb von James' Augen, aber dieser fiel auf diese Taktik nicht herein. Ihm war sie schon im ersten Jahr aufgefallen; Sirius wandte sie immer an, wenn eine Situation für ihn unangenehm zu werden drohte.
Schatten huschten über seine schwarzen Augen, die im matten Fackellicht glänzten, ein verschlossener Ausdruck hatte sich über seine feinen, blassen Züge gelegt. "Ich... ich hatte befürchtet, dass du... abhauen würdest und genug von unserer Freundschaft hättest, wenn du erkennst, wie es hier zugeht. Ich weiß ja, dass du schwarze Magie hasst."
Kurzzeitige Erleichterung huschte über Sirius' Gesicht, so, als sei er froh, dies endlich ausgesprochen zu haben, aber es folgte bereits eine dunkle Nervosität, die verriet, dass er unruhig auf James' Reaktion wartete.
Er starrte Sirius an und erst, als er einen langen Atem auspustete, bemerkte er, dass er seinen Atem angehalten hatte. Hatte Sirius das wirklich geglaubt? Zweifelte er etwa so sehr an seiner Standhaftigkeit zu ihrer Freundschaft? Ihm fiel auf, dass er längst nicht so entrüstet war, wie er angenommen hatte; seine immer noch bestehende Ruhe verriet es ihm. Er hatte es sich wohl schon unbewusst gedacht. "Du weißt doch, dass ich das niemals tun würde, Sirius", sagte er nun. "Ich weiß nicht, wie ich dich davon überzeugen kann, dass du mir wirklich alles anvertrauen kannst, aber ich kann dir versichern, dass du es tun kannst."
Auch wenn ihm vor Augen geführt war, dass Sirius schwarzmagisch erzogen worden war, so hatte James ihm doch kein einziges Mal misstraut. Der Gedanke, dass er als Sohn eines bekannten Aurors verraten und entführt werden könnte, kam ihm nicht in den Sinn, genauso wenig, dass Sirius für seinen Vater spionieren könnte, denn zu groß war sein Vertrauen in seinen Freund, zu stark war das Band, das die beiden Jungen miteinander verband.
Sirius nickte bedächtig und schaute James wieder direkt an. "Ich... ich bin es trotz allem nicht gewohnt, so was vorauszusetzen."
Er entschuldigte sich nicht dafür, dass er James so viel Unstandhaftigkeit zugetraut hätte; warum auch, er hatte sich bisher für nie etwas entschuldigt.
"Es ist mir egal, wie schwarzmagisch deine Familie ist, denn ich weiß, dass du es nicht bist und das reicht mir", fuhr James fort.
Sirius lächelte; zum ersten Mal, seit er aufgewacht war, war es ein ehrliches Lächeln, das seine müden, dunklen Augen erreichte und sie erhellte.
Vielleicht brauchte es noch Zeit, bis Sirius es richtig verstand, dachte James, aber er würde es irgendwann verstehen, dessen war er sich sicher.
"Warum hasst du schwarze Magie eigentlich so?", fragte Sirius plötzlich unvermittelt.
James erstarrte. "Hm?" Er war verwirrt. Was sollte diese Frage denn jetzt?
Sirius jedoch hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und sah James aus halbgeschlossenen Lidern an. Die schwarzen Wimpern schlugen fast aufeinander und warfen halbmondförmige Schatten auf seine hohen Wangen. Sie lenkten von den Rändern ab, die unter seinen Augen lagen. "Ich meine, du reagierst jedes Mal ziemlich überzogen..."
James schnaubte. "Schwarze Magie ist ja auch völlig zu verachten!"
Sirius nickte lahm. "Ja, aber gibt es einen Grund dafür?"
Er starrte seinen Freund durcheinander an. "Hey, muss es einen Grund geben, um Schwarze Magie zu hassen?" Er war verwirrt. Worauf wollte Sirius hinaus? Es war doch selbstverständlich, dass man Dunkle Magie hasste. Sie war schlecht und sie brachte nur Unglück. Leid. Tod. Sie war verlogen und betrügerisch. Sein Vater hatte ihm alles über Schwarze Zauber erzählt und so wusste James, dass sie das Schlechteste auf Erden waren. Er sprach es aus und wurde wütend, als er Sirius grinsen sah.
"Das nenne ich aber Gehirnwäsche", sagte dieser feixend.
Augenblicklich wurde James' Griff um Sirius' Handgelenk wieder stärker; noch deutlicher spürte er dessen Puls, aber derzeit war er viel zu verärgert, als darauf zu achten. "Hey, nimm' das sofort wieder zurück! Das ist keine Gehirnwäsche! Oder willst du etwa behaupten, dass mein Vater gelogen hat? ! Er ist Auror und er bekämpft Dunkle Magie jeden Tag aufs Neue! Er weiß, wie schlecht sie ist!"
Sirius hob abwehrend seine andere Hand, wohl, um James zu beschwichtigen. "Ist ja schon gut. Ich habe nicht gesagt, dass dein Vater ein Lügner ist. Nur... du bist doch nie mit Schwarzen Zaubern in Kontakt gekommen. Du kannst doch gar nicht beurteilen, wie sie sind."
James verengte seine Augen und fixierte Sirius mit verächtlichem Blick. "Ich brauche sie nicht zu kennen, und ich werde sie auch nicht kennen lernen wollen. Denn dann wäre ich ja selbst ein Schwarzmagier. Du findest sie ja nur deswegen nicht schlimm, weil du mit Dunkler Magie aufgewachsen bist."
Sirius nickte, immer noch leicht grinsend. "Und du findest sie nur deswegen so schlimm, weil du mit der Weißen Magie aufgewachsen bist. Dadurch, dass deine Eltern Auroren sind."
James presste die Lippen aufeinander und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Das mochte stimmen. Und dennoch war er im Recht. "Schwarze Magie verdirbt die Seele", sagte er leise. Er konnte beobachten, wie das matte Licht der Fackeln sich in Sirius' Augen widerspiegelte. "Mein Cousin... er ist zum Beispiel nach Durmstrang geschickt worden." Er hatte gezögert, es auszusprechen, weil er sich nur sehr ungern daran erinnerte.
Sein Freund war erstaunt. "Echt jetzt? Aber ihr seid doch gar keine reinblütige Familie."
James winkte ab. "Meine Eltern und seine Eltern sind magisch. Es gibt zwar immer wieder Muggel in unseren Ahnen, aber die meisten Verwandten sind und waren Zauberer und Hexen. Und Durmstrang macht manchmal eine Ausnahme und nimmt auch hin und wieder Zauberer und Hexen auf, die nicht zu den uralten Reinblütlern gehören, sondern auch welche, in denen in den letzten drei Generationen kein Muggel aufgetaucht ist."
"Da muss man aber Beziehungen haben, wenn sie das mal machen", behauptete Sirius.
James nickte düster. "Und mein Onkel hatte Beziehungen. Er wollte Ryan gerne nach Durmstrang schicken, weil er dachte, sie sei die bessere Schule. Mein Vater hatte versucht, ihn davon abzuhalten, aber er hörte nicht auf ihn." Er ballte seine freie Hand unwillkürlich zur Faust. "Ryan ist sieben Jahre älter als wir. Er hat Durmstrang schon beendet. Die Schule hat ihn negativ beeinflusst. Dort lernt man die Dunklen Flüche."
"Ich weiß..." Sirius sah James gespannt an. "Und dann?"
"Nun, um die Dunklen Flüche beherrschen zu können, muss die Seele selbst erst einmal dunkel werden. Und ist sie es geworden und erlernt man dann Schwarze Magie, so wird die Seele immer dunkler und dunkler." James' Stimme war nur noch ein Flüstern. Gespenstisch hallte sie in dem großen, dunklen Raum wider, in denen sonst nur noch das Knistern der Fackeln zu hören war.
Sirius, dessen stets blasses Gesicht leicht hervorstach, hörte atemlos zu.
"Ryans Seele ist auch dunkel geworden", fuhr James wispernd fort. Er wusste nicht, warum er so leise sprach, vielleicht, weil man ungern über Dinge redete, die einem nicht gefielen. "Er hat sich mit der Finsternis verbündet und nach der Schule ist er einfach verschwunden. Er hatte meinem Onkel noch geschrieben, dass er sich vor meinem Vater in Acht nehmen sollte, weil dieser ein Auror und ein Feind war, stell' dir das mal vor! Der Brief war mit Blut geschrieben worden. Mit dem Blut eines Opfers."
"Du meinst, er hat jemanden getötet?" Sirius starrte James entgeistert an.
Dieser nickte und fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. "Es gibt keine Beweise, aber die Spuren von Verbrechen ziehen eine blutige Spur hinter meinen Cousin und hören immer kurz vorher auf, so dass er bisher noch nicht überführt wurde. Wer weiß, wo er sich herumtreibt und was er gerade tut..."
"Das ist ja krass! Und dein Onkel ist der Bruder von deinem Vater?"
James nickte wieder. Er merkte, wie Sirius eher gebannt von dem Erzählten war, als angewidert.
"Wusstest du deswegen von den Walpurgisrittern? Durch deinen Cousin? Wenn er ein Schwarzmagier ist, hat er sicher was mit ihnen zu tun..." Sirius' Blick verlor sich in der Ferne. "Jeder Dunkle Zauberer landet letztendlich bei den Walpurgisrittern."
"Ich selbst hatte zuletzt Kontakt mit Ryan, als ich eingeschult wurde. Er schrieb mir einen kurzen Brief, indem er mir viel Erfolg in Hogwarts wünschte. Ich war erstaunt, dass er mir schrieb, denn wir hatten nie sonderlich viel miteinander zu tun. Außerdem hatte ich angenommen, dass er mich auch hassen würde, weil er meine Eltern hasst. Und der Altersunterschied war in unserer Kindheit immer zu groß gewesen. Aber ich hatte mitbekommen, wie meine Eltern sich über ihn unterhielten. Sie sprachen auch von den Walpurgisrittern, aber sie glaubten, dass er nicht direkt zu ihnen gehört, dafür ist er nicht reinblütig genug." Er machte eine kurze Pause.
"Meine Tante ist sehr unglücklich. Sie ist die beste Freundin meiner Mutter und... und deswegen habe ich immer mitbekommen, wie viel Unglück Schwarze Magie über Familien und Freunde bringen kann."
"Mmh", machte sein Kumpel grüblerisch. Offenbar wusste er nicht, was er dazu sagen sollte.
James sah ihn nachdenklich an. "Jetzt weißt du, warum Schwarze Magie schlecht ist."
Langsam ließ er Sirius endlich los. Ihm fielen wieder Regulus' Worte ein. Dass Sirius sich im Zwiespalt fühlen würde und er sich genötigt glaubte, mit seiner Familie zu brechen, wenn er zu James halten wollte. Auch darüber mussten sie reden. Und dies hing unzweifelhaft mit Durmstrang zusammen. Und mit dem, was er gerade über seinen Cousin erzählt hatte.
"Nun, offenbar wird dein Vater alles daran setzen, unsere Freundschaft zu zerstören und dich nach Durmstrang zu schicken", meinte James nun.
Sirius' Gesicht verdüsterte sich augenblicklich, während er sich abwesend sein Handgelenk rieb. "Ja... so ein Arschloch. Wir müssen uns überlegen, wie wir das verhindern können. Ich will nicht nach Durmstrang."
Durmstrangs Ruf war berühmt-berüchtigt. Die Schule nahm nur Reinblütler auf und unterrichtete Schwarze Magie sogar als Unterrichtsfach mit der verlogenen Begründung, dass man den Feind nur dann besiegen könnte, wenn man sie beherrschte und kannte. Dabei wusste doch jeder, dass nur eine dunkle Seele Schwarze Magie auszuüben vermochte; wenn man sie beherrschte, trennte einen kaum noch etwas von der Finsternis.
"Ich habe mich mit deinem Bruder darüber unterhalten", sagte James.
Sirius wirkte nicht überrascht darüber, schien aber gespannt auf das, was sein Freund ihm nun erzählen würde.
"Black meinte, dass es nur eine Möglichkeit gäbe, dich vor Durmstrang zu bewahren." James spürte, wie er wieder wütend wurde, wütend auf diese hinterhältige Schlange von einem Slytherin. "Ich müsste die Freundschaft zu dir brechen; glaubhaft, so, dass du annimmst, ich würde es ernst meinen."
Sirius starrte James an, seine Augen wurden groß und der Ausdruck in ihnen ungläubig. "Das hat er gesagt?"
Er nickte grimmig. "Ja. Er meinte, dass euer Vater alles andere durchschauen würde. Und er meinte, dass du dich im Zwiespalt befinden würdest, weil du wüsstest, dass du dich irgendwann zwischen unserer Freundschaft und deiner Familie entscheiden würdest, und dass es niemals gut wäre, wenn man sich gegen die eigene Familie stellt. Ich würde dir viel Leid ersparen. Und dass euer Vater es hinbekommen könnte, dass der Sprechende Hut noch einmal entscheidet, wohin du kommst und dass du diesmal dann nach Slytherin eingewiesen werden würdest."
"Er wollte, dass du mir glaubhaft die Freundschaft kündigst?", wiederholte Sirius, so, als hätte er das andere gar nicht mehr mitbekommen. Zorn beherrschte ihn. "Was erlaubt Regulus sich da eigentlich?"
James nickte. "Ist'n ziemlicher Bastard, dein Bruder." Er wollte noch etwas hinzufügen, wollte sagen, dass Sirius sich vorstellen sollte, was passiert wäre, wenn er diesem Plan zugestimmt hätte, da Regulus immerhin sehr gut argumentiert hatte, aber er sprach es nicht aus. Irgendwie erschien ihm das trotz allem unfair; Sirius' Bruder war derzeit nicht hier, um sich zu verteidigen.
Er erinnerte sich genau an Regulus' Schlussfolgerung.
´"Dir bleiben zwei Möglichkeiten. Du brichst die Freundschaft, so, dass Sirius glaubt, du wärest wirklich nicht mehr an ihr interessiert, oder du findest dich damit ab, dass er nach Durmstrang muss. Dort wird er neue Freunde finden. Freunde, die seinem Blut ebenbürtig sind. Und er wird dich früher oder später vergessen." ´
Er hatte sich selbstverständlich dagegen entschieden, diese Freundschaft zu brechen. Nun mussten sie einen Ausweg finden, dass Sirius niemals nach Durmstrang kam. Denn die letzten Worte von Regulus hallten irgendwie unangenehm in James' Kopf wider.
Auch Sirius schien darüber nachzudenken. Er grinste plötzlich listig und schielte James schalkhaft an. "Regulus weiß nicht, dass du mir jetzt die Wahrheit gesagt hast", sagte er kichernd. "Er könnte denken, dass du seine Idee, mit mir die Freundschaft zu brechen, tatsächlich befolgen könntest, nur, um zu verhindern, dass ich nach Durmstrang komme." Seine Augen leuchteten, während er schnell weitersprach. "Wir könnten so tun, als hättest du es gemacht. Wir tun so, als hättest du Regulus' Rat befolgt. Nicht sofort, aber so in ein, zwei Tagen. Mein Bruder wird es meinem Vater erzählen, dass du genug hättest von der Schwarzen Magie und er wird mich hoffentlich in Hogwarts lassen."
James grinste zurück. Damit drehten sie das Ganze um. Eine ausgefeilte Taktik. Doch ihm kam ein Gedanke. "Was aber, wenn dein Vater dich nach Slytherin schickt und ständig darüber wacht, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben?"
Sirius winkte ab. "Der Hut schickt niemanden in ein Haus, in das man nicht will." "Aber dann wird er dich doch nach Durmstrang schicken", hielt James dagegen. So gemein und niederträchtig Regulus' Vorschläge auch waren, seine Argumente waren allesamt von nüchterner Logik.
Wieder erinnerte er sich an etwas, was Regulus gesagt hatte.
´"Sirius' Herz war es, das den Hut hat unentschlossen werden lassen. Sirius' Verstand war es, das den Hut hat dazu bewegen lassen, ihn nach Gryffindor zu schicken." ´
"Hm. Und wenn schon. Dann eben Slytherin. Wie oft sind wir nachts rausgeschlichen, ohne dass es jemand gemerkt hat? Wie viele Verstecke kennen wir in Hogwarts, die sonst niemand kennt? Wir können uns immer sehen."
James war noch nicht überzeugt. "Kann man es nicht anders lösen? Dass wir den Spieß umdrehen, finde ich gut. Aber ich will nicht, dass du nach Slytherin gehst. Wir... wir könnten doch mal mit Dumbledore reden." Ein Schulleiter, der heimlich einen Werwolf aufnahm, schien allemal hilfsbereit zu sein. Besonders, wenn es darum ging, einem Schüler das Schicksal zu ersparen, auf einer schwarzmagischen Schule zu landen, dessen war sich James sicher.
"Mit Dumbledore?", wiederholte Sirius gedehnt und voller Skepsis. Er hob seine Augenbrauen und zeigte, dass er nicht viel von der Idee, einen Erwachsenen, eine Autoritätsperson zu Rate zu ziehen, hielt.
"Mit wem denn sonst? Wie groß ist unsere Chance, dass wir gegen deinen Vater ankommen, der mit seinen Beziehungen das Zaubereiministerium beeinflussen kann?" James fand immer mehr Gefallen daran, Dumbledore zu fragen. Er war Realist genug, zu wissen, dass nur jemand, der ebenfalls Einfluss hatte, ihnen helfen konnte.
"Und was soll er machen?", Sirius schien wirklich nicht begeistert zu sein, sich jemandem wie Dumbledore anzuvertrauen.
"Keine Ahnung, aber er wird bestimmt eine Idee haben. Er hat Einfluss! Genau das, was wir brauchen!" James klang eindringlich. Er fand diesen Vorschlag gut, nicht zuletzt, weil er keinen besseren sah, und wusste bereits, dass er zu dem Zauberer hingehen würde, selbst, wenn Sirius nicht dafür zu überreden war. "Wenn du es nicht willst, mache ich es alleine!", sprach er es aus.
"Was?" Sirius sah ihn entgeistert an. "Mann, das wirst du nicht!"
"Du kannst mich nicht daran hindern. Was hast du gegen Dumbledore?" James konnte nicht nachvollziehen, warum Sirius nicht erkennen konnte, dass es derzeit keinen anderen Ausweg gab. Es lag doch völlig auf der Hand, dass sie, um Mr Black auszutricksen, jemanden brauchten, der mindestens so viel Einfluss hatte, wie der Schwarzmagier selbst. Und der Junge war überzeugt davon, dass ein Zauberer, der die einzige Schule Großbritanniens für Hexerei und Zauberei führen durfte, zwangsläufig Macht haben musste, um den gemeinen Plan, Sirius nach Durmstrang zu schicken, verhindern zu können. Jedenfalls hoffte James dies.
"Ich hab' nichts gegen ihn. Ich will nur nicht jeder dahergelaufenen Person meine Probleme anvertrauen!", zischte Sirius aggressiv. Sein Blick flammte auf.
James stieß seinen Atem aus. "Dumbledore ist keine dahergelaufene Person. Er ist ein brillanter Zauberer. Und du musst einsehen, dass er unsere einzige Möglichkeit ist. Er weiß sicher Rat! Außer natürlich, du reißt aus, nimmst eine andere Gestalt an und schleichst dich in Hogwarts ein." Er lachte und zog sich einen ´Haha-wie-witzig-Blick´ von seinem Kumpel zu.
Nun, jetzt verstand er, warum Sirius sich so dagegen sträubte. Hatte dieser doch schon Probleme damit gehabt, es ihm, seinem besten Freund, anzuvertrauen, so hätte er noch mehr Schwierigkeiten damit, es einem Zauberer zu erzählen, der ihm im Grunde völlig fremd war. Einem Zauberer, der Einfluss hatte und Schulleiter war - ja, Sirius würde sicher nicht freiwillig hingehen, um es ihm zu erzählen, denn eines war klar: der Junge gab niemals seine Schwächen preis, außer James gegenüber, und selbst hier nur mit viel Widerwillen.
James sah Sirius nachdenklich an. Nun gut. Dann würde er seinen Kumpel eben dazu zwingen, mit ihm zum Direktor zu gehen. Am Besten, er schrieb Dumbledore nachher, wenn Sirius schlief, zunächst einen Brief, indem er sich erkundigte, wo er war und ob sie sich so schnell wie möglich treffen könnten. Dann, wenn die Antwort kam, worin der alte Zauberer mit Sicherheit einen Ort und eine Zeit zum Treffen vorschlug, so fürsorglich, wie er immer den Eindruck machte, würde James Sirius schon irgendwie dorthin locken. Und wenn er dabei lügen musste. Er würde nicht tatenlos zusehen, wie sein Freund an einen Ort geschickt werden würde, wo er nicht hin wollte und wo er die Krise bekommen würde.
Letzteres hatte sogar Regulus zugegeben.
Durmstrang war ein Ort, der die Seele verdunkeln konnte. Sirius durfte einfach nicht dorthin.
Sirius begann, argwöhnisch zurückzustarren, schien er doch zu ahnen, was hinter James' Stirn vor sich ging. Doch noch ehe er hinterfragen konnte, durchbrach ein gellender Schrei die ungründliche Stille im großen Haus der Familie Black.
James und Sirius sahen sich erschrocken an und sprangen beide hastig auf. Ersterer war bereits zur Tür gestürmt, den Zauberstab in der Hand, und riss sie auf. Gefolgt von dem anderen Gryffindor hetzten sie hinaus und überlegten rasch, woher der Schrei gekommen war.
"Runter!", stieß Sirius aufgeregt hervor und lief an James vorbei zur Treppe, die hinunter in die Eingangshalle führte.
James eilte hinterher und rannte ungebremst in Sirius hinein, der auf der drittletzten Stufe abrupt stehen geblieben war und wie erstarrt hinunter schaute. Durch den Stoß stolperte Sirius nach vorne und wäre zu Boden gestürzt, wenn der Neuankömmling nicht geschwind, aber elegant vorgetreten wäre, um den Jungen noch rechtzeitig aufzufangen. Sirius' Zauberstab fiel herunter und rollte einige Meter über den Boden.
James schaute den Fremden an, der Sirius' Sturz abgefangen hatte. Dieser trug einen langen, schwarzen Umhang, der eine schwarze Hose und ein altertümliches, schwarzes Hemd bedeckte. Eine große Kapuze war tief ins Gesicht gezogen.
Regulus stand ebenfalls in der Eingangshalle, etwa fünf Meter entfernt, und starrte den Gast erbleichend an. Ganz offensichtlich war er derjenige gewesen, der vorhin geschrieen hatte. Auch er war mit seinem Zauberstab bewaffnet und zielte damit auf den Eindringling.
James runzelte misstrauisch mit der Stirn und umklammerte unbewusst noch fester seinen Zauberstab. Wo waren eigentlich Mr und Mrs Black?
"Sirius, geh' weg von ihm!", presste Regulus gehetzt hervor. Seine Pupillen bewegten sich unruhig und seine Kleidung war merkwürdigerweise unordentlich.
James spannte sich an und spürte, wie nervös er wurde. Dieser Mann war gar kein Gast, sondern ein unerwünschter Eindringling...
Der Fremde, hochgewachsen und schlank, richtete Sirius auf, der sich augenblicklich losreißen und zurückweichen wollte, aber der ungebetene Besucher ließ es nicht zu, sondern hielt ihn fest am Arm gepackt.
Mit seiner freien Hand streifte er die Kapuze langsam herunter.
James hörte Sirius entsetzt aufkeuchen, aber das bekam er nur wie durch Watte mit. Fassungslos hatte er den Feind mit entsetzten Blicken fixiert.
"Wiedersehen macht Freude, nicht wahr?", fragte dieser mit einer melodischen, aber auch bedrohlich klingenden Stimme. Sie war von falscher Sanftheit umhaucht und wirkte lauernd.
James schnappte perplex nach Luft, als der andere eine lässige Handbewegung machte und gelassen "Expelliarmus" sagte und sowohl sein, als auch Regulus' Stab einfach so in seine Hand flogen.
Fassungslos starrte James in das ausdruckslose, leicht herablassende Gesicht des bleichen Mannes mit den dunklen Augen, groß und schwarz, in denen eiskalte Leere glänzte, die den Spiegel einer Seele darstellten, aus der alle Gefühle verbannt waren.
Er hielt Sirius noch immer fest und sah die drei Jungen der Reihe nach an, listig, gefährlich, mit der Gier eines Raubtieres.
Alles in James' Magen krampfte sich zusammen; sein Kopf war auf einmal wie leergefegt.
"Vyperus", war alles, was er geschockt flüstern konnte.
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A/N:
Woah, bin ich froh, dieses Kapitel endlich fertig zu haben. Ich habe damit verdammt lange geschludert und hätte ich meinen Beta nicht, wäre ich wohl noch immer auf Seite 5 dieses Kapitels ; )
So, ich weiß, es wurden hauptsächlich wieder nur Gespräche geführt, aber ich komme nicht drum herum. Keine Sorge, bald gibt es wieder todbringende Abenteuer, hahahaha!
Ich habe lange überlegt, ob ich es wirklich so machen soll, dass sie Dumbledore um Hilfe bitten, da ich mir vorstelle, dass die Rumtreiber eigentlich so gut wie nichts mit Autoritätspersonen zu tun haben wollten. Aber ich habe mich doch dazu entschlossen, es zu machen, weil ich denke, dass somit die ersten Bindungen zwischen ihnen und Dumbledore entsteht. In den HP-Bänden wird deutlich, dass besonders James Dumbledore wohl etwas näher stand. Angenommen, Dumbledore schafft es, ihnen zu helfen, wären sie ihm sicherlich dankbar, was eine spätere Basis für die Zusammenarbeit im Phönix Orden gut voraussetzen kann. Ferner bekommt Dumbledore so einen Einblick in Sirius' Familienleben - denn es muss ja seine Gründe haben, warum auch der Schulleiter Sirius später einerseits für einen Verräter und Mörder hielt und andererseits sehr schnell von dessen Unschuld am Ende von Band 3 überzeugt war.
Woooh, ihr habt ja mal wieder totaaaaaaaaaaal fleißig reviewt, klasse! euch alle wuschel Booh, neun Seiten... :) Es ging ja mal wieder gut ab mit euren Diskussionen, Drohungen, Heiratsanträgen, Duellen usw. -lach!
D A N K E !
